Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Hans Maier krönt sein politisches und akademisches Wirken mit lehrreichen Memoiren
Den bevorstehenden achtzigsten Geburtstag im Juni nimmt Hans Maier zum Anlass, höchst aufschlussreiche und sehr kurzweilige Erinnerungen vorzulegen. Der aus Freiburg im Breisgau stammende Gelehrte blickt zunächst in Dankbarkeit auf seine Studienjahre und ihn prägende Lehrer zurück, vor allem auf Arnold Bergstraesser, bei dem die "kräftigsten Individualitäten" zum Zug kamen. Vor dem Doktorvater hätten die Freiburger Studenten "nie das Rauchfass der Verehrung schwingen" müssen. In seiner Familie war Maier der erste Akademiker; 1956 legte er das Staatsexamen für das Lehramt ab (Geschichte, Deutsch und Französisch). Nach Promotion und Habilitation erfolgte 1962 der Wechsel aus der Schwarzwaldhauptstadt in die Isarmetropole. Der engagierte Katholik und Orgelspieler konnte zwischen Lehrstühlen in Berlin, Mainz und München wählen. Als Professor für politische Wissenschaft sollte er sich vornehmlich um die Ausbildung der Sozialkundelehrer an weiterführenden Schulen kümmern.
Schon 1967 verfasste er ein Buch gegen die NPD, verantwortete danach ein Forschungsprojekt über den parlamentarischen Alltag von Bundestagsabgeordneten. Es war die Zeit der Studentenunruhen: "Die Professorenschaft, ohnehin ein loses Bündel von Individualisten, fiel angesichts der ständigen Attacken immer mehr auseinander." Empörte hätten nach dem Staat gerufen, Resignierte sich in die Forschung zurückgezogen und Verständnisvolle alsbald den Undank der Revoltierenden gespürt. Maier organisierte mit Assistenten den "Widerstand gegen Vorlesungsstörungen".
Nach dem imposanten Wahlsieg der CSU vom November 1970 bot ihm Ministerpräsident Alfons Goppel das Kultusministerium an. Als Quer- und Seiteneinsteiger bezeichnet sich Maier, als "Politiker des zweiten Bildungswegs". Nach der Vereidigung gratulierte ihm der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß "in einem freundlichen Telefonanruf", und der rheinland-pfälzische Kultusminister Bernhard Vogel (CDU) telegrafierte: "Willkommen im Kreis der Prügelknaben der Nation!" Der parteilose Maier war - wie er viel später erfuhr - nicht der Wunschkandidat Goppels gewesen. Der Ministerpräsident beabsichtigte, den Vorsitzenden des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Wilhelm Ebert, zu berufen, "einen machtbewussten Mann mit internationaler Erfahrung, der seit langem in der bayerischen Politik kräftig mitmischte". Eine Intervention des Amtschefs im Kultusministerium, Karl Böck, und eines Münchener Klinik-Chefs bei Strauß ließen Goppels Plan scheitern. "Die Einzelheiten übergehe ich hier", schreibt Maier milde. Akribisch erläutert er die neun Gesetze seiner Ministerzeit: vom Berufsschulgesetz über das Denkmalschutzgesetz bis zum Lehrerbildungsgesetz und Hochschulgesetz. Übrigens führte er bereits 1973 ein Unterrichtsangebot für türkische Schüler muslimischen Glaubens an Bayerns Grundschulen ein - erteilt durch türkische Lehrer, die von der Türkei vorübergehend in den Freistaat entsandt wurden.
Maier, der 1973 in die CSU eintrat und von 1978 an dem Landtag angehörte, war acht Jahre Minister unter Goppel, weitere acht Jahre unter Strauß. Der eine sei Landesvater, der andere "Bayernherrscher" gewesen, der eine der Bedächtige, der andere der Mächtige. Diese Doppelspitze sei ideal für die CSU gewesen, bis Strauß 1978 den Bundestag verließ und selbst Ministerpräsident wurde. Die Rednergabe von Strauß habe er bewundert, dessen Impulsivität abgelehnt. 1976 hatte Strauß ihn in Südtirol als "arroganten Professor" beschimpft, was "nicht der letzte Zusammenstoß" blieb. Dennoch sei er 1978 aus "Neugier" im Kabinett geblieben.
Während Goppel ein erfahrener Verwaltungsmann gewesen sei, habe Strauß am Kabinettstisch die "leidenschaftliche, hoch engagierte Parteinahme für den einzelnen Bürger, auch und gerade dort, wo dieser mit der Verwaltung im Streit lag", bevorzugt. Ihm sei die in Bayern populäre Rolle des "starken Anarchen" auf den Leib geschrieben gewesen. Von der nun personell aufgeblähten Staatskanzlei seien die Ministerien oft gegängelt, "interne Aufstiegswege" in den Ressorts blockiert worden. So habe sich ein "Defensivgeist" herausgebildet: "Unter den Argusaugen der zentralen Aufsicht erstarrten viele Initiativen, die unter normalen Umständen von risikobereiten, unternehmungslustigen Einzelnen - und die gab es in der qualifizierten bayerischen Verwaltung zuhauf - ausgingen."
Als Strauß 1986 das Ministerium für Unterricht und Kultus in ein Ressort für Wissenschaft und Kunst und ein Ressort für Unterricht und Kultus aufteilte, stand der populäre Maier nicht mehr zur Verfügung. Ende 1987 legte er auch sein Abgeordnetenmandat nieder, um sich wieder ganz der Forschung und Lehre widmen zu können. Beim Abschied von den Parlamentskollegen sagte er: "Unsere Politik leidet an Politikern, die schon in jungen Jahren die Brücken zum zivilen Leben abbrechen." Solche Menschen hätten "wenig Widerstandskraft in Krisenfällen. Sie werden immer geneigt sein, das Votum einer Partei vor die eigene Meinung zu setzen, sich von Stimmungen in der Öffentlichkeit beeindrucken zu lassen und die Zornausbrüche eines Vorsitzenden für Dienstanweisungen zu halten." Er empfahl Distanz, Selbstironie und "eine kräftige Impfung gegen die Versuchungen der Gottähnlichkeit" - Worte eines großen Formulierungsmeisters, die nichts an Aktualität eingebüßt haben.
RAINER BLASIUS.
Hans Maier: Böse Jahre, gute Jahre. Ein Leben 1931 ff. Verlag C. H. Beck, München 2011. 420 S., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH