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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wie lassen sich die Trostlosigkeit, Einsamkeit und Gewalttätigkeit unserer Epoche am besten besiegen? Mit einem schönen Auto. So steht es in Dea Lohers bemerkenswertem Romandebüt "Bugatti taucht auf".
Für ihren ersten Roman hat sich Dea Loher, die zu den wichtigsten Bühnenautoren unserer Tage gehört, viel Zeit gelassen. Als Dramatikerin kann sie auf eine nunmehr zwanzigjährige Bühnenpräsenz zurückblicken; für ihre Stücke - siebzehn sind es mittlerweile - wurde sie vielfach ausgezeichnet. Dass sie ihre Figuren - oft sind es Außenseiter, Verlierer, Freaks - auch in der Prosa zu plastischer Anschaulichkeit erwecken kann, bewies ihr schmaler Erzählungsband "Hundskopf", der vor sieben Jahren erschien. Die dort versammelten Geschichten haben, darin durchaus dem Drama verwandt, ihre Stärke in der pointierten Zeichnung von Situationen und Charakteren. Wie aber ergeht es der Dramatikerin auf der erzählerischen Langstrecke eines Romans?
Dea Loher hat sich diese Strecke aufgeteilt, und zunächst könnte man meinen, ihr Roman zerfalle in drei sehr unterschiedliche Abschnitte, disparat in der Länge, im Sujet und im Ton. Doch hängen diese drei Teile viel enger zusammen, als es auf den ersten Blick scheinen mag, und sie fügen sich zu einer tiefmoralischen Erzählung. Im Zentrum des Romans steht eine Gewalttat, die sich im schweizerischen Ascona am 1. Februar 2008 tatsächlich ereignet hat.
Während des Tessiner Karnevals wurde damals ein zweiundzwanzig Jahre alter Festbesucher von drei jungen Männern grundlos angegriffen und so sehr malträtiert, dass er an den Folgen einer Hirnblutung starb. Der Fall erregte in der Schweiz großes Aufsehen; die Täter wurden zu hohen Strafen verurteilt, die Familie des Toten gründete eine Stiftung gegen Jugendgewalt. Im Jahr darauf wurde das Wrack eines Bugatti-Rennwagens aus dem Lago Maggiore geborgen, der mehr als siebzig Jahre auf dem Grund des Sees im Schlamm gelegen hatte und erstaunlich gut konserviert war. Der Wagen wurde für eine beträchtliche Summe versteigert, der Erlös floss in die genannte Stiftung ein.
So weit die Fakten, die Dea Loher zu einer kunstvollen Studie über Gewalt und Selbstbeherrschung, über ehrgeizige Träume und kühne Pläne, Fluchten aus dem Alltag, Zwänge des Berufs- und Familienlebens und die Schönheit verrückter Ideen verwoben hat. Stets sind es Männer, denen die besondere Aufmerksamkeit und die Zuneigung der Erzählerin gelten; Frauen kommen in diesem Roman nur als Nebenfiguren vor.
Am Anfang steht das fiktive Tagebuch des Bildhauers Rembrandt Bugatti, Bruder des Ingenieurs Ettore Bugatti, der die berühmten Rennwagen konstruierte. Rembrandt, der in Antwerpen lebte und für seine Tierskulpturen bekannt wurde, schuf unter anderem die Figur des tanzenden Elefanten, der als Kühlerfigur zum Kennzeichen des Bugatti Royale wurde. 1916 schied der 31 Jahre alte Künstler freiwillig aus dem Leben. In den erfundenen Tagebuchaufzeichnungen vollzieht Dea Loher eine Art sprachlicher Mimikry, indem sie sich in den depressiven Mann hineinversetzt und seinen Hoffnungen, Träumen und Ängsten eine eigene, durchweg überzeugende Stimme gibt. Erst später wird deutlich, wie viele Motive dieses Tagebuchs - komplizierte Bruderliebe, Sehnsucht nach Nähe wie nach Unabhängigkeit, waghalsige Fahrmanöver, tragische Todesfälle - bereits auf das weitere Geschehen vorausdeuten.
Ein völlig anderer Ton bestimmt den zweiten Teil des Romans, der jene Nacht in Ascona beschreibt, in der der junge Luca, wie Dea Loher ihn nennt, sein Leben verlor. Akribisch werden Zeugenaussagen und Verhörprotokolle in umständlichen Satzgefügen aneinandergereiht, ohne dass dadurch die grundlose Aggression der jugendlichen Gewalttäter verständlich wird. Die distanzierte Außensicht und das konsequent eingehaltene Stilmittel der indirekten Rede verhindern jede Einfühlung in die Täter: "Valon wird sagen, dass Luca gefallen sei und versucht habe, wieder aufzustehen, und dass er, Valon, ihm also einen Tritt gegen den Kopf verpasst habe." So kommentarlos, im Stil eines Polizeiberichts, geht es seitenlang weiter, als verbiete die unmittelbare Darstellung brutaler Gewalt jede Wertung.
Erst der dritte, längste Teil des Romans wird aus einer souveränen Erzählperspektive vorgetragen, die nicht an eine einzige Figur gebunden ist und die einzelnen Personen nun auch in wörtlicher Rede selbst zu Wort kommen lässt. Hauptfigur dieses Teils ist der Schlosser Jordi, der in dritter Generation ein Familienunternehmen führt, dessen Spezialität Schweißarbeiten unter Wasser sind. Als er von Lucas Tod erfährt, wächst in Jordi der Wunsch, diesem Tod "eine andere Handlung entgegenzusetzen, die den Ausschlag dieser Waage veränderte; etwas Schwerwiegendes, das man nicht ignorieren, nicht wegmessen, nicht verwerfen konnte; etwas gutartig Schönes, dessen Kraft einen Teil der Gewalttat überstrahlen könnte".
So entsteht der Plan, den am Grunde des Sees versunkenen Bugatti aufzuspüren und zu bergen. Jordi braucht Monate, um dieses Ziel zu erreichen. In dieser Zeit verändert sich der spröde Einzelgänger, findet Mitstreiter für seinen Plan, knüpft neue Verbindungen, kann sogar lange gepflegte Konflikte in seiner Familie ein Stück weit überwinden. Es ist die Hingabe an seine selbstgewählte, scheinbar sinnlose Aufgabe, die Jordi verantwortungsvoll handeln lässt, was ihn in immer größeren Kontrast zu den drei Jugendlichen stellt, die Luca aus einer Laune heraus zu Tode gequält haben. Ähnlich wie der von Camus porträtierte mythische Held Sisyphus gewinnt Jordi Zufriedenheit und Stärke aus der unmittelbaren Anstrengung, ohne nach einem praktischen oder gar metaphysischen Sinn hinter den Ereignissen zu suchen. Tatsächlich gelangt Lohers Romanheld zu Einsichten, die denen des Existentialismus entsprechen: "Es bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass ständig Dinge passierten, die wir nicht verstanden und nie verstehen würden, und dass das Leben letztendlich nichts anderes wäre als ein einziges Sichaufbäumen gegen all das, was geeignet war, uns den Boden unter den Füßen wegzuziehen und uns glauben zu machen, dass unsere Existenz vergeblich und wertlos war."
Symbol dieses Sichaufbäumens wird das Wrack des Bugatti, das am Ende aus dem Wasser des Sees gehoben wird und die Menschen noch immer durch seine Schönheit beeindruckt. So ist Dea Lohers Roman, dies zeigt sein komplexer Aufbau, auch eine Parabel über die menschliche Fähigkeit, der Trostlosigkeit und Brutalität unserer Welt mit Einfallsreichtum, Verantwortung und Beharrlichkeit zu begegnen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Kunst, die zweckfrei Schönes erschafft, so lautet die wunderbar unzeitgemäße Botschaft. Die Brüder Bugatti haben es im Zeitalter der Technik vorgemacht.
SABINE DOERING
Dea Loher: "Bugatti taucht auf". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 208 S., geb., 20,50 [Euro].
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