Ein großes Familienepos, das Erinnerungen weckt und uns lachen lässt – humorvoll, melancholisch und berührend. Die Krönung Elizabeths II., Wembley 1966, der "Schokoladenkrieg" zwischen England und der EU, James Bond und Prinzessin Diana, Brexit und Pandemie – das sind einige der Fixpunkte im langen Leben der Mary Lamb und ihrer weitverzweigten Familie. Mary ist Herz und Zentrum dieses Romans, als Tochter, Mutter und Großmutter. Das Beispiel von Marys Familie zeigt die Zerrissenheit Englands und gleichzeitig dessen Fähigkeit, in Krisensituationen zusammenzustehen. Nationalismus, latenter Rassismus, Tories oder Labour – die politischen Konflikte ziehen sich auch quer durch die Familie Lamb. Vielstimmig hören wir von Träumen, Enttäuschungen, aber auch vom Glück und der Liebe, die von Mary und den Ihren in der Kleinstadt Bournville gelebt werden. Der neue Roman von Bestsellerautor Jonathan Coe
"So wärmend, gehaltvoll und tröstend wie eine Tasse heiße Schokolade." The Times
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2023Zugreifen, bitte
Auf ein Täfelchen Schokolade mit Jonathan Coe, der mit trockenem Witz von Großbritannien
erzählt wie kein anderer. Jetzt hat er sein bisher persönlichstes Buch geschrieben
VON MICHAEL NEUDECKER
Zum Nachtisch gibt es Schokolade, Cadbury natürlich. Schokolade in lila Folie verpackt passt eigentlich nicht so gut hierher, das mitunter quälend lange Auspacken so eines ausgewachsenen Riegels lässt den kalorienbewussten Dinnergast ja immer etwas gierig erscheinen. Aber Jonathan Coe ist es offensichtlich ziemlich egal, wie er aussieht, wenn er bei einer Abendeinladung in kleiner Runde im hippen Londoner Nordwesten einen Schokoladenriegel raschelnd enthüllt und rasch verzehrt. Er nimmt sich dann gleich noch einen.
Die Liebe des Schriftstellers Jonathan Coe zum „Dairy-Milk“-Produkt wirkt ganz und gar ehrlich, auch wenn sie an diesem Abend fast schon zu gut ins Bild passt: Er hat gerade ein Buch geschrieben, das „Bournville“ heißt und ebendort spielt. Bournville ist ein Vorort von Birmingham, der nur existiert, weil es Schokolade gibt. Ende des 19. Jahrhunderts wurde er südwestlich von Birmingham erschaffen, auf der buchstäblichen grünen Wiese, weil die Familie Cadbury ihre Schokoladenfirma vergrößern wollte und dafür Platz brauchte. Der Firmengründer Richard Cadbury war jemand, der sich um seine Belegschaft kümmerte, deshalb war Bournville mit Häusern für die Mitarbeiter, aber auch Grünflächen ausgestattet. Der Ort gilt bis heute als britische Reißbrett-Idylle, nur einen Pub gab es lange nicht. Die Cadburys sind Quaker, abstinente Protestanten.
So ein Vorort ist natürlich ein wunderbarer Schauplatz für ein Buch, aber Jonathan Coe hat ihn nicht nur deshalb gewählt. Coe ist 1961 in Bromsgrove geboren und aufgewachsen, südwestlich von Bournville und Birmingham. Die Orte des Buches, schreibt er in seinen Anmerkungen am Ende, seien ihm aus seiner Kindheit vertraut, auch in Bournville war er öfter. Mary, die Hauptfigur, legt ihren drei Söhnen jeden Tag ein Stück Cadbury-Schokolade vor deren jeweiliges Foto am Kaminsims. Coe sagt, genau so sei es bei ihm auch gewesen: „Wir hatten ein Bücherregal, auf dem ein Foto von meinem Bruder auf der einen Seite und eins von mir auf der anderen stand, und jeden Tag lag ein Stück Cadbury davor.“ Sie tat das bis zum Schluss, eine Geste der Liebe, auch das letzte Mal, als er sie besuchte, lag die Schokolade da. Das war vor zwei Jahren.
Jonathan Coe gehört zu den bekanntesten britischen Autoren der Gegenwart, er wird gefeiert für seine oft trocken beschriebenen und gut beobachteten Verwebungen der britischen Geschichte mit dem Leben seiner Romanfiguren. So ist es auch in „Bournville“: Es geht um Schokolade, um diese sonderbare Kleinstadt, aber es geht vor allem um Großbritannien. Die Kapitel sind nach historischen Ereignissen seit dem Zweiten Weltkrieg aufgeteilt, von Churchills Rede nach dem Zweiten Weltkrieg über Wembley 1966 bis hin zur Pandemie. Nur der Brexit wird weitgehend ausgespart, mit Ausnahme einer hinreißend komischen Episode über den sogenannten „Schokoladenkrieg“, in dem sich die EU und die Briten jahrzehntelang über den korrekten Fettgehalt in Schokolade stritten. Coe hat den Brexit schon in „Middle England“ behandelt, jenem Roman, der ihm 2019 das bisher größte Publikum einbrachte.
Damals war er einer der Ersten, die gewissermaßen Kapital schlugen aus dem Irrsinn der jahrelangen Brexit-Debatten, und auch jetzt ist er wieder früh dran. „Bournville“ beginnt in Österreich, im Frühjahr 2020, als die Pandemie gerade dabei ist, sich über die Welt zu legen. Coe war damals selbst zu einer Veranstaltung in Wien, abends gab es Schnitzel, die Stimmung war schon so, wie er sie nun auch im Buch beschreibt: ein bisschen besorgniserregend, aber auch ungläubig.
Aber, diese Frage jetzt an Coe: Schon wieder Pandemie, will man das wirklich lesen? Hatte er nicht Sorge, dass die Leute das Buch gleich wieder weglegen?
Ja, sagt Coe, dieser Gedanke sei ihm schon auch gekommen. Und er erinnere sich auch noch gut an die Anfangszeit der Pandemie, als es auf Twitter sarkastische Kommentare gegeben habe: Oh Gott, in zwei Jahren kommt irgendein Schriftsteller daher und schreibt ein Buch über Covid. Nur, dies sei ja kein Buch über die Pandemie, außerdem: „Ich wüsste nicht, wie man ein Buch schreiben soll, das 2020 spielt, ohne Covid zu erwähnen“, sagt er. Lorna, der Enkelin von Mary, widerfährt im Prolog exakt das, was auch Coe selbst damals erlebte, als er erst in Wien war und dann in Berlin und in Hamburg und dabei immer das Gefühl hatte, „dass uns das Virus um die Welt verfolgt“. Jedes Literaturhaus, in dem er sprach, wurde am Tag danach geschlossen.
Nach dem Prolog entkommt „Bournville“ dem Virus zum Glück aber schnell und begibt sich in die Historie dieses anekdotenreichen Landes, auch der Tod von Lady Diana nimmt einen angemessen großen Raum ein. Es ist unterhaltsam, wie Coes Figuren durch die Geschichte gehen, wenngleich die deutsche Übersetzung von Cathrine Hornung und Juliane Gräbener-Müller Coes trockenen britischen Sound, in dem er auch spricht, schon naturgemäß nicht immer ganz adäquat wiedergeben kann.
Die Phase von 1945 bis heute und speziell die im Buch beschriebenen Geschehnisse, sagt Coe, „das war immer schon etwas, das ich noch covern wollte“. Er sagt tatsächlich „covern“, wie ein Journalist, wenn er über seine Berichterstattung spricht. Aber so sind Coes Bücher ja auch zu verstehen: Fiktion und Realität vermischen sich, den Anker bildet immer die britische Geschichte. Selbst Boris Johnson taucht kurz auf, als blonder, wuschelköpfiger Journalist in Brüssel, mit seiner schon damals ungeniert vor sich her getragenen Schamlosigkeit.
Die fiktiven Figuren allerdings sind dieses Mal näher an realen Vorbildern als sonst. Dieses Buch sei „das persönlichste Buch, das ich je geschrieben habe“, sagt Coe. Warum? „Wegen meiner Trauer.“ Seine Mutter ist der Figur der Mary sehr ähnlich, sie starb vor zwei Jahren unter genau den Umständen wie auch Mary im Buch: während der Pandemie und separiert von ihren Liebsten. Er selbst, sagt Coe, sei wiederum eine Mischung aus Marys Söhnen Peter und Martin, ein emotionaler Musikliebhaber der eine, ein langweiliger Spießer der andere.
Und natürlich spielt auch die politische Lage des Landes eine Rolle, in den Erlebnissen und Gesprächen der Figuren, und im Gespräch mit ihm. Der Brexit, sagt Coe und klingt etwas traurig, schade dem Land ja nicht nur wirtschaftlich, „er hat uns auch der Wahrheit beraubt“. Weil die Brexiteers noch immer Fakten verdrehen, als hätten sie das Referendum nicht schon längst gewonnen.
Gerade schreibt Coe schon am nächsten Buch, und darin, sagt er, werde es in gewisser Weise wieder um die britische Geschichte der vergangenen Jahrzehnte gehen, der Rahmen aber werde ein anderer sein. Die Hauptstory beginne und ende im Jahr 2022, und zwar an den Tagen, an denen die Amtszeit der Premierministerin Liz Truss begann und endete. Das waren nur 45 Tage, aber diese kurze Zeit, findet er, sei doch ein hervorragendes Beispiel dafür, wofür die Tories in den vergangenen bald 14 Jahren standen. „Und die Beerdigung der Queen ist auch dabei“, sagt Jonathan Coe, er spricht jetzt schon wieder ein bisschen wie ein Berichterstatter. Es passiert halt so viel in diesem Land, dass er gar nicht so viel neu erfinden muss. Er muss nur zugreifen.
Der Brexit, sagt
Jonathan Coe, habe das Land
der Wahrheit beraubt
Der Hauptsitz des Schokoladenfabrikanten Cadbury und die Signalfarbe der Marke: Lila. Die Hauptfigur des Romans legt ihren Söhnen jeden Tag ein Stück der Schokolade vor deren jeweiliges Foto auf den Kaminsims.
Foto: Getty Images /Christopher Furlong
Jonathan Coe:
Bournville. Roman.
Ins Deutsche
übersetzt von Cathrine Hornung, Juliane
Gräbener-Müller.
Folio Verlag, Wien 2023. 352 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Auf ein Täfelchen Schokolade mit Jonathan Coe, der mit trockenem Witz von Großbritannien
erzählt wie kein anderer. Jetzt hat er sein bisher persönlichstes Buch geschrieben
VON MICHAEL NEUDECKER
Zum Nachtisch gibt es Schokolade, Cadbury natürlich. Schokolade in lila Folie verpackt passt eigentlich nicht so gut hierher, das mitunter quälend lange Auspacken so eines ausgewachsenen Riegels lässt den kalorienbewussten Dinnergast ja immer etwas gierig erscheinen. Aber Jonathan Coe ist es offensichtlich ziemlich egal, wie er aussieht, wenn er bei einer Abendeinladung in kleiner Runde im hippen Londoner Nordwesten einen Schokoladenriegel raschelnd enthüllt und rasch verzehrt. Er nimmt sich dann gleich noch einen.
Die Liebe des Schriftstellers Jonathan Coe zum „Dairy-Milk“-Produkt wirkt ganz und gar ehrlich, auch wenn sie an diesem Abend fast schon zu gut ins Bild passt: Er hat gerade ein Buch geschrieben, das „Bournville“ heißt und ebendort spielt. Bournville ist ein Vorort von Birmingham, der nur existiert, weil es Schokolade gibt. Ende des 19. Jahrhunderts wurde er südwestlich von Birmingham erschaffen, auf der buchstäblichen grünen Wiese, weil die Familie Cadbury ihre Schokoladenfirma vergrößern wollte und dafür Platz brauchte. Der Firmengründer Richard Cadbury war jemand, der sich um seine Belegschaft kümmerte, deshalb war Bournville mit Häusern für die Mitarbeiter, aber auch Grünflächen ausgestattet. Der Ort gilt bis heute als britische Reißbrett-Idylle, nur einen Pub gab es lange nicht. Die Cadburys sind Quaker, abstinente Protestanten.
So ein Vorort ist natürlich ein wunderbarer Schauplatz für ein Buch, aber Jonathan Coe hat ihn nicht nur deshalb gewählt. Coe ist 1961 in Bromsgrove geboren und aufgewachsen, südwestlich von Bournville und Birmingham. Die Orte des Buches, schreibt er in seinen Anmerkungen am Ende, seien ihm aus seiner Kindheit vertraut, auch in Bournville war er öfter. Mary, die Hauptfigur, legt ihren drei Söhnen jeden Tag ein Stück Cadbury-Schokolade vor deren jeweiliges Foto am Kaminsims. Coe sagt, genau so sei es bei ihm auch gewesen: „Wir hatten ein Bücherregal, auf dem ein Foto von meinem Bruder auf der einen Seite und eins von mir auf der anderen stand, und jeden Tag lag ein Stück Cadbury davor.“ Sie tat das bis zum Schluss, eine Geste der Liebe, auch das letzte Mal, als er sie besuchte, lag die Schokolade da. Das war vor zwei Jahren.
Jonathan Coe gehört zu den bekanntesten britischen Autoren der Gegenwart, er wird gefeiert für seine oft trocken beschriebenen und gut beobachteten Verwebungen der britischen Geschichte mit dem Leben seiner Romanfiguren. So ist es auch in „Bournville“: Es geht um Schokolade, um diese sonderbare Kleinstadt, aber es geht vor allem um Großbritannien. Die Kapitel sind nach historischen Ereignissen seit dem Zweiten Weltkrieg aufgeteilt, von Churchills Rede nach dem Zweiten Weltkrieg über Wembley 1966 bis hin zur Pandemie. Nur der Brexit wird weitgehend ausgespart, mit Ausnahme einer hinreißend komischen Episode über den sogenannten „Schokoladenkrieg“, in dem sich die EU und die Briten jahrzehntelang über den korrekten Fettgehalt in Schokolade stritten. Coe hat den Brexit schon in „Middle England“ behandelt, jenem Roman, der ihm 2019 das bisher größte Publikum einbrachte.
Damals war er einer der Ersten, die gewissermaßen Kapital schlugen aus dem Irrsinn der jahrelangen Brexit-Debatten, und auch jetzt ist er wieder früh dran. „Bournville“ beginnt in Österreich, im Frühjahr 2020, als die Pandemie gerade dabei ist, sich über die Welt zu legen. Coe war damals selbst zu einer Veranstaltung in Wien, abends gab es Schnitzel, die Stimmung war schon so, wie er sie nun auch im Buch beschreibt: ein bisschen besorgniserregend, aber auch ungläubig.
Aber, diese Frage jetzt an Coe: Schon wieder Pandemie, will man das wirklich lesen? Hatte er nicht Sorge, dass die Leute das Buch gleich wieder weglegen?
Ja, sagt Coe, dieser Gedanke sei ihm schon auch gekommen. Und er erinnere sich auch noch gut an die Anfangszeit der Pandemie, als es auf Twitter sarkastische Kommentare gegeben habe: Oh Gott, in zwei Jahren kommt irgendein Schriftsteller daher und schreibt ein Buch über Covid. Nur, dies sei ja kein Buch über die Pandemie, außerdem: „Ich wüsste nicht, wie man ein Buch schreiben soll, das 2020 spielt, ohne Covid zu erwähnen“, sagt er. Lorna, der Enkelin von Mary, widerfährt im Prolog exakt das, was auch Coe selbst damals erlebte, als er erst in Wien war und dann in Berlin und in Hamburg und dabei immer das Gefühl hatte, „dass uns das Virus um die Welt verfolgt“. Jedes Literaturhaus, in dem er sprach, wurde am Tag danach geschlossen.
Nach dem Prolog entkommt „Bournville“ dem Virus zum Glück aber schnell und begibt sich in die Historie dieses anekdotenreichen Landes, auch der Tod von Lady Diana nimmt einen angemessen großen Raum ein. Es ist unterhaltsam, wie Coes Figuren durch die Geschichte gehen, wenngleich die deutsche Übersetzung von Cathrine Hornung und Juliane Gräbener-Müller Coes trockenen britischen Sound, in dem er auch spricht, schon naturgemäß nicht immer ganz adäquat wiedergeben kann.
Die Phase von 1945 bis heute und speziell die im Buch beschriebenen Geschehnisse, sagt Coe, „das war immer schon etwas, das ich noch covern wollte“. Er sagt tatsächlich „covern“, wie ein Journalist, wenn er über seine Berichterstattung spricht. Aber so sind Coes Bücher ja auch zu verstehen: Fiktion und Realität vermischen sich, den Anker bildet immer die britische Geschichte. Selbst Boris Johnson taucht kurz auf, als blonder, wuschelköpfiger Journalist in Brüssel, mit seiner schon damals ungeniert vor sich her getragenen Schamlosigkeit.
Die fiktiven Figuren allerdings sind dieses Mal näher an realen Vorbildern als sonst. Dieses Buch sei „das persönlichste Buch, das ich je geschrieben habe“, sagt Coe. Warum? „Wegen meiner Trauer.“ Seine Mutter ist der Figur der Mary sehr ähnlich, sie starb vor zwei Jahren unter genau den Umständen wie auch Mary im Buch: während der Pandemie und separiert von ihren Liebsten. Er selbst, sagt Coe, sei wiederum eine Mischung aus Marys Söhnen Peter und Martin, ein emotionaler Musikliebhaber der eine, ein langweiliger Spießer der andere.
Und natürlich spielt auch die politische Lage des Landes eine Rolle, in den Erlebnissen und Gesprächen der Figuren, und im Gespräch mit ihm. Der Brexit, sagt Coe und klingt etwas traurig, schade dem Land ja nicht nur wirtschaftlich, „er hat uns auch der Wahrheit beraubt“. Weil die Brexiteers noch immer Fakten verdrehen, als hätten sie das Referendum nicht schon längst gewonnen.
Gerade schreibt Coe schon am nächsten Buch, und darin, sagt er, werde es in gewisser Weise wieder um die britische Geschichte der vergangenen Jahrzehnte gehen, der Rahmen aber werde ein anderer sein. Die Hauptstory beginne und ende im Jahr 2022, und zwar an den Tagen, an denen die Amtszeit der Premierministerin Liz Truss begann und endete. Das waren nur 45 Tage, aber diese kurze Zeit, findet er, sei doch ein hervorragendes Beispiel dafür, wofür die Tories in den vergangenen bald 14 Jahren standen. „Und die Beerdigung der Queen ist auch dabei“, sagt Jonathan Coe, er spricht jetzt schon wieder ein bisschen wie ein Berichterstatter. Es passiert halt so viel in diesem Land, dass er gar nicht so viel neu erfinden muss. Er muss nur zugreifen.
Der Brexit, sagt
Jonathan Coe, habe das Land
der Wahrheit beraubt
Der Hauptsitz des Schokoladenfabrikanten Cadbury und die Signalfarbe der Marke: Lila. Die Hauptfigur des Romans legt ihren Söhnen jeden Tag ein Stück der Schokolade vor deren jeweiliges Foto auf den Kaminsims.
Foto: Getty Images /Christopher Furlong
Jonathan Coe:
Bournville. Roman.
Ins Deutsche
übersetzt von Cathrine Hornung, Juliane
Gräbener-Müller.
Folio Verlag, Wien 2023. 352 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Michael Neudecker hat sich mit Jonathan Coe in London zum Abendessen getroffen und über dessen neuen Roman geplaudert. Die Handlung spielt in Bournville bei Birmingham, einem Ort, der um eine Schokoladenfabrik herum errichtet wurde. Der Schauplatz ist auch deshalb kein Zufall, weiß Neudecker zu berichten, weil Coe selbst in der Gegend aufwuchs. Schokolade ist nur ein Thema des Buchs, lernen wir, wie stets verbinde Coe seine Fiktion geschickt mit der Geschichte seines Heimatlandes. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs spannt sich ein Bogen bis zu Corona, beschreibt Neudecker, wobei er gleich hinzufügt, dass letzteres Thema sich glücklicherweise nicht allzu sehr in den Mittelpunkt schiebe. Die Übersetzung von Cathrine Hornung und Juliane Gräbener-Müller kann den "trockenen britischen Sound" des Originals "naturgemäß" nicht durchweg treffen, räumt der Rezensent ein. Die Nähe der Coe'schen Prosa zum Journalismus sei durchweg erkennbar, so Neudecker, wobei der Autor sein Buch gleichzeitig als sein bisher persönlichstes beschreibe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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