Adelbert von Chamisso war ein Wanderer zwischen den Welten. Ein Spätberufener, ein Vielbegabter, ein Vorausschauer und Sinnsucher. Er wurde berühmt als Autor von „Peter Schlemihl“, er wurde berühmt als Weltumsegler, er wurde berühmt als Botaniker, Linguist und Naturforscher und doch dauerte es sehr
lange, bis er seinen eigenen Weg fand. Ein ereignisreiches Leben, das als Sohn eines Adeligen in der…mehrAdelbert von Chamisso war ein Wanderer zwischen den Welten. Ein Spätberufener, ein Vielbegabter, ein Vorausschauer und Sinnsucher. Er wurde berühmt als Autor von „Peter Schlemihl“, er wurde berühmt als Weltumsegler, er wurde berühmt als Botaniker, Linguist und Naturforscher und doch dauerte es sehr lange, bis er seinen eigenen Weg fand. Ein ereignisreiches Leben, das als Sohn eines Adeligen in der Französischen Revolution begann und kurz vor der Revolution in Berlin endete.
Sebastian Guhr hat Chamissos Biografie in eine romanhafte Form gebracht, nah an den tatsächlichen Ereignissen, meist gut recherchiert und mit lebendigen Details und klugen Ausschmückungen ergänzt. Er beschreibt Adelbert als einen Menschen, der lange auf der Suche nach seiner eigentlichen Bestimmung ist, aber vor allem dem Neuen gegenüber stets offenbleibt. Erst nach seiner Weltreise, da ist er 37, gründet er eine Familie, nachdem er sich seine gesamte Jugend und frühe Erwachsenenzeit durch Deutschland und die Schweiz treiben ließ. Vieles von dem, was ihm widerfuhr, war dem Zufall geschuldet, aber Chamisso war ein Meister darin, im Zufall auch die Chance zu ergreifen. Als verarmtem französischen Adeligen war ihm in Deutschland kein goldenes Leben vorherbestimmt, aber er probiert sich in allem aus, was ihn interessiert, unabhängig davon, ob es ihm Geld einbrachte oder nicht. Eine sehr moderne Strategie, irgendwann sein Glück zu finden.
Sebastian Guhr schreibt chronologisch linear, immer aus der Sicht Chamissos, wodurch seine Absichten und Gedanken zwar nachvollziehbar und klar werden, aber die Veränderungen in seinem Umfeld nur durch die eigene Beobachtung geschildert werden können. Es liest sich ein bisschen wie eine Autobiografie aus der Er-Perspektive, was das Risiko birgt, eintönig zu werden, hier allerdings durch den lebendig beschriebenen Hintergrund relativiert wird. Guhr gelingt es, die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, mit denen Chamisso in Berührung kommt, zwar in modernen Dialogen, aber im Geist des frühen Bürgertums zu schildern, das sich dann in der Restauration nach 1815 mehr oder weniger ins Private zurückzieht.
Dennoch ist Guhrs Chamisso keine reale Person, sondern letztlich ein Romanheld, was spätestens in der Schlussszene klar wird: Hier fährt Chamisso auf der Jungfernfahrt der Eisenbahn Leipzig-Dresden zu einer Preisverleihung und die Bahn (die erste Fernverbindung Deutschlands!) wird zum Symbol für Adelberts Zukunftsglauben und Aufgeschlossenheit dem Neuen gegenüber. In der Realität wurde diese Strecke aber erst zwei Jahre nach Chamissos Tod eingeweiht. Da die historische Kulisse ansonsten gesellschaftlich und historisch sehr präzise gezeichnet wird, bin ich nicht sicher, ob dies der dichterischen Freiheit oder einem üblen Recherchefehler geschuldet ist. Biografisch bin ich zu Chamisso leider nicht genügend sattelfest, um eine abschließende Wertung über die „Wahrheit“ in diesem Roman abzugeben. Alleine, dass ich daran jetzt Zweifel hege, hat mir zum Schluss ein wenig das ansonsten große Lesevergnügen verhagelt. Denn schreiben kann Sebastian Guhr, das steht außer Frage.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)