Das Machtgefüge in China ist schwer zu durchschauen. Umso interessanter sind daher Insiderberichte, wie dieses Buch von Desmond Shum. Aufgewachsen in sehr einfachen Verhältnissen, zog es die Eltern von Festlandchina nach Hongkong, wo sie sich ein besseres Leben erarbeiten konnten. Geprägt vom Vater,
der ihm das Gefühl gab, nie gut genug zu sein, in einem Elternhaus voller Erniedrigung und Strafe,…mehrDas Machtgefüge in China ist schwer zu durchschauen. Umso interessanter sind daher Insiderberichte, wie dieses Buch von Desmond Shum. Aufgewachsen in sehr einfachen Verhältnissen, zog es die Eltern von Festlandchina nach Hongkong, wo sie sich ein besseres Leben erarbeiten konnten. Geprägt vom Vater, der ihm das Gefühl gab, nie gut genug zu sein, in einem Elternhaus voller Erniedrigung und Strafe, gelang es Shum dennoch, außerhalb der Familie Anerkennung zu finden und sich den nötigen Respekt zu erarbeiten. In den folgenden Jahrzehnten gab es viele Umzüge: von Asien in die USA und wieder zurück nach China, dann später ins "Exil" nach Europa. Shum hatte im Studium in den USA die Freiheit schätzen gelernt und kam sich anfangs nach seiner Rückkehr nach Festlandchina wie ein Ausländer im eigenen Land vor. Seine sozialen Kontakte beschränkten sich im Wesentlichen auf Leute aus dem Westen und englischsprachige Asiaten. Erst seine spätere Frau Whitney führte ihn in das gesellschaftliche Leben ein und zeigte ihm, wie das politische System in China funktioniert, bei dem alles der kommunistischen Partei unterstellt ist. Zusammen führten sie zahlreiche Bauprojekte durch, arbeiteten hart, lernten, Beziehungen zu pflegen und zu nutzen, genossen Ansehen und häuften ein riesiges Vermögen an. Aber irgendwann musste diese Blase zerplatzen.
Shum beschreibt spannend und eindringlich die Macht der kommunistische Partei in China und mit welchen Methoden sie regiert. Staatspräsident Xi Jinping hat nach und nach alle potentiellen Konkurrenten aus dem Weg geräumt und ist nun durch eine Gesetzesänderung auf Lebenszeit „gewählt“. Die Chinesen nennen ihn bereits "den Vorsitzenden von allem". Demokratische Bewegungen wurden verfolgt und das Unternehmertum, dass Anfang der 2000er-Jahre seine Blütezeit hat, sah sich wieder verstärkt staatlichen Repressalien ausgesetzt.
Der Autor zieht ein nüchternes Fazit: "Die Söhne und Töchter der Parteioberen hatten sich in eine Art Aristokratie verwandelt: Sie heirateten untereinander, führten ein Leben, das nichts mit dem des chinesischen Normalbürgers zu tun hatte. Und sie verdienten ein Vermögen damit, den Zugang zu ihren Eltern, zu Insiderinformationen und zu behördlichen Genehmigungen zu verkaufen, auf die jedermann angewiesen war, der sich einen Anteil an den Reichtümern Chinas sichern wollte."
Shum hat die Veränderungen frühzeitig wahrgenommen und ist nach London ausgewandert. Seine Ex-Frau blieb in China, vertraute weiterhin ihren guten Beziehungen, bis sie sich Korruptionsvorwürfen ausgesetzt sah, von einem Tag auf den anderen plötzlich verschwand und bis heute nicht mehr aufgetaucht ist. Dies thematisiert Shum allerdings nur sehr kurz, anders als es der Klappentext dem Leser suggeriert.
Es ist verständlich, dass Shums Insiderbericht den Parteioberen nicht gefallen hat, zumal er Ross und Reiter namentlich erwähnt. Umso spannender und erhellender ist dieses sehr lesenswerte Buch für uns Leser aus dem Westen.