Lesen Sie mehr von Marc Elsberg wie zum Beispiel die thematisch sehr aktuellen Thriller "Blackout", "Gier" oder "Der Fall des Präsidenten". Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage von Marc Elsberg.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
der Apokalypse
Wie unterhaltsam ist der Klimawandel?
In „Celsius“ von Marc Elsberg wird Geoengineering
zum Polit-Krimi: Wer das Klima
beherrscht, regiert die Welt
VON GERHARD MATZIG
Nun war es fast so dunkel wie in einer bewölkten Nacht. Ein dumpfer Knall ertönte, gleich darauf noch einer. Gefolgt von immer heftiger werdendem Prasseln, als ließe jemand Bleikugeln auf eine Metallplatte fallen, dazwischen auch mal Golfbälle und zunehmend Kanonenkugeln.“ Die Klimax aus Marc Elsbergs neuem Thriller „Celsius“ – Bleikugel, Golfball, Kanonenkugel – mag der Komplexität der Klimafolgenforschung nicht ganz gerecht werden, aber was man auf Anhieb kapiert, ist das: Die Kugeln werden gefährlicher und die Einschläge kommen näher. Irgendwann trifft es jeden. Nennt sich Klimawandel. Der tatsächlich einigen Thrill bietet.
Solche Suspense lässt sich im Prinzip auch auf der Homepage vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) nachlesen, wo aktuell gemeldet wird, dass sich der grönländische Eisschild bereits auf halbem Weg zu einem Kipppunkt befindet, dessen Überschreiten letztlich zum Anstieg der Meeresspiegel um 1,8 Meter führen wird. Das ist die optimistische Sichtweise. Die düstere Variante betrifft den zweiten Kipppunkt, der die Meere um sieben Meter ansteigen ließe. Ein Teil der Erde würde unbewohnbar werden.
Mit dem Schmelzwasser vom Antarktischen Eisschild kämen noch mal ein paar Dutzend Meter on top, wie das vielleicht Mathias Döpfner in nächtlichen Chatnachrichten formulieren würde. Was kaum auszuschließen ist in Zeiten, da die Bild-Zeitung einen epischen Kampf gegen Habecks Wärmepumpe führt. Oder wie es in Marc Elsbergs neuem Thriller „Celsius“ heißt: „Für die tobende Naturgewalt, die kein Außen oder Innen mehr trennte, war der teure, schwere Designertisch nicht einmal ein Blatt Papier. Mitsamt Bernd saugte sie ihn aus dem dreiundzwangzigsten Stock in die Finsternis.“ Vorher hatte Bernd, der vermutlich Klimaleugner und eine ansonsten komplett überflüssige Figur ist, noch denkbar breitbeinig erklärt: „So ein Gebäude ist gebaut, um Stürme auszuhalten.“ Wie ignorant kann man sein?
Die kurze Antwort darauf lautet: sehr. Eine längere Antwort bieten die Forschungen, die das PIK seit 1992 anstellt. Eine mittlere Antwort findet sich in Elsbergs Klimawandel-Thriller. Letzte Seite, letzter Satz: „Am nächsten Tag blickten die Bewohner Bostons überrascht hoch, als Schneeflocken aus dem Junihimmel auf sie herabzuschweben begannen.“ Man kann sich an dieser Stelle gut vorstellen, wie aus Schneeflocken Bleikugeln werden. Dann Golfbälle. Dann Kanonenkugeln.
„Außerdem funktionieren Visualisierungen immer besser als dürre Worte, Emotionen und spannende Geschichten besser als bloße rationale Erklärungen.“ Mit diesen Worten erklärt der etwas undurchsichtige US-Unternehmer und Milliardär Emanuel Sanusi in „Celsius“ die Grundidee des Cli-Fi-Thrillers als literarisches Genre. Zur „Climate Fiction“, kurz Cli-Fi (in Analogie zu Science-Fiction) kann man die seit einigen Jahren immer häufiger anzutreffenden Bücher zählen, in denen Klima-Dystopien einerseits zum steigenden Grusel der Leserschaft, zum steigenden Umsatz der Verlagsbranche und natürlich zum steigenden Entzücken der Autorinnen und Autoren beitragen – es können ja nicht nur immer die Meeresspiegel steigen. Und andererseits?
Genau das ist die Frage: Ist also eine spannende Geschichte einfach nur eine spannende Geschichte – oder wäre die Cli-Fi-Abteilung unter den Buchstapeln außerdem dazu in der Lage, dem Klimawandel etwas mehr als Suspense abzutrotzen? Naturwissenschaftlich-technische Erkenntnis und gesellschaftliche Verortung zum Beispiel. Ja sogar eine Art Volkspädagogik. Denn das ist der entscheidende Vorteil der Unterhaltungsliteratur: Sie erreicht nun mal mehr Menschen, weil sie das Wissen unterhaltsam und leicht zugänglich verpackt – massenkompatibel.
Dazu müsste „Celsius“, siehe oben, „Emotionen und spannende Geschichten“ erzeugen. Der österreichische Bestsellerautor Marc Elsberg hatte 2012 mit „Blackout“ ein für das Genre bahnbrechendes, glänzend recherchiertes, ungemein spannendes und zugleich enorm erhellendes Buch über die Folgen eines großflächigen Stromausfalls in Europa veröffentlicht – diesmal gelingt ihm das nur zum Teil. Das ist die schlechte Nachricht.
Die gute Nachricht ist, dass sich Elsberg nach mal mehr, mal weniger unterhaltsamen Ausflügen in die Gefilde von Big Data („Zero“), Genetik („Helix“) und Ökonomie („Gier“) sowie Kriegsverbrechen („Der Fall des Präsidenten“) wieder auf seine staunenswerte Fähigkeit verlässt, komplexe Technikaspekte nicht realitätsfern versimpelnd oder fantastisch überzeichnend, sondernd angemessen und eben dadurch thrillertauglich aufzubereiten. Im aktuellen Buch geht es um Geoengineering als großmaßstäblichen Versuch, auf technoide Weise das Klima zu steuern. Weshalb es natürlich auch um Geopolitik geht. Das Setting ist plausibel.
Geoengineering, also das ingeniöse Herumschrauben am Gesamtsystem unseres Planeten, ist umstritten. Manche finden die Vorstellung verlockend, man könnte das Weltklima regulieren mithilfe von Technik – und zwar so, wie man auch das Klima in einem Haus regulieren kann mithilfe von Technik. Andere warnen davor. Was früher die Debatte um die Atomkraft war, wird künftig die Debatte um Geoengineering sein. Das ist die Idee von Elsberg: Wer die Hand am Regler hat in Zeiten des Klimawandels, rettet unter Umständen die Welt (oder auch nicht) – aber er beherrscht die Welt auch. Das ist eine gute Story, denn sie könnte wahr sein.
In diesem Fall geht es darum, dass erst China und schließlich weitere Länder, die vom Klimawandel besonders negativ betroffen sein werden, mithilfe eines gewaltigen Systems von „Klimadrohnen“ und chemischen Substanzen titanische Partikel-Schutzschilde in der Stratosphäre etablieren – um durch weniger Sonneneinstrahlung die Temperatur künstlich zu senken. Die Chinesen nennen ihr Programm „Der Große Sonnenschirm“.
Dagegen positioniert sich („Counter-Geoengineering“) eine Allianz, „eine Gruppe von Staaten des globalen Südens“, darunter etwa Nigeria, Indonesien, Brasilien, Saudi-Arabien, Ägypten, Indien, Bangladesch. Die Allianz nennt ihr Geoengineering-Projekt „Safe Heaven“. Der US-Präsident wird übrigens regelmäßig überrascht von den diversen Drohnenflotten in aller Welt, weil er nicht von seinen eigenen Geheimdiensten rechtzeitig informiert wird. Seine Dienste sind sozusagen außer Dienst oder unterwegs in der Gaming Community, was mit Blick auf die jüngsten Ukraine-Leaks glaubwürdig ist.
Nationen erheben sich, um mithilfe keineswegs absurder, sondern in Technik- und Wissenschaftskreisen ernsthaft diskutierter Geo-Maßnahmen die Erde zu retten – was das Klima gleichzeitig zur Beute und die Rettungskräfte zu Welteroberern macht. Das sorgt im Prinzip für genug Suspense. Drum herum positioniert Marc Elsberg ein Personal, dem man folgen kann: ein Journalist, eine Klimaaktivistin, eine Klimawissenschaftlerin, Diplomaten, Politiker, Unternehmer – und natürlich das Böse. Eine typische Cli-Fi-Zutat ist die Verbindung von persönlichen Schicksalen mit dem im Grunde abstrakten, distanziert bleibenden Zustand des Planeten.
Leider rast man mit dem Buch um die Welt, nach Taipeh, nach Washington, nach Lhasa, nach Berlin, nach Lagos, nach Bonn ... es wird wirklich Zeit für das weltweite 49-Euro-Ticket. Und überall sind Figuren vorzustellen. Manche, wie Bernd in Frankfurt, sind nur dazu da, um von einem Tornado aus dem 23. Stock gesaugt zu werden. Das Buch ist also etwas verwirrend – zumal es passagenweise aus Vor- und Rückblicken besteht sowie aus realen und surrealen Sequenzen.
An den immensen Erfolg von „Blackout“ kann das Buch nicht anknüpfen. Blackout hat mit einfachsten Mitteln gezeigt, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist – und wie wenig zur Barbarei fehlt. Hier nun ist das Weltende näher, aber die Protagonisten bleiben einem etwas fern. Das Verdienst des Cli-Fi-Thrillers „Celsius“ besteht trotzdem darin, den Klimawandel als jenen Thrill zu zeichnen, der sich am Ende als Realität erweist.
Der abstrakte Zustand der Welt,
gespiegelt in den Schicksalen der
Helden – so geht Climate Fiction
Dystopie, wie in Öl gemalt: Ein Wildfeuer in der Provinz Entre Rios, Argentinien – in einer eigentlich wasserreichen Gegend, dem Flussdelta des Paraná.
Foto: Afp
Marc Elsberg:
C - Celsius: Thriller.
Blanvalet, München 2023, 605 Seiten, 26 Euro.
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