Als Morten Tony fragt, was Grünlichs ästhetisches Urteil “Das putzt ganz ungemein,” ein Blumenarrangement betreffend, denn eigentlich bedeute, kichert sie nervös und nennt Grünlichs Wortwahl „albern“. Der ungenehme Freier mit seinen „goldgelbe Favoris ... völlig unnatürlich,“ hätte ja einfach sagen
können: „Das schmückt das Zimmer,“ oder „Das nimmt sich gut aus.“
Merkwürdigerweise wird dieses…mehrAls Morten Tony fragt, was Grünlichs ästhetisches Urteil “Das putzt ganz ungemein,” ein Blumenarrangement betreffend, denn eigentlich bedeute, kichert sie nervös und nennt Grünlichs Wortwahl „albern“. Der ungenehme Freier mit seinen „goldgelbe Favoris ... völlig unnatürlich,“ hätte ja einfach sagen können: „Das schmückt das Zimmer,“ oder „Das nimmt sich gut aus.“
Merkwürdigerweise wird dieses Grünlich Zitat „Das putzt ganz ungemein“ in der Einleitung dieses Handbuchs in ironischer Absicht erwähnt, wie zum Beispiel Christian diese Redensart später im Roman benutzt. Ist es also weder Wunsch noch Absicht sondern pure Ironie, wenn die Herausgeber schon eingangs sagen, dieses Handbuch werde des Lesers Bücherschrank schmücken? Hier liegt ein erstes Anzeichen dafür, wie man dieses Kompendium bewerten könnte: vielleicht nicht gleich als albern, aber doch als „völlig unnatürlich.“
Schon der Ton des Handbuchs, beginnend mit der Einleitung, ist bierernst und akademisch. Statt Humor (Thomas Mann wollte immer als großer Humorist gelten) und Ironie, die in den vergangenen zwei Generationen die TM-Forscher begeistert und beschäftigt hat, gibt es hier endlose Kapitel über die Rezeption des Romasn, dazu über Intertextualität, Alterität, Wissenspoetologie, Gender Studies, Dekonstruktion. Es soll damit nicht gesagt werden, dass diese Themen nicht sinn- und geistreich behandelt werden können. Ohne Zweifel sind hinter all diesen Schablonenwörtern viele Master-Arbeiten verborgen. Aber (für diesen Leser) erhellen sie nichts, was nicht schon im Roman steht. Stattdessen verbrämen und verderben sie das Geniestück eines Fünfundzwanzigjährigen mit unfrischen Lorbeeren und Sätzen wie (S. 16-17): „Das Narrativ von der permanenten Degenereszenz, das der frühe Mann immer wieder von Neuem durchdeklinierte, wurde in seinem Fall nun aber auch noch flankiert durch zwei Weiterungen des Sozialdarwinismus. Beide wurden in der Rezeptionsgeschichte oft und gerne übersehen; die eine von Anfang an, die andere besonders in der Nachkriegszeit.“ „Immer wieder von Neuem“? „oft und gerne“? Wirklich gerne? Wo war hier der sprachkritische Lektor?
Die Beiträgerinnen und Beiträger sind mehr an Ornithologie als an bunten Vögeln interessiert. Nur wenige von ihnen (Beispiele: Andreas Blödorn, Yahya Elsaghe, Heinrich Detering) sind als TM Spezialisten bekannt. Der Herausgeber Prof. Neuhaus hat vorher nie über TM „gearbeitet“, und viele der übrigen Artikel stammen von Eleven und Elevinnen des TM Metiers, die hier ihre Publikationsliste anfüllen. In ihren oft gelehrig geschriebenen Artikeln wird der unbescholtene Leser mit literaturwissenschaftlichen Waffen angegriffen, die seinem Lesevergnügen schnell den Garaus machen.
Als Trostpreis wird hier viel Material ausgebreitet, leider unter phantasielos abstrakten Kategorien und offenbar beeinflusst von dem neuen, auch nur bedingt gelungenen „Thomas Mann Handbuch“ (auch von Metzler, 2015). Studenten werden hieraus allerlei abschreiben oder paraphrasieren können. Dass sie sich nach der Lektüre dieses Handbuchs genüsslich auf den saftigen Roman „Buddenbrooks“ stürzen oder sich fragen, ob TM, im Vergleich zu Musil und Kafka, vielleicht doch nur ein zweitrangiger Autor ist, eine solche intellektuelle Lebendigkeit wird von diesem Handbuch nicht angeregt.
Statt für dieses etwas eitle Werk hundert Euros hinzulegen, empfehle ich das unterhaltsame Büchlein „Quisquilien zu Thomas Mann – Glossen und Gedankenkrümel“, in dem man viel über Humor und Lachen, über Stil und über nackte Arme und schöne Beine bei TM lesen kann, für weniger als EUR 10.