In Mayas Familie herrscht Schweigen. Über die deutsche Vergangenheit und den Holocaust, den die Mutter in Auschwitz überlebt hat, wird nicht gesprochen. Aber Maya trägt die Verwundungen ihrer Familie weiter. Mit zu langen Nächten, Drogen, Schulden und den falschen Typen treibt sie durch das London der siebziger Jahre. Um zu überleben, das wird ihr schlagartig klar, muss sie das Schweigen überwinden. Sie beginnt zu schreiben: Briefe nach Breslau an die von den Nazis ermordeten Großeltern. Stück für Stück setzen ihre Worte eine Familie wieder zusammen, erzählen die Geschichte dreier Generationen im Spiegel der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts.
Dieses Buch ist der Versuch einer Rettung. Maya Lasker-Wallfisch schreibt darin an gegen die Sprachlosigkeit, mutig und gefühlvoll. Sie macht erfahrbar, wie ein transgenerationales Trauma das eigene Leben bestimmt, wie die eigene Geschichte immer abhängt, von dem, was zuvor geschehen ist.
Dieses Buch ist der Versuch einer Rettung. Maya Lasker-Wallfisch schreibt darin an gegen die Sprachlosigkeit, mutig und gefühlvoll. Sie macht erfahrbar, wie ein transgenerationales Trauma das eigene Leben bestimmt, wie die eigene Geschichte immer abhängt, von dem, was zuvor geschehen ist.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Knapp bespricht Marta Kijowska die elf in diesem Buch versammelten fiktiven Briefe, die Maya Lasker-Wallfisch an ihre 1942 ermordeten Großeltern geschrieben hat. Die Tochter der KZ-Überlebenden und Cellistin Anita Lasker-Wallfisch schildert das Trauma, das durch das Schweigen ihrer Mutter ausgelöst wurde: So liest die Kritikerin von Exzessen, Drogenabhängigkeit, Konflikten mit Mutter und Polizei und von Entzug und erfährt in Einsprengseln gelegentlich auch etwas über die Familiengeschichte. Die gerät der Rezensentin allerdings dann doch etwas zu kurz, auch die Anteilnahme der Enkelin am Schicksal der unbekannten Großeltern erscheint ihr mitunter eher wie ein "kompositorischer Effekt". Als Dokument eines transgenerationalen Traumas empfiehlt Kijowska das Buch dennoch gern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2020Arbeit am Trauma
Wie das Leben weiterging: Maya Lasker-Wallfisch schreibt eine Familiengeschichte
Die meisten Berichte von Überlebenden der nationalsozialistischen Judenvernichtung enden zum Zeitpunkt deren Rettung - ihr späteres Leben wird gar nicht oder in Form eines kurzen Epilogs erzählt. In den letzten Jahren melden sich allerdings immer öfter die Nachfahren der Betroffenen zu Wort, um die Familiengeschichte weiterzuerzählen. Ein solches Buch hat Maya Lasker-Wallfisch geschrieben, Tochter der Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, deren Erinnerungen an Auschwitz, wo sie dem Frauenorchester angehörte, in den neunziger Jahren erschienen.
Als die Autorin aufwuchs, verschwieg die Mutter ihre KZ-Erlebnisse; ihre Kinder sollten durch sie nicht belastet werden. Das nicht artikulierte Trauma war dennoch spürbar und hatte, meint die Autorin, zur Folge, dass ihre Jugend, in der sie sich ständig als anders und fremd empfand, zu einer einzigen Kette von Schwierigkeiten wurde. Exzesse in der Schule, Drogenabhängigkeit, wechselnde Jobs, falsche Männer, Konflikte mit der Polizei, Flucht nach Miami, wildes Leben auf Jamaika, wo sie dann einen Zusammenbruch erlitt. Danach aber, dank der Mutter, Rückkehr nach London und Entzug. Und schließlich die Heirat mit einem religiösen Juden, durch den sie ihr Jüdischsein entdeckt, Mutterschaft und Arbeit als Psychotherapeutin.
Die Beschreibung ihrer eigenen Geschichte verwebt Lasker-Wallfisch mit elf Briefen, die an ihre 1942 ermordeten Großeltern gerichtet sind. Auf diese Weise führt sie mit den Ungekannten ein imaginäres Gespräch, in dem sie ihnen über sich selbst und das Leben ihrer drei Töchter berichtet. Als literarischer Kunstgriff taugen diese Briefe zwar nur bedingt, denn der Leser soll daraus die fehlenden Teile der ganzen Familiengeschichte erfahren, wodurch die Adressaten auch ihr eigenes Leben erzählt bekommen ("Im November musstet ihr die schöne Wohnung verlassen . . ."). Hinzu kommt die manchmal etwas falsch klingende Anteilnahme ihrer Enkelin ("Ich frage mich, ob ihr wieder von Angst geplagt wurdet."). Und der oft wiederholte Schlusssatz ("Und wieder kann ich an dieser Stelle nicht weiterschreiben.") lässt weniger ihre Ergriffenheit als Gründe kompositorischen Effekts vermuten.
Dennoch sind die "Briefe nach Breslau" ein eindrucksvolles Buch. Man findet in ihm eine ungewöhnlich offene und gut nachvollziehbare Schilderung eines immer noch selten thematisierten transgenerationalen Traumas. Für die Autorin selbst hatte die Arbeit an ihm offenbar eine selbsttherapeutische Funktion.
MARTA KIJOWSKA
Maya Lasker-Wallfisch: "Briefe nach Breslau". Meine Geschichte über drei Generationen.
Zusammen mit Taylor Downing. Aus dem Englischen von Marieke Heimburger. Insel Verlag, Berlin 2020. 254 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie das Leben weiterging: Maya Lasker-Wallfisch schreibt eine Familiengeschichte
Die meisten Berichte von Überlebenden der nationalsozialistischen Judenvernichtung enden zum Zeitpunkt deren Rettung - ihr späteres Leben wird gar nicht oder in Form eines kurzen Epilogs erzählt. In den letzten Jahren melden sich allerdings immer öfter die Nachfahren der Betroffenen zu Wort, um die Familiengeschichte weiterzuerzählen. Ein solches Buch hat Maya Lasker-Wallfisch geschrieben, Tochter der Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, deren Erinnerungen an Auschwitz, wo sie dem Frauenorchester angehörte, in den neunziger Jahren erschienen.
Als die Autorin aufwuchs, verschwieg die Mutter ihre KZ-Erlebnisse; ihre Kinder sollten durch sie nicht belastet werden. Das nicht artikulierte Trauma war dennoch spürbar und hatte, meint die Autorin, zur Folge, dass ihre Jugend, in der sie sich ständig als anders und fremd empfand, zu einer einzigen Kette von Schwierigkeiten wurde. Exzesse in der Schule, Drogenabhängigkeit, wechselnde Jobs, falsche Männer, Konflikte mit der Polizei, Flucht nach Miami, wildes Leben auf Jamaika, wo sie dann einen Zusammenbruch erlitt. Danach aber, dank der Mutter, Rückkehr nach London und Entzug. Und schließlich die Heirat mit einem religiösen Juden, durch den sie ihr Jüdischsein entdeckt, Mutterschaft und Arbeit als Psychotherapeutin.
Die Beschreibung ihrer eigenen Geschichte verwebt Lasker-Wallfisch mit elf Briefen, die an ihre 1942 ermordeten Großeltern gerichtet sind. Auf diese Weise führt sie mit den Ungekannten ein imaginäres Gespräch, in dem sie ihnen über sich selbst und das Leben ihrer drei Töchter berichtet. Als literarischer Kunstgriff taugen diese Briefe zwar nur bedingt, denn der Leser soll daraus die fehlenden Teile der ganzen Familiengeschichte erfahren, wodurch die Adressaten auch ihr eigenes Leben erzählt bekommen ("Im November musstet ihr die schöne Wohnung verlassen . . ."). Hinzu kommt die manchmal etwas falsch klingende Anteilnahme ihrer Enkelin ("Ich frage mich, ob ihr wieder von Angst geplagt wurdet."). Und der oft wiederholte Schlusssatz ("Und wieder kann ich an dieser Stelle nicht weiterschreiben.") lässt weniger ihre Ergriffenheit als Gründe kompositorischen Effekts vermuten.
Dennoch sind die "Briefe nach Breslau" ein eindrucksvolles Buch. Man findet in ihm eine ungewöhnlich offene und gut nachvollziehbare Schilderung eines immer noch selten thematisierten transgenerationalen Traumas. Für die Autorin selbst hatte die Arbeit an ihm offenbar eine selbsttherapeutische Funktion.
MARTA KIJOWSKA
Maya Lasker-Wallfisch: "Briefe nach Breslau". Meine Geschichte über drei Generationen.
Zusammen mit Taylor Downing. Aus dem Englischen von Marieke Heimburger. Insel Verlag, Berlin 2020. 254 S., geb., 24,- [Euro].
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»... ein eindrucksvolles Buch.« Marta Kijowska Frankfurter Allgemeine Zeitung 20200725