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Immer mehr Menschen denken, nicht sie selbst, sondern ihre Eltern seien die Schmiede ihres Glücks. Kritik an schlechten Eltern ist daher etabliert, denn sie gelten als belastbar und sollen Verantwortung tragen. Anklagende Kinder dürfen dagegen Kinder bleiben, Verständnis und Mitgefühl erwarten. In seinem Essay richtet sich Schmidbauer an alle, die sich für Familien interessieren, vor allem aber an Eltern, die unter den Vorwürfen erwachsener Kinder leiden.

Produktbeschreibung
Immer mehr Menschen denken, nicht sie selbst, sondern ihre Eltern seien die Schmiede ihres Glücks. Kritik an schlechten Eltern ist daher etabliert, denn sie gelten als belastbar und sollen Verantwortung tragen. Anklagende Kinder dürfen dagegen Kinder bleiben, Verständnis und Mitgefühl erwarten. In seinem Essay richtet sich Schmidbauer an alle, die sich für Familien interessieren, vor allem aber an Eltern, die unter den Vorwürfen erwachsener Kinder leiden.
Autorenporträt
Wolfgang Schmidbauer, geb. 1941, gilt als einer der bekanntesten Psychoanalytiker Deutschlands. Neben Sachbüchern, von denen einige Bestseller wurden, hat er auch Erzählungen, Romane und Berichte über Kindheits- und Jugenderlebnisse geschrieben. Er ist Kolumnist und schreibt regelmäßig für Fach- und Publikumszeitschriften.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Systemische Fehler der Gesellschaft müssen heute oft für jedes Unglück herhalten. Vor allem die Eltern sind schuld, lernt Rezensentin Meredith Haaf aus diesem Buch des Paartherapeuten Wolfgang Schmidbauer, der das allerdings für eine Fehlentwicklung hält. "Scharfsinnig und manchmal gnadenlos" rückt er all jenen den Kopf zurecht, die Elternschaft für eine Art Optimierungsleistung am Kind zu halten scheinen, freut sich Haaf. Auf der anderen Seite ermuntert Schmidbauer Eltern, auch ihren Fehlern positiv gegenüberzustehen. Denn gerade Fehler könnten für Kinder auch "Entwicklungsanreiz" sein. Ein Konzept, mit dem sich Haaf offenbar gut anfreunden kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2024

Was Eltern
schafft
Vater oder Mutter zu sein, das
beschreiben gleich drei neue
Bücher als prekäres Terrain.
Nichts ist dabei so sehr in Gefahr
wie die eigene Identität.
VON MEREDITH HAAF
Es gibt sie ja wirklich, die Frauen, die eine Schwangere darauf hinweisen, dass in ihrem Bauch übrigens „ein Penis“ wächst, wie creepy das denn bitte sei. Gar nicht selten übrigens gibt es auch die Schwangeren, die traurig und unsicher werden, weil das Kind in ihrem Bauch laut Ultraschall biologisch männlich ist und ihnen damit fundamental fremd erscheint. Und offenbar gibt es auch schwangere Feministinnen, deren wichtigster Gedanke zu ihrem winzigen Sohn im Bauch ist: Hoffentlich wird er kein Arschloch.
Letzteres berichtet von sich selbst die Journalistin Shila Behjat in ihrem Sachbuchdebüt „Söhne großziehen als Feministin“. Sie identifiziert sich als Feministin, sie hat zwei Jungs geboren und sie hat sich eine Frage vorgenommen: Ist es möglich, gleichermaßen entschlossen männliche Privilegien zu bekämpfen, maskulin codiertes Verhalten abzulehnen, und zugleich den eigenen Muttertierinstinkten – alles für das Wohlergehen meiner Söhne – Genüge zu tun? Es geht also um ein Problem, das entsteht, wenn die politische Einstellung mit der eigenen intimen Realität kollidiert; ein Problem, das sich allerdings vor allem Menschen stellt, die sich selbst ernster nehmen als alle anderen.
Sich selbst sehr ernst zu nehmen, ist nicht die beste, kann aber eine gute Voraussetzung fürs Denken sein. In Behjats Memoir liest man kluge Beobachtungen, wie zum Beispiel diese hier: „Das Thema Gender-Gerechtigkeit ist im Westen eins von Frauen und Mädchen geblieben.“ Doch sie gehen etwas unter im Rest des Textes, ein Patchwork aus autobiografischen Erzählungen, der Nacherzählung von viralem feministischen Netzcontent und Zitaten aus der intersektionalen Kanonlektüre. Leider erfährt man vergleichsweise wenig über die Praxis des „Söhne als Feministin großziehen“ – da scheint eigentlich immer alles supi, wenn auch, natürlich, mental-load-erwerbsarbeitsmäßig überaus anstrengend zu sein. Behjat interessiert sich vor allem für ihr eigenes Leben und Denken als Frau, Karrieremacherin, Feministin und Mutter.
Was macht es mit ihr, Söhne zu haben? Kurz: Es verändert sie, es macht sie verständnisvoller für Männer und deren Verletzlichkeit. Ihr fällt das atemberaubende Paradox auf, dass Männlichkeit in unserer Gesellschaft zugleich dominiert und zelebriert wird, aber auch unter Generalverdacht steht, im Grunde übel zu sein. Und es macht sie irgendwie neidisch und sauer auf ihre Freundinnen, die „ihren Töchtern immer das erste Wort lassen“ und ihnen aus Prinzip immer das größte Stück Kuchen servieren, die gibt es offenbar auch! So reiht sich ein vielversprechender Titel ein in die babylonische Bibliothek der Texte, Podcasts und Bücher, in denen Elternschaft nie einfach so ist, sondern immer ein vermintes Terrain, auf dem nichts so sehr in Gefahr ist, wie die eigene Identität.
Auch Christina Wesselys Buch „Liebesmühe“ gehört in diese Bibliothek. Die Kulturwissenschaftlerin, Professorin an der Leuphana-Universität, erzählt in ihrem allerdings fein geschriebenen, mitunter ergreifenden Memoir von dem Weg durch eine anhaltende Post-partum-Depression. Der spätgeborene Sohn ist, wie so viele Kinder in westlichen Gesellschaften, weniger das Ergebnis eines konkreten Wunsches, als einer instinktiven Lifestyle-Entscheidung. Mit Anfang 40 blickt sie auf ein selbstbestimmtes, urbanes Akademikerinnenleben, mit dem sie nicht nur zufrieden ist, sondern das sie liebt. „Wenn sie sich allerdings vorgestellt hatte, dass ihr Leben in zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren noch immer so aussehen könnte, hatte sie der kalte Schrecken überfallen (...) Alle anderen wären weiter gegangen, hätten sich weiter entwickelt, nur sie hätte den Absprung verpasst.“
Also bekommt sie ein Kind, und die nervöse, leicht abfällige Fixierung auf das, was die anderen machen und wie sie sich selbst sieht, wird ihr zum Verhängnis. Sie langweilt sich zu Tode mit einem Säugling, der sie einfach nicht in Ruhe lesen lässt, vor dessen Bedürfnissen sie Angst hat, den sie gern lieben würde, aber nicht kennenlernen möchte. Wessely beschreibt diesen Zustand der inneren Dauerflucht, der vielen verkopften Neumüttern bekannt vorkommen dürfte, schonungslos: „(...) sie weiß gar nicht, was sie zuhause mit dem Kind anfangen soll. Nur raus, wo sie nicht mit ihm alleine ist, wo noch andere Menschen sind und wo sie zumindest den Anschein erwecken kann, als wäre alles normal.“
Sie ergeht sich zugleich in ihrer Verachtung für andere Erst-Mütter, „Mamis“ die sich mit Beikostfachwissen gegen die eigene Unsicherheit panzern, nur um selbst in der Feminismus-Theorie nach dem Ursprung ihrer persönlichen Malaise zu suchen: „Es bedarf keiner ausführlichen medizinhistorischen Analysen, um zu erkennen, dass diese Krankheit mit der Gesellschaft und der Kultur zu tun hat, innerhalb derer sie auftritt.“
Da ist sie dann wieder, „die Gesellschaft“, die in der Tiktok-Analyse heute im Prinzip für alles verantwortlich gemacht werden kann, was dem Individuum wehtut. Und wenn es nicht die Gesellschaft ist, dann eben die eigenen Eltern. Irgendwann zwischen Sigmund Freud und Donald Winnicott schlug die Vorstellung Wurzeln in den Köpfen nachdenklicher Menschen, dass Elternschaft nicht nur kein leichtes, sondern ein ungeheuer kompliziertes Unterfangen ist; dass Eltern und insbesondere Mutter zu sein, eigentlich bedeutet, einem Kind die ganze Welt sein zu müssen. Das Gleiche gilt fortgesetzt auch fürs Elternhaben: dasselbe strenge Auge, mit dem man das eigene Elternsein analysiert und optimiert, blickt in therapieaffinen Kreisen auf die Versäumnisse und Fehlkalkulationen, denen man als Kind ausgesetzt war. Kein Wunder, dass einem nicht alles im Leben gelingt! Und so sind wir heute bei einem Elterndiskurs angelangt, in dem Dauerzweifel und Eiferertum, Selbstvorwürfe und Selbstüberschätzung, Verantwortlichkeit und Schuldkult ungeheuer nah beieinanderliegen.
„Das Phänomen der Elternanklage ist in der Mittelschicht beheimatet, die das intellektuelle Klima der Gesellschaft prägt. Die jetzt angeklagten Eltern haben häufig darunter gelitten, dass ihre Eltern streng, distanziert und leistungsfixiert waren.“ Das schreibt der 82-jährige Psychoanalytiker und Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer in seinem neuen kleinen Buch „Böse Väter, kalte Mütter? Warum sich Kinder schlechte Eltern schaffen“. Scharfsinnig und manchmal gnadenlos geht er mit Erwachsenen ins Gericht, die auf der Suche nach der Ursache ihres aktuellen Unglücks die Abkürzung ins Elternhaus nehmen. Dass das verlockend ist, versteht er ja: „Jede einleuchtende Möglichkeit, die Ursache innerer Probleme bei den Eltern dingfest machen zu können, befreit von inneren Selbstspannungen.“
So wie ein knatschiges Kleinkind seine innere Anspannung auszugleichen versucht, indem es einer Fürsorgeperson ins Gesicht plärrt, so plärren bedrückte Midlifers ihre Eltern wieder an – zumindest im Kopf, oder mit der Therapeutin als Bodydouble. Schmidbauer wittert da einen Irrtum, der zu Generationen überforderter, schuldgeplagter und damit wiederum therapiesüchtiger Erwachsener führt: „Eine riskante und absolut neuartige Form der Sozialisation (die Kleinfamilie bzw. die enge Eltern-Kind-Beziehung über das Kleinstkindalter hinaus, Anm. d. Red.) wird absolut gesetzt. Die Rede ist von der Mutter, von den Eltern, die es besser hätten machen müssen, um ihrem Kind zu einer gesünderen Entwicklung zu verhelfen.“
Schmidbauer erfreut dabei mit zutiefst beruhigenden Sätzen für Eltern, die unter Unzulänglichkeitsstress leiden: „Kinder reagieren so sensibel auf Möglichkeiten wie Pflanzen auf Sonnenlicht. Wenn ein Elternteil seine Rolle unvollständig ausfüllt oder fehlt, ist das Defizit und Entwicklungsanreiz in einem.“ Auch im Mist kann einiges blühen. Das stellt übrigens auch Christina Wessely eines Abends fest, als sie ihren inzwischen zehn Monate alten Sohn ins Bett bringt, für den sie bisher wenig außer Sorge zu empfinden glaubte: Sie guckt ihm zu, wie er sich im Schlaf umdreht und bequemer bettet, und auf einmal sieht sie nicht eine Bürde, sondern einen Menschen vor sich, der zu ihr gehört: „Als ob ein Durchlass plötzlich aufgegangen wäre, gewaltsam aufgerissen, strömt die Liebe in ihren Körper. Alles passt rein, Unmengen an Liebe, all das, was bisher nicht hineingelangt ist, aber offenbar da war“, und offenbar auch im Dunkel der Depression entstehen konnte.
Was bedeutet es also, eine Mutter, ein Vater oder wie ein mir sehr gut bekanntes kleines Kind es neulich ausdrückte „ein Elter“ zu sein, egal ob feministisch, akademisch oder nichts davon? Diese Frage, so viel ist sicher, stellen sich viele Leute gar nicht, zum Beispiel Kinder. Rein instinktiv denken Kinder über ihre eigenen Eltern so wenig wie möglich nach. Dass sie ins Erwachsenwerden übergehen, erkennt man daran, dass sie plötzlich anfangen, ihre Eltern ins Verhältnis zu den Eltern der anderen zu setzen. Sind sie strenger, langweiliger, weniger reich, weniger sportlich, chilliger?
Die Essenz der Elternschaft liegt vielleicht darin, niemals frei zu sein und damit klarzukommen. Man bleibt im Bann seiner Kinder und dem, was man für sie ist – selbst schlechte oder sorglose Eltern tun das. Im besten Fall bedeutet Elternschaft, mit jenem Liebesrausch, den Christina Wessely beschreibt, aufs Engste vertraut zu sein; mehr noch aber das Leben von jemand anderem zu behüten, nähren und zu schützen, so lang es nötig ist, und zugleich der Mensch zu sein, über den dieser jemand so wenig wie möglich nachdenkt. Ein guter Elter ist in diesem Sinne dann womöglich der, der sein Kind nicht für die eigenen Ängste bestraft, sei es vor dem Patriarchat, vor der eigenen Bedeutungslosigkeit oder vor dem Liebesverlust.
Dass es leicht ist, so jemand zu sein, hat niemand behauptet. Die Geburt meines ersten Kindes ist schon eine Weile her, die vielen Jahre mit ihm haben sich über die Erinnerung gelegt. Doch präzise abrufen kann ich noch heute die Gewissheit, da auf dem Bett im Kreißsaal, irgendwann während einer Wehe, gestorben zu sein. So wie zuvor gab es mich nicht mehr. Mein Sohn war da, nun hatte seine Mutter zu werden.
Söhne zu haben macht sie
verständnisvoller für die
Verletzlichkeit der Männer
Womöglich liegt die
Essenz von Elternschaft
ganz woanders
Shila Behjat:
Söhne großziehen als
Feministin: Ein Streit-
gespräch mit mir selbst. Hanser Verlag,
München 2024.
200 Seiten, 23 Euro.
Christina Wessely:
Liebesmühe.
Hanser Verlag,
München 2024.
176 Seiten, 22 Euro.
Wolfgang Schmidbauer: Böse Väter, kalte Mütter? Warum sich Kinder
schlechte Eltern schaffen. Reclam Verlag,
Ditzingen 2024.
150 Seiten, 18 Euro.
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