Eine junge Frau, die von ihren besten Freunden Catt genannt wird, verdient in Ostberlin als Taxifahrerin ihr Geld. Das Taxifahren ist nur ein notwendiger Job. Catt ist eine Schriftstellerin, die die Erfahrungen ihres Arbeitsalltags und ihrer persönlichen Beziehungen einerseits in ausgearbeiteten Prosaskizzen, andererseits in bloßen Arbeitsnotizen festhält. Catt ist auf der Suche nach ihrer Freundin Janina, die plötzlich verschwunden ist. Janina war Assistentin am Kunsthistorischen Institut der Universität. Die Nachforschungen über Janinas Verbleib zeichnet Catt mit dem literarischen Anspruch auf, Janinas Geschichte zu schreiben - so entsteht eine Geschichte in der Geschichte. Krista Maria Schädlich hat zusammen mit Hans Joachim Schädlich die Catt-Geschichte rekonstruiert - aus dem Konvolut, das seit Jahren im Deutschen Literaturarchiv Marbach liegt, sowie anhand der Korrespondenz von Hans Joachim Schädlich mit dem Hinstorff Verlag in den Jahren 1971 bis 1976 ergänzt. In ihrem Nachwort erzählt sie die Geschichte des Romanfragments, erklärt, warum der Text nicht erscheinen konnte und Fragment blieb, und beschreibt zugleich die privaten ost-westdeutschen Schriftstellertreffen, an denen zwischen 1974 und 1977 über 40 Autoren teilnahmen, u. a. Bernd Jentzsch, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Günter Grass, Uwe Johnson, Nicolas Born und die Schädlichs. So erzählt das Nachwort zugleich von der Geschichte des nicht-offiziellen literarischen Diskurses in der DDR.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Cornelia Geißler schätzt die Reduktion bei Hans Joachim Schädlich, das Ablegen allen Beiwerks der Sprache. Das anlässlich des 80. Geburtstags des Autors erscheinende Fragment besticht laut Geißler durch ein hohes Sprachbewusstsein, das Identitäten gern im Unklaren belässt. Die Geschichte der Ost-Berliner Taxifahrerin Catt interpretiert die Rezensentin als Darstellung eines unsteten Lebens im Land der Ordnung. Der Band erfreut Geissler mit "feiner" Ausstattung und einem Nachwort, das die Schwierigkeiten der Veröffentlichung des Textes 1973 offenbart.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2015Irreführung der Sprachbehörden
Hans Joachim Schädlich wird achtzig - das frühe Fragment "Catt" über eine Frau in Ost-Berlin zeigt schon seinen minimalistischen Stil und führt zur Quelle seines Schreibens
Pünktlich zum achtzigsten Geburtstag, den Hans Joachim Schädlich heute feiert, erscheint ein Buch von ihm, das an die Anfänge seines Schreibens erinnert. Nicht, dass es mit diesem Zweck schon geschrieben wurde, als Schädlich 1973 noch in der DDR lebte. "Catt", so sein Titel, sollte kein Erinnerungsbuch sein, und seinem Inhalt nach ist es das auch nicht. Aber weil der rund sechzig Seiten umfassende Text unvollendet geblieben ist und lange Jahre in Schädlichs Unterlagen verschwand, die eines Tages als Vorlass ins Literaturarchiv nach Marbach gingen, geriet er in Vergessenheit. Und nun, gut vierzig Jahre nach seinem Entstehen und fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall, lässt er sich eben sehr gut als ein solches Zeitzeugnis lesen.
Er zeugt davon, dass Hans Joachim Schädlich - kaum überraschend - von Anfang an diesen einzigartigen Ton anschlug, der später oft als meisterhafter Lakonismus gepriesen wurde und im Grunde auf einem tiefen Respekt für die einzelnen Wörter beruht. Man meint beim Lesen immer, den Linguisten vor sich zu sehen, der Schädlich zu Beginn seiner Karriere war, als er nach einer Promotion über die "Phonologie des Vogtländischen" an die Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften kam und dort als Assistent in der Linguistik arbeitete. Bei all der Reduktion, welche die Geschichte von "Catt" auszeichnet, meint man auch zu verstehen, was Schädlich meinte, als er es später einmal als seine Vorliebe bezeichnete, "Wörterbücher und sogar Lexika wie fortlaufende Texte zu lesen": Schädlich nimmt jedes einzelne Wort ernst. Und weil er die Worte sehr wohlüberlegt plaziert, ihnen auf diese Weise Zeit und Raum verschafft und jedem davon Verantwortung aufbürdet für das Entstehen einer erzählerischen Dramaturgie, braucht er nicht viele. "Die linke Hand umschließt die Türklinke, ungefähr zwanzig Zentimeter über der umschlossenen Klinke anklopfen, anklopfen, anklopfen, den Kopf geneigt, das rechte Ohr der Tür zugewandt." So klingt Schädlichs Minimal Art schon in dem Fragment gebliebenen "Catt". Es geht in diesem Text um eine Frau dieses Namens, die in Ost-Berlin als Taxifahrerin ihr Geld verdient und sich auf die Suche nach ihrer verschwundenen Freundin Janina begibt. Janina hatte einen Geliebten in West-Berlin. Im Laufe der Suche gerät Catt an Behördenvertreter, denen dieser Geliebte aus naheliegenden politischen Gründen ein Dorn im Auge war, und damit gerät auch die Erzählung in jenes Zwischenreich, das Hans Joachim Schädlich später immer wieder ausgeleuchtet hat: In dem Erzählungsband "Versuchte Nähe", der 1977 bei Rowohlt in Reinbek bei Hamburg erschien, weil Schädlich in der DDR keinen Verleger fand, in der Geschichte des Spitzels "Tallover" (1986), der Erzählung "Die Sache mit B.", in der er 1992 die Bespitzelung durch den eigenen Bruder verarbeitete, dem Roman "Kokoschkins Reise" (2010) und auch in der Novelle "Sire, ich eile" (2012) ging es ihm immer wieder um das Verhältnis von persönlichen Lebens- und politischen Zeitläuften, um die Verführbarkeit durch die Macht und die Widerstandsmöglichkeiten des Einzelnen. "Catt" macht nun noch einmal deutlich, auf welche frühen persönlichen Erfahrungen dieses Lebensthema von Schädlich zurückgeht. Auch das ausführliche Nachwort, das Krista Maria Schädlich dem Text angefügt hat, ist in diesem Sinne lesenswert.
Denn Frau Schädlich, die zur Entstehungszeit von "Catt" noch mit Herrn Schädlich verheiratet war, zitiert vor allem aus der Korrespondenz ihres damaligen Mannes mit dem potentiellen Rostocker Hinstorff Verlag auf eine Weise, die deutlich macht, wie sehr die Lektoren versuchten, den Autor aus seinem Zwischenreich hinaus und auf ihre vermeintlich sichere Seite zu ziehen. Dass dies nicht gelang, so legt das Nachwort nahe, ist dabei nicht zuletzt auch jenen Treffen zuzuschreiben, die zwischen 1974 und 1977 in Ost-Berlin west- und ostdeutsche Schriftsteller wie Günter Grass, Uwe Johnson, Sarah Kirsch, Nicolas Born und Christa Wolf zusammenbrachten und bei denen Hans-Joachim Schädlich zum ersten Mal vor einer kritischen und anerkennenden kleinen Öffentlichkeit las. "Mit der Ermutigung und Bestätigung durch die Schriftstellertreffen änderte sich auch der Ton der Briefe, die mit dem Hinstorff Verlag gewechselt wurden", schreibt Krista Maria Schädlich. Sie haben also mit dazu beigetragen, dass der Schriftsteller nicht einwilligte, mit den Lektoren über das von ihnen vorgeschlagene "Machbare" zu reden, sondern dass er bis zu seiner Ausreise 1977 und natürlich auch danach bei seinem Eigenen blieb: einer Prosa, die mit großer sprachlicher Klarheit ein Licht ins Dunkel aus Korrumpierbarkeit und Verrat zu bringen versteht.
LENA BOPP.
Hans Joachim Schädlich: "Catt". Ein Fragment. Hrsg. und mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich.
Verbrecher Verlag, Berlin 2015. 103 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hans Joachim Schädlich wird achtzig - das frühe Fragment "Catt" über eine Frau in Ost-Berlin zeigt schon seinen minimalistischen Stil und führt zur Quelle seines Schreibens
Pünktlich zum achtzigsten Geburtstag, den Hans Joachim Schädlich heute feiert, erscheint ein Buch von ihm, das an die Anfänge seines Schreibens erinnert. Nicht, dass es mit diesem Zweck schon geschrieben wurde, als Schädlich 1973 noch in der DDR lebte. "Catt", so sein Titel, sollte kein Erinnerungsbuch sein, und seinem Inhalt nach ist es das auch nicht. Aber weil der rund sechzig Seiten umfassende Text unvollendet geblieben ist und lange Jahre in Schädlichs Unterlagen verschwand, die eines Tages als Vorlass ins Literaturarchiv nach Marbach gingen, geriet er in Vergessenheit. Und nun, gut vierzig Jahre nach seinem Entstehen und fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall, lässt er sich eben sehr gut als ein solches Zeitzeugnis lesen.
Er zeugt davon, dass Hans Joachim Schädlich - kaum überraschend - von Anfang an diesen einzigartigen Ton anschlug, der später oft als meisterhafter Lakonismus gepriesen wurde und im Grunde auf einem tiefen Respekt für die einzelnen Wörter beruht. Man meint beim Lesen immer, den Linguisten vor sich zu sehen, der Schädlich zu Beginn seiner Karriere war, als er nach einer Promotion über die "Phonologie des Vogtländischen" an die Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften kam und dort als Assistent in der Linguistik arbeitete. Bei all der Reduktion, welche die Geschichte von "Catt" auszeichnet, meint man auch zu verstehen, was Schädlich meinte, als er es später einmal als seine Vorliebe bezeichnete, "Wörterbücher und sogar Lexika wie fortlaufende Texte zu lesen": Schädlich nimmt jedes einzelne Wort ernst. Und weil er die Worte sehr wohlüberlegt plaziert, ihnen auf diese Weise Zeit und Raum verschafft und jedem davon Verantwortung aufbürdet für das Entstehen einer erzählerischen Dramaturgie, braucht er nicht viele. "Die linke Hand umschließt die Türklinke, ungefähr zwanzig Zentimeter über der umschlossenen Klinke anklopfen, anklopfen, anklopfen, den Kopf geneigt, das rechte Ohr der Tür zugewandt." So klingt Schädlichs Minimal Art schon in dem Fragment gebliebenen "Catt". Es geht in diesem Text um eine Frau dieses Namens, die in Ost-Berlin als Taxifahrerin ihr Geld verdient und sich auf die Suche nach ihrer verschwundenen Freundin Janina begibt. Janina hatte einen Geliebten in West-Berlin. Im Laufe der Suche gerät Catt an Behördenvertreter, denen dieser Geliebte aus naheliegenden politischen Gründen ein Dorn im Auge war, und damit gerät auch die Erzählung in jenes Zwischenreich, das Hans Joachim Schädlich später immer wieder ausgeleuchtet hat: In dem Erzählungsband "Versuchte Nähe", der 1977 bei Rowohlt in Reinbek bei Hamburg erschien, weil Schädlich in der DDR keinen Verleger fand, in der Geschichte des Spitzels "Tallover" (1986), der Erzählung "Die Sache mit B.", in der er 1992 die Bespitzelung durch den eigenen Bruder verarbeitete, dem Roman "Kokoschkins Reise" (2010) und auch in der Novelle "Sire, ich eile" (2012) ging es ihm immer wieder um das Verhältnis von persönlichen Lebens- und politischen Zeitläuften, um die Verführbarkeit durch die Macht und die Widerstandsmöglichkeiten des Einzelnen. "Catt" macht nun noch einmal deutlich, auf welche frühen persönlichen Erfahrungen dieses Lebensthema von Schädlich zurückgeht. Auch das ausführliche Nachwort, das Krista Maria Schädlich dem Text angefügt hat, ist in diesem Sinne lesenswert.
Denn Frau Schädlich, die zur Entstehungszeit von "Catt" noch mit Herrn Schädlich verheiratet war, zitiert vor allem aus der Korrespondenz ihres damaligen Mannes mit dem potentiellen Rostocker Hinstorff Verlag auf eine Weise, die deutlich macht, wie sehr die Lektoren versuchten, den Autor aus seinem Zwischenreich hinaus und auf ihre vermeintlich sichere Seite zu ziehen. Dass dies nicht gelang, so legt das Nachwort nahe, ist dabei nicht zuletzt auch jenen Treffen zuzuschreiben, die zwischen 1974 und 1977 in Ost-Berlin west- und ostdeutsche Schriftsteller wie Günter Grass, Uwe Johnson, Sarah Kirsch, Nicolas Born und Christa Wolf zusammenbrachten und bei denen Hans-Joachim Schädlich zum ersten Mal vor einer kritischen und anerkennenden kleinen Öffentlichkeit las. "Mit der Ermutigung und Bestätigung durch die Schriftstellertreffen änderte sich auch der Ton der Briefe, die mit dem Hinstorff Verlag gewechselt wurden", schreibt Krista Maria Schädlich. Sie haben also mit dazu beigetragen, dass der Schriftsteller nicht einwilligte, mit den Lektoren über das von ihnen vorgeschlagene "Machbare" zu reden, sondern dass er bis zu seiner Ausreise 1977 und natürlich auch danach bei seinem Eigenen blieb: einer Prosa, die mit großer sprachlicher Klarheit ein Licht ins Dunkel aus Korrumpierbarkeit und Verrat zu bringen versteht.
LENA BOPP.
Hans Joachim Schädlich: "Catt". Ein Fragment. Hrsg. und mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich.
Verbrecher Verlag, Berlin 2015. 103 S., geb., 19,- [Euro].
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