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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Es wird wohl niemand bestreiten, dass Autokraten gerade eine weltweite Blütezeit erleben. In Amerika gibt es Donald Trump, in der Türkei Recep Tayyip Erdogan, in Russland Wladimir Putin, in China Xi Jinping, in Brasilien gab es Jair Bolsonaro. Man könnte die Liste fortsetzen, wenn man nicht nur Autokraten meinen wollte, sondern alle Politiker, die nicht gerade als große Liberale in die Geschichtsbücher eingehen werden, sondern als Scharfmacher mit einem Faible fürs Autoritäre. Victor Orbán aus Ungarn zum Beispiel, Marine Le Pen aus Frankreich, Geert Wilders aus den Niederlanden. Wahrscheinlich könnte man sich sogar darauf einigen, die genannten Politiker als "Brandstifter" zu bezeichnen, denn sie beschwichtigen nicht, sondern schüren eine Wut und bieten sich dann dem Volk als Vehikel an, diesen Furor auszudrücken.
Wenn das alles so ist, wäre es doch interessant, einmal zu fragen, was alle diese Brandstifter gemeinsam haben oder zumindest einige von ihnen. Und was getan werden kann, um die liberale Demokratie vor ihnen zu schützen. Genau über diese Frage hat Rafael Seligmann ein Buch geschrieben, es heißt: "Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin - Trump - Netanyahu". Und mit diesen drei Namen und der Titelseite des Buchs fangen die Probleme schon an.
Der Buchtitel besteht aus Buchstaben, die mit Fotos hinterlegt sind. Man sieht Gesichter von Putin, Trump und Netanjahu - und hinter dem Wort "Mitläufer" eine Masse von Menschen, die den Hitlergruß zeigen. Diese Illustration ist natürlich unpassend in Bezug auf Netanjahu, aber auch Putin und Trump haben nicht jeden Hitlervergleich verdient. Man könnte Seligmann also belehren, nicht zu inflationär mit solchen Dingen umzugehen, aber wer wäre man, das zu tun? Seligmann wurde 1947 in Tel Aviv geboren, weil seine Eltern, deutsche Juden aus Ichenhausen und Berlin, vor den Nazis fliehen mussten. Mehr als die Hälfte der Familie wurde im Holocaust ermordet. Dass Seligmann keine Belehrung nötig hat, kann man bei ihm selbst nachlesen, im selben Buch, auf Seite 146: "Hysterische Übertreibungen, in denen jeder populistische Politiker und seine Anhänger mit Hitler und den Nazis gleichgesetzt werden, mindern die Glaubwürdigkeit."
Es ist also nicht eine mangelnde Reflektiertheit des Autors, die beim Lesen ein wiederkehrendes Störgefühl erzeugt, sondern der einfache Umstand, dass Trump-Birnen mit Xi-Äpfeln und Hitler-Stachelbeeren verglichen werden. Schon auf den ersten Seiten schreibt Seligmann erst über Slobodan Milosevic, dann über Napoleon, Hitler, Augusto Pinochet, Trump, nur um zu dem Schluss zu kommen, dass "Brandstifter" vor allem von einem beseelt sind: "Der unwiderstehliche Trieb zu siegen, zu erobern, zu zerstören ist entscheidend."
Das wirkt etwas holzschnittartig für so unterschiedliche Personen, und schon einige Seiten später gibt Seligmann, reflektiert, wie er nun einmal ist, das Problem selbst zu. Über eine ganze Reihe von naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Arbeiten schreibt er: "Eine schlüssige Erklärung für den persönlichen Antrieb von Diktatoren und Tyrannen von Attila bis Saddam Hussein und darüber hinaus vermitteln diese Schriften nicht." Vielleicht, weil es - in dieser allumfassenden Generalisierung - keine gibt?
So changiert das Buch zwischen dem Anspruch, eine einheitliche Feldtheorie des brandstiftenden Politikers schlechthin zu formulieren, und dem Eingeständnis, dass es nur wenig gibt, das sich seriöserweise über Erdogan genauso sagen lässt wie über Eva Perón, Xi, Le Pen, Giorgia Meloni und wer noch alles im Buch genannt wird. Es ist die altbekannte Geschichte des ehrgeizigen Doktoranden, dem es nicht an geistigen Mitteln mangelt, wohl aber an der Bescheidenheit, sich eine überschaubare Fragestellung zu suchen.
Wenn Seligmann seine Frage so allgemein stellt, müsste er eigentlich woanders nach einer Antwort suchen. Was alle Staatspräsidenten und Regierungschefs, die bei einer breiten Mehrheit der Deutschen unbeliebt sind, gemeinsam haben, ist ebendas: Sie sind bei einer breiten Mehrheit der Deutschen unbeliebt. Was Xi und Hitler verbindet, ist also eine Fiktion des Publikums, da s man fragen müsste, wie es darauf kommt, hier einen vergleichenden Begriff zu verwenden. Wörter wie "Brandstifter" oder "politische Pyromanen" reflektieren die Ähnlichkeit, mit der das Publikum auf die Personen schaut, aber keine Ähnlichkeit zwischen den Personen selbst.
Wo Seligmann auf wilde Vergleiche verzichtet, wird es interessant. Die Lebensgeschichten von umstrittenen Politikern wie Xi ("Er hauste in Erdhöhlen, sein Vater verbrachte Jahre im Gefängnis, seine Schwester beging Selbstmord") oder Erdogan ("Wenn der Vater wütete, versuchte Recep Tayyip ihn zu beschwichtigen, indem er dessen Schuhe küsste") erzählt er voller Pointen und historischem Wissen. Einen kleinen Nachteil hat aber auch dieses Stochern in Biographien. Es suggeriert, das Publikum habe es hier mit ganz besonderen, vielleicht fehlgeleiteten, aber doch unbestreitbar außergewöhnlichen Persönlichkeiten zu tun. Das ist meist der Mythos, den die Betreffenden gerne von sich selbst erzählen würden. Nämlich als eine Geschichte von "starken Männern", die in einer herbeigeredeten oder tatsächlichen Krise nötig waren, um die Angelegenheiten zu regeln.
Wer Menschen, die er ablehnt, als besonders verkommen oder besonders böse überhöht, schadet ihnen nicht notwendigerweise. Im Negativen erscheinen sie potent, es qualifiziert sie als mögliche Erlöser. Donald Trump wird von vielen seiner Anhänger für ganz besonders skrupellos und schamlos gehalten. Das empfinden sie aber nicht als Makel, sondern als Heldenkraft, mit der er ihnen nutzen soll. Schädlich wäre für Trump, wenn herauskäme, wie banal und gewöhnlich er ist, wie plump seine Lügen, wie beschränkt seine Möglichkeiten. Ganz ähnlich, wie sich Hannah Arendt einst gegen die Überhöhung von Adolf Eichmann wehrte und das Läppische, das Jämmerliche, das Mickrige an ihm beschrieb.
Aber das weiß Seligmann auch selbst, sein Buch ist voll solcher Einsicht, er schreibt darüber in einem Kapitel zu Hitler: "So wird suggeriert, 'der Führer' sei unwiderstehlich gewesen. Falsch! Die vermeintliche Gnadengabe sagt ebenso viel über die Mitläufer aus wie über den Rattenfänger. Er stimmt die Melodie an, die sein Gefolge hören will." So wäre die Gemeinsamkeit der internationalen Bösewichter vor allem, dass Menschen auf sie hereingefallen sind - aus den unterschiedlichsten Gründen. JUSTUS BENDER
Rafael Seligmann: Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin - Trump - Netanyahu. Warum sie erfolgreich sind und wie man sie stoppen kann.
Herder Verlag, Freiburg 2024. 176 S., 18,- Euro.
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