Der Sammelband analysiert aus einer interdisziplinären Perspektive Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Korruptionsformen, Korruptionsbekämpfung und Korruptionsforschung. So werden insbesondere spezifische Korruptionsgefahren durch die weitreichenden staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und ihrer Folgen in den Blick genommen. Theoretische und überblicksartige Erörterungen werden ergänzt durch empirische Fallstudien zu Brasilien und Deutschland. Ein Beitrag thematisiert Gemeinsamkeiten von COVID-19 und Korruption hinsichtlich der Erhebung von Umfragedaten. Der Band versammelt vor allem politikwissenschaftliche, soziologische und rechtswissenschaftliche Untersuchungen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Gertrude Lübbe-Wolff hält den von den Korruptionsforschern Sebastian Wolf und Peter Graeff herausgegebenen Sammelband einerseits für lesenswert, da Leser lernen können, wie die Korruption in Krisenzeiten wächst. Andererseits bleiben viele der Beiträge im Band laut Rezensentin ohne genügend Trennschärfe bei der Begriffsbestimmung. Inwieweit Maskengeschäfte, Handel mit Testzertifikaten und ähnliches während der Corona-Krise darunter fallen, ist ihr nicht immer klar. Weiteres Manko des Bandes für Lübbe-Wolff: Einige Texte schließen nur "marginal" an das Thema an oder bieten kaum überraschende Erkenntnisse bzw. zu viele Wiederholungen. Wie genau sich dem Missstand begegnen lässt, verraten die Texte laut Rezensentin zudem nur allzu oberflächlich, da sie die nähere Beschäftigung mit regulatorischen Einzelheiten scheuen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2022Wo Milliarden fließen, stehen Profiteure bereit
Ein Band über Korruption in Krisenzeiten zeigt, dass über dieses wichtige Thema noch viel zu lernen ist
In Krisen wie der durch die Corona-Pandemie ausgelösten vervielfältigen sich die Anreize und Gelegenheiten für Korruption. Zugleich werden Abwehrmechanismen geschwächt. Ungewohnte Knappheiten - zu wenig Masken, zu wenig Impfstoff, zu wenig Kundschaft - erhöhen die Versuchung, Bedarfe unter Verstoß gegen geltende Regeln zu befriedigen und Verfügung über begehrte Ressourcen oder privilegierte Zugänge zu Entscheidern regelwidrig zum eigenen Vorteil zu nutzen. Zur Krisenbewältigung eingesetzte Milliarden aus öffentlichen Kassen locken Profiteure an und können in der nötigen Geschwindigkeit nur unter Lockerung üblicher Sicherungen gegen Missbräuche ausgegeben werden. Antragserfordernisse und Antragsprüfungen werden reduziert, vergaberechtliche Kontrollen abgebaut - unter anderem durch Ausweitung des Bereichs, in dem Aufträge ohne Ausschreibung vergeben werden dürfen -, öffentliche Aufgaben vermehrt an Private mit Gewinninteressen übertragen. Überlastungsbedingt verschärft sich die Knappheit an für Kontrollen einsetzbarem Personal. In Krisenzeiten geht außerdem, von Skandalfällen mit besonderem Empörungspotential abgesehen, die massenmediale Aufmerksamkeit für das Niveau des Regelvollzuges und für die ohnehin schwer vermittelbaren Feinheiten der regulatorischen Ausgestaltung tendenziell zurück. Hinzu kommt, dass Regularien unter hohem Zeitdruck, oft unter Unsicherheit hinsichtlich entscheidungsrelevanter Tatsachen und unter sich ständig ändernden Bedingungen und Wissensständen ausgearbeitet und dementsprechend häufig geändert werden mussten und weiter müssen. Auch das sind sehr ungünstige Bedingungen für die Ausbildung einer erfahrungsbasiert wohl funktionierenden, einigermaßen korruptionsfesten Regulierung.
Der von zwei Korruptionsforschern aus der Sozialwissenschaft herausgegebene Sammelband "Corona und Korruption" lenkt dringend notwendige Aufmerksamkeit auf diese Zusammenhänge und auf die Unregelmäßigkeiten, die denn auch nicht auf sich warten ließen. Die "Maskenaffäre" mehrerer Abgeordneter, die sich die Vermittlung von Maskengeschäften fürstlich honorieren ließen, ist nur das prominenteste Beispiel. Honorierung für geschäftsfördernden politischen Einsatz von Volksvertretern kam auch sonst noch vor. Falsche Testzertifikate und Impfpässe, Abrechnungs- und Subventionsbetrug zuhauf, vorgezogene Impfungen (noch) nicht Berechtigter, Unregelmäßigkeiten bei Auftragsvergaben, Klientelpolitik in Gestalt überhöhter Erstattungsbeträge bei der Indienstnahme Privater und so fort waren ebenfalls zu verzeichnen. Verglichen mit andernorts aufgetretenen Problemen - ein Beitrag (Maria Eugenia Trombini und andere) widmet sich der Aufarbeitung massiver Corona-Korruption in Rio de Janeiro - nehmen sich diese deutschen Erfahrungen noch vergleichsweise harmlos aus. Aber auch sie kommen teuer genug, nicht nur finanziell, sondern auch weil sie viel Vertrauen kosten und damit die Bereitschaft schwächen, sich integer zu verhalten.
Auf einen gemeinsamen Begriff der Korruption haben die Autoren des Bandes sich nicht verständigt. Eine klare Begriffsbestimmung findet sich allein in dem Beitrag Hans Herbert von Arnims und wird auch hier nicht weiter für Abgrenzungszwecke genutzt: Korruption als "Missbrauch anvertrauter Macht zur Erringung privater Vorteile". Das entspricht der Definition, mit der die Antikorruptionsorganisation Transparency International arbeitet. Der Hauptbeitrag des Mitherausgebers Sebastian Wolf ("Betrug, Korruption und Misswirtschaft in der deutschen Pandemiebekämpfung"), der daneben einen einleitenden Beitrag über Covid-19 als Herausforderung für Korruptionsbekämpfung und Korruptionsforschung beigesteuert hat, greift über das Titelthema des Bandes ganz explizit hinaus. Auf genauere Unterscheidung verzichtet er mit der Bemerkung, die drei genannten Fehlverhaltensvarianten seien "auch und gerade in der Corona-Pandemie nicht immer leicht auseinanderzuhalten". Das wird denn auch durchweg gar nicht erst versucht. Dieser Mangel an Trennschärfe ist zu verschmerzen. Schließlich hätte man zu dem Buch auch dann mit Interesse gegriffen, wenn schon im Gesamttitel neben der Korruption auch Betrug und Misswirtschaft angesprochen wären.
Unerfreulicher macht sich mangelnde Fokussierung und Koordination an anderer Stelle bemerkbar. Zum typischen Elend der Sammelbandproduktion gehört, dass die einzelnen Beiträge sich oft nicht oder allenfalls marginal auf das Thema des Bandes beziehen. Man wirft halt ab, was gerade so in der Mache oder sowieso geplant oder aus dem eigenen Fundus an eh vorhandenen Kenntnissen schnell produzierbar ist und halbwegs passend scheint oder mit ein paar Extrasätzen notdürftig an das vorgeblich gemeinsame Thema anschließbar ist. Diesem Elend ist auch der vorliegende Sammelband nicht ganz entgangen. So dockt Hans Herbert von Arnims Beitrag an das spezielle Thema "Corona und Korruption" nur oberflächlich an. Hauptsächlich handelt es sich um allgemeine Kritiken am geltenden Wahlrecht und, der besonderen Expertise des Autors auf diesem Gebiet entsprechend, am System der Abgeordneteneinkünfte. Franziska Dunkelmann befasst sich hauptsächlich mit methodischen Fragen umfragebasierter Erfassung von sensitiven Daten, etwa über Fehlverhalten, das Befragte auch bei zugesicherter Anonymität ungern eingestehen. Der themenbezogene Ertrag beschränkt sich auf die wenig überraschende Erkenntnis, dass dieses Problem sich auch für die Erforschung von Korruption im Zusammenhang mit Corona stellt und dass eine in der Sozialwissenschaft etablierte Methode zur Aufdeckung entsprechender Verzerrungen im Antwortverhalten der Befragten sich auch in diesem Zusammenhang nutzen lässt. Dafür hätte eine Seite mehr als genügt. Nicht weniges an theoretischen Überlegungen und Hinweisen auf Praxiserfahrungen taucht in dem Band wiederholt in verschiedenen Beiträgen auf.
Aufschlüsse darüber, wie sich den aufgezeigten besonderen Korruptionsrisiken begegnen ließe, sind dagegen dünn gesät. Ein Beitrag zur "Covid-19-Pandemie aus dem Blickwinkel von Korruptionsvorsorge und Verwaltungskontrolle" (Ingo Sorgatz), der besonders nachdrücklich und überzeugend auf die Gefahren reduzierter Aufmerksamkeit und Kontrolle hinweist, legt nahe, dass genauer "hingesehen" werden sollte. Genau dafür fehlen unter den dargestellten Krisenbedingungen aber die personellen Ressourcen. Das entgeht dem Autor nicht, sodass es bei der Mahnung bleibt, in "ruhigeren Zeiten" wieder "Risikoreduzierung durch Stärkung interner Kontrollsysteme" zu betreiben und bei der anstehenden Entbürokratisierung und Modernisierung die "interne Verwaltungskontrolle" einzubeziehen. Außerdem fällt noch, wie in fast allen Beiträgen, das Stichwort "Transparenz". Sabine Fütterer-Akilis in der Tat recht "theoretische Diskussion" der Frage, ob "Corona als Türöffner für Korruption" zu verstehen sei, identifiziert Intransparenz als einen in der Pandemie korruptionsfördernden Faktor. Auch der abschließende Beitrag des Mitherausgebers Peter Graeff hebt resümierend die zentrale Bedeutung von Transparenz hervor.
Die ist zweifellos herausragend wichtig, weil sie zur Kontrollierbarkeit beiträgt und idealerweise auch externe, kostengünstige Kontrollressourcen wie die interessierte Öffentlichkeit aktiviert. Aber einige weitere Fragen hätte man doch gern gestellt und zumindest in Ansätzen beantwortet gesehen: Wie und wo genau ist mehr Transparenz mit vernünftigem Verhältnis von Aufwand und Erfolg institutionalisierbar? Sind die Verstöße gegen Regeln des gemeinwohlverträglichen Verhaltens, die es zu unterbinden gilt, ausreichend auch als Rechtsverstöße qualifiziert und als solche ausreichend sanktionierbar? Müssen mit Blick auf Krisen, in denen situationsbedingt die Entdeckungswahrscheinlichkeiten sinken, kompensatorisch die Sanktionen verschärft werden? Wird bei der Ausarbeitung materieller Regeln die Minimierung des Aufwandes für die Durchsetzung ausreichend berücksichtigt? Was muss sich in den Verfahren der Normsetzung ändern, damit das mehr und erfolgreicher geschieht? Antworten auf Fragen dieser Art lassen sich allerdings größtenteils nicht ohne nähere Befassung mit regulatorischen und sonstigen institutionellen Details beantworten, die in diesem Band praktisch keine Rolle spielen.
Die nächsten Krisen, in denen Abermilliarden ausgeschüttet werden, alles schnell gehen muss und viel Regulierung ohne gewachsene Erfahrungsbasis und ausreichende Kontrollressourcen fällig wird, sind schon da: Klimakrise, Energiekrise, Ukrainekrieg. Dass man für die auch hier lauernden Korruptionsrisiken bislang aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie noch nicht genug gelernt hat, illustriert nicht zuletzt der vorliegende Band. GERTRUDE LÜBBE-WOLFF
Sebastian Wolf und Peter Graeff (Hrsg.): "Corona und Korruption".
Springer VS Verlag,
Wiesbaden 2022. 197 S., Abb., br., 54,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Band über Korruption in Krisenzeiten zeigt, dass über dieses wichtige Thema noch viel zu lernen ist
In Krisen wie der durch die Corona-Pandemie ausgelösten vervielfältigen sich die Anreize und Gelegenheiten für Korruption. Zugleich werden Abwehrmechanismen geschwächt. Ungewohnte Knappheiten - zu wenig Masken, zu wenig Impfstoff, zu wenig Kundschaft - erhöhen die Versuchung, Bedarfe unter Verstoß gegen geltende Regeln zu befriedigen und Verfügung über begehrte Ressourcen oder privilegierte Zugänge zu Entscheidern regelwidrig zum eigenen Vorteil zu nutzen. Zur Krisenbewältigung eingesetzte Milliarden aus öffentlichen Kassen locken Profiteure an und können in der nötigen Geschwindigkeit nur unter Lockerung üblicher Sicherungen gegen Missbräuche ausgegeben werden. Antragserfordernisse und Antragsprüfungen werden reduziert, vergaberechtliche Kontrollen abgebaut - unter anderem durch Ausweitung des Bereichs, in dem Aufträge ohne Ausschreibung vergeben werden dürfen -, öffentliche Aufgaben vermehrt an Private mit Gewinninteressen übertragen. Überlastungsbedingt verschärft sich die Knappheit an für Kontrollen einsetzbarem Personal. In Krisenzeiten geht außerdem, von Skandalfällen mit besonderem Empörungspotential abgesehen, die massenmediale Aufmerksamkeit für das Niveau des Regelvollzuges und für die ohnehin schwer vermittelbaren Feinheiten der regulatorischen Ausgestaltung tendenziell zurück. Hinzu kommt, dass Regularien unter hohem Zeitdruck, oft unter Unsicherheit hinsichtlich entscheidungsrelevanter Tatsachen und unter sich ständig ändernden Bedingungen und Wissensständen ausgearbeitet und dementsprechend häufig geändert werden mussten und weiter müssen. Auch das sind sehr ungünstige Bedingungen für die Ausbildung einer erfahrungsbasiert wohl funktionierenden, einigermaßen korruptionsfesten Regulierung.
Der von zwei Korruptionsforschern aus der Sozialwissenschaft herausgegebene Sammelband "Corona und Korruption" lenkt dringend notwendige Aufmerksamkeit auf diese Zusammenhänge und auf die Unregelmäßigkeiten, die denn auch nicht auf sich warten ließen. Die "Maskenaffäre" mehrerer Abgeordneter, die sich die Vermittlung von Maskengeschäften fürstlich honorieren ließen, ist nur das prominenteste Beispiel. Honorierung für geschäftsfördernden politischen Einsatz von Volksvertretern kam auch sonst noch vor. Falsche Testzertifikate und Impfpässe, Abrechnungs- und Subventionsbetrug zuhauf, vorgezogene Impfungen (noch) nicht Berechtigter, Unregelmäßigkeiten bei Auftragsvergaben, Klientelpolitik in Gestalt überhöhter Erstattungsbeträge bei der Indienstnahme Privater und so fort waren ebenfalls zu verzeichnen. Verglichen mit andernorts aufgetretenen Problemen - ein Beitrag (Maria Eugenia Trombini und andere) widmet sich der Aufarbeitung massiver Corona-Korruption in Rio de Janeiro - nehmen sich diese deutschen Erfahrungen noch vergleichsweise harmlos aus. Aber auch sie kommen teuer genug, nicht nur finanziell, sondern auch weil sie viel Vertrauen kosten und damit die Bereitschaft schwächen, sich integer zu verhalten.
Auf einen gemeinsamen Begriff der Korruption haben die Autoren des Bandes sich nicht verständigt. Eine klare Begriffsbestimmung findet sich allein in dem Beitrag Hans Herbert von Arnims und wird auch hier nicht weiter für Abgrenzungszwecke genutzt: Korruption als "Missbrauch anvertrauter Macht zur Erringung privater Vorteile". Das entspricht der Definition, mit der die Antikorruptionsorganisation Transparency International arbeitet. Der Hauptbeitrag des Mitherausgebers Sebastian Wolf ("Betrug, Korruption und Misswirtschaft in der deutschen Pandemiebekämpfung"), der daneben einen einleitenden Beitrag über Covid-19 als Herausforderung für Korruptionsbekämpfung und Korruptionsforschung beigesteuert hat, greift über das Titelthema des Bandes ganz explizit hinaus. Auf genauere Unterscheidung verzichtet er mit der Bemerkung, die drei genannten Fehlverhaltensvarianten seien "auch und gerade in der Corona-Pandemie nicht immer leicht auseinanderzuhalten". Das wird denn auch durchweg gar nicht erst versucht. Dieser Mangel an Trennschärfe ist zu verschmerzen. Schließlich hätte man zu dem Buch auch dann mit Interesse gegriffen, wenn schon im Gesamttitel neben der Korruption auch Betrug und Misswirtschaft angesprochen wären.
Unerfreulicher macht sich mangelnde Fokussierung und Koordination an anderer Stelle bemerkbar. Zum typischen Elend der Sammelbandproduktion gehört, dass die einzelnen Beiträge sich oft nicht oder allenfalls marginal auf das Thema des Bandes beziehen. Man wirft halt ab, was gerade so in der Mache oder sowieso geplant oder aus dem eigenen Fundus an eh vorhandenen Kenntnissen schnell produzierbar ist und halbwegs passend scheint oder mit ein paar Extrasätzen notdürftig an das vorgeblich gemeinsame Thema anschließbar ist. Diesem Elend ist auch der vorliegende Sammelband nicht ganz entgangen. So dockt Hans Herbert von Arnims Beitrag an das spezielle Thema "Corona und Korruption" nur oberflächlich an. Hauptsächlich handelt es sich um allgemeine Kritiken am geltenden Wahlrecht und, der besonderen Expertise des Autors auf diesem Gebiet entsprechend, am System der Abgeordneteneinkünfte. Franziska Dunkelmann befasst sich hauptsächlich mit methodischen Fragen umfragebasierter Erfassung von sensitiven Daten, etwa über Fehlverhalten, das Befragte auch bei zugesicherter Anonymität ungern eingestehen. Der themenbezogene Ertrag beschränkt sich auf die wenig überraschende Erkenntnis, dass dieses Problem sich auch für die Erforschung von Korruption im Zusammenhang mit Corona stellt und dass eine in der Sozialwissenschaft etablierte Methode zur Aufdeckung entsprechender Verzerrungen im Antwortverhalten der Befragten sich auch in diesem Zusammenhang nutzen lässt. Dafür hätte eine Seite mehr als genügt. Nicht weniges an theoretischen Überlegungen und Hinweisen auf Praxiserfahrungen taucht in dem Band wiederholt in verschiedenen Beiträgen auf.
Aufschlüsse darüber, wie sich den aufgezeigten besonderen Korruptionsrisiken begegnen ließe, sind dagegen dünn gesät. Ein Beitrag zur "Covid-19-Pandemie aus dem Blickwinkel von Korruptionsvorsorge und Verwaltungskontrolle" (Ingo Sorgatz), der besonders nachdrücklich und überzeugend auf die Gefahren reduzierter Aufmerksamkeit und Kontrolle hinweist, legt nahe, dass genauer "hingesehen" werden sollte. Genau dafür fehlen unter den dargestellten Krisenbedingungen aber die personellen Ressourcen. Das entgeht dem Autor nicht, sodass es bei der Mahnung bleibt, in "ruhigeren Zeiten" wieder "Risikoreduzierung durch Stärkung interner Kontrollsysteme" zu betreiben und bei der anstehenden Entbürokratisierung und Modernisierung die "interne Verwaltungskontrolle" einzubeziehen. Außerdem fällt noch, wie in fast allen Beiträgen, das Stichwort "Transparenz". Sabine Fütterer-Akilis in der Tat recht "theoretische Diskussion" der Frage, ob "Corona als Türöffner für Korruption" zu verstehen sei, identifiziert Intransparenz als einen in der Pandemie korruptionsfördernden Faktor. Auch der abschließende Beitrag des Mitherausgebers Peter Graeff hebt resümierend die zentrale Bedeutung von Transparenz hervor.
Die ist zweifellos herausragend wichtig, weil sie zur Kontrollierbarkeit beiträgt und idealerweise auch externe, kostengünstige Kontrollressourcen wie die interessierte Öffentlichkeit aktiviert. Aber einige weitere Fragen hätte man doch gern gestellt und zumindest in Ansätzen beantwortet gesehen: Wie und wo genau ist mehr Transparenz mit vernünftigem Verhältnis von Aufwand und Erfolg institutionalisierbar? Sind die Verstöße gegen Regeln des gemeinwohlverträglichen Verhaltens, die es zu unterbinden gilt, ausreichend auch als Rechtsverstöße qualifiziert und als solche ausreichend sanktionierbar? Müssen mit Blick auf Krisen, in denen situationsbedingt die Entdeckungswahrscheinlichkeiten sinken, kompensatorisch die Sanktionen verschärft werden? Wird bei der Ausarbeitung materieller Regeln die Minimierung des Aufwandes für die Durchsetzung ausreichend berücksichtigt? Was muss sich in den Verfahren der Normsetzung ändern, damit das mehr und erfolgreicher geschieht? Antworten auf Fragen dieser Art lassen sich allerdings größtenteils nicht ohne nähere Befassung mit regulatorischen und sonstigen institutionellen Details beantworten, die in diesem Band praktisch keine Rolle spielen.
Die nächsten Krisen, in denen Abermilliarden ausgeschüttet werden, alles schnell gehen muss und viel Regulierung ohne gewachsene Erfahrungsbasis und ausreichende Kontrollressourcen fällig wird, sind schon da: Klimakrise, Energiekrise, Ukrainekrieg. Dass man für die auch hier lauernden Korruptionsrisiken bislang aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie noch nicht genug gelernt hat, illustriert nicht zuletzt der vorliegende Band. GERTRUDE LÜBBE-WOLFF
Sebastian Wolf und Peter Graeff (Hrsg.): "Corona und Korruption".
Springer VS Verlag,
Wiesbaden 2022. 197 S., Abb., br., 54,99 Euro.
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