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Mit 50 literarischen Miniaturen und kurzen Erzählungen unternimmt Hanns-Josef Ortheil eine Reise an die Quelle seiner literarischen Arbeit: die Kunst der genauen Beobachtung und Wahrnehmung. Als Pate dient ihm der Aristoteles-Schüler Theophrast. Der wurde mit seinem kleinen Büchlein "Charaktere", 319 v. Chr. entstanden, zu einem bis heute gelesenen Meister der Porträtkunst. Wie Theophrast registriert Ortheil in seinem Umfeld typisch menschliche Eigenwilligkeiten. Mit feinem Humor und Lust an der Präzision formt er daraus Figuren, die dem Leser verblüffend vertraut scheinen: Kennt nicht jeder…mehr

Produktbeschreibung
Mit 50 literarischen Miniaturen und kurzen Erzählungen unternimmt Hanns-Josef Ortheil eine Reise an die Quelle seiner literarischen Arbeit: die Kunst der genauen Beobachtung und Wahrnehmung. Als Pate dient ihm der Aristoteles-Schüler Theophrast. Der wurde mit seinem kleinen Büchlein "Charaktere", 319 v. Chr. entstanden, zu einem bis heute gelesenen Meister der Porträtkunst. Wie Theophrast registriert Ortheil in seinem Umfeld typisch menschliche Eigenwilligkeiten. Mit feinem Humor und Lust an der Präzision formt er daraus Figuren, die dem Leser verblüffend vertraut scheinen: Kennt nicht jeder einen Enthusiasten, der sich in einen Rausch schwärmt – oder eine notorische Aber-Sagerin, mit der eine Diskussionen kein Ende findet? Den Sport-Fetischisten, der notfalls gegen sich selbst antritt – oder die Promovendin, die jede Kleinigkeit in alle denkbaren Teile zerlegen muss? Im Laufe des Buchs erweitert Ortheil die Porträt-Miniaturen zu eigenständigen kleinen Geschichten: Seine Charaktere spielen mit in jener großen "Comédie humaine", die zwischen Leben und Literatur nicht unterscheidet.
Autorenporträt
Hanns-Josef Ortheil, geb. 1951, gehört seit vielen Jahren zu den meistgelesenen deutschen Schriftstellern der Gegenwart. Er wurde u. a. mit dem Thomas-Mann-Preis, dem Nicolas-Born-Preis und dem Hannelore-Greve-Literaturpreis ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Stuttgart, Köln und dem Westerwald.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2022

Ein neuer Theophrast?
Fünfzig Charaktere von Hanns-Josef Ortheil

Als Pendant zum Leipziger Literaturinstitut baute der Romancier Hanns- Josef Ortheil ab 1990 einen Studiengang für Kreatives Schreiben an der Universität Hildesheim auf, erst als Poetikdozent, dann als Professor und Institutsdirektor. Das Entwerfen und Skizzieren literarischer Figuren gehörte bei seinen Studierenden wohl zu den täglichen Fingerübungen. Jetzt, im Ruhestand, versucht sich darin auch der Übungsleiter. Dabei liegt es nahe, für eine Genealogie menschlicher Schwächen und Fehler an die prägnanten "Charaktere" des antiken Autors Theophrast anzuknüpfen. Dessen dreißig Skizzen, etwa über Aberglauben, Geiz, Geschwätzigkeit, Nörgelei, Pedanterie, Ruhmsucht, Schmeichelei, Selbstgefälligkeit, Übereifer, Taktlosigkeit, sind schließlich völlig zeitlos. Träger solcher Züge werden bei Theophrast, so stellt Ortheil im Vorwort fest, in einer geschickten Balance zwischen allgemeinem Typus und besonderer Individualität porträtiert.

Eine modernisierende Fortsetzung dieser alten Charakterisierungskunst kann sich nicht auf bloße Nachahmung beschränken. Elias Canetti hatte das 1974 beherzigt, als er in seinem Buch "Der Ohrenzeuge" ebenfalls fünfzig "lebende Ein-Mann-Raketen" nach Theophrast zündete. Sein Esprit zeigte sich bereits in den wortschöpferischen Titeln: Der "Tränenwärmer" ist ein Kinoenthusiast, der "Leichenschleicher" überbringt Todesnachrichten, die "Silbenreine" ist eine Wortgoldwägende, der "Nimmermuß" ein Neinsager, die "Bitterwicklerin" bewahrt das Unglück aller anderen.

Solche wortspielerischen Rätsel gibt Hanns-Josef Ortheil nirgends auf. Der stets gut proviantierte "Appetitor", der genießerische "Hedomat" oder der aus dem Dienst scheidende "Codaist" führen zwar exotische Namen, die meisten Figuren kleiden sich aber in keine raffinierten Hüllen, bleiben also zu durchschaubar. Eine "Aber-Sagerin", "Gutstrukturierte", "Monologistin" oder "Schönfärberin" umgibt kein Geheimnis über ihre jeweils dominante Verhaltensform.

Sicher entspricht das der Absicht, einen klaren Katalog des Menschlichen und Allzumenschlichen vorzulegen. Und sicher glänzen einzelne Typologien auch durch scharfe Beobachtungen und prägnante Attribute. Wer ist nicht schon der "Promovendin" begegnet, die jede Nichtigkeit zur Doktorarbeit erhebt, fein zergliedert, systematisch durchdringt, umständlich entwickelt und dennoch nie zum Ende kommt? Auch der "Internet-Rezensent" findet endlich einmal Beachtung (Theophrast und Canetti natürlich noch unbekannt): Printmedien lehnt er ab und bespricht mit wichtiger Gebärde angeforderte Freiexemplare, um sie dann gleich wieder zu verkaufen. Die "Bestellfreudige" ist ebenfalls ein Kind unserer Zeit: Kommt das ausgewählte Kleidungsstück endlich an, wirft sie sich hinein, postet das Foto auf Instagram und schickt dann die Bestellung zurück.

Das Problem von Ortheils neuen Charakteren ist ihre Absehbarkeit. Wohlwollend schmunzelt man über die ausgestellten Eigenwilligkeiten, von denen uns manche auch selbst vertraut sein mögen. Der Humor ist so freundlich sympathisierend wie auf Bildern Carl Spitzwegs. Vielleicht teilt Hanns-Josef Ortheil mit diesem berühmten Maler des Biedermeiers sogar noch mehr - seine Charakterminiaturen sind handwerklich gut gemacht, literarisch aber doch von allzu begrenzter Zündkraft. ALEXANDER KOSENINA

Hanns-Josef Ortheil: "Charaktere in meiner Nähe".

Reclam Verlag, Ditzingen 2022. 128 S., geb., 18,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Alexander Kosenina hat keinen bleibenden Genuss an Hanns-Josef Ortheils Charakterzeichnungen. Den Rezensenten an Theophrast erinnernd, entwirft Ortheil zwar gekonnt wortspielerisch Typen wie die "Promovendin" oder die "Bestellfreudige", die Figuren und ihre Eigenschaften sind für Kosenina allerdings größtenteils absehbar. Ortheils humorige Porträtminiaturen erscheinen dem Rezensenten wie von Spitzweg inspiriert: handwerklich gediegen, aber nicht gerade feurig.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Wo Hanns-Josef Ortheil ist, herrscht Licht.« Stuttgarter Zeitung »Das ist wirklich große Kunst. Ortheil ist ein Meister im Herstellen von Sympathien für die Figuren.« SWR2, 02.12.2022 »Ein klarer Katalog des Menschlichen und Allzumenschlichen mit scharfen Beobachtungen und prägnanten Attributen. [...] Der Humor ist so freundlich sympathisierend wie auf Bildern Carl Spitzwegs.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.12.2022