Zwei Männer. Zwei Möglichkeiten. Zwei Leben. Jackie Thomae stellt die Frage, wie wir zu den Menschen werden, die wir sind.
Mick, ein charmanter Hasardeur, lebt ein Leben auf dem Beifahrersitz, frei von Verbindlichkeiten. Und er hat Glück – bis ihn die Frau verlässt, die er jahrelang betrogen hat. Gabriel, der seine Eltern nie gekannt hat, ist frei, aus sich zu machen, was er will: einen erfolgreichen Architekten, einen eingefleischten Londoner, einen Familienvater. Doch dann verliert er in einer banalen Situation die Nerven und steht plötzlich als Aggressor da – ein prominenter Mann, der tief fällt. Brüder erzählt von zwei deutschen Männern, geboren im gleichen Jahr, Kinder desselben Vaters, der ihnen nur seine dunkle Haut hinterlassen hat. Die Fragen, die sich ihnen stellen, sind dieselben. Ihre Leben könnten nicht unterschiedlicher sein.
Mick, ein charmanter Hasardeur, lebt ein Leben auf dem Beifahrersitz, frei von Verbindlichkeiten. Und er hat Glück – bis ihn die Frau verlässt, die er jahrelang betrogen hat. Gabriel, der seine Eltern nie gekannt hat, ist frei, aus sich zu machen, was er will: einen erfolgreichen Architekten, einen eingefleischten Londoner, einen Familienvater. Doch dann verliert er in einer banalen Situation die Nerven und steht plötzlich als Aggressor da – ein prominenter Mann, der tief fällt. Brüder erzählt von zwei deutschen Männern, geboren im gleichen Jahr, Kinder desselben Vaters, der ihnen nur seine dunkle Haut hinterlassen hat. Die Fragen, die sich ihnen stellen, sind dieselben. Ihre Leben könnten nicht unterschiedlicher sein.
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buecher-magazin.deZwei Männer, wie sie nicht unterschiedlicher sein könnten, und so ist es nur folgerichtig, dass Jackie Thomae sie uns in zwei getrennten Buchteilen vorstellt. Dass sie Brüder sind, verraten vorerst nur der Titel und die ostdeutsche Herkunft sowie der afrikanische Vater, der durch Abwesenheit glänzt. Während Mick bereits als Kind mit seiner Mutter nach West-Berlin rübermacht, sich später dort in der Clubszene der Neunziger treiben lässt, während er von seiner Freundin Delia finanziell über Wasser gehalten wird, wächst Gabriel in Leipzig auf, flieht nach der Wende nach London. Er ist ein Kontrollfreak, Workaholic und wird zum Stararchitekten, der um die Welt jettet, während seine Frau Fleur den gemeinsamen Sohn Albert aufzieht. Überhaupt sind auch die Perspektiven der Frauen im Leben von Mick und Gabriel ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis dieser beiden Charaktere. Es ist faszinierend, wie jeder Buchteil, jeder Typ seinen eigenen Sound hat und Thomae so zwei vollkommen unterschiedliche Wege aufzeigt, wie Menschen mit dem gleichen Background mit ihrer Identität umgehen, die zwischen Ost und West, schwarz und weiß changiert. Beide Männer fliegen aus der Spur ihres Lebens und es sind gerade diese Brüche und Ambivalenzen, die diesen Roman so unbedingt lesenswert machen.
Zwei Einzelkämpfer, die ihren eigenen Weg gehen. Thomaes \"Brüder\" stehen zu Recht auf der Shortlist des Buchpreises.
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
Zwei Einzelkämpfer, die ihren eigenen Weg gehen. Thomaes \"Brüder\" stehen zu Recht auf der Shortlist des Buchpreises.
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.09.2019Einer fehlt
Jackie Thomae erzählt in ihrem Roman „Brüder“ mit großer Nonchalance
die Geschichten der zwei deutschen Söhne eines senegalesischen Vaters
VON MARIE SCHMIDT
Es ist ja immer interessant zu sehen, wie Deutschland sich als vielfältiges Land so macht. Neulich zum Beispiel wurde im Frühstücksradio ein Mensch interviewt, der den Deutschen Fußballbund in Ethikfragen berät. Es ging um einen unmissverständlich kolonial-rassistischen Ausfall des Schalke-Aufsichtsratschefs Clemens Tönnies. Der Ethikkommissar gab sich so skrupulös, wie es das Thema zu gebieten schien, gleichzeitig aber so jovial, wie es das Fußballfunktionärswesen offenbar erfordert. Also er eierte herum. Man werde den Fall analysieren, sagte der Mann, und habe übrigens mit Gerald Asamoah telefoniert, „sehr bewusst mit einem Menschen, der ja betroffen war von diesen Äußerungen“. Das Ganze diente, wie man inzwischen weiß, der Abmoderation der Angelegenheit. Der DFB verzichtete auf Sanktionen, seine Sprüche bleiben für Tönnies weitgehend folgenlos.
Das ist ungefähr der Stand der Dinge: Wenn es ein Problem gibt mit dieser doch sehr von Homogenität geprägten Gesellschaft, wendet man sich treuherzig an Leute, die man als „Betroffene“ ausmacht. An Asamoah zum Beispiel, weil der in Ghana geboren ist. Von denen will man dann hören, dass im Grunde alles in Ordnung ist. Als sei nicht vor allem die weiße Mehrheitsgesellschaft von den Ressentiments ihrer Mitglieder betroffen. Der deutschen Befindlichkeit wäre es lieber, wenn Herkunft und Hautfarbe einfach kein Thema wären. Genau dadurch werden sie dann aber ausbruchsartig und ungeschickt zum Riesenthema. In Jackie Thomaes Roman „Brüder“ wird dieser Zustand wahnsinnig elegant um- und unterspielt.
Wobei man sich schon beim Nacherzählen seiner Handlung leicht in entsprechende Widersprüche verheddert. Weil es einerseits interessant ist, welche Rolle Autoren und Figuren mit afrikanischem Hintergrund in der deutschsprachigen Literatur einnehmen. Zumal es hier bisher keine Entsprechung zu so etwas wie der afroamerikanischen Literaturtradition gibt. Andererseits wäre es fatal, eine Geschichte, deren Protagonisten schwarz sind, zu lesen, als gehe es vor allem darum, dass sie es sind. Oder wird je ein Sterbenswörtchen darüber verloren, wie weiß die Figuren der deutschen Literaturgeschichte sind?
Es geht also in „Brüder“, so einfach wie möglich gesagt, um zwei gleich alte Männer, die denselben Vater haben. Den kennen sie aber nicht und einander kennen sie auch nicht. Dieser Vater hat um 1970 in der DDR Medizin studiert, als Gast aus den jungen, postkolonialen Nationalstaaten Afrikas. Und hat, als er nach Senegal zurückging, in Leipzig und Berlin je eine Frau mit einem kleinen Jungen zurückgelassen.
Jackie Thomae erzählt die Geschichten der Söhne getrennt voneinander. Erst die eine, dann die andere, ordentlich je eine Hälfte ihres Romans. Die erzählte Zeit läuft chronologisch ab: Was sie von Mick erzählt, einem Neunzigerjahre-Taugenichts, der unbedarft auf den Wellen des Hedonismus durch das Nachwende-Berlin surft, spielt zwischen 1985 und der Jahrtausendwende. Den anderen, Gabriel, einen Londoner Architekten und No-Bullshit-Typen, lernt man erst im Jahr 2000 kennen.
Das ist eine gute Konstruktion, um plumpe Parallelen zu vermeiden. Thomae zieht keine expliziten Vergleiche zwischen den beiden Leben. Zur Spiegelgeschichte setzen sie sich erst im Kopf der Leserin zusammen und auch die üblichen Fragen entstehen da und nur da: Zwei Jungen wachsen als einziges Kind in ihrer Umgebung mit dunkler Hautfarbe auf, mit einer alleinerziehenden Mutter und in der DDR – prägt sie das ähnlich? Teilen sie Erfahrungen, Strategien? Gehören sie einer Minderheit an? Würden sie sich als Gefährten empfinden, wenn sie sich träfen? Man kann in „Brüder“ viele und auch sich widersprechende Antworten darauf finden, ohne dass sie vorformuliert wären. So beschäftigt einen der Roman lange.
Deswegen ist es eigentlich Spielverderberei, wenn Jackie Thomae solche Fragen jetzt in Interviews gestellt bekommt. Als sollte sie im Nachhinein klarstellen, was sie mit Absicht offengelassen hat. Und sie wird gebeten, alles mit ihrer eigenen Biografie abzugleichen: 1972 geboren, in Leipzig aufgewachsen, ihre Mutter hat sie alleine aufgezogen, ihren Vater, einen Aachener Zahnarzt aus Guinea, hat sie erst 2014 kennengelernt. Die Autorin soll sich als „Betroffene“ des Plots, den sie gerade aufgeschrieben hat, erklären, und über Rassismus in Deutschland Auskunft geben.
Dabei ist das Berückende und Informative an ihrem Roman gerade, wie Thomae es schafft, dass darin „race, class and gender“ Thema sind, aber gleichzeitig nicht das Thema sind. Die Geschichte von Mick zum Beispiel handelt eher von einem bestimmten Typ Szene-Tiger, planlos, den Kopf voller wirrer Ideen, mit Vollgas von einer Pleite in den nächsten Gelegenheitsreichtum, von einem Boy-Crush in die nächste Affäre: „Seine anderen Gäste benahmen sich wie immer. Also stürzte er sich auf sie, zückte sein Telefon und bestellte mehr von ihnen. Dings und Soundso sollten schnellstens in ein Taxi springen und hierherkommen. Die und die und der und die, die mit dem zusammen war, wo sind die? Unterwegs? Super! Dann konnten alle gemeinsam ihre Telefone zücken und ihre Dealer bestellen“.
Nebenbei gibt es eine Liebesbeziehung mit einer Juristin, die den Chaoten umstandslos in ihr bürgerliches Leben einbaut und in das Eigenheim, das sie aus der „ehemaligen Botschaft eines Zwergstaates“ in Pankow gemacht hat. Sie findet das witzig, er, als Kind „innerhalb einer Stadt ausgewandert“ aus der DDR, geschmacklos. Dafür ignoriert sie seinen Geruch nach fremden Betten. Wie diese beiden ihre Illusionen umeinander herum arrangieren, ist eine feine Liebesgeschichte unter Individualisten. Dass Thomae in so etwas groß ist, hat schon ihr Episodenroman „Momente der Klarheit“ (2015) gezeigt. Sie zeichnet aufmerksam ein egalitäres Milieu, in dem (auf der materiellen Basis bildungsbürgerlichen Wohlstands) äußere Identitätsmerkmale wie Accessoires getragen werden: „Ihr seht aus wie ein Benetton-Plakat“, sagt jemand, als Mick einen Club aufgemacht hat, zusammen mit einem Vietnamesen und einem Rothaarigen.
Thomae erzählt beiläufig, ohne die in deutscher Literatur leider beliebten literarisierenden Anstrengungen. Man gleitet in diesen Roman, wie in einen Wortwechsel an der Bar. Alles wirkt wie Zeitvertreib, noch nicht die eigentliche Erzählung. Genau deshalb kommen einem die Figuren nahe, wie neue Bekannte, mit denen man sich in ein Gespräch verwickelt. Und auch Jackie Thomae interessiert sich offenkundig mehr für ihre Charaktere als für ihre eigene Stimme. Manchmal benutzt sie etwas Zeit- und Milieukolorit. Zum Beispiel sagen ihre Neunzigerjahre-Leute Sachen wie „spacig“, „coole Socke“ oder „Superinfo“. Und ein im Osten gebliebener Schulkamerad, den Mick irgendwann wieder trifft, klingt so: „Alter Falter, das war ihm ganz neu, dass er hier bei ‚Wünsch dir was‘ gelandet war.“ Dieser Kamerad ist übrigens der Einzige, der Mick einmal rassistisch kommt. Der blockt ab: „Opfer, Täter, Ausländer, Rechtsradikaler, rassistisch motivierter Überfall – Mick wollte nichts mit diesen Kategorien zu tun haben. Er würde in seiner Blase bleiben.“
Der zweite Bruder Gabriel indessen ist ein reflektierter Mann. Der kommt nicht so leicht an Identitätskategorien vorbei. Auch nicht in London, das er für „so postrassistisch“ hält, „dass man hätte meinen können, es gehe wirklich nur noch ums Geld“. Und dann soll er beim Arzt seine Ethnie in eine von vier Kategorien eines Formulars einordnen und dreht fast durch.
Thomae erzählt von Gabriel in erster Person, gegengeschnitten mit der Perspektive seiner Frau Fleur. Der dem Milieu entsprechende Sound psychologischer Selbstbespiegelung wirkt unverarbeiteter als der Ton im ersten Teil des Romans. Diese Biografie eines Mannes zwischen „Anpassungsmanie“ und Burn-out und die Geschichte seiner Ehe führen in die Gegenwart. Entsprechend Identitäts-bewegte Debatten und Skandale gibt es. Diese zweite Hälfte läuft nicht so geschmeidig wie die erste, mit einem klaren Effekt: Man erkennt, dass Hautfarbe, Identität, Herkunft nicht ein Thema ist, sondern viele, je nach Umgebung, Zeitstimmung und sozialem Kontext.
Die Pointe des Romans besteht im Kontrast zwischen den Lebensformen der Brüder, dem Verplanten und dem Überstrukturierten, dem Wurschtigen und dem Rechthaberischen. Gemeinsam ist ihnen eine nerdige Fokussiertheit, die gespiegelt wird in ihren aufmerksameren, resilienteren Frauen. Weshalb man auch behaupten könnte, dies sei ein Buch über das Schicksal der Heterosexualität. Es ist übrigens auch eins über Männerfreundschaften. Und die Lücke, die abwesende Eltern lassen. Oder über die DDR und das Nachwende-Land. In den USA gibt es für Romane, in denen Existenzielles, Kulturelles und Zeitgeschichtliches zusammenschießt, den Ausdruck „Great American Novel“. Angemessen schief übersetzt kann man sagen, dass „Brüder“ wirklich eine große deutsche Neuigkeit ist: Ein Roman, der von Herkunft und nicht-weißer Identität erzählt, ohne seine Formen und Fragen von diesem Thema abhängig zu machen.
Am Ende, das ist vielleicht nicht zu viel verraten, tritt der Vater der Brüder in ihr Leben und die Möglichkeit besteht, dass sie sich kennenlernen. Sogar den kitschgefährdeten Showdown ihres Romans inszeniert Thomae mit einer Lässigkeit, die ihr so leicht keiner nachmacht: In einer Bar im Flughafen Paris-Charles-de-Gaulles, einem Transitraum, durch den Leute aus aller Welt rauschen, ausgerechnet in diesem identitätsleeren Bereich fügen sich die Glieder einer genealogischen Kette zusammen.
Zwei Männer haben den gleichen
Vater. Sie kennen ihn nicht und
einander kennen sie auch nicht
Angemessen schief übersetzt kann
man sagen, dass dieses Buch eine
große deutsche Neuigkeit ist
Die Autorin Jackie Thomae wird oft gebeten, ihren Roman mit ihrer Biografie zu beglaubigen.
Foto: Urban Zintel
Jackie Thomae: Brüder. Roman. Hanser Berlin, München 2019.
429 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jackie Thomae erzählt in ihrem Roman „Brüder“ mit großer Nonchalance
die Geschichten der zwei deutschen Söhne eines senegalesischen Vaters
VON MARIE SCHMIDT
Es ist ja immer interessant zu sehen, wie Deutschland sich als vielfältiges Land so macht. Neulich zum Beispiel wurde im Frühstücksradio ein Mensch interviewt, der den Deutschen Fußballbund in Ethikfragen berät. Es ging um einen unmissverständlich kolonial-rassistischen Ausfall des Schalke-Aufsichtsratschefs Clemens Tönnies. Der Ethikkommissar gab sich so skrupulös, wie es das Thema zu gebieten schien, gleichzeitig aber so jovial, wie es das Fußballfunktionärswesen offenbar erfordert. Also er eierte herum. Man werde den Fall analysieren, sagte der Mann, und habe übrigens mit Gerald Asamoah telefoniert, „sehr bewusst mit einem Menschen, der ja betroffen war von diesen Äußerungen“. Das Ganze diente, wie man inzwischen weiß, der Abmoderation der Angelegenheit. Der DFB verzichtete auf Sanktionen, seine Sprüche bleiben für Tönnies weitgehend folgenlos.
Das ist ungefähr der Stand der Dinge: Wenn es ein Problem gibt mit dieser doch sehr von Homogenität geprägten Gesellschaft, wendet man sich treuherzig an Leute, die man als „Betroffene“ ausmacht. An Asamoah zum Beispiel, weil der in Ghana geboren ist. Von denen will man dann hören, dass im Grunde alles in Ordnung ist. Als sei nicht vor allem die weiße Mehrheitsgesellschaft von den Ressentiments ihrer Mitglieder betroffen. Der deutschen Befindlichkeit wäre es lieber, wenn Herkunft und Hautfarbe einfach kein Thema wären. Genau dadurch werden sie dann aber ausbruchsartig und ungeschickt zum Riesenthema. In Jackie Thomaes Roman „Brüder“ wird dieser Zustand wahnsinnig elegant um- und unterspielt.
Wobei man sich schon beim Nacherzählen seiner Handlung leicht in entsprechende Widersprüche verheddert. Weil es einerseits interessant ist, welche Rolle Autoren und Figuren mit afrikanischem Hintergrund in der deutschsprachigen Literatur einnehmen. Zumal es hier bisher keine Entsprechung zu so etwas wie der afroamerikanischen Literaturtradition gibt. Andererseits wäre es fatal, eine Geschichte, deren Protagonisten schwarz sind, zu lesen, als gehe es vor allem darum, dass sie es sind. Oder wird je ein Sterbenswörtchen darüber verloren, wie weiß die Figuren der deutschen Literaturgeschichte sind?
Es geht also in „Brüder“, so einfach wie möglich gesagt, um zwei gleich alte Männer, die denselben Vater haben. Den kennen sie aber nicht und einander kennen sie auch nicht. Dieser Vater hat um 1970 in der DDR Medizin studiert, als Gast aus den jungen, postkolonialen Nationalstaaten Afrikas. Und hat, als er nach Senegal zurückging, in Leipzig und Berlin je eine Frau mit einem kleinen Jungen zurückgelassen.
Jackie Thomae erzählt die Geschichten der Söhne getrennt voneinander. Erst die eine, dann die andere, ordentlich je eine Hälfte ihres Romans. Die erzählte Zeit läuft chronologisch ab: Was sie von Mick erzählt, einem Neunzigerjahre-Taugenichts, der unbedarft auf den Wellen des Hedonismus durch das Nachwende-Berlin surft, spielt zwischen 1985 und der Jahrtausendwende. Den anderen, Gabriel, einen Londoner Architekten und No-Bullshit-Typen, lernt man erst im Jahr 2000 kennen.
Das ist eine gute Konstruktion, um plumpe Parallelen zu vermeiden. Thomae zieht keine expliziten Vergleiche zwischen den beiden Leben. Zur Spiegelgeschichte setzen sie sich erst im Kopf der Leserin zusammen und auch die üblichen Fragen entstehen da und nur da: Zwei Jungen wachsen als einziges Kind in ihrer Umgebung mit dunkler Hautfarbe auf, mit einer alleinerziehenden Mutter und in der DDR – prägt sie das ähnlich? Teilen sie Erfahrungen, Strategien? Gehören sie einer Minderheit an? Würden sie sich als Gefährten empfinden, wenn sie sich träfen? Man kann in „Brüder“ viele und auch sich widersprechende Antworten darauf finden, ohne dass sie vorformuliert wären. So beschäftigt einen der Roman lange.
Deswegen ist es eigentlich Spielverderberei, wenn Jackie Thomae solche Fragen jetzt in Interviews gestellt bekommt. Als sollte sie im Nachhinein klarstellen, was sie mit Absicht offengelassen hat. Und sie wird gebeten, alles mit ihrer eigenen Biografie abzugleichen: 1972 geboren, in Leipzig aufgewachsen, ihre Mutter hat sie alleine aufgezogen, ihren Vater, einen Aachener Zahnarzt aus Guinea, hat sie erst 2014 kennengelernt. Die Autorin soll sich als „Betroffene“ des Plots, den sie gerade aufgeschrieben hat, erklären, und über Rassismus in Deutschland Auskunft geben.
Dabei ist das Berückende und Informative an ihrem Roman gerade, wie Thomae es schafft, dass darin „race, class and gender“ Thema sind, aber gleichzeitig nicht das Thema sind. Die Geschichte von Mick zum Beispiel handelt eher von einem bestimmten Typ Szene-Tiger, planlos, den Kopf voller wirrer Ideen, mit Vollgas von einer Pleite in den nächsten Gelegenheitsreichtum, von einem Boy-Crush in die nächste Affäre: „Seine anderen Gäste benahmen sich wie immer. Also stürzte er sich auf sie, zückte sein Telefon und bestellte mehr von ihnen. Dings und Soundso sollten schnellstens in ein Taxi springen und hierherkommen. Die und die und der und die, die mit dem zusammen war, wo sind die? Unterwegs? Super! Dann konnten alle gemeinsam ihre Telefone zücken und ihre Dealer bestellen“.
Nebenbei gibt es eine Liebesbeziehung mit einer Juristin, die den Chaoten umstandslos in ihr bürgerliches Leben einbaut und in das Eigenheim, das sie aus der „ehemaligen Botschaft eines Zwergstaates“ in Pankow gemacht hat. Sie findet das witzig, er, als Kind „innerhalb einer Stadt ausgewandert“ aus der DDR, geschmacklos. Dafür ignoriert sie seinen Geruch nach fremden Betten. Wie diese beiden ihre Illusionen umeinander herum arrangieren, ist eine feine Liebesgeschichte unter Individualisten. Dass Thomae in so etwas groß ist, hat schon ihr Episodenroman „Momente der Klarheit“ (2015) gezeigt. Sie zeichnet aufmerksam ein egalitäres Milieu, in dem (auf der materiellen Basis bildungsbürgerlichen Wohlstands) äußere Identitätsmerkmale wie Accessoires getragen werden: „Ihr seht aus wie ein Benetton-Plakat“, sagt jemand, als Mick einen Club aufgemacht hat, zusammen mit einem Vietnamesen und einem Rothaarigen.
Thomae erzählt beiläufig, ohne die in deutscher Literatur leider beliebten literarisierenden Anstrengungen. Man gleitet in diesen Roman, wie in einen Wortwechsel an der Bar. Alles wirkt wie Zeitvertreib, noch nicht die eigentliche Erzählung. Genau deshalb kommen einem die Figuren nahe, wie neue Bekannte, mit denen man sich in ein Gespräch verwickelt. Und auch Jackie Thomae interessiert sich offenkundig mehr für ihre Charaktere als für ihre eigene Stimme. Manchmal benutzt sie etwas Zeit- und Milieukolorit. Zum Beispiel sagen ihre Neunzigerjahre-Leute Sachen wie „spacig“, „coole Socke“ oder „Superinfo“. Und ein im Osten gebliebener Schulkamerad, den Mick irgendwann wieder trifft, klingt so: „Alter Falter, das war ihm ganz neu, dass er hier bei ‚Wünsch dir was‘ gelandet war.“ Dieser Kamerad ist übrigens der Einzige, der Mick einmal rassistisch kommt. Der blockt ab: „Opfer, Täter, Ausländer, Rechtsradikaler, rassistisch motivierter Überfall – Mick wollte nichts mit diesen Kategorien zu tun haben. Er würde in seiner Blase bleiben.“
Der zweite Bruder Gabriel indessen ist ein reflektierter Mann. Der kommt nicht so leicht an Identitätskategorien vorbei. Auch nicht in London, das er für „so postrassistisch“ hält, „dass man hätte meinen können, es gehe wirklich nur noch ums Geld“. Und dann soll er beim Arzt seine Ethnie in eine von vier Kategorien eines Formulars einordnen und dreht fast durch.
Thomae erzählt von Gabriel in erster Person, gegengeschnitten mit der Perspektive seiner Frau Fleur. Der dem Milieu entsprechende Sound psychologischer Selbstbespiegelung wirkt unverarbeiteter als der Ton im ersten Teil des Romans. Diese Biografie eines Mannes zwischen „Anpassungsmanie“ und Burn-out und die Geschichte seiner Ehe führen in die Gegenwart. Entsprechend Identitäts-bewegte Debatten und Skandale gibt es. Diese zweite Hälfte läuft nicht so geschmeidig wie die erste, mit einem klaren Effekt: Man erkennt, dass Hautfarbe, Identität, Herkunft nicht ein Thema ist, sondern viele, je nach Umgebung, Zeitstimmung und sozialem Kontext.
Die Pointe des Romans besteht im Kontrast zwischen den Lebensformen der Brüder, dem Verplanten und dem Überstrukturierten, dem Wurschtigen und dem Rechthaberischen. Gemeinsam ist ihnen eine nerdige Fokussiertheit, die gespiegelt wird in ihren aufmerksameren, resilienteren Frauen. Weshalb man auch behaupten könnte, dies sei ein Buch über das Schicksal der Heterosexualität. Es ist übrigens auch eins über Männerfreundschaften. Und die Lücke, die abwesende Eltern lassen. Oder über die DDR und das Nachwende-Land. In den USA gibt es für Romane, in denen Existenzielles, Kulturelles und Zeitgeschichtliches zusammenschießt, den Ausdruck „Great American Novel“. Angemessen schief übersetzt kann man sagen, dass „Brüder“ wirklich eine große deutsche Neuigkeit ist: Ein Roman, der von Herkunft und nicht-weißer Identität erzählt, ohne seine Formen und Fragen von diesem Thema abhängig zu machen.
Am Ende, das ist vielleicht nicht zu viel verraten, tritt der Vater der Brüder in ihr Leben und die Möglichkeit besteht, dass sie sich kennenlernen. Sogar den kitschgefährdeten Showdown ihres Romans inszeniert Thomae mit einer Lässigkeit, die ihr so leicht keiner nachmacht: In einer Bar im Flughafen Paris-Charles-de-Gaulles, einem Transitraum, durch den Leute aus aller Welt rauschen, ausgerechnet in diesem identitätsleeren Bereich fügen sich die Glieder einer genealogischen Kette zusammen.
Zwei Männer haben den gleichen
Vater. Sie kennen ihn nicht und
einander kennen sie auch nicht
Angemessen schief übersetzt kann
man sagen, dass dieses Buch eine
große deutsche Neuigkeit ist
Die Autorin Jackie Thomae wird oft gebeten, ihren Roman mit ihrer Biografie zu beglaubigen.
Foto: Urban Zintel
Jackie Thomae: Brüder. Roman. Hanser Berlin, München 2019.
429 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2019Geboren in der DDR
Jackie Thomaes "Brüder" ist kein Roman über Hautfarbe, Rassismus, keiner über den Osten, den Westen. Er handelt trotzdem von Identitätspolitik
Es ist noch gar nicht so lange her, als immer wieder gefragt wurde, wann denn nun der "große Wenderoman" erscheine. Ein Roman, der die Zeit der Wiedervereinigung literarisch verhandele, der die deutsch-deutsche Frage zum Thema habe, die der Identitäten und ihrer Brüche, der von den späten achtziger und den neunziger Jahren in Deutschland erzähle. Indem sie sich nach etwas "Großem" sehnten, hatten diejenigen, die nach diesem Roman fragten, immer ein Epos vor Augen, eine große Erzählung, monumental und bedeutungsschwer. Deshalb waren viele so froh, als 2008 endlich "Der Turm" von Uwe Tellkamp erschien und ein paar Jahre später in 180 Minuten Länge auch noch fürs deutsche Fernsehen verfilmt wurde. Es gab Autoren wie Ingo Schulze, Clemens Meyer, Lutz Seiler oder Eugen Ruge. Aber wie Tellkamp seine Geschichte über den Untergang der DDR und die Menschen erzählte, die es im Sozialismus eigentlich gar nicht hätte geben sollen - Bildungsbürger, die sich im gesellschaftlichen Abseits zur dornröschenhaften "Turmgemeinschaft" zusammengefunden hatten -, war einfach pathetischer als alle anderen vor und nach ihm und durfte so auf jeden Fall gleich in die deutsche Literaturgeschichte eingehen.
Das aber ist nun schon eine ganze Weile her. Nach all den Jahren und all den über die deutsche Geschichte schreibenden Männern kommt jetzt Jackie Thomae und macht alles anders. Sie schreibt einen Roman, den sie "Brüder" nennt, ohne damit auch nur im Geringsten das "Alle Menschen werden Brüder" zu meinen, das so gerne als musikalisches Symbol der deutschen Einheit gefeiert wird. Brüder und Schwestern werden bei ihr alle, wenn überhaupt, dann nur in den Technoclubs der neunziger Jahre. Sie erzählt die Geschichte von Mick und Gabriel, die, ohne voneinander zu wissen, beide denselben Vater haben, den sie nicht kennen. Dieser Vater hatte zwischen 1967 und 1970 in der DDR Medizin studiert. Er hatte als "afrikanischer Student aus jungen Nationalstaaten" ein Stipendium bekommen und war nach Abschluss des Studiums zurück nach Senegal gegangen - hatte aber sowohl in Leipzig als auch in Berlin jeweils eine Frau und einen kleinen Sohn hinterlassen.
"Brüder" schildert die völlig unterschiedlich verlaufenden Leben dieser beiden Söhne. Und eigentlich ist alles da, was zu einem Epos gehört: die Geschichte einer Generation und einer Epoche, die Folgen eines politischen Umbruchs, die Fragen nach der Ost- und Westidentität und die nach der Hautfarbe, weil beide Jungen einen schwarzen Vater haben. Genauer betrachtet ist der Roman aber etwas anderes: Er ist ein Epos, das Wert darauf legt, keins zu sein. Eine Art Gegen-Roman zum "Turm". Er verzichtet auf Pathos und zu viel Bedeutung und ersetzt diese durch Ironie, Lakonik, Lust an der Unterhaltung und eine beeindruckende, manchmal fast schlafwandlerisch wirkende Leichtigkeit, mit der die Autorin erzählt. Er setzt keine Denkmäler, sondern Pointen, handelt von einem der aktuellsten Themen, nämlich Identitätspolitik, und sagt zugleich mit jedem Satz: Dies ist kein Roman über Hautfarbe und keiner über Rassismus, keiner über den Osten oder den Westen. Oder, wie es an einer Stelle aus Micks Sicht heißt: "Die Ausländer- und die Ostfrage gleichzeitig, nein danke." Aber was ist er dann?
Mick wächst, so erzählt es Jackie Thomae, als Kind seiner alleinerziehenden Mutter in der DDR auf, geht zum Rudertraining, treibt sich mit seiner Clique im Plänterwald herum, als die Mutter, die einen Ausreiseantrag gestellt hat, ihm verkündet, dass sie heiraten würde, was bedeutet, dass sie vom Treptower Park auf die andere Seite nach Halensee "rübermachen" würden. In der Sechszimmerwohnung des neuen Stiefvaters verbringt er "friedliche Nachmittage mit MTV und Masturbation". Er beginnt eine Ausbildung als Zimmermann, die er selbst "so beiläufig wahrnimmt wie eine flüchtige Diskobekanntschaft". Dann aber fällt die Mauer und die neunziger Jahre beginnen: "Die Stadt", heißt es im Roman, "wurde zum Spielplatz und entwickelte sich nach seinem Geschmack. Die Sonne war herausgekommen. Zeit für Frauen. Zeit für Partys. Zeit für neue Freunde."
"Brüder" sind zu Beginn des Romans in der Mick-Erzählung erst mal Mick und Desmond, den er auf dem Weg in einen Club kennenlernt und mit dem er von nun an gemeinsam unterwegs ist - Desmond, der "dunkler ist als er, etwas kleiner, neun Jahre älter, Amerikaner und somit ausgestattet mit einem natürlich Vorsprung an Coolness. Ein Bruder, ja." Desmond verwickelt Mick und dessen Freundin Delia, eine Jurastudentin aus Hannover, in eine Kokain-Schmuggel-Aktion, für die alle drei nach Kolumbien fliegen, in einer Art Arztpraxis "kleine weiße Bömbchen" schlucken, die aussehen wie Tampons, und diese in einem brandgefährlichen Drama, das Mick und Delia zu Überlebenden macht, in ihren Körpern zurück nach Europa transportieren.
Was von der Aktion übrig bleibt, sind eine ganze Menge "braune Scheine mit den Brüdern Grimm", die Mick, neuerdings Clubbesitzer in Berlin, "brüderlich" mit seinen Freunden teilt, während Delia für beide eine Plattenbauwohnung in Pankow kauft. Indem sie mit Mick in die Berliner Nachtlebenwelt eintaucht, wird Jackie Thomae zur Chronistin einer Stimmung, in der in den neunziger Jahren alle der Jahrtausendwende wie einem "furiosen Finale" entgegenhecheln, "von dem niemand so genau wusste, wie es aussehen würde". Niemals, findet Mick, der Rastlose, der bei den Frauen so ungeheuer gut ankommt, der eigentlich lieber keine Kinder will und irgendwann Yogalehrer wird, "war seine Herkunft egaler als in dieser Zeit".
"Farbe bekennen? Ohne mich", meint, ähnlich wie er, im zweiten Teil von "Brüder" Gabriel, der Halbbruder, von dem Mick nichts weiß. "Und ich sage dir auch, warum: Weil Hautfarbe als Distinktionsmerkmal die Grundlage für jede Art von Rassismus ist. Die Einzigen, die sich daran orientieren dürften, sind bekennende Rassisten. Wenn diese Unterscheidung aber kompletter Unsinn ist, was sie nachgewiesenermaßen auch ist, wieso sollte ich mich nach ihr richten? Wieso sollte ich mich einer Gruppe zuordnen lassen, die gar nicht existiert?"
Jackie Thomae entwirft also eine Versuchsanordnung: Zwei Jungen, geboren in der DDR, die aufwachsen, ohne ihren Vater zu kennen, deren Hautfarbe aber immerzu an diesen Vater erinnert - welchen Weg schlagen sie, die unter so ähnlichen Voraussetzungen ins Leben starten, unabhängig voneinander ein? Die Wege könnten unterschiedlicher nicht sein: Gabriel ist ein ehrgeiziger Kontrollfreak, eher humorlos, aber begabt, der heiratet, Vater wird, Karriere macht und zum Stararchitekten wird, überall in der Welt Bahnhöfe baut, Museen oder Villen, bis zur völligen Erschöpfung. Die Tendenz, aus seiner Herkunft kein Drama, in gewisser Weise sogar noch nicht einmal ein Thema zu machen, die aber hat er mit Mick gemein. "Entschuldige", sagt er an einer Stelle zu einer Freundin, die ihm vorwirft, aus Wut auf seinen abwesenden Vater seine "schwarze Seite" zu verleugnen, "ich laufe nicht den ganzen Tag herum und denke, ich bin schwarz, ich bin schwarz, oh Gott, ich bin schwarz." Mick würde dies ganz ähnlich formulieren.
Und damit ist auch bald klar, worum es bei Jackie Thomae geht. Es sind keine Thesen zu Herkunft oder Rassismus, die die Autorin interessieren, keine politischen Stellungnahmen, weil solche Stellungnahmen immer auch eine Klarheit suggerieren, die sie gerade vermeiden will, das Schematische, das Schwarz und Weiß. Worauf sie ihren Blick richtet, sind individuelle Situationen und die Widersprüche, die sie mit sich bringen. Es ist nicht so, wie wir reflexhaft oft denken. Guckt genau hin, es ist komplizierter, sagt Jackie Thomae und bringt ihre Figuren in Situationen, die die Erwartungen oft unterlaufen.
So zieht Mick mit Delia widerwillig in den Plattenbau nach Pankow, der ausgerechnet die ehemalige Botschaft eines Zwergenstaats ist, und wird mit ihr, wie ihre Diplomatenvormieter, zu einem Paar auf fremden Terrain. Er fühlt sich wie innerhalb einer Stadt ausgewandert. Das Land, das er verlassen hat, existiert nicht mehr, doch in Pankow erscheint es ihm so lebendig, dass er jeden grantigen Rentner für einen verbitterten Parteikader hält. Als er sich gerade mit seiner neuen Wohngegend abgefunden hat, wird er von Typen, die an einer Trinkhalle herumlungern, angepöbelt. Mick hat Kapuze und Kopfhörer auf und beschließt, sie zu ignorieren, als er aus dem Nichts einen Stoß in den Rücken kriegt, während hinten am Kiosk einer die rechte Hand hebt: "Sieg Heil, Nigger." Mick schlägt den Angreifer nieder und erkennt in ihm zu seinem Erstaunen einen Schulkameraden von früher, der sich ein misslungenes Nashorn auf die Gurgel hatte tätowieren lassen, das sich bei genauerem Hinsehen als Karte des Deutschen Reichs herausstellte. Sein Lachen ist das von früher - und so passiert etwas, das man erst gar nicht versteht: Mick beschließt, das Ganze als das zufällige Wiedersehen mit einem Bekannten aus Kindertagen zu verbuchen und nicht als Naziüberfall. Er will wie Gabriel mit den Kategorien von Täter und Opfer, Rechtsradikalen und Ausländern so sehr nichts zu tun haben, dass er mutwillig wegschaut.
Bei Gabriel wiederum steht dort, wo im Roman seine Ich-Erzählung beginnt, die Polizei vor der Tür, weil ihm ein sexueller, rassistisch motivierter Übergriff auf eine seiner - schwarzen - Architekturstudentinnen in London vorgeworfen wird. Dass er selbst schwarz ist, spielt dabei keine Rolle. Etwas überspannt war er morgens vor die Haustür gegangen, wo eine junge Frau gerade einen Hund ausführte, der Gabriels Fahrrad soeben als Baum missbrauchte. Die Hundekacke entdeckte er erst, als er sich über sein Vorderrad beugte - und rastete aus. Er griff in die Scheiße, rannte dem Mädchen hinterher und verteilte den Hundekot schreiend auf der Pelzkapuze ihres Parkas und schließlich auf ihrem Kopf. Dass es seine Studentin war, erkannte er nicht. Sie aber schon. "Mein Mann ist kein Rassist, mein Mann hat einen Burn-out, er ist krank", sagt Gabriels Frau Fleur. Wenig später sitzt der mutmaßliche Rassist auf dem Gesundheitsamt, wo er auf einem Formular ankreuzen soll, welcher ethnischen Gruppe er angehört und verzweifelt: "Es war ein Rassenformular und machte sich nicht die Mühe, das zu kaschieren."
Jackie Thomae wurde 1972 geboren, wuchs in Leipzig bei ihrer Mutter auf, ging nach der Wende nach Berlin, wo sie als Journalistin und Fernsehautorin arbeitete, zwei Sachbücher und ihren ersten Roman, "Momente der Klarheit", schrieb. Erst spät lernte sie - wie die beiden Romanbrüder - ihren Vater kennen, einen Zahnarzt aus Guinea, der völlig überraschend in ihr Leben trat. Und natürlich spielt das Autobiographische in ihren funkelnden, schlauen Roman hinein. Aber eben nur beiläufig, so wie ihre große Erzählung nur beiläufig groß sein will und - auch weil sie souverän so viele Sprachen und Stimmen einfängt, von den siebziger Jahren im Osten über den Sound der Neunziger bis zum Identitätsdiskurs der Gegenwart - doch tatsächlich groß ist.
"Wie gehen Sie selbst mit Rassismus um?" oder "Fühlen Sie sich manchmal diskriminiert?", wurde die Autorin, die auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht und eine verdiente Gewinnerin wäre, in den vergangenen Wochen in Interviews gefragt. Sie antwortete höflich. Hat sie nicht gerade auf vierhundert Seiten erzählt, wie kompliziert die Antworten auf solche Fragen sind?
JULIA ENCKE
Jackie Thomae: "Brüder". Roman. Hanser Berlin, 430 Seiten, 23 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jackie Thomaes "Brüder" ist kein Roman über Hautfarbe, Rassismus, keiner über den Osten, den Westen. Er handelt trotzdem von Identitätspolitik
Es ist noch gar nicht so lange her, als immer wieder gefragt wurde, wann denn nun der "große Wenderoman" erscheine. Ein Roman, der die Zeit der Wiedervereinigung literarisch verhandele, der die deutsch-deutsche Frage zum Thema habe, die der Identitäten und ihrer Brüche, der von den späten achtziger und den neunziger Jahren in Deutschland erzähle. Indem sie sich nach etwas "Großem" sehnten, hatten diejenigen, die nach diesem Roman fragten, immer ein Epos vor Augen, eine große Erzählung, monumental und bedeutungsschwer. Deshalb waren viele so froh, als 2008 endlich "Der Turm" von Uwe Tellkamp erschien und ein paar Jahre später in 180 Minuten Länge auch noch fürs deutsche Fernsehen verfilmt wurde. Es gab Autoren wie Ingo Schulze, Clemens Meyer, Lutz Seiler oder Eugen Ruge. Aber wie Tellkamp seine Geschichte über den Untergang der DDR und die Menschen erzählte, die es im Sozialismus eigentlich gar nicht hätte geben sollen - Bildungsbürger, die sich im gesellschaftlichen Abseits zur dornröschenhaften "Turmgemeinschaft" zusammengefunden hatten -, war einfach pathetischer als alle anderen vor und nach ihm und durfte so auf jeden Fall gleich in die deutsche Literaturgeschichte eingehen.
Das aber ist nun schon eine ganze Weile her. Nach all den Jahren und all den über die deutsche Geschichte schreibenden Männern kommt jetzt Jackie Thomae und macht alles anders. Sie schreibt einen Roman, den sie "Brüder" nennt, ohne damit auch nur im Geringsten das "Alle Menschen werden Brüder" zu meinen, das so gerne als musikalisches Symbol der deutschen Einheit gefeiert wird. Brüder und Schwestern werden bei ihr alle, wenn überhaupt, dann nur in den Technoclubs der neunziger Jahre. Sie erzählt die Geschichte von Mick und Gabriel, die, ohne voneinander zu wissen, beide denselben Vater haben, den sie nicht kennen. Dieser Vater hatte zwischen 1967 und 1970 in der DDR Medizin studiert. Er hatte als "afrikanischer Student aus jungen Nationalstaaten" ein Stipendium bekommen und war nach Abschluss des Studiums zurück nach Senegal gegangen - hatte aber sowohl in Leipzig als auch in Berlin jeweils eine Frau und einen kleinen Sohn hinterlassen.
"Brüder" schildert die völlig unterschiedlich verlaufenden Leben dieser beiden Söhne. Und eigentlich ist alles da, was zu einem Epos gehört: die Geschichte einer Generation und einer Epoche, die Folgen eines politischen Umbruchs, die Fragen nach der Ost- und Westidentität und die nach der Hautfarbe, weil beide Jungen einen schwarzen Vater haben. Genauer betrachtet ist der Roman aber etwas anderes: Er ist ein Epos, das Wert darauf legt, keins zu sein. Eine Art Gegen-Roman zum "Turm". Er verzichtet auf Pathos und zu viel Bedeutung und ersetzt diese durch Ironie, Lakonik, Lust an der Unterhaltung und eine beeindruckende, manchmal fast schlafwandlerisch wirkende Leichtigkeit, mit der die Autorin erzählt. Er setzt keine Denkmäler, sondern Pointen, handelt von einem der aktuellsten Themen, nämlich Identitätspolitik, und sagt zugleich mit jedem Satz: Dies ist kein Roman über Hautfarbe und keiner über Rassismus, keiner über den Osten oder den Westen. Oder, wie es an einer Stelle aus Micks Sicht heißt: "Die Ausländer- und die Ostfrage gleichzeitig, nein danke." Aber was ist er dann?
Mick wächst, so erzählt es Jackie Thomae, als Kind seiner alleinerziehenden Mutter in der DDR auf, geht zum Rudertraining, treibt sich mit seiner Clique im Plänterwald herum, als die Mutter, die einen Ausreiseantrag gestellt hat, ihm verkündet, dass sie heiraten würde, was bedeutet, dass sie vom Treptower Park auf die andere Seite nach Halensee "rübermachen" würden. In der Sechszimmerwohnung des neuen Stiefvaters verbringt er "friedliche Nachmittage mit MTV und Masturbation". Er beginnt eine Ausbildung als Zimmermann, die er selbst "so beiläufig wahrnimmt wie eine flüchtige Diskobekanntschaft". Dann aber fällt die Mauer und die neunziger Jahre beginnen: "Die Stadt", heißt es im Roman, "wurde zum Spielplatz und entwickelte sich nach seinem Geschmack. Die Sonne war herausgekommen. Zeit für Frauen. Zeit für Partys. Zeit für neue Freunde."
"Brüder" sind zu Beginn des Romans in der Mick-Erzählung erst mal Mick und Desmond, den er auf dem Weg in einen Club kennenlernt und mit dem er von nun an gemeinsam unterwegs ist - Desmond, der "dunkler ist als er, etwas kleiner, neun Jahre älter, Amerikaner und somit ausgestattet mit einem natürlich Vorsprung an Coolness. Ein Bruder, ja." Desmond verwickelt Mick und dessen Freundin Delia, eine Jurastudentin aus Hannover, in eine Kokain-Schmuggel-Aktion, für die alle drei nach Kolumbien fliegen, in einer Art Arztpraxis "kleine weiße Bömbchen" schlucken, die aussehen wie Tampons, und diese in einem brandgefährlichen Drama, das Mick und Delia zu Überlebenden macht, in ihren Körpern zurück nach Europa transportieren.
Was von der Aktion übrig bleibt, sind eine ganze Menge "braune Scheine mit den Brüdern Grimm", die Mick, neuerdings Clubbesitzer in Berlin, "brüderlich" mit seinen Freunden teilt, während Delia für beide eine Plattenbauwohnung in Pankow kauft. Indem sie mit Mick in die Berliner Nachtlebenwelt eintaucht, wird Jackie Thomae zur Chronistin einer Stimmung, in der in den neunziger Jahren alle der Jahrtausendwende wie einem "furiosen Finale" entgegenhecheln, "von dem niemand so genau wusste, wie es aussehen würde". Niemals, findet Mick, der Rastlose, der bei den Frauen so ungeheuer gut ankommt, der eigentlich lieber keine Kinder will und irgendwann Yogalehrer wird, "war seine Herkunft egaler als in dieser Zeit".
"Farbe bekennen? Ohne mich", meint, ähnlich wie er, im zweiten Teil von "Brüder" Gabriel, der Halbbruder, von dem Mick nichts weiß. "Und ich sage dir auch, warum: Weil Hautfarbe als Distinktionsmerkmal die Grundlage für jede Art von Rassismus ist. Die Einzigen, die sich daran orientieren dürften, sind bekennende Rassisten. Wenn diese Unterscheidung aber kompletter Unsinn ist, was sie nachgewiesenermaßen auch ist, wieso sollte ich mich nach ihr richten? Wieso sollte ich mich einer Gruppe zuordnen lassen, die gar nicht existiert?"
Jackie Thomae entwirft also eine Versuchsanordnung: Zwei Jungen, geboren in der DDR, die aufwachsen, ohne ihren Vater zu kennen, deren Hautfarbe aber immerzu an diesen Vater erinnert - welchen Weg schlagen sie, die unter so ähnlichen Voraussetzungen ins Leben starten, unabhängig voneinander ein? Die Wege könnten unterschiedlicher nicht sein: Gabriel ist ein ehrgeiziger Kontrollfreak, eher humorlos, aber begabt, der heiratet, Vater wird, Karriere macht und zum Stararchitekten wird, überall in der Welt Bahnhöfe baut, Museen oder Villen, bis zur völligen Erschöpfung. Die Tendenz, aus seiner Herkunft kein Drama, in gewisser Weise sogar noch nicht einmal ein Thema zu machen, die aber hat er mit Mick gemein. "Entschuldige", sagt er an einer Stelle zu einer Freundin, die ihm vorwirft, aus Wut auf seinen abwesenden Vater seine "schwarze Seite" zu verleugnen, "ich laufe nicht den ganzen Tag herum und denke, ich bin schwarz, ich bin schwarz, oh Gott, ich bin schwarz." Mick würde dies ganz ähnlich formulieren.
Und damit ist auch bald klar, worum es bei Jackie Thomae geht. Es sind keine Thesen zu Herkunft oder Rassismus, die die Autorin interessieren, keine politischen Stellungnahmen, weil solche Stellungnahmen immer auch eine Klarheit suggerieren, die sie gerade vermeiden will, das Schematische, das Schwarz und Weiß. Worauf sie ihren Blick richtet, sind individuelle Situationen und die Widersprüche, die sie mit sich bringen. Es ist nicht so, wie wir reflexhaft oft denken. Guckt genau hin, es ist komplizierter, sagt Jackie Thomae und bringt ihre Figuren in Situationen, die die Erwartungen oft unterlaufen.
So zieht Mick mit Delia widerwillig in den Plattenbau nach Pankow, der ausgerechnet die ehemalige Botschaft eines Zwergenstaats ist, und wird mit ihr, wie ihre Diplomatenvormieter, zu einem Paar auf fremden Terrain. Er fühlt sich wie innerhalb einer Stadt ausgewandert. Das Land, das er verlassen hat, existiert nicht mehr, doch in Pankow erscheint es ihm so lebendig, dass er jeden grantigen Rentner für einen verbitterten Parteikader hält. Als er sich gerade mit seiner neuen Wohngegend abgefunden hat, wird er von Typen, die an einer Trinkhalle herumlungern, angepöbelt. Mick hat Kapuze und Kopfhörer auf und beschließt, sie zu ignorieren, als er aus dem Nichts einen Stoß in den Rücken kriegt, während hinten am Kiosk einer die rechte Hand hebt: "Sieg Heil, Nigger." Mick schlägt den Angreifer nieder und erkennt in ihm zu seinem Erstaunen einen Schulkameraden von früher, der sich ein misslungenes Nashorn auf die Gurgel hatte tätowieren lassen, das sich bei genauerem Hinsehen als Karte des Deutschen Reichs herausstellte. Sein Lachen ist das von früher - und so passiert etwas, das man erst gar nicht versteht: Mick beschließt, das Ganze als das zufällige Wiedersehen mit einem Bekannten aus Kindertagen zu verbuchen und nicht als Naziüberfall. Er will wie Gabriel mit den Kategorien von Täter und Opfer, Rechtsradikalen und Ausländern so sehr nichts zu tun haben, dass er mutwillig wegschaut.
Bei Gabriel wiederum steht dort, wo im Roman seine Ich-Erzählung beginnt, die Polizei vor der Tür, weil ihm ein sexueller, rassistisch motivierter Übergriff auf eine seiner - schwarzen - Architekturstudentinnen in London vorgeworfen wird. Dass er selbst schwarz ist, spielt dabei keine Rolle. Etwas überspannt war er morgens vor die Haustür gegangen, wo eine junge Frau gerade einen Hund ausführte, der Gabriels Fahrrad soeben als Baum missbrauchte. Die Hundekacke entdeckte er erst, als er sich über sein Vorderrad beugte - und rastete aus. Er griff in die Scheiße, rannte dem Mädchen hinterher und verteilte den Hundekot schreiend auf der Pelzkapuze ihres Parkas und schließlich auf ihrem Kopf. Dass es seine Studentin war, erkannte er nicht. Sie aber schon. "Mein Mann ist kein Rassist, mein Mann hat einen Burn-out, er ist krank", sagt Gabriels Frau Fleur. Wenig später sitzt der mutmaßliche Rassist auf dem Gesundheitsamt, wo er auf einem Formular ankreuzen soll, welcher ethnischen Gruppe er angehört und verzweifelt: "Es war ein Rassenformular und machte sich nicht die Mühe, das zu kaschieren."
Jackie Thomae wurde 1972 geboren, wuchs in Leipzig bei ihrer Mutter auf, ging nach der Wende nach Berlin, wo sie als Journalistin und Fernsehautorin arbeitete, zwei Sachbücher und ihren ersten Roman, "Momente der Klarheit", schrieb. Erst spät lernte sie - wie die beiden Romanbrüder - ihren Vater kennen, einen Zahnarzt aus Guinea, der völlig überraschend in ihr Leben trat. Und natürlich spielt das Autobiographische in ihren funkelnden, schlauen Roman hinein. Aber eben nur beiläufig, so wie ihre große Erzählung nur beiläufig groß sein will und - auch weil sie souverän so viele Sprachen und Stimmen einfängt, von den siebziger Jahren im Osten über den Sound der Neunziger bis zum Identitätsdiskurs der Gegenwart - doch tatsächlich groß ist.
"Wie gehen Sie selbst mit Rassismus um?" oder "Fühlen Sie sich manchmal diskriminiert?", wurde die Autorin, die auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht und eine verdiente Gewinnerin wäre, in den vergangenen Wochen in Interviews gefragt. Sie antwortete höflich. Hat sie nicht gerade auf vierhundert Seiten erzählt, wie kompliziert die Antworten auf solche Fragen sind?
JULIA ENCKE
Jackie Thomae: "Brüder". Roman. Hanser Berlin, 430 Seiten, 23 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Eine bestechend intelligente Prosa, die erklärt, wie wir heute leben. [...] Eine solche soziologische Intelligenz gibt es selten in der deutschen Prosa." Denis Scheck, SWR, 15.12.19
"Wie kann man nur so genau und cool über Männer schreiben? Über Osten, Hautfarben, Normalität und Chaos? Deutsche Gegenwart, scharfsinnig-leicht." Alexander Cammann, Die Zeit, 21.11.19
"Dass das mit der Hautfarbe und dem Rassismus komplizierter ist, als die Social-Justice-Warrior denken, zeigt dieser beobachtungsstarke Gesellschaftsroman." Ijoma Mangold, Die Zeit, 21.11.19
"'Brüder' ist auf eine angelsächsisch anmutende Art ungemein intelligent, humorvoll und unterhaltsam zugleich geschrieben und bringt damit eine sonst weitgehend fehlende Qualität in die deutsche Literatur ein." Katharina Granzin, Frankfurter Rundschau, 08.10.19
"'Brüder' schildert die völlig unterschiedlich verlaufenden Leben zweier Söhne. Und eigentlich ist alles da, was zu einem Epos gehört: die Geschichte einer Generation und einer Epoche, die Folgen eines politischen Umbruchs, die Fragen nach der Ost- und Westidentität und die nach der Hautfarbe, weil beide Jungen einen schwarzen Vater haben. Genauer betrachtet ist der Roman aber etwas anderes: Er ist ein Epos, das Wert darauf legt, keins zu sein... er verzichtet auf Pathos und zu viel Bedeutung und ersetzt diese durch Ironie, Lakonik, Lust an der Unterhaltung und eine beeindruckende, manchmal fast schlafwandlerisch wirkende Leichtigkeit, mit der die Autorin erzählt. Er setzt keine Denkmäler, sondern Pointen, handelt von einem der aktuellsten Themen, nämlich Identitätspolitik, und sagt zugleich mit jedem Satz: Dies ist kein Roman über Hautfarbe und keiner über Rassismus, keiner über den Osten oder den Westen." Anna Prizkau, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 06.10.19
"'Brüder' weiß ziemlich viel über das Leben und die Welt zu erzählen und kann in wenigen Sätzen Szenen und Figuren anlegen, dass man mit den Ohren schlackert, wie da durch präzise skizzierte finanziell scheiternde Berliner Clubs und Resorts in Thailand und chinesische Großbaustellen galoppiert wird, als wäre es nichts. Und wie da über Hautfarben und deren Zwischentöne geschrieben wird, die mit der Handlung auf den ersten Blick nicht viel zu tun haben, aber an denen niemand so recht vorbeikommt, das hat man in dieser Subtilität zuletzt bei Zadie Smith gelesen." Andrea Diener, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.19
"Thomae erzählt leicht und souverän, ein sanftes Allwissen könnte man ihre Technik nennen, denn alles Auktoriale geht in der Empathie auf, mit der sie, oft in erlebter Rede, die Handlung aus der Persektive ihrer Figuren schildert. ... Es gelingt ihr einen tragfährigen epischen Bogen aufzuspannen. Schlüssig und doch im Bewusstsein des unergründlichen Zufalls wird geschildert, wie sich Persönlichkeiten über drei Jahrzehnte hinweg entfalten." Juliane Liebert, Die Zeit, 26.09.19
"Man kann sagen, dass 'Brüder' wirklich eine große deutsche Neuigkeit ist: Ein Roman, der von Herkunft und nicht-weißer Identität erzählt, ohne seine Formen und Fragen von diesem Thema abhängig zu machen." Marie Schmidt, Süddeutsche Zeitung, 17.09.19
"Brüder ist ein perfekt durchdachter, klug konzipierter und eloquent verfasster Gesellschaftsroman, dessen überbordende Leidenschaft und Dynamik zusammen mit Jackie Thomaes Fähigkeit, plastische Figuren zu zeichnen und in deren Psyche vorzudringen, Geist und Sinne schärfen. Ein schillerndes Aushängeschild zeitgenössischer deutscher Literatur." Gérard Otremba, Rolling Stone, 01.09.19
"Ein Plädoyer für den zweiten Blick und auch den dritten, ein Plädoyer gegen die Gefahr, farbfehlgeleitet durch die Welt zu gehen." Tobias Becker, Der Spiegel, 17.08.19
"Wie kann man nur so genau und cool über Männer schreiben? Über Osten, Hautfarben, Normalität und Chaos? Deutsche Gegenwart, scharfsinnig-leicht." Alexander Cammann, Die Zeit, 21.11.19
"Dass das mit der Hautfarbe und dem Rassismus komplizierter ist, als die Social-Justice-Warrior denken, zeigt dieser beobachtungsstarke Gesellschaftsroman." Ijoma Mangold, Die Zeit, 21.11.19
"'Brüder' ist auf eine angelsächsisch anmutende Art ungemein intelligent, humorvoll und unterhaltsam zugleich geschrieben und bringt damit eine sonst weitgehend fehlende Qualität in die deutsche Literatur ein." Katharina Granzin, Frankfurter Rundschau, 08.10.19
"'Brüder' schildert die völlig unterschiedlich verlaufenden Leben zweier Söhne. Und eigentlich ist alles da, was zu einem Epos gehört: die Geschichte einer Generation und einer Epoche, die Folgen eines politischen Umbruchs, die Fragen nach der Ost- und Westidentität und die nach der Hautfarbe, weil beide Jungen einen schwarzen Vater haben. Genauer betrachtet ist der Roman aber etwas anderes: Er ist ein Epos, das Wert darauf legt, keins zu sein... er verzichtet auf Pathos und zu viel Bedeutung und ersetzt diese durch Ironie, Lakonik, Lust an der Unterhaltung und eine beeindruckende, manchmal fast schlafwandlerisch wirkende Leichtigkeit, mit der die Autorin erzählt. Er setzt keine Denkmäler, sondern Pointen, handelt von einem der aktuellsten Themen, nämlich Identitätspolitik, und sagt zugleich mit jedem Satz: Dies ist kein Roman über Hautfarbe und keiner über Rassismus, keiner über den Osten oder den Westen." Anna Prizkau, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 06.10.19
"'Brüder' weiß ziemlich viel über das Leben und die Welt zu erzählen und kann in wenigen Sätzen Szenen und Figuren anlegen, dass man mit den Ohren schlackert, wie da durch präzise skizzierte finanziell scheiternde Berliner Clubs und Resorts in Thailand und chinesische Großbaustellen galoppiert wird, als wäre es nichts. Und wie da über Hautfarben und deren Zwischentöne geschrieben wird, die mit der Handlung auf den ersten Blick nicht viel zu tun haben, aber an denen niemand so recht vorbeikommt, das hat man in dieser Subtilität zuletzt bei Zadie Smith gelesen." Andrea Diener, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.19
"Thomae erzählt leicht und souverän, ein sanftes Allwissen könnte man ihre Technik nennen, denn alles Auktoriale geht in der Empathie auf, mit der sie, oft in erlebter Rede, die Handlung aus der Persektive ihrer Figuren schildert. ... Es gelingt ihr einen tragfährigen epischen Bogen aufzuspannen. Schlüssig und doch im Bewusstsein des unergründlichen Zufalls wird geschildert, wie sich Persönlichkeiten über drei Jahrzehnte hinweg entfalten." Juliane Liebert, Die Zeit, 26.09.19
"Man kann sagen, dass 'Brüder' wirklich eine große deutsche Neuigkeit ist: Ein Roman, der von Herkunft und nicht-weißer Identität erzählt, ohne seine Formen und Fragen von diesem Thema abhängig zu machen." Marie Schmidt, Süddeutsche Zeitung, 17.09.19
"Brüder ist ein perfekt durchdachter, klug konzipierter und eloquent verfasster Gesellschaftsroman, dessen überbordende Leidenschaft und Dynamik zusammen mit Jackie Thomaes Fähigkeit, plastische Figuren zu zeichnen und in deren Psyche vorzudringen, Geist und Sinne schärfen. Ein schillerndes Aushängeschild zeitgenössischer deutscher Literatur." Gérard Otremba, Rolling Stone, 01.09.19
"Ein Plädoyer für den zweiten Blick und auch den dritten, ein Plädoyer gegen die Gefahr, farbfehlgeleitet durch die Welt zu gehen." Tobias Becker, Der Spiegel, 17.08.19