Es ist anerkanntes Wissen, dass das Neue Testament als Sammlung erst im 2. Jh. entstanden ist. Wie kam zu dieser Sammlung? War es ein langsamer, organischer Prozess, in dem an vielen Orten, von unterschiedlichsten Verfassern geschriebene Texte in unterschiedlichen Versionen überliefert und in den diversesten Gemeinden gelesen, zu einem Buch zusammengewachsen sind, das dann in ersten Konturen bei Irenäus von Lyon im letzten Drittel des 2. Jh. greifbar wird – so die Annahme der älteren Forschung – oder wurden Schriften bewusst ausgewählt und in einer redaktionellen Entscheidung eines Einzelnen oder einer Gruppe von Editoren zusammengestellt, zu diesem Zweck überarbeitet und miteinander harmonisiert und mit eigens für diese Redaktion erstellten Schriften und neuen Kapiteln ergänzt? Letztere Theorie gewinnt sie heute stärkere Beachtung in der Forschung. Mit dieser Frage verbindet sich auch die der methodischen Perspektive, ob die Herausbildung des Neuen Testaments von gegenseitigen gemeindlichen Anstößen, von verwickelten Lese- und Rezeptionsvorgängen und als Teile liturgischer Praktiken erfolgte, oder ob bestimmte Autoren am Werk waren. Das Buch will dazu einladen, die neutestamentlichen Schriften auf dem Hintergrund des 2. Jh. zu lesen. Dies erfolgt mit Blick auf die Sammlung als solcher und entlang der vier Sammlungseinheiten: den Evangelien, dem sog. Praxapostolos (Apostelgeschichte und kanonische Briefe), den Briefen des Paulus und der Apokalypse. Es wird sich erweisen, dass die Mitte und 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts das historische plausiblere Szenario für die Entstehung des neuen Testaments zu sein scheint.