Seine Werke schmücken die großen Museen weltweit: der Maler Camille Pissarro (1830-1903) war einer der Begründer der seinerzeit revolutionären französischen Malschule, die sich gegen die Sehkonventionen der akademisch-realistischen Malerei wandte. Er war eng befreundet mit Monet und Renoir, Mary Cassatt und Berthe Morisot, Unterstützer von Cézanne, Gauguin und van Gogh und wurde als der Älteste der Gruppe von seinen Freunden liebevoll »Vater des Impressionismus« genannt. Und doch fühlte er sich zeitlebens auch als Außenseiter in der Künstlerszene. Auf einer Antilleninsel in eine jüdische Kaufmannsfamilie geboren, prädestinierte den jungen Mann nichts dazu, Maler zu werden.
Die Kunstkennerin und Historikerin Anka Muhlstein zeichnet ein facettenreiches, intimes Porträt dieses unabhängigen Geistes und großen Malers.
Pissarros berühmte Stadtbilder von Paris, seine Bilder der Landschaft um den Ort Pontoise bei Paris, wo er mit seiner Familie lebte, seine neuartigen Porträts von Frauen und Männern bei der Arbeit auf dem Feld: all das erscheint mit Kenntnis von Pissarros Lebensweg und unermüdlichem Kampf für die Anerkennung seiner Kunstauffassung in neuem Licht. Dabei stützt sich die Biografin unter anderem auf Pissarros umfangreiche, sehr persönliche Briefwechsel mit Malerkollegen und mit seinen Söhnen, die ebenfalls Maler wurden. So wurde der Vater des Impressionismus auch zum Patriarchen einer Künstlerfamilie.
Die Kunstkennerin und Historikerin Anka Muhlstein zeichnet ein facettenreiches, intimes Porträt dieses unabhängigen Geistes und großen Malers.
Pissarros berühmte Stadtbilder von Paris, seine Bilder der Landschaft um den Ort Pontoise bei Paris, wo er mit seiner Familie lebte, seine neuartigen Porträts von Frauen und Männern bei der Arbeit auf dem Feld: all das erscheint mit Kenntnis von Pissarros Lebensweg und unermüdlichem Kampf für die Anerkennung seiner Kunstauffassung in neuem Licht. Dabei stützt sich die Biografin unter anderem auf Pissarros umfangreiche, sehr persönliche Briefwechsel mit Malerkollegen und mit seinen Söhnen, die ebenfalls Maler wurden. So wurde der Vater des Impressionismus auch zum Patriarchen einer Künstlerfamilie.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Thorsten Jantschek lernt viel über Camille Pissarros Leben und Werk aus Anka Muhlsteins Buch. Pissarro stand, zeichnet Jantschek mit Muhlstein nach, im Zentrum der Gruppe der Impressionisten, die die französische Kunstwelt des 19. Jahrhunderts mit ihrer Alltagsmalerei schockierten, heute jedoch mit Blockbusterausstellungen gefeiert werden. Muhlstein zeichnet, so der Rezensent nach der Lektüre, das Leben eines Mannes nach, der, als Kind jüdischer Eltern geboren, aus dem Familienbetrieb aussteigt und sich fortan der Malerei widmet, insbesondere in Form von Serien von Straßenmotiven. Auch über die lange Zeit prekären ökonomischen Verhältnisse, in der Pissarro und seine Familie lebten, erfährt Jantschek von Muhlstein viel, wie auch über die Rolle, die der Kunsthändler Paul Durand-Ruel im Leben des Künstlers spielte. Insgesamt ein Buch, schließt Jantschek, das Lust auf die nächste Impressionisten-Ausstellung macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2024Der Erfolg kam erst spät
Das Werk der beliebtesten Impressionisten wie Claude Monet, Edgar Degas oder Auguste Renoir lässt sich ad hoc erkennen. Camille Pissarro hingegen gehört - neben Paul Cézanne oder Alfred Sisley - zu den schwerer zugänglichen impressionistischen Malern. Er interessierte sich für Alltagsszenen, für die einfachen Leute, das Landleben und die von Menschenhand bestellte Natur. Im Spätwerk faszinierte ihn der schon damals hektische Verkehr mit anonymen Menschenmengen auf Pariser Boulevards. Cézanne bezeichnete den 1830 geborenen und 1903 gestorbenen Pissarro als den "ersten Impressionisten" und fügte als neun Jahre jüngerer Malerkollege hinzu: "Vielleicht kommen wir alle von Pissarro her."
Pissarro war der Älteste in dieser heterogenen Malergruppe, die ab Mitte der Sechzigerjahre des neunzehnten Jahrhunderts vor allem eines verband: mit den starren Regeln, die eine akademische Jury im unumgänglichen Pariser "Salon" und damit im Kunstmarkt herrschen ließ, brechen zu wollen. Der neuen Generation ging es darum, die Malerei zu revolutionieren, sie im "Pleinair" zu befreien und sie nicht historischen, mythologischen oder idealisierten Themen zu widmen, dabei den momentanen Eindruck, die subjektive Impression, das Licht festzuhalten. Im Gefolge der ersten Freiluftmaler von Barbizon wie Jean-François Millet oder Camille Corot, aber auch von William Turner und dem politisch engagierten, realistischen Maler Gustave Courbet entwickelten sie eine neue Malerei.
Pissarro stammte aus einer jüdischen Familie, die vor der Inquisition aus Portugal nach Frankreich geflüchtet war. Sein Vater betrieb eine Handelsfirma auf der damals dänischen Insel Saint Thomas, die heute zu den Amerikanischen Jungferninseln gehört. Der junge Pissarro wurde nach Paris aufs Internat geschickt. In den väterlichen Betrieb wollte er schließlich nicht eintreten, selbst als die Familie 1857 zurück nach Paris zog. Aus diesem Jahr stammt ein Selbstporträt mit herausforderndem Blick, mit dem sich Pissarro definitiv für die Malerlaufbahn entschied. Der deutsche Verlag hat es für den Umschlag der jetzt erschienenen Biographie von Anka Muhlstein verwendet. Die Biographie der französischen, aber lange Jahre schon in New York lebenden Historikerin bietet zwar einen Anhang mit Gemälden und Fotografien. Aber eine Darstellung und Verortung von Pissarros malerischer Entwicklung ist nicht ihr Ziel.
In der Malschule "Académie Suisse" begegnete Pissarro 1859 Claude Monet und Paul Cézanne. Der Name für die junge Maler-Generation, die sich im Café Guerbois am Fuß vom Montmartre traf, um über Kunst und Politik zu diskutieren, setzte sich allerdings erst nach einer Gruppenausstellung im Jahr 1874 allmählich durch. Monet hatte ein Seestück mit "Eindruck (Impression), aufgehende Sonne" betitelt. Daraufhin höhnte der Journalist Louis Leroy, dass Monets Gemälde eine "komische Impression" in ihm hervorrufe, und überschrieb seine bissig-ironische Kritik mit "Die Ausstellung der Impressionisten".
Hundertfünfzig Jahre später erscheint es kaum nachvollziehbar, auf welch vehemente Kritik und Ablehnung der neue Malstil über Jahrzehnte hinweg stieß. "Von der Kühnheit zu malen" lautet entsprechend der Untertitel von Anka Muhlsteins Biographie. Die Autorin bezieht sich nur zum Teil auf die Biographie von Ralph Shikes und Paula Harper, die 1981 auch auf Deutsch erschien. Als Quelle dient ihr vor allem der im gleichen Jahr erschienene reiche Briefwechsel, den Pissarro etwa mit Malerkollegen, seinem lebenslangen Händler Paul Durand-Ruel oder, unter den sieben Kindern, vor allem mit dem ältesten Sohn Lucien unterhielt.
Mit diesen persönlichen Zeugnissen zeichnet Muhlstein ein Bild des feinfühligen, ausgeglichenen und moralisch aufrechten Mannes, den man bei der Lektüre zutiefst schätzen lernt. Sein liebenswürdiges, geselliges Wesen, aber auch pädagogisches Verständnis machten ihn zu einer Mittlerfigur der uneinheitlichen Impressionisten-Gruppe. Mit Cézanne oder dem engen Freund Monet arbeitete er im Freien Seite an Seite, gemeinsam mit Degas und Mary Cassatt interessierte er sich für Drucktechniken. Mit Renoir und Monet teilte er wiederum über viele Jahre hinweg eine schwer zu ertragende Armut.
Für Pissarro kam der Durchbruch erst, als er schon über sechzig Jahre alt war. In diesem finanziellen Überlebenskampf stellte sich stets die Frage, wie weit die Bereitschaft zu Kompromissen reichen sollte, um Bilder zu verkaufen. Pissarro lebte mit seiner Familie meist auf dem Land - in Pontoise und Louveciennes bei Paris, dann in Éragny in der Nähe von Claude Monets Giverny -, reiste aber regelmäßig nach Paris, um Kontakte zu Malerfreunden und Händlern zu pflegen. Atheist mit sozialistischen bis anarchistischen Überzeugungen, widersetzte er sich dem Antisemitismus, der in der Dreyfus-Affäre zum Ausdruck kam.
Sechs seiner sieben Kinder wurden unter Pissarros Anleitung selbst zu Künstlern. Auch das in vielen schweren Lebenslagen sich bewährende Verhältnis zu seiner Frau Julie - sie war einst das Dienstmädchen der Mutter, in den Augen der Familie also eine unverzeihliche Mesalliance -, zeigt den Maler als einnehmenden Mann. BETTINA WOHLFARTH
Anka Muhlstein: "Camille Pissarro oder
Von der Kühnheit zu
malen".
Aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann. Insel Verlag, Berlin 2024. 301 S., Abb., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Das Werk der beliebtesten Impressionisten wie Claude Monet, Edgar Degas oder Auguste Renoir lässt sich ad hoc erkennen. Camille Pissarro hingegen gehört - neben Paul Cézanne oder Alfred Sisley - zu den schwerer zugänglichen impressionistischen Malern. Er interessierte sich für Alltagsszenen, für die einfachen Leute, das Landleben und die von Menschenhand bestellte Natur. Im Spätwerk faszinierte ihn der schon damals hektische Verkehr mit anonymen Menschenmengen auf Pariser Boulevards. Cézanne bezeichnete den 1830 geborenen und 1903 gestorbenen Pissarro als den "ersten Impressionisten" und fügte als neun Jahre jüngerer Malerkollege hinzu: "Vielleicht kommen wir alle von Pissarro her."
Pissarro war der Älteste in dieser heterogenen Malergruppe, die ab Mitte der Sechzigerjahre des neunzehnten Jahrhunderts vor allem eines verband: mit den starren Regeln, die eine akademische Jury im unumgänglichen Pariser "Salon" und damit im Kunstmarkt herrschen ließ, brechen zu wollen. Der neuen Generation ging es darum, die Malerei zu revolutionieren, sie im "Pleinair" zu befreien und sie nicht historischen, mythologischen oder idealisierten Themen zu widmen, dabei den momentanen Eindruck, die subjektive Impression, das Licht festzuhalten. Im Gefolge der ersten Freiluftmaler von Barbizon wie Jean-François Millet oder Camille Corot, aber auch von William Turner und dem politisch engagierten, realistischen Maler Gustave Courbet entwickelten sie eine neue Malerei.
Pissarro stammte aus einer jüdischen Familie, die vor der Inquisition aus Portugal nach Frankreich geflüchtet war. Sein Vater betrieb eine Handelsfirma auf der damals dänischen Insel Saint Thomas, die heute zu den Amerikanischen Jungferninseln gehört. Der junge Pissarro wurde nach Paris aufs Internat geschickt. In den väterlichen Betrieb wollte er schließlich nicht eintreten, selbst als die Familie 1857 zurück nach Paris zog. Aus diesem Jahr stammt ein Selbstporträt mit herausforderndem Blick, mit dem sich Pissarro definitiv für die Malerlaufbahn entschied. Der deutsche Verlag hat es für den Umschlag der jetzt erschienenen Biographie von Anka Muhlstein verwendet. Die Biographie der französischen, aber lange Jahre schon in New York lebenden Historikerin bietet zwar einen Anhang mit Gemälden und Fotografien. Aber eine Darstellung und Verortung von Pissarros malerischer Entwicklung ist nicht ihr Ziel.
In der Malschule "Académie Suisse" begegnete Pissarro 1859 Claude Monet und Paul Cézanne. Der Name für die junge Maler-Generation, die sich im Café Guerbois am Fuß vom Montmartre traf, um über Kunst und Politik zu diskutieren, setzte sich allerdings erst nach einer Gruppenausstellung im Jahr 1874 allmählich durch. Monet hatte ein Seestück mit "Eindruck (Impression), aufgehende Sonne" betitelt. Daraufhin höhnte der Journalist Louis Leroy, dass Monets Gemälde eine "komische Impression" in ihm hervorrufe, und überschrieb seine bissig-ironische Kritik mit "Die Ausstellung der Impressionisten".
Hundertfünfzig Jahre später erscheint es kaum nachvollziehbar, auf welch vehemente Kritik und Ablehnung der neue Malstil über Jahrzehnte hinweg stieß. "Von der Kühnheit zu malen" lautet entsprechend der Untertitel von Anka Muhlsteins Biographie. Die Autorin bezieht sich nur zum Teil auf die Biographie von Ralph Shikes und Paula Harper, die 1981 auch auf Deutsch erschien. Als Quelle dient ihr vor allem der im gleichen Jahr erschienene reiche Briefwechsel, den Pissarro etwa mit Malerkollegen, seinem lebenslangen Händler Paul Durand-Ruel oder, unter den sieben Kindern, vor allem mit dem ältesten Sohn Lucien unterhielt.
Mit diesen persönlichen Zeugnissen zeichnet Muhlstein ein Bild des feinfühligen, ausgeglichenen und moralisch aufrechten Mannes, den man bei der Lektüre zutiefst schätzen lernt. Sein liebenswürdiges, geselliges Wesen, aber auch pädagogisches Verständnis machten ihn zu einer Mittlerfigur der uneinheitlichen Impressionisten-Gruppe. Mit Cézanne oder dem engen Freund Monet arbeitete er im Freien Seite an Seite, gemeinsam mit Degas und Mary Cassatt interessierte er sich für Drucktechniken. Mit Renoir und Monet teilte er wiederum über viele Jahre hinweg eine schwer zu ertragende Armut.
Für Pissarro kam der Durchbruch erst, als er schon über sechzig Jahre alt war. In diesem finanziellen Überlebenskampf stellte sich stets die Frage, wie weit die Bereitschaft zu Kompromissen reichen sollte, um Bilder zu verkaufen. Pissarro lebte mit seiner Familie meist auf dem Land - in Pontoise und Louveciennes bei Paris, dann in Éragny in der Nähe von Claude Monets Giverny -, reiste aber regelmäßig nach Paris, um Kontakte zu Malerfreunden und Händlern zu pflegen. Atheist mit sozialistischen bis anarchistischen Überzeugungen, widersetzte er sich dem Antisemitismus, der in der Dreyfus-Affäre zum Ausdruck kam.
Sechs seiner sieben Kinder wurden unter Pissarros Anleitung selbst zu Künstlern. Auch das in vielen schweren Lebenslagen sich bewährende Verhältnis zu seiner Frau Julie - sie war einst das Dienstmädchen der Mutter, in den Augen der Familie also eine unverzeihliche Mesalliance -, zeigt den Maler als einnehmenden Mann. BETTINA WOHLFARTH
Anka Muhlstein: "Camille Pissarro oder
Von der Kühnheit zu
malen".
Aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann. Insel Verlag, Berlin 2024. 301 S., Abb., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
»... eine höchst lesenswerte Biografie auf der Basis [von Pissarros] umfangreichen Korrespondenz.« Manfred Papst NZZ am Sonntag 20240630