Dublin zwischen Boom und Krise: ein Giftmord in besten Kreisen, eine taumelnde Stadt und eine Ermittlerin, die dringend eine Pause braucht. Patsy Logan ist raus ... und mittendrin Patsy Logan, Kommissarin des Münchner LKA, nimmt sich Bildungszeit, so heißt es zumindest offiziell. Inoffiziell sucht sie in Dublin Zuflucht vor privaten Sorgen und beruflichem Ärger: Ihre Ehe kriselt, der unerfüllte Kinderwunsch belastet sie schwer und der verdiente Karrieresprung wird ihr zugunsten eines männlichen Kollegen verwehrt. Doch Patsy will in Irland nicht nur Abstand von ihrem Alltag gewinnen. Sie möchte auch Hinweisen von Menschen nachgehen, die ihren Vater lebend in Dublin gesehen haben wollen. Das ist einigermaßen verwirrend, denn: Patsys Vater ist seit vielen Jahren tot. Als in der österreichischen Botschaft eine junge deutsche Praktikantin mit Blausäure vergiftet wird, ist es mit Patsys Auszeit und ihren privaten Nachforschungen schlagartig vorbei und sie muss zurück zu ihrer alten Stärke finden. Zusammen mit dem irischen Team und dem Kollegen Sam Feuerstein nimmt sie die Ermittlungen auf - und blickt mitten in die hässliche Fratze von Ausbeutung und Kapitalismus. Dublin im Taumel Die Immobilienpreise explodieren im Wirtschaftsboom, der auf die verheerende Finanz- und Wirtschaftskrise der 2000er folgt. Habgier und Gewinnsucht haben die Stadt wie ein Fieber befallen. Sogenannte Vulture Hunters treiben ihr Unwesen: In der Krise billig erworbene Immobilien und Kredite werden nun mit horrenden Zinsen in kürzester Zeit fällig und treiben die betroffenen Schuldner*innen in die Verzweiflung. Gentrifizierung, zerstörte Lebensträume und zerbrochene Familien prägen den Geist einer pulsierenden Stadt, haben so gar nichts mit der nostalgischen Postkarten-Idylle im Reisekatalog gemein. Hier herrscht das Gesetz der Stärkeren, hier öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter. Hier entscheiden einige wenige aufstrebende Karrierist*innen auf ihrem Weg nach ganz oben über die Leben derer, die strampelnd versuchen sich über Wasser zu halten ... Ein Kriminalroman, der deinen Gerechtigkeitssinn auf eine harte Probe stellen wird. "Boom Town Blues" ist ein Krimi auf allen Ebenen. Die Mord-Ermittlungen werden von der Öffentlichkeit mit Interesse beobachtet, denn: Der Giftanschlag in der Botschaft war kein persönlich motivierter Mord, es geht um Big Business und um viel Geld. Ellen Dunne eröffnet dir die skrupellose Welt der Vulture Funds und die immer weiter auseinanderdriftenden Realitäten von jenen "ganz oben", der Mittelschicht und Menschen, die zum Leben zu wenig haben. Du fühlst mit den Verlierer*innen des kapitalistischen Systems, aber auch mit jenen, die privat alles opfern für die nächste Stufe auf der Karriereleiter - und dabei täglich einsamer werden. Und du fieberst mit Patsy, deren private Situation sich zuspitzt, als die Vergangenheit plötzlich beängstigend lebendig wird ...
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2022Fälle und Zufälle
Krimis in Kürze: Dunne, Weiden und Wittekindt
Recherche im Dienst der Literatur kann schon sehr hart sein und Opfer verlangen. Ellen Dunne, gebürtige Salzburgerin und seit vielen Jahren in Irland lebend, ist für ihren neuen Roman "Boom Town Blues" (Haymon, 320 S., br., 13,95 Euro) zum ersten Mal in die Irische See gestiegen, weil ihre Heldin Patsy Logan das am Ende tut. Niemand weiß, ob das Buch ohne dieses eisige Bad ein ganz anderes geworden wäre - so wie es ist, hat die Erfahrung aber auch nicht geschadet.
Es ist Patsy Logans dritter Auftritt, ihre Ehe in München ist mürbe, ihre berufliche Situation beim LKA stagniert, eine "Bildungskarenz" bei der Cousine in Dublin, wo Logans väterliche Familie herstammt, soll helfen. Auf Umwegen wird sie mit einem Giftmord in der österreichischen Botschaft befasst. Undiplomatisch wie gewohnt legt sie sich mit dem ermittelnden Inspektor an und geht lieber eigene Wege.
Zwischen die Passagen mit Patsy setzt Dunne immer wieder kurze Kapitel, in denen jemand zu Tode kommt oder in hässliche Nöte gerät. Aus diesen Schicksalen kristallisiert sich allmählich heraus, dass es hier auch um die Folgen von Finanzkrise und Boom geht, um das Geschäft mit faulen Immobilienkrediten, das einige Leute sehr reich gemacht und andere ruiniert hat. Ellen Dunne erzählt davon lässig, mit gutem Gespür für Spannung und einem angemessen schwarzen Humor.
Viel mehr Autoren als Tony Hillerman fallen einem nicht ein, wenn man nach Kriminalromanen sucht, die im Milieu der indigenen Nationen in den Vereinigten Staaten spielen. Die Lücke lässt sich schließen mit dem Roman von David Heska Wanbli Weiden. Er ist Anwalt und Autor, er gehört zur Nation der Lakota, besser bekannt als Sioux, und er kennt sich aus mit den ökonomischen und sozialen Verhältnissen in der Rosebud Reservation im Bundesstaat South Dakota.
Der Protagonist von "Winter Counts" (Polar, 460 S., br., 16 Euro) heißt Virgil Wounded Horse, er lebt von Gelegenheitsjobs, er zieht seinen vierzehnjährigen Neffen groß - und er ist so eine Art Terminator: Wo amerikanische Justiz und Stammesrat sich für unzuständig erklären, nimmt er im Auftrag der Geschädigten das Recht in die Hand und straft nach eigenem Ermessen.
Einen Auftragsschläger zum zentralen Akteur zu machen ist kein geringes Risiko. Doch Weidens Porträt dieses gebrochenen Helden ist von Anfang an nuancenreich und voller Ambivalenzen. Als sein Neffe mit Heroin erwischt wird, will Virgil die Sache allein aufklären, obwohl natürlich ein Drogenring, der von Denver aus operiert und seine Kuriere ins Reservat schickt, mindestens eine Nummer zu groß ist für ihn.
"Winter Counts" ist nicht gerade filigran erzählt, das Buch hat auch ein paar Längen, aber man bleibt dabei, weil Weiden einen nüchternen Blick, der zugleich voller Anteilnahme ist, auf die Indigenen in der und vor allem am Rande der amerikanischen Gesellschaft richtet. Ein Blick, der nichts mit der guten alten Indianer-Mythologie zu tun hat, der jederzeit den nötigen Respekt erweist und in all dem, was er von dieser Welt erzählt, nie schulbuchhaft wird.
Es ist beruhigend, wenn man den neuen Roman von Matthias Wittekindt nach der letzten Seite zuklappt, dass es weitergehen wird. Auf der Homepage des Autors ist zu lesen, dass er den vierten Band schon abgeschlossen habe. "Die Schülerin" (Kampa, 368 S., geb., 19,90 Euro) ist der zweite Fall von Kriminaldirektor A. D. Manz (siehe F.A.Z. vom 6. April 2021). Es ist der Blick zurück eines alten Kriminalers von Mitte siebzig, der mit seiner Frau in Dresden lebt. Der durch Zufälle auf alte Fälle gelenkt wird und in dieser Bewegung zwischen Gegenwart und Vergangenheit zugleich seine Familiengeschichte reflektiert. Und das Besondere an diesen Büchern ist, dass ihren Kern jeweils ein Gerichtsprozess bildet, über den Wittekindt gelesen oder den er verfolgt hat.
Diesmal vertritt Manz' Tochter, mit der er einiges zu klären hätte, als Anwältin eine Frau, die als Schülerin vor Jahrzehnten in einem Fall von Manz auftauchte, bei einem Mord an einem Fünfzehnjährigen im Umfeld einer reformpädagogischen Schule. Viel mehr muss man gar nicht sagen. Wittekindts kühler, präziser Stil, der so gut zu seinem Manz passt, begleitet einen souverän und sicher durch die Geschichte. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Dunne, Weiden und Wittekindt
Recherche im Dienst der Literatur kann schon sehr hart sein und Opfer verlangen. Ellen Dunne, gebürtige Salzburgerin und seit vielen Jahren in Irland lebend, ist für ihren neuen Roman "Boom Town Blues" (Haymon, 320 S., br., 13,95 Euro) zum ersten Mal in die Irische See gestiegen, weil ihre Heldin Patsy Logan das am Ende tut. Niemand weiß, ob das Buch ohne dieses eisige Bad ein ganz anderes geworden wäre - so wie es ist, hat die Erfahrung aber auch nicht geschadet.
Es ist Patsy Logans dritter Auftritt, ihre Ehe in München ist mürbe, ihre berufliche Situation beim LKA stagniert, eine "Bildungskarenz" bei der Cousine in Dublin, wo Logans väterliche Familie herstammt, soll helfen. Auf Umwegen wird sie mit einem Giftmord in der österreichischen Botschaft befasst. Undiplomatisch wie gewohnt legt sie sich mit dem ermittelnden Inspektor an und geht lieber eigene Wege.
Zwischen die Passagen mit Patsy setzt Dunne immer wieder kurze Kapitel, in denen jemand zu Tode kommt oder in hässliche Nöte gerät. Aus diesen Schicksalen kristallisiert sich allmählich heraus, dass es hier auch um die Folgen von Finanzkrise und Boom geht, um das Geschäft mit faulen Immobilienkrediten, das einige Leute sehr reich gemacht und andere ruiniert hat. Ellen Dunne erzählt davon lässig, mit gutem Gespür für Spannung und einem angemessen schwarzen Humor.
Viel mehr Autoren als Tony Hillerman fallen einem nicht ein, wenn man nach Kriminalromanen sucht, die im Milieu der indigenen Nationen in den Vereinigten Staaten spielen. Die Lücke lässt sich schließen mit dem Roman von David Heska Wanbli Weiden. Er ist Anwalt und Autor, er gehört zur Nation der Lakota, besser bekannt als Sioux, und er kennt sich aus mit den ökonomischen und sozialen Verhältnissen in der Rosebud Reservation im Bundesstaat South Dakota.
Der Protagonist von "Winter Counts" (Polar, 460 S., br., 16 Euro) heißt Virgil Wounded Horse, er lebt von Gelegenheitsjobs, er zieht seinen vierzehnjährigen Neffen groß - und er ist so eine Art Terminator: Wo amerikanische Justiz und Stammesrat sich für unzuständig erklären, nimmt er im Auftrag der Geschädigten das Recht in die Hand und straft nach eigenem Ermessen.
Einen Auftragsschläger zum zentralen Akteur zu machen ist kein geringes Risiko. Doch Weidens Porträt dieses gebrochenen Helden ist von Anfang an nuancenreich und voller Ambivalenzen. Als sein Neffe mit Heroin erwischt wird, will Virgil die Sache allein aufklären, obwohl natürlich ein Drogenring, der von Denver aus operiert und seine Kuriere ins Reservat schickt, mindestens eine Nummer zu groß ist für ihn.
"Winter Counts" ist nicht gerade filigran erzählt, das Buch hat auch ein paar Längen, aber man bleibt dabei, weil Weiden einen nüchternen Blick, der zugleich voller Anteilnahme ist, auf die Indigenen in der und vor allem am Rande der amerikanischen Gesellschaft richtet. Ein Blick, der nichts mit der guten alten Indianer-Mythologie zu tun hat, der jederzeit den nötigen Respekt erweist und in all dem, was er von dieser Welt erzählt, nie schulbuchhaft wird.
Es ist beruhigend, wenn man den neuen Roman von Matthias Wittekindt nach der letzten Seite zuklappt, dass es weitergehen wird. Auf der Homepage des Autors ist zu lesen, dass er den vierten Band schon abgeschlossen habe. "Die Schülerin" (Kampa, 368 S., geb., 19,90 Euro) ist der zweite Fall von Kriminaldirektor A. D. Manz (siehe F.A.Z. vom 6. April 2021). Es ist der Blick zurück eines alten Kriminalers von Mitte siebzig, der mit seiner Frau in Dresden lebt. Der durch Zufälle auf alte Fälle gelenkt wird und in dieser Bewegung zwischen Gegenwart und Vergangenheit zugleich seine Familiengeschichte reflektiert. Und das Besondere an diesen Büchern ist, dass ihren Kern jeweils ein Gerichtsprozess bildet, über den Wittekindt gelesen oder den er verfolgt hat.
Diesmal vertritt Manz' Tochter, mit der er einiges zu klären hätte, als Anwältin eine Frau, die als Schülerin vor Jahrzehnten in einem Fall von Manz auftauchte, bei einem Mord an einem Fünfzehnjährigen im Umfeld einer reformpädagogischen Schule. Viel mehr muss man gar nicht sagen. Wittekindts kühler, präziser Stil, der so gut zu seinem Manz passt, begleitet einen souverän und sicher durch die Geschichte. PETER KÖRTE
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