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Alois Brandstetter sorgt für Aufklärung in der Liebe
Von Daniela Strigl
Das konnte ein lange Jahre in Klagenfurt tätiger Altgermanist, nebstbei einer der gewitztesten und witzigsten Schriftsteller Österreichs, sich nicht entgehen lassen: Anno 1791 schrieb die Klagenfurterin Maria von Herbert dem berühmten Professor Kant einen Brief. Ihr Anliegen war ein, sagen wir, lebensphilosophisches: Das Mädchen, Tochter eines kinderreichen Bleiweißfabrikanten, hatte Liebeskummer. Maria von Herbert hatte ihren Freund oder Bräutigam hintergangen und suchte nun Rat beim Herrn Professor in Königsberg, den sie mit einigem Pathos anging: "Großer Cant, zu dir rufe ich wie ein Gläubiger zu seinem Gotte um Hülfe, um Trost, oder um Bescheid zum Tode."
Kant, damals achtundsechzig und bekanntlich unbeweibt, verfasste sogar eine recht ausführliche Antwort, in der er die junge Frau schonungslos über die moralische Verwerflichkeit der Lüge aufklärte, sie gleichwohl davor warnte, über ihrer "Reue zu brüten" und sich durch fortdauernde, auf die Vergangenheit fixierte Selbstpeinigung "für das Leben unnütze zu machen". Dieser Entwurf wurde freilich nicht abgeschickt, vielleicht aber doch ein anderer, denn zwei Jahre später schreibt Fräulein von Herbert einen zweiten Brief, in dem sie ihren Besuch ankündigt.
Diese drei Originaldokumente bilden das Ferment für Alois Brandstetters kunstvoll vertracktes Romantraktat. Nicht Kant persönlich schreibt hier einen elendslangen Brief an die arme Seele in Kärnten, sondern sein Amanuensis, also eigentlich Handlanger, den Brandstetter zu diesem Zweck zu erfinden genötigt war. Dieses extrem mitteilsame Sekretärs-Ich, das sich einer streng historischen Orthographie befleißigt, hat die Gewohnheit, sämtliche Fachbegriffe und Fremdwörter in beigefügten deutschen Klammerausdrücken zu erklären, ein eleganter Kniff, der es dem Autor erlaubt, den Bildungsgrad seiner Leserschaft nicht allzu hoch einzuschätzen, ohne diese zu beleidigen.
Alois Brandstetter verpackt hier hübsch und sicher so manch gefährdetes Bildungsgut, wie Kants - allerdings erst später entstandene - "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht", ein Buch, über das Goethe in einem hier zitierten Brief an den Weimarer Hofbeamten Voigt schrieb, man solle es nur im Frühjahr lesen, "wenn die Bäume blühen, um von außen ein Gleichgewicht gegen das Untröstliche zu haben, das durch den größten Teil des Buches herrscht, . . . denn von der Vernunfthöhe herunter sieht das Leben wie eine böse Krankheit und die Welt einem Tollhaus gleich". Goethe, der Kant nicht zuletzt wegen dessen Haltung gegenüber dem schönen Geschlecht "bornirt" und "illiberal" nennt, wird hier vom natürlich parteiischen Sekretär als moralisch haltloser Widerpart aufgebaut.
Brandstetters vergnüglich lehrreiche Abhandlung lotet den Abgrund zwischen der Weimarer und der österreichischen Klassik (namentlich Franz Grillparzer) aus. Klagenfurt ist als Beobachtungsposten in Verruf geraten: "War es nicht ein Kärnthner Landverweser und Statthalter in Karanthanien, der die österreichische ,Nation' eine ,ideologische Mißgeburth' genennet hat, wie es als Dictum (Sage) bis hierher gedrungen ist?" Von Kant zu Haider - für Brandstetter nur ein Sidestep. Damals indes, im Lichte der Aufklärung, war es Maria von Herberts Bruder Franz Paul, der als Haupt des Klagenfurter Herbert-Kreises Kants Ideen propagierte und den Kontakt zu Schiller und Pestalozzi pflegte.
"Cant läßt grüßen", er tritt nicht leibhaftig auf und ist doch omnipräsent; Brandstetters Titel - "Zu Lasten der Briefträger", "Über den grünen Klee der Kindheit" oder "Hier kocht der Wirt" - waren immer schon brillant. Bei all dem lustigen hin- und herhüpfen zwischen den Geistesgrößen des achtzehnten Jahrhunderts und den Helden unseres Medienzeitalters kommt der Autor um die Fakten nicht herum: Verbürgt ist Maria von Herberts Selbstmord im Jahr 1803, ihr Bruder nahm sich acht Jahre später das Leben.
Der Rest ist in diesem Buch mitnichten Schweigen, "der Rest ist Paraphrase und Circumloquium (Herumreden)!" Man muss schon zugeben, dass der pädagogische Mitteilungsdrang des Briefschreibers mitunter gehörig nervt. Wer weder ein Faible für das goldene Zeitalter der Aufklärung hat noch für den Charme altmodischer - postmoderner? - literarischer Camouflage empfänglich ist, der wird mit Brandstetters selbstverliebtem Durchschnittsdenker allzu oft auf der Stelle treten. Leuten, die Liebeskummer haben, ist mit diesem Buch jedenfalls wenig geholfen.
Alois Brandstetter: "Cant läßt grüßen". Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2009. 235 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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