Christian Lehnerts siebentes Gedichtbuch versucht erneut ein Äußerstes: Ausgehend von zweizeiligen Verknappungen bis an den Rand des Schweigens, über Sonett, Ode und Terzine bis hin zu vielgestaltig ausgreifenden Poemen sendet diese Dichtung experimentelle Sonden ins Unbekannte.
Mehrfach begibt sich der Dichter in ein »Wörterbuch der natürlichen Erscheinungen«. Darin öffnen sich ihm Welt und Signatur von Schnee und Frost, Moos und Laub. Zu Sprache werden ihm Federgeistchen, Feuerkäfer, Fliegen und Falken. Ebenso versteht er sich später auf die Rede der Fichten und Buchen. Schließlich geht es um menschliches Schicksal, um mythische wie historisch-reale Stoffe. Hier verbindet er Polaritäten wie den Baal von Palmyra und die Todeserfahrung des Obersten Lehnert im Zweiten Weltkrieg.
Lehnerts Dichtung speist sich aus der deutschen Mystik. Von Jacob Böhme und Angelus Silesius übernimmt er die doppelbödig-eindringliche, Spiritualität und Physis verbindende Rede. In Lehnerts Gedichten ereignet sich, im vielberufenen Zeitalter des Digitalen, eine Wiederauferstehung analogen Denkens – und hier haben die Gedichte auch ihren widerständigen Ort in der Gegenwart: als Behauptungen von »Sinn« in den Erscheinungen, als Näherungen an eine letztlich unsagbare Mitte.
Mehrfach begibt sich der Dichter in ein »Wörterbuch der natürlichen Erscheinungen«. Darin öffnen sich ihm Welt und Signatur von Schnee und Frost, Moos und Laub. Zu Sprache werden ihm Federgeistchen, Feuerkäfer, Fliegen und Falken. Ebenso versteht er sich später auf die Rede der Fichten und Buchen. Schließlich geht es um menschliches Schicksal, um mythische wie historisch-reale Stoffe. Hier verbindet er Polaritäten wie den Baal von Palmyra und die Todeserfahrung des Obersten Lehnert im Zweiten Weltkrieg.
Lehnerts Dichtung speist sich aus der deutschen Mystik. Von Jacob Böhme und Angelus Silesius übernimmt er die doppelbödig-eindringliche, Spiritualität und Physis verbindende Rede. In Lehnerts Gedichten ereignet sich, im vielberufenen Zeitalter des Digitalen, eine Wiederauferstehung analogen Denkens – und hier haben die Gedichte auch ihren widerständigen Ort in der Gegenwart: als Behauptungen von »Sinn« in den Erscheinungen, als Näherungen an eine letztlich unsagbare Mitte.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Jörg Magenau findet Christian Lehnerts Versuch, in seinen Gedichten Sprache und Religiosität zu verbinden, immer dann lesenswert, wenn der Autor das Kirchlich-Christliche nicht zu stark akzentuiert. Als Feier der Natur, der Schöpfung begriffen, erhält die Sprache laut Magenau eine rare Intensität. Ob der Autor assoziativ die Stille ergründet, biblische Geschichten oder einen kostbaren Moment festhält, die alltägliche Epiphanie in Bäumen, Tieren oder Schnee, immer erkennt Magenau darin etwas "angenehm Unmodernes", da Lehnert mit strenger Formensprache arbeitet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.01.2019Des Sommers lange Schatten
In seinem Gedichtband „Cherubinischer Staub“ huldigt Christian Lehnert der Schöpfung
Ein Cherub ist ein Diener Gottes, ein engelhaftes Mischwesen, dargestellt zum Beispiel als geflügelter Löwe mit Menschenkopf. Mehr als 90 Erwähnungen finden cherubinische Wesen im alten Testament, zuerst in der Paradiesgeschichte, wo sie nach der Vertreibung von Adam und Eva den Baum des Lebens zu bewachen haben.
Wenn Christian Lehnert seinen jüngsten Gedichtband „Cherubinischer Staub“ nennt, sammelt er also ein wenig des göttlichen Abglanzes ein. Dichtung ist für Lehnert die Feier der Schöpfung – und das heißt: der Natur. Jedes seiner Gedichte ist ein Gebet, eine Gottsuche, ein Gespräch. Als Theologe und Leiter des Liturgiewissenschaftlichen Instituts an der Uni Leipzig hat er keine Scheu davor, Sprache und Religiosität zu verknüpfen. Am Anfang war das Wort. Wer zu sprechen oder gar zu dichten vermag, bringt die Welt immer wieder aufs Neue hervor.
In Lehnerts Gedichten gewinnt die Sprache eine seltene Intensität. Oft geht es nur darum, die richtigen Wörter und Namen zu finden, damit etwas in der Benennung entsteht. So sucht er das „Urwort“ mit den Zeilen: „Wer fand zuerst ein Wort wie „Schaumkraut“, Wellennamen? / Ein Wind kam auf und trug heran die Samen.“ So gelingt es ihm in vielen Gedichten, Sprache und Natur in einer einzigen Bewegung zu verbinden.
Im ersten der drei Teile des Bandes geht es um Stille. Er beginnt mit einem „Wörterbuch der natürlichen Erscheinungen“. Das sind knappe Zweizeiler, die an einen konkreten Ort und Zeitpunkt gebunden sind. Sie gehen von einer Beobachtung in der Natur aus, benennen, was gemeint ist und verknüpfen das Wort mit einer Assoziation. So heißt es im Oktober 2016 über den herbstlichen Wald im Gottleubatal im Osterzgebirge: „Verloren, wie das Laub, sind Namen, die wir hatten. / So heißt das Buchenrot: des Sommers lange Schatten.“ Unklar, was dabei Metapher ist und was Benennung, ob Laub oder Namen verloren gingen und ob das Buchenrot den Sommerschatten bezeichnet oder von diesem hervorgerufen wird. Das Laub aber ist damit durchleuchtet und mehr als es selbst.
Immer wieder geht es um die Verwandlung des Augenblicks in etwas Kostbares, um eine Epiphanie, die gerade in den alltäglichen, natürlichen Dingen aufscheint, seien es Bäume, Kräuter, Krähen, ein Holunderbusch, Wespen, ein Eidechsenjunges oder der Schnee. Das Göttliche zeigt sich in allem, und es zeigt sich jedem, der zu sehen und zu sprechen vermag. Oder, wie Lehnert es formuliert: „Das Undeutliche, GOtt, kann dies und jenes sein. / Wo immer du IHn suchst, schließt ER dich ein.“ Den Mystiker Jakob Böhme zitiert er mit dem schlichten Satz: „Wo du nur hinsiehst, da ist Gott.“ Genau dieses Hinsehen praktiziert Lehnert mit seinen Gedichten. Das ist auf angenehme Weise unmodern, an strengen Formen und Rhythmen orientiert, manchmal direkte Antwort auf Bibelzitate oder Verse von Böhme, ohne dass es einen Bruch zwischen der heutigen und der alten Sprache gibt.
Im zweiten Teil des Bandes geht es um ganz konkrete biblische Geschichten. Sein Leitmotiv ist die „Unruhe“, er zeigt, dass für einen Gottsucher auch der Zweifel – oder die Abwesenheit – nicht fremd ist. Gott ist das, was sich nicht zeigt, was sich entzieht, so wie von den in Keilformation vorüberfliegenden Nonnengänsen eine zurückbleibt, in die Tiefe stürzt und auch schon ins Vergessen gefallen ist. König Herodes, die heiligen drei Könige und der sterbende Jesus am Kreuz bekommen hier eigene Gedichte, die in drei Sonetten an die „leidenden Glieder Christi“ gipfeln. Da überwiegt dann doch einmal das Kirchlich-Christliche, das Lehnert, indem er es streng in Sprache transformiert, ansonsten zu vermeiden weiß.
Umso schöner dann aber wieder die „Baumgespräche“ im abschließenden dritten Teil, in dem junge Buchen, alte Fichten und eine Eschenkolonie tatsächlich zu sprechen beginnen. „Ich kann die Kleinen hören, meine Echos“, spricht die Fichte und lauscht den Samen, dem einen unter den vielen, hinterher: „Hier, nur hier ist dein Ort, / hast für Heimat kein Wort, / bist in die Tiefen gefallen, / mit allen, mit allen.“ Immer wieder gelingen Lehnert Verse, in denen sich Biologisches mit Theologischem, Naturwissen und Sprache zu den schönsten Sentenzen verdichten.
„Keimen, das ist das erkennen, wo einer ist und verbleibt“, heißt es dann. Oder: „Licht, das ist etwas in allem, die sanfte, stofflose Freude.“ Schöner kann man das nicht sagen. Es lohnt sich, den Bäumen und all den Dingen zuzuhören, die Christian Lehnert zum Sprechen bringt.
JÖRG MAGENAU
Christian Lehnert: Cherubinischer Staub. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, 112 Seiten, 20 Euro.
Im abschließenden dritten Teil
beginnen junge Buchen und alte
Fichten tatsächlich zu sprechen
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In seinem Gedichtband „Cherubinischer Staub“ huldigt Christian Lehnert der Schöpfung
Ein Cherub ist ein Diener Gottes, ein engelhaftes Mischwesen, dargestellt zum Beispiel als geflügelter Löwe mit Menschenkopf. Mehr als 90 Erwähnungen finden cherubinische Wesen im alten Testament, zuerst in der Paradiesgeschichte, wo sie nach der Vertreibung von Adam und Eva den Baum des Lebens zu bewachen haben.
Wenn Christian Lehnert seinen jüngsten Gedichtband „Cherubinischer Staub“ nennt, sammelt er also ein wenig des göttlichen Abglanzes ein. Dichtung ist für Lehnert die Feier der Schöpfung – und das heißt: der Natur. Jedes seiner Gedichte ist ein Gebet, eine Gottsuche, ein Gespräch. Als Theologe und Leiter des Liturgiewissenschaftlichen Instituts an der Uni Leipzig hat er keine Scheu davor, Sprache und Religiosität zu verknüpfen. Am Anfang war das Wort. Wer zu sprechen oder gar zu dichten vermag, bringt die Welt immer wieder aufs Neue hervor.
In Lehnerts Gedichten gewinnt die Sprache eine seltene Intensität. Oft geht es nur darum, die richtigen Wörter und Namen zu finden, damit etwas in der Benennung entsteht. So sucht er das „Urwort“ mit den Zeilen: „Wer fand zuerst ein Wort wie „Schaumkraut“, Wellennamen? / Ein Wind kam auf und trug heran die Samen.“ So gelingt es ihm in vielen Gedichten, Sprache und Natur in einer einzigen Bewegung zu verbinden.
Im ersten der drei Teile des Bandes geht es um Stille. Er beginnt mit einem „Wörterbuch der natürlichen Erscheinungen“. Das sind knappe Zweizeiler, die an einen konkreten Ort und Zeitpunkt gebunden sind. Sie gehen von einer Beobachtung in der Natur aus, benennen, was gemeint ist und verknüpfen das Wort mit einer Assoziation. So heißt es im Oktober 2016 über den herbstlichen Wald im Gottleubatal im Osterzgebirge: „Verloren, wie das Laub, sind Namen, die wir hatten. / So heißt das Buchenrot: des Sommers lange Schatten.“ Unklar, was dabei Metapher ist und was Benennung, ob Laub oder Namen verloren gingen und ob das Buchenrot den Sommerschatten bezeichnet oder von diesem hervorgerufen wird. Das Laub aber ist damit durchleuchtet und mehr als es selbst.
Immer wieder geht es um die Verwandlung des Augenblicks in etwas Kostbares, um eine Epiphanie, die gerade in den alltäglichen, natürlichen Dingen aufscheint, seien es Bäume, Kräuter, Krähen, ein Holunderbusch, Wespen, ein Eidechsenjunges oder der Schnee. Das Göttliche zeigt sich in allem, und es zeigt sich jedem, der zu sehen und zu sprechen vermag. Oder, wie Lehnert es formuliert: „Das Undeutliche, GOtt, kann dies und jenes sein. / Wo immer du IHn suchst, schließt ER dich ein.“ Den Mystiker Jakob Böhme zitiert er mit dem schlichten Satz: „Wo du nur hinsiehst, da ist Gott.“ Genau dieses Hinsehen praktiziert Lehnert mit seinen Gedichten. Das ist auf angenehme Weise unmodern, an strengen Formen und Rhythmen orientiert, manchmal direkte Antwort auf Bibelzitate oder Verse von Böhme, ohne dass es einen Bruch zwischen der heutigen und der alten Sprache gibt.
Im zweiten Teil des Bandes geht es um ganz konkrete biblische Geschichten. Sein Leitmotiv ist die „Unruhe“, er zeigt, dass für einen Gottsucher auch der Zweifel – oder die Abwesenheit – nicht fremd ist. Gott ist das, was sich nicht zeigt, was sich entzieht, so wie von den in Keilformation vorüberfliegenden Nonnengänsen eine zurückbleibt, in die Tiefe stürzt und auch schon ins Vergessen gefallen ist. König Herodes, die heiligen drei Könige und der sterbende Jesus am Kreuz bekommen hier eigene Gedichte, die in drei Sonetten an die „leidenden Glieder Christi“ gipfeln. Da überwiegt dann doch einmal das Kirchlich-Christliche, das Lehnert, indem er es streng in Sprache transformiert, ansonsten zu vermeiden weiß.
Umso schöner dann aber wieder die „Baumgespräche“ im abschließenden dritten Teil, in dem junge Buchen, alte Fichten und eine Eschenkolonie tatsächlich zu sprechen beginnen. „Ich kann die Kleinen hören, meine Echos“, spricht die Fichte und lauscht den Samen, dem einen unter den vielen, hinterher: „Hier, nur hier ist dein Ort, / hast für Heimat kein Wort, / bist in die Tiefen gefallen, / mit allen, mit allen.“ Immer wieder gelingen Lehnert Verse, in denen sich Biologisches mit Theologischem, Naturwissen und Sprache zu den schönsten Sentenzen verdichten.
„Keimen, das ist das erkennen, wo einer ist und verbleibt“, heißt es dann. Oder: „Licht, das ist etwas in allem, die sanfte, stofflose Freude.“ Schöner kann man das nicht sagen. Es lohnt sich, den Bäumen und all den Dingen zuzuhören, die Christian Lehnert zum Sprechen bringt.
JÖRG MAGENAU
Christian Lehnert: Cherubinischer Staub. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, 112 Seiten, 20 Euro.
Im abschließenden dritten Teil
beginnen junge Buchen und alte
Fichten tatsächlich zu sprechen
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» ... in der gegenwärtigen deutschen Lyrik unerreicht und von bleibender Schönheit.« Eberhard Geisler taz. die tageszeitung 20181020