Humans have become much taller and heavier, and experience healthier and longer lives than ever before in human history. However it is only recently that historians, economists, human biologists and demographers have linked the changing size, shape and capability of the human body to economic and demographic change. This fascinating and groundbreaking book presents an accessible introduction to the field of anthropometric history, surveying the causes and consequences of changes in health and mortality, diet and the disease environment in Europe and the United States since 1700. It examines how we define and measure health and nutrition as well as key issues such as whether increased longevity contributes to greater productivity or, instead, imposes burdens on society through the higher costs of healthcare and pensions. The result is a major contribution to economic and social history with important implications for today's developing world and the health trends of the future.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2011Größer und fetter
Erst Wachstum in die Höhe, dann in die Breite. Die seltsame Evolution des Menschen
VON PHILIP PLICKERT
Der Homo sapiens ist schon ein ganz besonderes Tier. Auf raffinierte Weise hebelt er die Evolutionstheorie aus. Tiere und Pflanzen passen sich der Umwelt an und erhöhen so ihre Überlebenschance, Homo sapiens macht es umgekehrt: Er passt die Umwelt seinen Bedürfnissen an. Der technisch begabte Mensch nimmt seine Evolution selbst in die Hand.
Durch die "techno-physische" Evolution, wie es der Wirtschaftshistoriker und Nobelpreisträger Robert Fogel (Universität Chicago) nennt, hat der Mensch seine Lebensweise revolutioniert. Er ist über sich selbst hinausgewachsen - auch im wörtlichen Sinne. Der moderne Mensch ist im Durchschnitt viel besser ernährt, größer, stärker und gesünder als jemals zuvor, seine Lebenserwartung hat sich in nur etwa zwei Jahrhunderten verdoppelt. In alldem zeigt sich die enorme Zunahme des Lebensstandards, wie Fogel mit drei weiteren Autoren in dem neuen Buch "The Changing Body" beschreibt.
In den 12 bis 15 Generationen seit 1700 hat sich die Menschheit schneller und substantieller verändert als in Jahrtausenden zuvor. Es gibt viel mehr Menschen - in Großbritannien etwa hat sich die Bevölkerungszahl von 5,5 auf heute 60 Millionen verzehnfacht. Sie sind viel reicher (die realen Einkommen sind um den Faktor zehn gestiegen) und leben gut doppelt so lang (statt 38 Jahre nun 75 Jahre die Männer und 80 Jahre die Frauen).
Doch was brachte den großen Schub zu mehr Wohlstand? Viele Wirtschaftshistoriker nennen vor allem den technischen Fortschritt und die industrielle Revolution als Treiber. Die Autoren von "The Changing Body" betonen dagegen die physischen Voraussetzungen und die Wechselwirkung von physischer und ökonomischer Lage der Menschheit.
Unterernährte Arbeiter können kaum Leistung bringen. Ihre Kinder sind schwach, kränklich und untersetzt. Um das Jahr 1780 waren 14-jährige Jungen aus Londoner Slums bloß 1,30 Meter groß. Gleichaltrige Kinder aus der Oberschicht überragten sie um fast eine Kopflänge. 200 Jahre später messen 14-jährige Londoner Buben aller Schichten im Durchschnitt 1,55 Meter. Ihre Ernährung und Gesundheit sind viel besser. Der Unterschied zwischen Einkommensgruppen ist auf wenige Zentimeter eingeebnet, wenn auch nicht völlig verschwunden.
Die These der Forscher lautet, dass uns die Größe der Menschen viel mehr über ihren Wohlstand erzählt als bislang gedacht. Körpergröße und Stärke sind "Schlüssel zum Verständnis des Wirtschaftswachstums", sagt Roderick Floud vom Gresham College in London, einer der Autoren von "The Changing Body". Nicht die Dampfmaschine, sondern ein besseres Nahrungsangebot im achtzehnten Jahrhundert wegen agrarischer Fortschritte brachte einen günstigen Kreislauf in Gang: Wer als Kind (und schon im Mutterleib) ausreichend Nährstoffe erhält, wird größer. Er kann später härter und länger arbeiten, ist produktiver und erhält mehr Einkommen.
Das gilt sogar heute noch: Eine Studie aus Brasilien ergab, dass ein Prozent mehr Körpergröße mit acht Prozent mehr Lohn einhergingen. Und nicht nur in Schwellenländern, selbst in den hochtechnisierten Vereinigten Staaten, wo die physische Kraft von Arbeitern nicht mehr entscheidend ist, besteht der Zusammenhang: Ein Zentimeter mehr Körpergröße ging einher mit fünf bis zehn Prozent mehr Einkommen, errechnete der Yale-Ökonom T. Paul Schultz.
Korrelation heißt nicht unbedingt Kausalität. Die Zusammenhänge und Wechselwirkungen sind komplex, betonen die Autoren. Doch kommen viele ökonometrische Studien zu dem Ergebnis, dass eben doch ein kausaler Zusammenhang zwischen Größe und Einkommen besteht, auch wenn andere Faktoren wie Ausbildung, Berufserfahrung und Wohnort kontrolliert werden. "Wenn man die Länder Europas nach der Körpergröße ihrer Einwohner aufreiht", sagt Floud, "dann ist das nahe an einem Ranking nach Bruttoinlandsprodukt je Kopf."
Die "techno-physische" Evolution war und ist kein schnurgerader Weg des Fortschritts. Es gibt auch Abwege und Rückschläge. Körpergröße und Lebensstandard haben in den vergangenen drei Jahrhunderten nicht stetig zugenommen. Besonders strittig ist die Entwicklung zur Zeit der industriellen Revolution. Als Friedrich Engels über "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" (1845) schrieb, waren die Lebensverhältnisse tatsächlich temporär härter und die Ernährung schlechter geworden. Die durchschnittliche Körpergröße von Männern sank zwischen 1820 und 1850 um fast fünf Zentimeter, schreibt Fogel.
Danach begann der Lebensstandard der Arbeiter langsam zu steigen. Ihre Kinder wurden gesünder, besser ernährt und größer. Immerhin half die Industrialisierung mit der höheren Produktion, das Überleben der fast dreimal größeren Bevölkerung zu sichern. Im zwanzigsten Jahrhundert wuchs der Wohlstand dann gewaltig. Das zeigt sich auch am Körperwachstum. Die Durchschnittsgröße der Briten nahm um mehr als sechs Zentimeter zu. In Dänemark und Norwegen betrug der Zuwachs 11 bis 13 Zentimeter, sie sind heute die größten Menschen der Welt. In Nordamerika sind die Menschen heute mehr als acht Zentimeter größer als im neunzehnten Jahrhundert - und rund 30 Pfund schwerer.
Robert Fogel, Jahrgang 1926, ist eigentlich Optimist. Die Trends der "techno-physischen" Evolution - mehr Wohlstand, bessere Gesundheit, längeres Leben - könnten sich auch in Zukunft fortsetzen. Irritierend ist nur, dass Homo sapiens nicht mehr in die Höhe, sondern zunehmend in die Breite geht, wie Fogel beklagt. In den Vereinigten Staaten gilt mindestens ein Viertel der Bevölkerung als fettleibig mit einem Body Mass Index über 30 (Beispiel: ein Mann von 1,80 Meter Größe, der mehr als 100 Kilogramm wiegt). Ihr Krankheitsrisiko nimmt zu, ihre Arbeitsleistung ab. Dass einmal Überernährung zum großen Problem der Massen würde, hätte im neunzehnten Jahrhundert wohl kaum einer gedacht.
Roderick Floud, Robert W. Fogel, Bernard Harris, Sok Chul Hong: The Changing Body. Health, Nutrition and Human Development in the Western World since 1700, Cambridge 2011
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erst Wachstum in die Höhe, dann in die Breite. Die seltsame Evolution des Menschen
VON PHILIP PLICKERT
Der Homo sapiens ist schon ein ganz besonderes Tier. Auf raffinierte Weise hebelt er die Evolutionstheorie aus. Tiere und Pflanzen passen sich der Umwelt an und erhöhen so ihre Überlebenschance, Homo sapiens macht es umgekehrt: Er passt die Umwelt seinen Bedürfnissen an. Der technisch begabte Mensch nimmt seine Evolution selbst in die Hand.
Durch die "techno-physische" Evolution, wie es der Wirtschaftshistoriker und Nobelpreisträger Robert Fogel (Universität Chicago) nennt, hat der Mensch seine Lebensweise revolutioniert. Er ist über sich selbst hinausgewachsen - auch im wörtlichen Sinne. Der moderne Mensch ist im Durchschnitt viel besser ernährt, größer, stärker und gesünder als jemals zuvor, seine Lebenserwartung hat sich in nur etwa zwei Jahrhunderten verdoppelt. In alldem zeigt sich die enorme Zunahme des Lebensstandards, wie Fogel mit drei weiteren Autoren in dem neuen Buch "The Changing Body" beschreibt.
In den 12 bis 15 Generationen seit 1700 hat sich die Menschheit schneller und substantieller verändert als in Jahrtausenden zuvor. Es gibt viel mehr Menschen - in Großbritannien etwa hat sich die Bevölkerungszahl von 5,5 auf heute 60 Millionen verzehnfacht. Sie sind viel reicher (die realen Einkommen sind um den Faktor zehn gestiegen) und leben gut doppelt so lang (statt 38 Jahre nun 75 Jahre die Männer und 80 Jahre die Frauen).
Doch was brachte den großen Schub zu mehr Wohlstand? Viele Wirtschaftshistoriker nennen vor allem den technischen Fortschritt und die industrielle Revolution als Treiber. Die Autoren von "The Changing Body" betonen dagegen die physischen Voraussetzungen und die Wechselwirkung von physischer und ökonomischer Lage der Menschheit.
Unterernährte Arbeiter können kaum Leistung bringen. Ihre Kinder sind schwach, kränklich und untersetzt. Um das Jahr 1780 waren 14-jährige Jungen aus Londoner Slums bloß 1,30 Meter groß. Gleichaltrige Kinder aus der Oberschicht überragten sie um fast eine Kopflänge. 200 Jahre später messen 14-jährige Londoner Buben aller Schichten im Durchschnitt 1,55 Meter. Ihre Ernährung und Gesundheit sind viel besser. Der Unterschied zwischen Einkommensgruppen ist auf wenige Zentimeter eingeebnet, wenn auch nicht völlig verschwunden.
Die These der Forscher lautet, dass uns die Größe der Menschen viel mehr über ihren Wohlstand erzählt als bislang gedacht. Körpergröße und Stärke sind "Schlüssel zum Verständnis des Wirtschaftswachstums", sagt Roderick Floud vom Gresham College in London, einer der Autoren von "The Changing Body". Nicht die Dampfmaschine, sondern ein besseres Nahrungsangebot im achtzehnten Jahrhundert wegen agrarischer Fortschritte brachte einen günstigen Kreislauf in Gang: Wer als Kind (und schon im Mutterleib) ausreichend Nährstoffe erhält, wird größer. Er kann später härter und länger arbeiten, ist produktiver und erhält mehr Einkommen.
Das gilt sogar heute noch: Eine Studie aus Brasilien ergab, dass ein Prozent mehr Körpergröße mit acht Prozent mehr Lohn einhergingen. Und nicht nur in Schwellenländern, selbst in den hochtechnisierten Vereinigten Staaten, wo die physische Kraft von Arbeitern nicht mehr entscheidend ist, besteht der Zusammenhang: Ein Zentimeter mehr Körpergröße ging einher mit fünf bis zehn Prozent mehr Einkommen, errechnete der Yale-Ökonom T. Paul Schultz.
Korrelation heißt nicht unbedingt Kausalität. Die Zusammenhänge und Wechselwirkungen sind komplex, betonen die Autoren. Doch kommen viele ökonometrische Studien zu dem Ergebnis, dass eben doch ein kausaler Zusammenhang zwischen Größe und Einkommen besteht, auch wenn andere Faktoren wie Ausbildung, Berufserfahrung und Wohnort kontrolliert werden. "Wenn man die Länder Europas nach der Körpergröße ihrer Einwohner aufreiht", sagt Floud, "dann ist das nahe an einem Ranking nach Bruttoinlandsprodukt je Kopf."
Die "techno-physische" Evolution war und ist kein schnurgerader Weg des Fortschritts. Es gibt auch Abwege und Rückschläge. Körpergröße und Lebensstandard haben in den vergangenen drei Jahrhunderten nicht stetig zugenommen. Besonders strittig ist die Entwicklung zur Zeit der industriellen Revolution. Als Friedrich Engels über "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" (1845) schrieb, waren die Lebensverhältnisse tatsächlich temporär härter und die Ernährung schlechter geworden. Die durchschnittliche Körpergröße von Männern sank zwischen 1820 und 1850 um fast fünf Zentimeter, schreibt Fogel.
Danach begann der Lebensstandard der Arbeiter langsam zu steigen. Ihre Kinder wurden gesünder, besser ernährt und größer. Immerhin half die Industrialisierung mit der höheren Produktion, das Überleben der fast dreimal größeren Bevölkerung zu sichern. Im zwanzigsten Jahrhundert wuchs der Wohlstand dann gewaltig. Das zeigt sich auch am Körperwachstum. Die Durchschnittsgröße der Briten nahm um mehr als sechs Zentimeter zu. In Dänemark und Norwegen betrug der Zuwachs 11 bis 13 Zentimeter, sie sind heute die größten Menschen der Welt. In Nordamerika sind die Menschen heute mehr als acht Zentimeter größer als im neunzehnten Jahrhundert - und rund 30 Pfund schwerer.
Robert Fogel, Jahrgang 1926, ist eigentlich Optimist. Die Trends der "techno-physischen" Evolution - mehr Wohlstand, bessere Gesundheit, längeres Leben - könnten sich auch in Zukunft fortsetzen. Irritierend ist nur, dass Homo sapiens nicht mehr in die Höhe, sondern zunehmend in die Breite geht, wie Fogel beklagt. In den Vereinigten Staaten gilt mindestens ein Viertel der Bevölkerung als fettleibig mit einem Body Mass Index über 30 (Beispiel: ein Mann von 1,80 Meter Größe, der mehr als 100 Kilogramm wiegt). Ihr Krankheitsrisiko nimmt zu, ihre Arbeitsleistung ab. Dass einmal Überernährung zum großen Problem der Massen würde, hätte im neunzehnten Jahrhundert wohl kaum einer gedacht.
Roderick Floud, Robert W. Fogel, Bernard Harris, Sok Chul Hong: The Changing Body. Health, Nutrition and Human Development in the Western World since 1700, Cambridge 2011
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'The scope of this book is breathtaking in its description of the remarkable changes in human constitutions in the Western World over the last 300 years at a pace never seen before in history. Written from a multidisciplinary perspective, it will inform and excite persons in the health and social sciences and give them a new and valuable perspective on modern human development.' Nevin S. Scrimshaw, Massachusetts Institute of Technology and World Food Prize Laureate