Die Freundschaft mit den Autoren des »Kölner Realismus«: eine der intensivsten, dauerhaftesten und fruchtbarsten Beziehungen Paul Celans Es ist die Geschichte einer langen, an Briefen reichen Freundschaft von 1952 bis in die 1960er Jahre hinein: Drei Vertreter des realistischen deutschen Nachkriegsromans, die ehemaligen Wehrmachtssoldaten Böll, Schallück und Schroers, ließen sich gleich bei ihrer ersten Begegnung auf einen verfolgten Juden und Lyriker ein, der von der zeitgenössischen Kritik als Vertreter des Surrealismus und des Elfenbeinturms wahrgenommen wurde. Über manche Differenzen hinweg haben diese »rheinischen Freunde« alles getan, um Paul Celan den Weg in die deutsche Öffentlichkeit zu ebnen: als Verlagsberater, als Rundfunkleute, als Rezensenten. Dies ist ein Buch, das es fast nicht mehr hätte geben können. Als im März 2009 das Historische Archiv der Stadt Köln einstürzte, verschwanden auch die Nachlässe von Paul Schallück und Heinrich Böll unter den Trümmern und mit ihnen die Briefe, die Paul Celan an sie geschrieben hat. Für diese Ausgabe waren die Dokumente aber bereits gesichert.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2012Sie kennen nur Austerlitz
Briefe von Paul Celan und seinen rheinischen Freunden
"Wie fremd mir dieses Land ist. Fremd trotz der Sprache, trotz vieler anderer Dinge", schreibt Paul Celan im Mai 1952 an seine zukünftige Frau Gisèle Lestrange, ehe er von seinem Wohnort Paris aus zum ersten Mal nach Deutschland zum Treffen der Gruppe 47 in Niendorf reist. In ihren 2010 erschienenen Erinnerungen schildert ihn die spätere Geliebte Brigitta Eisenreich, die ihm zu dieser Zeit erstmals begegnet, als "nicht besonders groß, den Kopf leicht nach vorne geneigt, der Blick seiner dunklen Augen zugleich werbend und aufmerksam, die Stimme war angenehm und wohlklingend, ganz ohne Emphase, die Intonation meinem Sprachgefühl wohlvertraut". Auf viele der in Niendorf Versammelten wirkten Celans Stimme und singender Vortragston dagegen irritierend. Er lese wie Goebbels, so der Kommentar eines Anwesenden, der verdeutlicht, wie unreflektiert mit dem nationalsozialistischen Erbe umgegangen wurde.
Doch Celan erfuhr in Niendorf nicht nur Ablehnung. Er lernte dort die annähernd gleichaltrigen Autoren Paul Schallück und Rolf Schroers kennen, die sich für seine Gedichte interessierten und ihm dabei halfen, sich im deutschen Literaturbetrieb zu verankern. Schallück vermittelte eine Radiolesung, Schroers trug dazu bei, dass Celans Gedichtband "Mohn und Gedächtnis" noch im selben Jahr bei der Deutschen Verlagsanstalt veröffentlicht wurde. Er war es auch, der Heinrich Böll und Celan einander vorstellte. Böll verschaffte dem finanziell knappen Celan über seinen Verlag Kiepenheuer & Witsch Übersetzungsaufträge für zwei Maigret-Romane. Umgekehrt setzte sich Celan in Frankreich für das Werk der deutschen Freunde ein. Über Jahre blieben die vier untereinander in Verbindung, wodurch die Zusammenfassung dreier Korrespondenzen in einem Band "Briefwechsel mit den rheinischen Freunden" plausibel wirkt.
Die sorgfältige, detailliert kommentierte und durch Dossiers ergänzte Edition von Barbara Wiedemann fügt nicht nur Celans Biographie neue Aspekte hinzu. Man gewinnt auch einen lebendigen Eindruck vom politischen und literarischen Klima im Wirtschaftswunder-Deutschland der fünfziger und frühen sechziger Jahre, in dem die nationalsozialistische Ideologie vielerorts weiterweste. Heinrich Böll schreibt 1954 in einem im vorliegenden Band abgedruckten Artikel in der "Kölner Rundschau" mit Blick auf Celans Gedichte: "Unsere Kinder wissen nicht, was vor zehn Jahren geschehen ist. Sie lernen Namen von Städten kennen, mit deren Namen sich ein fader Heroismus verbindet: Leuthen, Waterloo, Austerlitz, aber von Auschwitz wissen unsere Kinder nichts. Und wir, die es wissen, reden und denken darüber hinweg."
Mit fünfunddreißig Dokumenten ist der Austausch zwischen Celan und Böll der auf dem Papier am wenigsten intensiv geführte. Eindrücklich ist, wie sich Celan wiederholt ratsuchend an Böll wendet, zuerst 1957, als ihm der Preis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie zusammen mit Friedrich Sieburg zugesprochen wird, der zu Zeiten des Nationalsozialismus in Paris eine ideologiekonforme Rede gehalten hatte, die 1941 publiziert worden war, und abermals 1959 nach einer Lesung in Bonn, bei der antisemitische Äußerungen laut geworden waren. Böll, der sich 1957 sehr für Celan eingesetzt hatte, antwortete beim zweiten Mal: "Sie werden - so hoffe ich - nicht böse oder ungeduldig sein, daß ich noch nicht antworte. Ich bin tief begraben unter einem großen Manuskript. Bald wird der Roman fertig sein, wird auch eine Antwort auf Ihren Brief enthalten." Celan war wütend und enttäuscht. Es folgte ein Schlagabtausch, dann Schweigen. Im später von Celan wiederaufgenommenen Austausch meint man distanziertere Töne zu hören.
Paul Schallück, Mitbegründer der Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums Germania Judaica, zeigt sich in den Briefen höchst sensibel. 1962, nach dem neuerlichen Auflodern der Goll-Affäre, in deren Verlauf Yvan Golls Witwe Paul Celan bezichtigte, die Gedichte ihres Mannes plagiiert zu haben, und zum Beweis ihrer Behauptung auch vor dem Fälschen von Daten nicht zurückschreckte, erklärt er, Celan müsse wissen, dass er ganz und ohne Vorbehalt zu ihm gehöre, "aus einem unerklärbaren Grund, den man mit ernster Sympathie oder Liebe nur sehr notdürftig andeuten kann". Dennoch muss ein Moment der Fremdheit zwischen beiden bestanden haben, sie bleiben in den neunzig Dokumenten bis zuletzt beim "Sie".
Mit zweihundert Dokumenten am umfangreichsten, im Ton am kontroversesten ist Celans Briefwechsel mit dem ein Jahr älteren Romanautor und Lektor Rolf Schroers, Sohn eines SS-Brigadeführers und im Zweiten Weltkrieg Offizier. Celan hat zunächst Vorbehalte, wie nach dem ersten Besuch bei Schroers aus einem Brief 1952 an seine Verlobte abzulesen ist. Zugleich "nett und unerquicklich, sehr deutsch in einem Sinne, der einen zuerst abstößt und einen dann zum Nachdenken veranlaßt", sei es dort gewesen. Ein Übernachtungsangebot der Familie habe er abgelehnt, er habe allzu viele Spuren einer Vergangenheit voller schrecklicher Dinge entdeckt, berichtet er. Trotzdem werden später in den Briefen zwischen ihm und Schroers die Gedanken zur Literatur und zur Lage der Zeit am hellsten funkeln, wird Schroers der einzige der drei rheinischen Freunde sein, mit dem Celan sich duzt. In seinem Roman "Jakob und die Sehnsucht" (1953) stellt Schroers dem dritten Teil das Gedicht "Als Gast" von Celan voran, fließt sein Eindruck von Celan in die Charakteristik der Figur des Gastes ein.
Ausgerechnet diese fruchtbarste und wohl freundschaftlichste der drei Beziehungen wird Celan nach rund zehn Jahren abrupt beenden. Laut Wiedemann liegt der Grund in den in verleumderischer Absicht verbreiteten Unwahrheiten über den vermeintlichen Antisemitismus Schroers' und dessen angebliches Mitwirken an Geiselerschießungen in Italien zur Zeit des Nationalsozialismus. Celan glaubt sie, ohne den Freund je darauf anzusprechen. Er nimmt ihm auch das Engagement in der Goll-Affäre übel. In einem Artikel hatte Schroers Celans psychische Reaktionen auf die Affäre erwähnt, was Celan mutmaßen ließ, er wolle den Verleumdern einen Triumph in die Hand spielen.
An der Korrespondenz mit Schroers zeigt sich, welche Wirkmacht schon der Verdacht auf eine antisemitische Gesinnung oder Vergangenheit einer Person in Celans Denken entfaltete, wie seine Beziehungen dadurch geprägt oder gar zerstört wurden. Die Freundschaft zur Schroers war nicht die einzige, in die er das Vertrauen verlor, ehe er 1970 den Freitod wählte. Celans Lebensdrama, so zeigt sich auch im Blick auf vorangegangene Editionen, etwa des Briefwechsels mit Rudolf Hirsch (2004) oder mit Klaus Demus (2009), und einmal mehr durch diese Edition, ist nicht allein individualpsychologisch, sondern in hohem Maße zeitgeschichtlich motiviert. Beinahe wäre dieser wichtige Band nicht zustande gekommen. Mit dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln im März 2009 gingen die Nachlässe von Paul Schallück und Heinrich Böll unter den Trümmern und mit ihnen die Briefe, die Celan an sie geschrieben hat, verloren. Die Planungen für die Edition waren aber glücklicherweise schon so weit vorangeschritten, dass auf Fotokopien zurückgegriffen werden konnte, die Celans Sohn von den Briefen seines Vaters erhalten hatte.
BEATE TRÖGER
Paul Celan: "Briefwechsel mit den rheinischen Freunden: Heinrich Böll, Paul Schallück, Rolf Schroers".
Hrsg. von Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 772 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Briefe von Paul Celan und seinen rheinischen Freunden
"Wie fremd mir dieses Land ist. Fremd trotz der Sprache, trotz vieler anderer Dinge", schreibt Paul Celan im Mai 1952 an seine zukünftige Frau Gisèle Lestrange, ehe er von seinem Wohnort Paris aus zum ersten Mal nach Deutschland zum Treffen der Gruppe 47 in Niendorf reist. In ihren 2010 erschienenen Erinnerungen schildert ihn die spätere Geliebte Brigitta Eisenreich, die ihm zu dieser Zeit erstmals begegnet, als "nicht besonders groß, den Kopf leicht nach vorne geneigt, der Blick seiner dunklen Augen zugleich werbend und aufmerksam, die Stimme war angenehm und wohlklingend, ganz ohne Emphase, die Intonation meinem Sprachgefühl wohlvertraut". Auf viele der in Niendorf Versammelten wirkten Celans Stimme und singender Vortragston dagegen irritierend. Er lese wie Goebbels, so der Kommentar eines Anwesenden, der verdeutlicht, wie unreflektiert mit dem nationalsozialistischen Erbe umgegangen wurde.
Doch Celan erfuhr in Niendorf nicht nur Ablehnung. Er lernte dort die annähernd gleichaltrigen Autoren Paul Schallück und Rolf Schroers kennen, die sich für seine Gedichte interessierten und ihm dabei halfen, sich im deutschen Literaturbetrieb zu verankern. Schallück vermittelte eine Radiolesung, Schroers trug dazu bei, dass Celans Gedichtband "Mohn und Gedächtnis" noch im selben Jahr bei der Deutschen Verlagsanstalt veröffentlicht wurde. Er war es auch, der Heinrich Böll und Celan einander vorstellte. Böll verschaffte dem finanziell knappen Celan über seinen Verlag Kiepenheuer & Witsch Übersetzungsaufträge für zwei Maigret-Romane. Umgekehrt setzte sich Celan in Frankreich für das Werk der deutschen Freunde ein. Über Jahre blieben die vier untereinander in Verbindung, wodurch die Zusammenfassung dreier Korrespondenzen in einem Band "Briefwechsel mit den rheinischen Freunden" plausibel wirkt.
Die sorgfältige, detailliert kommentierte und durch Dossiers ergänzte Edition von Barbara Wiedemann fügt nicht nur Celans Biographie neue Aspekte hinzu. Man gewinnt auch einen lebendigen Eindruck vom politischen und literarischen Klima im Wirtschaftswunder-Deutschland der fünfziger und frühen sechziger Jahre, in dem die nationalsozialistische Ideologie vielerorts weiterweste. Heinrich Böll schreibt 1954 in einem im vorliegenden Band abgedruckten Artikel in der "Kölner Rundschau" mit Blick auf Celans Gedichte: "Unsere Kinder wissen nicht, was vor zehn Jahren geschehen ist. Sie lernen Namen von Städten kennen, mit deren Namen sich ein fader Heroismus verbindet: Leuthen, Waterloo, Austerlitz, aber von Auschwitz wissen unsere Kinder nichts. Und wir, die es wissen, reden und denken darüber hinweg."
Mit fünfunddreißig Dokumenten ist der Austausch zwischen Celan und Böll der auf dem Papier am wenigsten intensiv geführte. Eindrücklich ist, wie sich Celan wiederholt ratsuchend an Böll wendet, zuerst 1957, als ihm der Preis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie zusammen mit Friedrich Sieburg zugesprochen wird, der zu Zeiten des Nationalsozialismus in Paris eine ideologiekonforme Rede gehalten hatte, die 1941 publiziert worden war, und abermals 1959 nach einer Lesung in Bonn, bei der antisemitische Äußerungen laut geworden waren. Böll, der sich 1957 sehr für Celan eingesetzt hatte, antwortete beim zweiten Mal: "Sie werden - so hoffe ich - nicht böse oder ungeduldig sein, daß ich noch nicht antworte. Ich bin tief begraben unter einem großen Manuskript. Bald wird der Roman fertig sein, wird auch eine Antwort auf Ihren Brief enthalten." Celan war wütend und enttäuscht. Es folgte ein Schlagabtausch, dann Schweigen. Im später von Celan wiederaufgenommenen Austausch meint man distanziertere Töne zu hören.
Paul Schallück, Mitbegründer der Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums Germania Judaica, zeigt sich in den Briefen höchst sensibel. 1962, nach dem neuerlichen Auflodern der Goll-Affäre, in deren Verlauf Yvan Golls Witwe Paul Celan bezichtigte, die Gedichte ihres Mannes plagiiert zu haben, und zum Beweis ihrer Behauptung auch vor dem Fälschen von Daten nicht zurückschreckte, erklärt er, Celan müsse wissen, dass er ganz und ohne Vorbehalt zu ihm gehöre, "aus einem unerklärbaren Grund, den man mit ernster Sympathie oder Liebe nur sehr notdürftig andeuten kann". Dennoch muss ein Moment der Fremdheit zwischen beiden bestanden haben, sie bleiben in den neunzig Dokumenten bis zuletzt beim "Sie".
Mit zweihundert Dokumenten am umfangreichsten, im Ton am kontroversesten ist Celans Briefwechsel mit dem ein Jahr älteren Romanautor und Lektor Rolf Schroers, Sohn eines SS-Brigadeführers und im Zweiten Weltkrieg Offizier. Celan hat zunächst Vorbehalte, wie nach dem ersten Besuch bei Schroers aus einem Brief 1952 an seine Verlobte abzulesen ist. Zugleich "nett und unerquicklich, sehr deutsch in einem Sinne, der einen zuerst abstößt und einen dann zum Nachdenken veranlaßt", sei es dort gewesen. Ein Übernachtungsangebot der Familie habe er abgelehnt, er habe allzu viele Spuren einer Vergangenheit voller schrecklicher Dinge entdeckt, berichtet er. Trotzdem werden später in den Briefen zwischen ihm und Schroers die Gedanken zur Literatur und zur Lage der Zeit am hellsten funkeln, wird Schroers der einzige der drei rheinischen Freunde sein, mit dem Celan sich duzt. In seinem Roman "Jakob und die Sehnsucht" (1953) stellt Schroers dem dritten Teil das Gedicht "Als Gast" von Celan voran, fließt sein Eindruck von Celan in die Charakteristik der Figur des Gastes ein.
Ausgerechnet diese fruchtbarste und wohl freundschaftlichste der drei Beziehungen wird Celan nach rund zehn Jahren abrupt beenden. Laut Wiedemann liegt der Grund in den in verleumderischer Absicht verbreiteten Unwahrheiten über den vermeintlichen Antisemitismus Schroers' und dessen angebliches Mitwirken an Geiselerschießungen in Italien zur Zeit des Nationalsozialismus. Celan glaubt sie, ohne den Freund je darauf anzusprechen. Er nimmt ihm auch das Engagement in der Goll-Affäre übel. In einem Artikel hatte Schroers Celans psychische Reaktionen auf die Affäre erwähnt, was Celan mutmaßen ließ, er wolle den Verleumdern einen Triumph in die Hand spielen.
An der Korrespondenz mit Schroers zeigt sich, welche Wirkmacht schon der Verdacht auf eine antisemitische Gesinnung oder Vergangenheit einer Person in Celans Denken entfaltete, wie seine Beziehungen dadurch geprägt oder gar zerstört wurden. Die Freundschaft zur Schroers war nicht die einzige, in die er das Vertrauen verlor, ehe er 1970 den Freitod wählte. Celans Lebensdrama, so zeigt sich auch im Blick auf vorangegangene Editionen, etwa des Briefwechsels mit Rudolf Hirsch (2004) oder mit Klaus Demus (2009), und einmal mehr durch diese Edition, ist nicht allein individualpsychologisch, sondern in hohem Maße zeitgeschichtlich motiviert. Beinahe wäre dieser wichtige Band nicht zustande gekommen. Mit dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln im März 2009 gingen die Nachlässe von Paul Schallück und Heinrich Böll unter den Trümmern und mit ihnen die Briefe, die Celan an sie geschrieben hat, verloren. Die Planungen für die Edition waren aber glücklicherweise schon so weit vorangeschritten, dass auf Fotokopien zurückgegriffen werden konnte, die Celans Sohn von den Briefen seines Vaters erhalten hatte.
BEATE TRÖGER
Paul Celan: "Briefwechsel mit den rheinischen Freunden: Heinrich Böll, Paul Schallück, Rolf Schroers".
Hrsg. von Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 772 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die von Barbara Wiedemann besorgte Edition der Korrespondenz Paul Celans mit Heinrich Böll, Paul Schallück und Rolf Schroers fügt dem Bild von Celans Lebensdrama, wie die Rezensentin es nennt, eine weiteres Stück hinzu. Zu lernen ist für Beate Tröger, dass Celans Lebensgeschichte nicht individualpsychologisch, sondern zeitgeschichtlich zu erklären ist. Die hier "sorgfältig" kommentierten Briefwechsel geben ihr dafür treffliche Hinweise, etwa in der abrupten Beendigung der Beziehung zu dem Autor und Lektor Schroers, nachdem dieser unter Antisemitismus-Verdacht gestellt wurde. Darüber hinaus gibt der Band für Tröger einen farbigen Eindruck vom politischen und kulturellen Klima im Deutschland der 50er und 60er Jahre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2012Die stabile Abwehr des Artfremden
Im Briefwechsel Paul Celans mit seinen rheinischen Freunden bleiben Paul Schallück und Heinrich Böll blass. Aber Rolf Schroers sticht grell heraus
Dies ist eine in vieler Hinsicht verblüffende Edition. Das fängt schon mit der Ausgangslage an. Bei seiner Teilnahme an einer Tagung der Gruppe 47, der er seinen Aufstieg im bundesdeutschen Literaturbetrieb verdankte, lernte Paul Celan 1952 viele Multiplikatoren kennen, und er blieb unter anderem mit den drei Kollegen in Kontakt, die in diesem Briefband versammelt sind. Der Austausch mit Heinrich Böll, dem berühmtesten von allen, ist allerdings spärlich und wenig aussagekräftig. Auch zu Paul Schallück, der sich redlich um eine christlich-jüdische Versöhnung bemühte, blieb die Beziehung eher verhalten. Unvermutet aufschlussreich erscheint hingegen ausgerechnet die Korrespondenz mit Rolf Schroers.
Schroers war im Krieg, als Sohn eines SS-Brigadeführers familiär geprägt, ein ranghoher Wehrmachtsoffizier und in einer „Aufklärungseinheit“ an der italienischen Front im Kampf gegen Partisanen eingesetzt – eine auch politisch eindeutig konnotierte Aufgabe. Das ist eine Verstrickung, die sehr viel weiter reicht als bei einfachen Soldaten. Celan benennt es nach seinem ersten Besuch bei Schroers in einem Brief an seine Frau: er habe dort „allzu viele Spuren einer Vergangenheit voller schrecklicher Dinge bemerkt“.
Celan fasst dennoch Vertrauen zu Schroers. Dieser hat einigen publizistischen Einfluss und auch einen gewissen Anteil am Buchdebüt Celans. Vor allem aber bringt er Celan große Bewunderung entgegen. Seine Worte entsprechen dabei dem hohlen Pathos, mit dem in den fünfziger Jahren ein unzerstörbarer deutscher Geist gegen die niederen Instinkte der Geschichte hochgehalten wird. Celan scheint genau den hohen Ton zu haben, den auch Schroers für sich beansprucht. Für die damalige Zeit ungewöhnlich ist, dass Schroers in seinem Roman „Jakob und die Sehnsucht“ einen Deutschen beschreibt, der Schuldgefühle entwickelt, weil er einen Juden erschoss. Gleichzeitig hängt Schroers aber noch mit allen Fasern an seinem deutschen Selbstgefühl, verquält und selbstherrlich zugleich. Dass Celan seine Gedichte immer dezidierter als Jude schreibt, interessiert Schroers nicht. Das „Wort“ bei Celan sei, so schreibt er ihm, „fast ganz hinübergenommen“ in eine „traumhafte Gegenwärtigkeit innerer Welt. Es sammelt Kräfte, die sich sonst im Alltag an der unsäglich vergeblichen Mühe dinglicher Ordnungen verbrauchen.“ Obwohl Schroers, der heute als Dichter zu Recht vergessen ist, bei seinen Lobpreisungen oft sehr schwülstig wird, zeigt sich Celan lange Zeit dafür zugänglich.
Schroers versucht in etlichen Anläufen, durch diesen Ton eine elitäre, poetische Gemeinsamkeit herzustellen. Er stellt sich, ohne dies zu reflektieren, mit Celan und dessen Erfahrungen auf eine Stufe: „Als Menschen, Paul, kommen doch immer nur wenige in Betracht, die, Jude oder nicht, von der Meute gehöhnt werden.“ Es ist erstaunlich, gerade angesichts der Sensibilität Celans gegenüber den üblichen deutschen Sprechweisen, dass er den Kontakt mit Schroers über Jahre hinweg aufrecht erhält, ihm sogar das Du anbietet und ihn nach Paris einlädt, auch bei Schroers auf Lesereisen zu Gast ist. Natürlich fällt es auf, dass Schroers den Hauptteil dieses Briefwechsels trägt, er schreibt mehrfach lange Briefe hintereinander, während Celan meist knapp antwortet. Aber Celan scheint zunächst sehr empfänglich für die Verehrung zu sein, die ihm Schroers als Dichter entgegenbringt, sie lässt ihn die Zwischentöne überhören. Zudem hat Celan vom hohen Amt des Dichters ähnliche Vorstellungen wie Heidegger, hier gibt es gemeinsame Schwingungen mit Schroers. Dass dieser ihn mehrfach mit Ernst Jünger vergleicht und außerdem heftige Hymnen auf Carl Schmitt intoniert, lässt Celan lange unkommentiert.
Als ihm Schroers allerdings einen Versuch über das Thema „Juden“ schickt, ist die Grenze erstmals überschritten. Nach langem Schweigen schreibt Celan bloß eine Passage aus Schroers’ Brief ab und schickt sie entsetzt zurück: Schroers hatte von einer „duldsamen Weise der Abwehr des Jüdischen“ gesprochen, die „vielleicht kein Antisemitismus mehr“ sei, und evozierte die „erbarmungswürdige Tatsächlichkeit eines schwieligen, polnischen Dorfschmiedes“. Schroers’ Texte sind durchsetzt von solch verschwurbelten Mixturen aus Schuldgefühl und Selbstrechtfertigung.
Die Frage des ehemaligen Oberstleutnants der „Abwehr“ nach einer neuen „Abwehr des Jüdischen“ erschreckt Celan in dem Moment, als er sich direkt als Jude und nicht mehr als Dichter angesprochen fühlt. Als Schroers Celan dann Ende 1961 sein Buch „Der Partisan. Ein Beitrag zur politischen Anthropologie“ schickt, beendet Celan sofort und abrupt jeglichen Umgang mit ihm. In Celans Exemplar finden sich Unterstreichungen bei Wörtern wie „artfremd“, „Mischpoke“ oder „volksunmittelbar“, was Celan für sich mit „völkisch“ übersetzt.
Bemerkenswert ist, dass die Herausgeberin in ihrem Nachwort gar nicht weiter auf das konkrete Ende des Briefwechsels eingeht. Sie möchte im Gegenteil anhand poetischer Gemeinsamkeiten den „besonderen Charakter ihrer Freundschaft“ hervorheben, zeigt sich von Schroers’ literarischem Profil einigermaßen affiziert und stellt eine These auf, die wahrlich aufhorchen lässt: die Freundschaften Celans mit Schroers und mit Ingeborg Bachmann seien in ihrer Bedeutung „vergleichbar“. Außerdem eröffnet sie eine ganz neue Front. Obwohl der Briefwechsel eindeutige Fakten liefert, behauptet sie ohne konkrete Belege, Celan habe den Kontakt mit Schroers vor allem wegen Intrigen des Multifunktionärs Hans Werner Richter abgebrochen.
Das fragwürdige Erkenntnisinteresse der Herausgeberin wird vor allem durch die Vermutung genährt, Paul Schallück und Heinrich Böll hätten Richters Vorwürfe gegen Schroers „möglicherweise an Celan weitergegeben“, und deshalb habe sich Celan von Schroers abgewandt. Der Nebenschauplatz, der unvermutet so zur Hauptbühne wird, sieht so aus: Richter und Schroers waren zeitweise in denselben oppositionellen Organisationen aktiv, im „Club republikanischer Publizisten“ sowie im „Komitee gegen Atomrüstung“. Doch es gab zwischen ihnen unübersehbare politische Gegensätze.
Schroers machte eine Karriere als Funktionär der FDP, einer Partei, die keineswegs als grundsätzlicher Gegner der Politik Adenauers in Erscheinung trat und einen beträchtlichen Anteil von Funktionären aus der NS-Zeit aufwies. Daneben war wohl auch sein Habitus als ehemaliger Offizier der „Abwehr“ bei Abrüstungsbefürwortern eher ungewöhnlich. Zum Bruch kam es, als Schroers bei einem Kongress in Japan als Stellvertreter Richters auftrat und dabei nach dessen Ansicht seine Kompetenzen überschritt.
Mehrfach suchte Richter nach Belegen für Schroers’ Tätigkeit in der Wehrmacht und glaubte, ihm eine konkrete Erschießung von Partisanen nachweisen zu können. Beweise allerdings fand er keine, und dies ist der Grund für die Herausgeberin, Richters „Verleumdungen“ in den Mittelpunkt zu stellen. Sie geht dabei so weit, die infamen Plagiatsvorwürfe von Claire Goll gegen Paul Celan und die Attacken Richters gegen Schroers gleichzusetzen: es sei „eine Kampagne vergleichbaren Ausmaßes“ gewesen. Dass dies eine ziemlich groteske Verharmlosung des Vorgangs ist, der Celan die Grundlagen seiner Existenz zu entziehen drohte und zum Ausbruch seiner schweren psychischen Erkrankung führte, scheint ihr nicht bewusst zu sein. Der Diskurs der Verleumdung verselbständigt sich offenbar allzu leicht.
HELMUT BÖTTIGER
PAUL CELAN: Briefwechsel mit den rheinischen Freunden: Heinrich Böll, Paul Schallück, Rolf Schroers. Herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 772 Seiten, 34,90 Euro.
„Als Mensch, Paul,
kommen doch immer
nur wenige in Betracht“
Als Schroers Celan einen
Versuch über „die Juden“ schickt,
ist eine Grenze überschritten
Eine sehr ambivalente Freundschaft verband Paul Celan (auf unserem großen Foto 1967 auf der Frankfurter Buchmesse) mit dem heute als Dichter zu Recht vergessenen Rolf Schroers (Bild oben). Er genoss dessen Bewunderung und war doch abgestoßen von den antisemitischen Untertönen des als ranghoher Wehrmachtsoffizier heftig Verstrickten und wandte sich schließlich von ihm ab. Als Schroers ihm 1961 ein Exemplar seines fragwürdigen Buches „Der Partisan“ schickte, brach Celan den Kontakt abrupt ab.
Fotos: ullstein bild, Brigitte Friedrich/SZ Photo, Kiepenheur & Witsch
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Im Briefwechsel Paul Celans mit seinen rheinischen Freunden bleiben Paul Schallück und Heinrich Böll blass. Aber Rolf Schroers sticht grell heraus
Dies ist eine in vieler Hinsicht verblüffende Edition. Das fängt schon mit der Ausgangslage an. Bei seiner Teilnahme an einer Tagung der Gruppe 47, der er seinen Aufstieg im bundesdeutschen Literaturbetrieb verdankte, lernte Paul Celan 1952 viele Multiplikatoren kennen, und er blieb unter anderem mit den drei Kollegen in Kontakt, die in diesem Briefband versammelt sind. Der Austausch mit Heinrich Böll, dem berühmtesten von allen, ist allerdings spärlich und wenig aussagekräftig. Auch zu Paul Schallück, der sich redlich um eine christlich-jüdische Versöhnung bemühte, blieb die Beziehung eher verhalten. Unvermutet aufschlussreich erscheint hingegen ausgerechnet die Korrespondenz mit Rolf Schroers.
Schroers war im Krieg, als Sohn eines SS-Brigadeführers familiär geprägt, ein ranghoher Wehrmachtsoffizier und in einer „Aufklärungseinheit“ an der italienischen Front im Kampf gegen Partisanen eingesetzt – eine auch politisch eindeutig konnotierte Aufgabe. Das ist eine Verstrickung, die sehr viel weiter reicht als bei einfachen Soldaten. Celan benennt es nach seinem ersten Besuch bei Schroers in einem Brief an seine Frau: er habe dort „allzu viele Spuren einer Vergangenheit voller schrecklicher Dinge bemerkt“.
Celan fasst dennoch Vertrauen zu Schroers. Dieser hat einigen publizistischen Einfluss und auch einen gewissen Anteil am Buchdebüt Celans. Vor allem aber bringt er Celan große Bewunderung entgegen. Seine Worte entsprechen dabei dem hohlen Pathos, mit dem in den fünfziger Jahren ein unzerstörbarer deutscher Geist gegen die niederen Instinkte der Geschichte hochgehalten wird. Celan scheint genau den hohen Ton zu haben, den auch Schroers für sich beansprucht. Für die damalige Zeit ungewöhnlich ist, dass Schroers in seinem Roman „Jakob und die Sehnsucht“ einen Deutschen beschreibt, der Schuldgefühle entwickelt, weil er einen Juden erschoss. Gleichzeitig hängt Schroers aber noch mit allen Fasern an seinem deutschen Selbstgefühl, verquält und selbstherrlich zugleich. Dass Celan seine Gedichte immer dezidierter als Jude schreibt, interessiert Schroers nicht. Das „Wort“ bei Celan sei, so schreibt er ihm, „fast ganz hinübergenommen“ in eine „traumhafte Gegenwärtigkeit innerer Welt. Es sammelt Kräfte, die sich sonst im Alltag an der unsäglich vergeblichen Mühe dinglicher Ordnungen verbrauchen.“ Obwohl Schroers, der heute als Dichter zu Recht vergessen ist, bei seinen Lobpreisungen oft sehr schwülstig wird, zeigt sich Celan lange Zeit dafür zugänglich.
Schroers versucht in etlichen Anläufen, durch diesen Ton eine elitäre, poetische Gemeinsamkeit herzustellen. Er stellt sich, ohne dies zu reflektieren, mit Celan und dessen Erfahrungen auf eine Stufe: „Als Menschen, Paul, kommen doch immer nur wenige in Betracht, die, Jude oder nicht, von der Meute gehöhnt werden.“ Es ist erstaunlich, gerade angesichts der Sensibilität Celans gegenüber den üblichen deutschen Sprechweisen, dass er den Kontakt mit Schroers über Jahre hinweg aufrecht erhält, ihm sogar das Du anbietet und ihn nach Paris einlädt, auch bei Schroers auf Lesereisen zu Gast ist. Natürlich fällt es auf, dass Schroers den Hauptteil dieses Briefwechsels trägt, er schreibt mehrfach lange Briefe hintereinander, während Celan meist knapp antwortet. Aber Celan scheint zunächst sehr empfänglich für die Verehrung zu sein, die ihm Schroers als Dichter entgegenbringt, sie lässt ihn die Zwischentöne überhören. Zudem hat Celan vom hohen Amt des Dichters ähnliche Vorstellungen wie Heidegger, hier gibt es gemeinsame Schwingungen mit Schroers. Dass dieser ihn mehrfach mit Ernst Jünger vergleicht und außerdem heftige Hymnen auf Carl Schmitt intoniert, lässt Celan lange unkommentiert.
Als ihm Schroers allerdings einen Versuch über das Thema „Juden“ schickt, ist die Grenze erstmals überschritten. Nach langem Schweigen schreibt Celan bloß eine Passage aus Schroers’ Brief ab und schickt sie entsetzt zurück: Schroers hatte von einer „duldsamen Weise der Abwehr des Jüdischen“ gesprochen, die „vielleicht kein Antisemitismus mehr“ sei, und evozierte die „erbarmungswürdige Tatsächlichkeit eines schwieligen, polnischen Dorfschmiedes“. Schroers’ Texte sind durchsetzt von solch verschwurbelten Mixturen aus Schuldgefühl und Selbstrechtfertigung.
Die Frage des ehemaligen Oberstleutnants der „Abwehr“ nach einer neuen „Abwehr des Jüdischen“ erschreckt Celan in dem Moment, als er sich direkt als Jude und nicht mehr als Dichter angesprochen fühlt. Als Schroers Celan dann Ende 1961 sein Buch „Der Partisan. Ein Beitrag zur politischen Anthropologie“ schickt, beendet Celan sofort und abrupt jeglichen Umgang mit ihm. In Celans Exemplar finden sich Unterstreichungen bei Wörtern wie „artfremd“, „Mischpoke“ oder „volksunmittelbar“, was Celan für sich mit „völkisch“ übersetzt.
Bemerkenswert ist, dass die Herausgeberin in ihrem Nachwort gar nicht weiter auf das konkrete Ende des Briefwechsels eingeht. Sie möchte im Gegenteil anhand poetischer Gemeinsamkeiten den „besonderen Charakter ihrer Freundschaft“ hervorheben, zeigt sich von Schroers’ literarischem Profil einigermaßen affiziert und stellt eine These auf, die wahrlich aufhorchen lässt: die Freundschaften Celans mit Schroers und mit Ingeborg Bachmann seien in ihrer Bedeutung „vergleichbar“. Außerdem eröffnet sie eine ganz neue Front. Obwohl der Briefwechsel eindeutige Fakten liefert, behauptet sie ohne konkrete Belege, Celan habe den Kontakt mit Schroers vor allem wegen Intrigen des Multifunktionärs Hans Werner Richter abgebrochen.
Das fragwürdige Erkenntnisinteresse der Herausgeberin wird vor allem durch die Vermutung genährt, Paul Schallück und Heinrich Böll hätten Richters Vorwürfe gegen Schroers „möglicherweise an Celan weitergegeben“, und deshalb habe sich Celan von Schroers abgewandt. Der Nebenschauplatz, der unvermutet so zur Hauptbühne wird, sieht so aus: Richter und Schroers waren zeitweise in denselben oppositionellen Organisationen aktiv, im „Club republikanischer Publizisten“ sowie im „Komitee gegen Atomrüstung“. Doch es gab zwischen ihnen unübersehbare politische Gegensätze.
Schroers machte eine Karriere als Funktionär der FDP, einer Partei, die keineswegs als grundsätzlicher Gegner der Politik Adenauers in Erscheinung trat und einen beträchtlichen Anteil von Funktionären aus der NS-Zeit aufwies. Daneben war wohl auch sein Habitus als ehemaliger Offizier der „Abwehr“ bei Abrüstungsbefürwortern eher ungewöhnlich. Zum Bruch kam es, als Schroers bei einem Kongress in Japan als Stellvertreter Richters auftrat und dabei nach dessen Ansicht seine Kompetenzen überschritt.
Mehrfach suchte Richter nach Belegen für Schroers’ Tätigkeit in der Wehrmacht und glaubte, ihm eine konkrete Erschießung von Partisanen nachweisen zu können. Beweise allerdings fand er keine, und dies ist der Grund für die Herausgeberin, Richters „Verleumdungen“ in den Mittelpunkt zu stellen. Sie geht dabei so weit, die infamen Plagiatsvorwürfe von Claire Goll gegen Paul Celan und die Attacken Richters gegen Schroers gleichzusetzen: es sei „eine Kampagne vergleichbaren Ausmaßes“ gewesen. Dass dies eine ziemlich groteske Verharmlosung des Vorgangs ist, der Celan die Grundlagen seiner Existenz zu entziehen drohte und zum Ausbruch seiner schweren psychischen Erkrankung führte, scheint ihr nicht bewusst zu sein. Der Diskurs der Verleumdung verselbständigt sich offenbar allzu leicht.
HELMUT BÖTTIGER
PAUL CELAN: Briefwechsel mit den rheinischen Freunden: Heinrich Böll, Paul Schallück, Rolf Schroers. Herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 772 Seiten, 34,90 Euro.
„Als Mensch, Paul,
kommen doch immer
nur wenige in Betracht“
Als Schroers Celan einen
Versuch über „die Juden“ schickt,
ist eine Grenze überschritten
Eine sehr ambivalente Freundschaft verband Paul Celan (auf unserem großen Foto 1967 auf der Frankfurter Buchmesse) mit dem heute als Dichter zu Recht vergessenen Rolf Schroers (Bild oben). Er genoss dessen Bewunderung und war doch abgestoßen von den antisemitischen Untertönen des als ranghoher Wehrmachtsoffizier heftig Verstrickten und wandte sich schließlich von ihm ab. Als Schroers ihm 1961 ein Exemplar seines fragwürdigen Buches „Der Partisan“ schickte, brach Celan den Kontakt abrupt ab.
Fotos: ullstein bild, Brigitte Friedrich/SZ Photo, Kiepenheur & Witsch
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»Man gewinnt einen lebendigen Eindruck vom philosophischen und literarischen Klima im Wirtschaftswunder-Deutschland der fünfziger und frühen sechziger Jahre.« Beate Tröger Frankfurter Allgemeine Zeitung 20120207