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Was die Art eines Verbrechens alles verrät: James Lee Burke lässt seinen Ermittler Dave Robicheaux in einem unergründlichen Fall versumpfen.
Wenn ein Krimiautor künstlerisch alles richtig macht, hält sich die Auflage seiner Bücher meist im überschaubaren Bereich. Umgekehrt bedeutet das: Schriftstellerische Mängel und Stromlinienplots werden normalerweise mit gigantischen Absätzen belohnt. Ausnahmen wie Lee Child, Erfinder des Genre-Helden Jack Reacher, bestätigen diese Regel genauso wie etwa Don Winslow, der sein Talent früh unter Beweis stellte, dann aber zugunsten des Kontostands ästhetisch abgerüstet hat.
Anders liegt der Fall bei James Lee Burke. Wenn er wollte, könnte er sich dem großen Publikum öffnen und die Verkaufszahlen seiner Titel in die Höhe treiben. Stattdessen hat er im vergangenen Jahr den zweiundzwanzigsten Teil der Reihe um Ermittler Dave Robicheaux vorgelegt und darin die Kunst der Verunklärung auf ein neues Niveau gehoben. Dank der Beharrlichkeit des Bielefelder Pendragon Verlags, der die Serie hierzulande betreut, liegt "Blues in New Iberia" nun auf Deutsch vor.
Selbst hartgesottene Krimi-Adepten werden das Buch als Herausforderung empfinden: unübersichtlich die Handlung, verworren die Beziehungen, schleppend die Ermittlung. Genau genommen, kümmert sich Robicheaux kaum um ein systematisches Vorgehen. Vielmehr hängt er Tagträumen nach und lässt seine Gedanken frei mäandern. "Ich glaube nicht, dass Zeit linear fortlaufend ist", sinniert er, "ich glaube, die Welt gehört den Toten wie den Ungeborenen." Das erinnert an ein berühmtes Zitat aus der ersten Staffel von "True Detective" (2014), die ebenfalls in Louisiana spielt. Darin sagt der von Matthew McConaughey verkörperte Polizist Rust Cohle: "Die Zeit ist ein flacher Kreis."
In Burkes Thriller lösen sich Erfahrungsraum und Erwartungshorizont in einem atmosphärischen Ornament auf, welches sich vor allem den morastigen Bayous und Sümpfen verdankt: "Es herrschte einiger Wellengang in der Bucht, das Moos in den Bäumen war straff gespannt und die Boote auf ihren Hellingen schaukelten wie Bierdosen auf einer Welle." Schon nach wenigen Kapiteln scheint es egal zu sein, was sich ereignet hat oder passieren wird, weil die Hoffnungslosigkeit in surreal anmutenden Erinnerungen an den Vietnam-Krieg ebenso gegenwärtig ist wie im Alltag des Protagonisten. Davon zeugen eine schwarze Frau, die gekreuzigt im Meer driftet, ein Deputy Sheriff, der sich als Zuhälter versucht und mit einem Pfahl in Kehlkopf und Lunge endet, und ein Psychopath, der zwei Mafiosi mit einem Flammenwerfer röstet.
Der Feuerteufel heißt Smiley und hat schon im Vorgängerband für Furore gesorgt. Er ist kinderlieb, liest Comics und tritt als eine Art Deus ex Machina auf: Gerät das Geschehen in zu ruhiges Fahrwasser, erscheint Smiley und dreht durch. Das gelingt ihm schwungvoll genug, um der in Moll wabernden Southern-Gothic-Geschichte einige Dur-Töne aufzudrücken. Die anderen Figuren sind weniger schillernd: Desmond Cormier, frisch eingetroffener Hollywood-Regisseur, bringt aus Kalifornien zwar keinen Glamour, dafür aber ein verdächtiges Filmteam mit. Hugo Tillinger ist aus einem texanischen Gefängnis geflohen - er soll seine Familie verbrannt haben -, um in New Iberia einen undurchsichtigen Veitstanz aufzuführen. Die ans Kreuz genagelte Tote wiederum engagierte sich für das "Innocence Project" und hatte versucht, Tillinger vor der Todesspritze zu retten. Außerdem treibt ihre Leiche direkt vor Cormiers Strandhaus in den Wellen. Zwischen diesen Charakteren tummeln sich Prostituierte und Mitglieder der neonazistischen Aryan Brotherhood, es geht um Geldwäsche, kaputte Familien und das organisierte Verbrechen.
Je länger die Lektüre andauert, desto mehr Todesfälle sind zu beklagen. Statt der Lösung näher zu kommen, scheint sie in immer weitere Ferne zu rücken: "Wie konnte ich in einem Fall weitermachen, der sich zu einem Raum ohne Türen entwickelt hatte?" Vielleicht hilft die Literatur: "Jede dichterische Handlung steht entweder in der Bibel, der griechischen Mythologie oder dem Elisabethanischen Theater." Indem er Polizeiarbeit und Dichtung kurzschließt, entwickelt Robicheaux eine Poetik der Kriminalistik, deren Zentrum die Form, nicht der Inhalt bildet. Die Motive sind stets gleich: Eifersucht, Habgier, Rache und Angst. Allerdings verrät die Art des Verbrechens einiges über den Täter, der seine Opfer diesmal arrangiert wie Figuren auf Tarot-Karten.
Ständiger Referenzpunkt des Personals ist der Western "Faustrecht der Prärie" (1946). Sein Regisseur John Ford hat sich, genau wie Burke, gegen eine realistische Darstellung der Ereignisse entschieden, um eine mythisch überhöhte und moralisch eingefärbte Geschichte zu erzählen. Wer mag, kann historische oder gesellschaftliche Wahrheiten darin entdecken, eigentlich jedoch geht es um ein ästhetisches Verfahren. Beide Werke handeln von ethnischen Vorverurteilungen und der Frage, wie man persönliche Bedürfnisse und soziale Rücksichtnahme in eine sinnvolle Balance bringt. Robicheaux steht laufend vor diesem Problem, besonders beim Umgang mit seinem besten Freund Clete Purcel, der viel zu jungen, viel zu attraktiven Kollegin Bailey und seiner Adoptivtochter Alafair, die sich allzu sorglos auf die Filmcrew einlässt.
Burkes mal saloppe, mal enigmatische Sprache adäquat ins Deutsche zu bringen dürfte eine kaum lösbare Aufgabe sein. Daher klingt Jürgen Bürgers Übersetzung an einigen Stellen, als hätte sich Rainer Brandt die Dialoge von Bud Spencer und Terence Hill vorgeknöpft: "Wenn die uns krumm kommen, gibt's Rührei." Gleichwohl passt dieser Ton besser zur Welt eines Dave Robicheaux als formvollendetes Konfektionsdeutsch. James Lee Burke schreibt seit Jahrzehnten vorsichtig an den Gepflogenheiten des Genres vorbei. Den großen Bestseller wird er so nicht landen, künstlerisch aber macht ihm keiner etwas vor.
KAI SPANKE.
James Lee Burke: "Blues in New Iberia". Ein Dave-Robicheaux-Krimi.
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger. Pendragon Verlag, Bielefeld 2020. 584 S., br., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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