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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Es gibt zumindest guten Stoff für drastische Verwicklungen in Österreichs Provinz her: Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman "Brennende Felder"
Zurück aufs Land: Dieser vermeintlich romantische Wunsch wird im Werk des 1982 in Kirchdorf an der Krems geborenen Reinhard Kaiser-Mühlecker immer aufs Neue mit den sehr realistischen, aktuellen Bedingungen seiner Umsetzung konfrontiert. In diesen Romanen lautete dessen konkrete Ausprägung schon öfter: zurück in die österreichische Provinz, und oft ging es dabei auch um die Frage, wie man unter den Zwängen und Bedrohungen der Globalisierung noch familiäre Landwirtschaft betreiben und wie man dieses Leben, in Arbeit und in der Freizeit, mit der Moderne in Einklang bringen kann.
Im jüngsten Roman, "Brennende Felder", legt Kaiser-Mühlecker nun noch ein Handicap drauf, das auf Anhieb fast grotesk wirkt. Die Verschärfung lautet für die Protagonistin Luisa: aus Hamburg zurück in die österreichische Provinz, um dort in einer Liebesbeziehung mit dem eigenen Vater zu leben.
Wobei das nicht ganz stimmt, denn besagter Robert ist nicht Luisas leiblicher Vater. In ihrer Jugend hielt sie ihn allerdings für diesen und wollte ihn dennoch heiraten. Mit fünfzehn gestand sie ihm ihre Liebe, was zum Zerbrechen der Familie führte. Zwanzig Jahre später steht er in Hamburg vor ihrer Tür, um zu sagen: "Ich will, was du willst."
Das ist der Ausgangspunkt der ersten Romankapitel, die trotz erster Zweifel Luisas von einer vorübergehend unbeschwerten Liebe und dann eben der Rückkehr nach Österreich erzählen - perspektiviert aus Luisas Sicht, aber, auch das ist typisch für Kaiser-Mühlecker, oft schon mit düsteren Andeutungen eines mehr wissenden Erzählers.
Manchmal über Wettermetaphorik, die an Erzählungen des neunzehnten Jahrhunderts erinnert und doch geschickt modernisiert wird, manchmal auch noch deutlicher wird einem in Kaiser-Mühleckers Romanen zuverlässig mitgeteilt, dass es mit der Menschheit im Allgemeinen und den Protagonisten im Besonderen bergab geht. Viele von diesen, so auch Luisa, empfinden Heimatlosigkeit und Entwurzelung. Es erhellt auch aus eingestreuten Erzählerbemerkungen über den Umgang der Menschen miteinander sowie mit der Natur, wenn etwa beklagt wird, dass durch Städtevergrößerung "die fruchtbare Erde auf immer und ewig versiegelt" werde. Oder wenn es angesichts des "alten Kerns" der Dorfgemeinschaft, in die Luisa und Robert zurückkehren, heißt, dass sie "in sich geschlossen war", dies aber "für die allermeisten keine Rolle mehr spielte, weil sie weder von ihr, dieser Gemeinschaft, etwas brauchten, noch sonst auf sie angewiesen waren".
Zwischen Robert und dieser Gemeinschaft steht es aber noch schlechter. Aus den Vorgängerromanen "Wilderer" und "Fremde Seele, dunkler Wald", die mit dem vorliegenden eine Trilogie bilden, kann man schon einiges wissen über Roberts Untauglichkeit als Landwirt und Haushälter, weshalb er aus Not Grundstücke verkaufen musste und sich zudem Feinde gemacht hat, weil er "Arisierungen" aus der NS-Zeit aufdeckt oder diese sühnen will. Es ist indes nicht zwingend, erst die Vorgängerromane zu lesen, um dem neuen folgen zu können. Noch ehe man darin dem geheimnisvollen Robert richtig nahekommt (und auch Luisa, die ihn liebevoll "Bob" nennt und ihre eigene Version von ihm hat, immer wieder um diese zu ringen scheint, gelingt das nicht), liegt er auch schon tot an einem Bach, und obwohl es sich offensichtlich um eine Gewalttat handelt, ist die örtliche Polizei an Aufklärung nicht interessiert. So kann man nach gut siebzig Seiten gut und gerne das Gefühl bekommen, von einem Roman in eine Kriminalgeschichte geraten zu sein - auch das nicht ungewöhnlich für Kaiser-Mühlecker, der manche Einflüsse des "Noir"-Genres durchblicken lässt, seien es amerikanische oder skandinavische.
Eine tiefe Schwärze scheint auch über dem Leben der Protagonistin Luisa zu liegen, die, wie man sukzessive erfährt, schon auf viele gescheiterte Beziehungen in halb Europa zurückblickt und Beziehungen generell sofort beendet, wenn für sie die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht stimmt. Die "Brennenden Felder" des Titels verweisen vielleicht auch auf die verbrannte Erde, die sie schon oft zurückgelassen hat, gerade im Umgang mit Männern - oder diese im Umgang mit ihr. Dabei wird der Großteil des Romans der Aufarbeitung ihres bisherigen Lebens dienen, der sie sich schreibend stellt: Luisa arbeitet nämlich selbst an einem Roman. So wird der vorliegende selbstreflexiv: Wenn sie nämlich etwa feststellt, dass Erzählen auch unterhaltsam sein sollte, während sich das Leben dagegen manchmal ausnehme wie ein eintöniger Jagd- oder Angelausflug, "bei dem nichts geschah".
Auch ihre Annäherung an einen neuen Mann namens Ferdinand gestaltet sich schwierig, weil Luisa ausnahmsweise richtig verliebt, er aber ganz auf sich und seinen Sohn fixiert scheint. Ferdinand wiederum könnte man als Figur aus Kaiser-Mühleckers Roman "Schwarzer Flieder" (2014) wiedererkennen, der seinerseits Teil eines umfangreichen Doppel-Epos ist, und als Affäre in Luisas unstetem Leben taucht dann auch noch der Journalist Jan wieder auf, der aus Kaiser-Mühleckers Roman "Enteignung" (2020) stammen könnten - so entsteht durch die Verflechtung des Personals über mehrere Romane hinweg hier auch der Eindruck, der Autor arbeite vielleicht an einer großen Chronik. Sie könnte, bei aller Gebrochenheit und allen Fluchten der darin vorkommenden Menschen in die Ferne, eine Heimatchronik sein. Für Luisa aber scheint es Heimat schließlich nur in der Fiktion zu geben; weder im Norden noch im Süden fühlt sie sich zu Hause, wirkt rastlos, erst recht am dramatischen Ende dieses Buches, das vor allem eines vermittelt: dass nichts im Leben von Dauer sei. JAN WIELE
Reinhard
Kaiser-Mühlecker:
"Brennende Felder".
Roman.
Verlag S. Fischer,
Frankfurt am Main 2024.
368 S., geb., 25,- Euro.
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