Es ist ein Rohstoff, der unseren batteriebetriebenen Alltag am Laufen hält: Kobalt. Abgebaut wird es überwiegend in der Demokratischen Volksrepublik Kongo - unter dramatischen Menschenrechtsverletzungen. Welche Industrie steckt hinter unseren sauberen E-Autos, Smartphones und Laptops? Der Wirtschaftswissenschaftler und Aktivist Siddharth Kara ist auf seinen Reisen in die von Milizen kontrollierten Bergbauregionen bis tief in das finstere Herz unseres fossilen Kapitalismus vorgedrungen.
In seinem Buch legt er erstmals die Lieferketten und Geschäftsmodelle der Tech- und Automobil-Konzerne offen, deren Nachhaltigkeitsversprechen sich selbst auf Vorzeigeminen als Fiktion erweisen. Er erkundet koloniale Hintergründe, die zu den heutigen Zuständen geführt haben, vor allem aber lässt er die Menschen zu Wort kommen, die für den Kobaltabbau ihr Leben riskieren.
Eindrücklich und fundiert berichtet Kara aus den Untiefen unserer postimperialen Welt und erweitert unser Verständnis für die Effekte unserer globalen Wirtschaft, deren moralische Auswirkungen uns alle betreffen.
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Über die finsteren Arbeitsbedingungen der Schürfer
Es kommt selten vor, dass die Lektüre eines Sachbuches emotional aufrüttelt. Für das vorliegende Buch, das es in der englischsprachigen Originalversion bis in die Shortlist der von der "Financial Times" und Schroders ausgewählten besten Wirtschaftsbücher des Jahres 2023 schaffte, gilt dies. Das jetzt auf Deutsch erschienene Buch wird seinem etwas zu frei übersetzten Titel gerecht und beschreibt die katastrophalen Arbeitsbedingungen der im wahrsten Sinne des Wortes armen Menschen (im Fachjargon euphemistisch als "Artisanal Miners" bezeichnet), die in der Demokratischen Republik Kongo nach dem begehrten und in vielen Industrien unverzichtbaren Kobalt schürfen. Für uns unvorstellbar, sind unter den Artisanal Miners Tausende kongolesische Kinder, die statt zur Schule zur lebensgefährlichen Arbeit unter und über Tage in die Kobaltminen geschickt werden, um zum kargen Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen. Die Kobalt-Schürfer haben keine Arbeitsverträge und keinerlei soziale Absicherung. Sie sind Drangsalierungen ausgesetzt und erhalten für ihre lebensgefährliche Arbeit Hungerlöhne, die sich ausschließlich nach den von ihnen abgelieferten Schürfmengen richten.
Rund 75 Prozent des weltweit geförderten Kobalts stammen aus Kongo. Dieser Rohstoff ist unverzichtbar für wiederaufladbare Batterien in Smartphones, Tablets und Laptops, die wir alle wie selbstverständlich täglich nutzen. Ohne Kobalt gibt es auch keine saubere Elektromobilität. Ohne Kobalt kann unsere moderne Welt mit ihren Annehmlichkeiten nicht auskommen.
Der Autor Siddharth Kara ist Aktivist gegen moderne Sklaverei und hat über dieses Thema schon mehrfach publiziert. Mit dem vorliegenden Report ist er in die tiefsten räuberischen Niederungen der undurchsichtigen Kobalt-Lieferkette eingedrungen. Er ist mehrfach nach Kongo gereist und hat unter Lebensgefahr sorgfältig recherchiert. Er hat Kobaltminen besucht und zahlreiche Interviews geführt mit Minenbetreibern, Regierungsvertretern und vor allem mit den Menschen, die in den Minen schuften müssen. Seine dabei gewonnenen Erkenntnisse sind schockierend. Zitat eines Betroffenen: "Jeden Tag stirbt ein Kind im Kongo, damit andere ihre Handys einschalten können." Dies sollte jedem von uns beim Griff zum Handy unter die Haut gehen.
Siddharth Kara beschreibt ungeschminkt, unter welchen unsäglichen Arbeitsbedingen mit Kinderarbeit, physischer Gewalt und schwersten Gesundheitsgefährdungen Kobalt abgebaut wird. Es ist abstoßend zu erfahren, wie dieses Land und seine Bevölkerung brutal ausgebeutet werden. Bei nüchterner Betrachtung liegt hier ein schon lange existierendes systemisches Problem vor: Die Verbrechen und Gräueltaten der Kolonialzeit unter Leopold II., dem berüchtigten König der Belgier (Regentschaft von 1865 bis 1909), der Kongo zu seinem persönlichen Eigentum gemacht hatte und dort Elfenbein und vor allem Kautschuk ausbeutete, finden heute leider unbeachtet von den Nutzern wiederaufladbarer Batterien in der ganzen Welt ihre Fortsetzung. Siddharth Kara nennt die Täter: Sie sind in der korrupten und auf Selbstbereicherung fixierten politischen Führung des Landes, aber auch in den nach Kongo geholten skrupellosen Ausbeutern aus den Industrieländern und nicht zuletzt aus China zu sehen. Die ausländischen Minenbetreiber verfolgen in ihren Konzessionen gierig nur ihre eigenen Ziele und berücksichtigen dabei weder die Menschen, die in ihren Minen arbeiten, noch die gravierenden Umweltschäden, die der Abbau von Kobalt verursacht.
Schockierend sind auch Karas Erkenntnisse über die wenigen vermeintlichen Musterminen, die auf dem (leider viel zu geduldigen) Papier scheinbar alle Nachhaltigkeitsbedingungen einer sauberen und menschenwürdigen Förderung von Kobalt erfüllen und damit Inspektoren, die im Übrigen - wenn überhaupt - viel zu selten auftauchen, einlullen. Die Musterminen tricksen und täuschen. Der Autor hat aufgedeckt, dass auch bei den Musterminen in erster Linie die Zahlen hinsichtlich der geförderten Mengen stimmen müssen. Fragen nach der Herkunft des geförderten Kobalts und den Umständen der Förderung werden nicht gestellt. Dieser Befund dürfte ein Schlag ins Gesicht der wohlmeinenden Protagonisten des Lieferkettensorgfaltsgesetzes sein. Am Anfang der langen intransparenten Lieferkette von der Förderung des Kobalts bis zu seiner industriellen Verwendung erweist sich dieses Gesetz als stumpfes Schwert, das die zum Himmel schreienden Missstände kaum wirksam zu bekämpfen vermag. Leider gilt dies nicht nur für die Kobalt-Lieferkette, sondern auch für die Lieferketten anderer Rohstoffe, die im globalen Süden abgebaut (Beispiele Kupfer und Lithium) oder auch geerntet werden (Beispiel Kakao). Auch am Anfang dieser Lieferketten gibt es bisher kaum beachtete Missstände.
Die Lektüre dieses Buches erfordert starke Nerven. Es lässt nicht kalt. Dies gilt vom Anfang bis zum Epilog, in dem Siddharth Kara den emotionalen, Mut machenden Abschiedsbrief des legendären ermordeten ersten kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba an seine Frau Pauline wiedergibt. Es ist ein bewegender Brief der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Bisher lässt diese leider immer noch auf sich warten. ROBERT FIETEN
Siddharth Kara: Blutrotes Kobalt. Der Kongo und die brutale Realität hinter unserem Konsum. HarperCollins Deutschland, Hamburg 2024, 352 Seiten, 26 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
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