Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Es gibt sie doch: Christian Linker schickt einen Marsmenschen auf die Erde der Zukunft
Feinde der Gendersternchen, aufgepasst: In der Zukunft wird es damit ein Ende haben. Schon im Jahr 2099 ist die Sache ausgestanden. Dann hat sich der gesamte blaue Planet für das generische Femininum entschieden. Auf dem roten Planeten herrscht weiter die männliche Form. Die Marsmenschen allerdings, von denen man einst angenommen hatte, sie seien Aliens auf einer weit höheren Intelligenzstufe als der Mensch, sind nur Menschen. Und das, was sie von den Restbeständen der Spezies auf der Erde unterscheidet, lässt sich im Grunde in einem Wort zusammenfassen: Geld. Nur wer genug davon hatte, konnte Mitte des 21. Jahrhunderts in eine der Marskolonien auswandern. Und auch das Leben unter den schicken Glaskuppeln dort finanzieren.
Es gibt noch mehr schnöde Wahrheiten, die Christian Linkers Roman nach und nach enthüllt und ein paar handfeste Geheimnisse auch. Hinter dem reißerischen Titel "Boy from Mars - Auf der Jagd nach der Wahrheit", der wohl auf der Welle reiten will, die das "Young Adult"-Segment des Buchmarkts so erfolgreich reitet - international tun, aber für das deutsche Publikum schreiben - verbirgt sich ein solider Zukunftsroman für junge Leser. Vor allem für solche, die sich dafür interessieren, wie es denn weiter geht mit der Erde, angesichts des Prokrastinierens, das die Erwachsenen dem Handeln gegen die Klimakatastrophe vorziehen.
Immerhin ist die Einigung auf ein generisches Femininum, die dann allerdings nicht halb so konsequent ausgeführt wird, wie man sich das wünschen würde, nicht die einzige revolutionäre Änderung, die unsere Nach-Nachkommen in der gar nicht so weit entfernten Zukunft hinbekommen werden. Vorausgesetzt, sie haben die Ära der Klimakriege überlebt. 300 Millionen Tote, grob geschätzt, werden diese gefordert haben.
Linker, Jahrgang 1975, der in 20 Jahren gut 20 Bücher für Kinder und Jugendliche verfasst hat, beschreibt in seinem Roman eine Erde nach dem großen Kollaps und nach jahrelangen Kriegen um die Plätze, die nicht an der Sonne liegen. Und wie das so ist in Zukunftsromanen, entwickelt er sein Bild aus dem, was heute auf der Hand liegt. Das hat seinen Reiz - die Vorstellung etwa, dass die Kinder im Jahr 2099 nicht mehr das Wort mit "Sch" sagen, wenn sie etwas richtig schlecht finden, sondern "Zeozwei".
Es gibt die Welt noch, das ist schon mal was. Aber mit riesigen Wüsten, dazwischen Morast, in Mitteleuropa, wo Dürrephasen und Extremregen das Jahresklima prägen. Die großen Ferien sind in das einstige Frühjahr gerutscht, dann ist es so heiß, dass niemand verreisen kann. Ein Glück, dass der 13 Jahre Jonto jetzt am Meer wohnt. Dort, unter Nieuw Rotterdam, einer schwimmenden Stadt, die anstelle des längst versunkenen Rotterdam errichtet wurde, und nun verlassen vor der Küste treibt, könnte die Erfindung von Jontos Großvater Ben liegen, mit der das Energieproblem der Erde gelöst werden könnte: der Future Boost.
Als Glück allerdings kann Jonto, der auf dem Mars geboren und aufgewachsen ist, seinen Transfer auf die Erde nicht deuten. Er ist ein Rausschmiss, weil er nach dem Tod seines Großvaters Ben kein Geld für ein weiteres Marsleben hat. Er muss zu seiner Mutter Nelli, die er nur von Hologramm-Telefonaten kennt. Sie kämpft als Umweltberaterin dafür, dass das 22. Jahrhundert auf der Erde eines der Hoffnung werden kann.
Der Kontrast zwischen der Scheinwelt auf dem Mars und der zerstörten Erdgemeinschaft, dazu ein krakenhafter Energiekonzern, der sich als mächtiger Gegner erweist, eine Kinderbande, die "tollschockt", verwertbare Technologie aus den Kriegsruinen birgt und mit Jonto zusammen nichts weniger versucht, als die Zukunft der Welt zu retten: Linker fügt ein Tableau zusammen, aus dem sich eine spannende Geschichte entwickelt. Er hat nicht nur die Science-Fiction-Klassiker des Kinos und der Literatur studiert, sondern auch die Prognosen der Naturwissenschaft, streut Details und Anspielungen in seinen Text, der weder die zerstörte Moral der Erdbewohner noch die Gefühle der Teenager vergisst, die in einer weiter von Erwachsenen dominierten Welt ihre Freiräume suchen.
Das alles ist reizvoll und bei aller Düsternis bisweilen sogar witzig. Und wer liest, wie Jonto das erste Mal einen Wald erlebt und sich an ihm "nicht sattsehen, sattriechen, sattfühlen" kann, schaut vermutlich vom Buch auf und etwas anders auf die Welt. EVA-MARIA MAGEL
Christian Linker: "Boy from Mars". Roman.
dtv, München 2023. 288 S., geb., 15,- Euro. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH