Frank Sieren gilt allgemein als „Chinakenner“, jedoch bekommt das Bild langsam Risse. Sein neues Buch „China to go“ bezieht eine Position, die sich vordergründig als neutral bezeichnet, indem der Autor vorgibt, die „Pros“ und „Contras“ gegeneinander abzuwägen, dann aber in stereotyper Regelmäßigkeit
die Sicht Chinas als die „richtige“ darstellt und keine Gelegenheit auslässt, den Westen und…mehrFrank Sieren gilt allgemein als „Chinakenner“, jedoch bekommt das Bild langsam Risse. Sein neues Buch „China to go“ bezieht eine Position, die sich vordergründig als neutral bezeichnet, indem der Autor vorgibt, die „Pros“ und „Contras“ gegeneinander abzuwägen, dann aber in stereotyper Regelmäßigkeit die Sicht Chinas als die „richtige“ darstellt und keine Gelegenheit auslässt, den Westen und insbesondere die USA zu kritisieren.
Besonders auffällig ist, dass Sieren sehr gerne Studien zitiert, die im Westen durchgeführt wurden und zu dem Schluss kamen, dass entweder Chinas moralische Verfehlungen halb so wild sind oder China technologisch und gesellschaftlich in fast jeder Hinsicht überlegen ist. Interessanterweise werden die genauen Quellen kaum jemals zitiert, sodass eine Überprüfung nur selten möglich ist. Es gibt auch kein summarisches Quellenverzeichnis am Ende. Die Studienergebnisse stehen also unkommentiert im Raum und Fakten, die dem entgegenstehen, werden schon mal gerne „übersehen“. Die Öffentlichkeit weiß z. B. von 114 in China inhaftierten Journalisten, aber Frank Sieren stellt nur fest, dass das bei 1,4 Milliarden Einwohnern ja nur sehr wenige wären und in der Türkei säßen viel mehr Kritiker im Gefängnis. Und die Türkei sei sogar NATO Mitglied! Mit dem Hinweis, die anderen seien noch viel schlimmer, lässt sich fast jede Schandtat relativeren.
Die auf schnellen Konsum getrimmten Kapitel sind selten länger als 4 Seiten und neigen dementsprechend zu starken Verkürzungen, die dann fast immer zu Gunsten Chinas ausgehen. Sieren begründet diesen Telegrammstil mit der „TikTok-Generation“, die größere Informationsmengen nicht verarbeiten könne. Nun ja, es sind genau diese Köpfe, die China schon immer gerne erreichen wollte.
Ein besonders übles Kapitel ist aus meiner Sicht dem Thema „Meinungsfreiheit“ gewidmet. Sieren ist der Überzeugung, dass Kritik an der Politik der KP auch in China möglich sei. Das darf er gerne den 114 Journalisten oder der Million Uiguren erklären, die genau deshalb gerade inhaftiert sind. Auch zu Maos Zeiten gab es bekanntlich die Möglichkeit, offen Kritik zu üben. 1956 ließ er unter dem Motto „Lasst 100 Blumen blühen“ die Dämme brechen, aber nur, um seine Feinde zu identifizieren und sie anschließend zu liquidieren. In China sitzt die Zensurschere mittlerweile fest in den Köpfen von Medien und Bevölkerung, da braucht man nur mal öffentlichkeitswirksam ein paar Minister oder reiche Unternehmer verschwinden zu lassen und schon wissen die kleinen Leute wieder, was sich zu kritisieren schickt.
Zweifellos gibt es vieles, was in der EU und den USA nicht gut läuft und auch nicht alles, was in China passiert, ist grundsätzlich schlecht. Durch die aus meiner Sicht manipulative Darstellung von Frank Sieren ist es aber fast unmöglich, in diesem Buch die positiven von den negativen Seiten wirklich zu unterscheiden. Zu oft ertappt ein kundiger Leser den Autor bei Auslassungen und teilweise wirklich dreisten Verdrehungen. Kann man da den Rest noch glauben?
China versucht seit vielen Jahren auch im Westen die Deutungshoheit über sein menschenverachtendes Gesellschaftssystem zu erlangen und Bücher wie dieses sind im Politbüro nicht nur willkommen, sondern sie gehören zur Langzeitstrategie. „Am chinesischen Wesen soll die Welt genesen“. Frank Sieren hat sich mit diesem Buch jedenfalls einen Bärendienst erwiesen. Ernst nehmen kann ich ihn nicht mehr.
(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)