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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Krimis in Kürze: Heinrich Steinfest, Steph Cha und Steven Uhly
Mit der Welt ist etwas passiert. Es hat nur keiner gemerkt. Außer dem allwissenden Erzähler in "Der Chauffeur" (Piper, 360 S., geb., 22,- [Euro]), dem neuen Roman von Heinrich Steinfest. Gesehen haben die Leute nur, wie Laika, die russische Weltraumhündin, nach zweiundsechzig Jahren samt Raumkapsel auf einer Wiese in Süddeutschland landete. Ungealtert, unbeschädigt. Ein frühreifes Zwillingspaar war Zeuge. Ein Kriminalfall liegt da natürlich nicht vor, wie es überhaupt im ganzen Roman keinen übermäßigen Ermittlungszwang gibt. Das ist nichts Neues bei Steinfest, der den einarmigen Detektiv Cheng erfunden hat.
Hier heißt der Protagonist Paul Klee - und er muss all die Fragen und den Spott aushalten, die einem mit diesem Namen zufliegen, der keinerlei künstlerische Begabung hat. Klee war Chauffeur eines Politikers, nun ist er, nach einem Unfall und hoher Abfindung, gemeinsam mit einer Frau namens Inoue Sander Besitzer eines ganz besonderen Hotels. In Gestalt eines Gastes, eines ehemaligen Kommissars, schleicht sich so etwas wie ein Fall in die Geschichte. Als der Kommissar dann verschwunden ist, fühlt Klee sich verpflichtet, ihn aufzuspüren.
Mitunter denkt man, der Roman käme leicht auch ohne dieses Gerüst aus. Klees Idiosynkrasien sind unterhaltsam genug, sein "Weltklassefrühstück", seine Weigerung, in der Hotelbar Cocktails zu mischen; aber auch die Land-Art-Versuche der Zwillinge und die Umkehr der Evolution im Hintergrund der Geschichte erzeugen genug Farbe. Vorgetragen in diesem typischen, leicht umständlichen Steinfest-Ton, der beharrlich den naheliegenden und abgenutzten Sprachbildern ausweicht, ist "Der Chauffeur" ein Buch, für das nicht der Weg, sondern der Umweg das Ziel ist.
Dagegen ist "Brandsätze" (Ars Vivendi, 336 S., geb., 22,- [Euro]) von Steph Cha ein Buch der Konfrontation. Es geht zurück auf einen realen Fall aus dem Jahr 1991, als eine koreanische Ladenbesitzerin in Los Angeles einem sechzehnjährigen afroamerikanischen Mädchen von hinten in den Kopf schoss. Eine Haftstrafe blieb ihr erspart. Die Urteilsverkündung fiel in die Zeit im April 1992, als vier Polizisten, die den Afroamerikaner Rodney King misshandelt hatten, freigesprochen wurden und Teile von Los Angeles brannten.
Cha, Tochter koreanischer Einwanderer, hat diesem Schuss ein fiktionales Echo gegeben. Im Sommer 2019 wird die Koreanerin, die unter anderem Namen im Großraum Los Angeles lebt, angeschossen. Von einem Afroamerikaner. Quälend genau, nüchtern, ohne Parteinahme, in aller Widersprüchlichkeit lässt Cha die Perspektiven aufeinanderprallen: der Angehörigen des ermordeten Mädchens und der beiden Töchter der Schützin, von denen eine erst nach dem Gegenschuss erfährt, was ihre Mutter getan hat. Cha schildert zwei Welten: die angepasst-unauffällige Koreatown-Existenz und die Kontakte mit Gangs, Polizei und Knast auf der anderen Seite.
Es ist ein Buch über Rassismus und Wut, Verstocktheit, Verantwortung und Vergebung, und seine literarische Überzeugungskraft liegt darin, dass es in diesem psychischen und moralischen Labyrinth nie so tut, als sei es im Besitz der Wahrheit. Für alle in diese Geschichte Verstrickten geht es darum, "wie sie mit dem, was sie wussten, leben sollten".
Ein interessanter Versuch, den Erzählroutinen des Kriminalromans zu entkommen, ist das neue Buch von Steven Uhly. "Finsternis" (Secession, 190 S., geb., 20,- [Euro]) besteht aus zwölf Gesprächen eines Polizisten mit einer Therapeutin. Abid Malik ist nicht freiwillig da, und er ist nicht immer kooperativ. So kommt die Geschichte des Falls, der dem jungen Polizisten psychisch zusetzt, auf unkonventionelle, ungeordnete Weise zur Sprache, bis es auch die Therapeutin tiefer hineinzieht, als das Lehrbuch vorsieht.
Uhly lässt aus der Selbstbeschränkung, die das dialogische Erzählen mit sich bringt, durchaus Spannung entstehen, es gibt Abschweifungen und einige überraschende Twists. Nur bei der Auflösung, bei der psychosexuellen Erklärung dessen, was passiert ist, überdehnt der Roman die Grenzen des Plausiblen dann doch ein wenig. Was kein Einwand ist gegen sein Experiment mit der Form.
PETER KÖRTE
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