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Ein schwelender Konflikt zwischen USA und China
Das Buch "Chip War" ist höchst informativ und zudem spannend wie ein Thriller. Die professionell recherchierte Schrift des amerikanischen Wirtschaftshistorikers Chris Miller wurde im Dezember mit dem begehrten Wirtschaftsbuchpreis der "Financial Times" ausgezeichnet. Das Buch bietet fundierte Einsichten in den Kampf um die Technologieführerschaft bei den modernsten Mikrochips und um die Kontrolle über die zu ihrer Herstellung benötigten feingliedrigen Liefernetzwerke.
Um die Potentiale nicht zuletzt der Künstlichen Intelligenz effektiv zu heben, braucht es immer mehr Rechnerleistung und damit vor allem modernste Mikrochips. Ohne sie funktioniert in der heutigen Welt nichts mehr: kein Handy, kein Laptop, kein Flugzeug und auch kein modernes Präzisionswaffensystem. Das haben auch die Regierungen erkannt. Ihre militärische und wirtschaftliche Macht hängt von der Verfügbarkeit modernster Computerchips ab. Hauptakteure im Kampf um diese Schlüsseltechnologie sind die USA und China. Der Konflikt eskaliert immer mehr.
Chris Miller hat gründliche Arbeit geleistet und Archive auf mehreren Kontinenten ausgewertet sowie über 100 Wissenschaftler, Ingenieure, Manager und Politiker interviewt. Im ersten, recht unterhaltsamen Teil seines Buches führt er anschaulich und anekdotenreich vor Augen, wie teils kauzige Tüftler und Forscher die ersten Transistoren im Silicon Valley entwickelten und damit Industriegeschichte schrieben. Ende der 1950er-Jahre gelang es zwei Forschergruppen unabhängig voneinander, mehrere Transistoren auf einem einzigen Stück Silizium miteinander zu verbinden. Damit war der erste "integrierte Schaltkreis", der erste "Mikrochip", erfunden. Es folgte eine bis heute andauernde rasante technische Entwicklung. Nach Moore's Law, benannt nach Gordon Moore, einem der Erfinder der Chips und einem der späteren Mitgründer von Intel, verdoppelt sich die Zahl der Transistoren auf einem Chip alle zwei Jahre. Mit der Zahl der Transistoren steigt die Leistungsfähigkeit der Chips exponentiell. Die heutigen Chips der jüngsten Generation sind die reinsten Wunderwinzlinge. Sie sind der Kristallisationspunkt des Konfliktes zwischen den USA und China. Diesem schwelenden Konflikt widmet sich der zweite spannende und dabei sehr nachdenklich stimmende Teil des Buches.
Das Reich der Mitte braucht für seine Ambitionen den Zugriff auf Chips der neuesten Generation. Am liebsten würde China sie selbst im eigenen Land herstellen. Die USA wollen genau dies aber im Interesse der Aufrechterhaltung ihrer Technologieführerschaft verhindern und greifen dazu massiv in den Außenhandel ein. Sie verbieten die Ausfuhr von Mikrochips der neuesten Generation und auch der zur Herstellung benötigten Ausrüstung. So hat China bisher keinen Zugang zu den neuesten Chips. Dies liegt auch daran, dass es alles andere als trivial ist, Chips zu entwickeln und zu designen, aber auch sie herzustellen. Hierzu sind nur wenige Unternehmen weltweit in der Lage. Über die Entwicklungskompetenzen verfügen die USA, während die höchst anspruchsvollen Fertigungskompetenzen bei Auftragsfertigern wie etwa TSMC in Taiwan sowie Samsung in Südkorea liegen. Heute werden laut Miller 91 Prozent aller Hightech-Chips weltweit in Taiwan produziert.
Miller analysiert kenntnisreich, wie Taiwan diese Bedeutung gewinnen konnte. Er legt dar, wie der ehemalige Texas-Instruments-Manager Morris Chang (heute CEO von TSMC) ab 1985 seine bahnbrechende Idee der Schaffung von Auftragsfertigern mithilfe von Taiwans Regierung umsetzen konnte. Aufgrund von Lernkurveneffekten konnten TSMC und eine Handvoll weiterer Auftragsfertiger über Jahre hinweg eine Wettbewerbsstärke aufbauen, die kaum einzuholen ist.
Angesichts der Tatsache, dass China von den neuesten Chips ferngehalten wird, schäumen die Machthaber in Peking und machen gefährlich Druck auf Taiwan. Dies ist - so auch Chris Miller - sehr ernst zu nehmen. Das Risiko einer chinesischen Invasion zieht sich durch seine Ausführungen. Das Liefernetzwerk ist anfällig, denn Unternehmen wie Apple und Nvidia haben über Jahre hinweg höchsteffiziente, aber wenig resiliente länderübergreifende arbeitsteilige Liefernetzwerke entwickelt, die an kritischen Knotenpunkten insbesondere in Taiwan störanfällig sind und immer mehr in das Magnetfeld geopolitischer Konflikte geraten.
Miller wirft die bange Frage auf, wie China die eklatante technologische Lücke zu den USA zu schließen versuchen könnte. Er glaubt nicht, dass China eine groß angelegte Invasion Taiwans initiieren wird, denn die Auftragsfertiger würden einen harten militärischen Schlag kaum überstehen. Selbst wenn China sie unter seine Fittiche nehmen würde, hätte die neue Führung wohl kaum den Zugriff auf die hoch qualifizierten Arbeitskräfte und die komplexen Vorprodukte für den Weiterbetrieb. Realistischer erscheint Miller daher die Variante, dass China langsam den Druck auf Taiwan immer mehr mit Drohgebärden wie etwa einer Blockade erhöht. Sollten Taiwans Verbündete, vor allem die USA, darauf nicht entschlossen genug reagieren, so könnte sich Taiwan auf einen Kompromiss mit China, der auch Konzessionen im Bereich der Mikrochipproduktion beinhalte, einlassen, meint Miller. Die Lektüre des vorliegenden Buches ist sehr lohnend. Es ist daher erfreulich, dass für den Herbst 2023 eine deutsche Übersetzung im Rowohlt-Verlag angekündigt ist. ROBERT FIETEN
Chris Miller: Chip War. The Fight for the World's Most Critical Technology. Scribner, New York u. a. 2022, 431 Seiten, 25 Euro.
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