Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Von deutscher Nation und Weltbetrachtung auf dem Grünen Hügel: Sven Fritz rückt einige Konturen im Bild von Houston Stewart Chamberlain zurecht, während Sabine Zurmühl in ihrer Biographie Cosima Wagners auf
Huldigung statt kritischer Einschätzung setzt.
Houston Stewart Chamberlain ist einer der bekannten Unbekannten der deutschen Kulturgeschichte. Man weiß - sofern man sich für diese Zeit interessiert -, dass er zu den einflussreichsten Intellektuellen des späten neunzehnten Jahrhunderts gehörte, mit seinen Biographien, vor allem aber mit den "Grundlagen des 19. Jahrhunderts" außerordentliche Erfolge hatte, dass er zu den Vorkämpfern des Rassendenkens und Antisemitismus und damit zu den Wegbereitern des Dritten Reiches gehörte und als alter, schon sehr kranker Mann einen schwärmerischen Brief an Hitler schrieb, mit dem sich die NSDAP dem Bürgertum empfahl. Mehr wissen nur die Spezialisten.
Aber wenn er ein Wegbereiter des Nationalsozialismus war, war er das unfreiwillig? Wurde er von Hitler, Goebbels, Rosenberg unberechtigt, unhistorisch in Anspruch genommen? Als der Hamburger Politologe Udo Bermbach 2015 ein großes Chamberlain-Buch vorlegte, neigte er dieser Ansicht zu. Die Inanspruchnahme durch das Dritte Reich sei dem "intellektuellen Zuschnitt" Chamberlains und seinem differenzierten Denken nicht gerecht geworden; der sei ein "zu gebildeter und belesener Mann" gewesen, um "restlos" in der "vulgären Ideologie des Hitlerismus" aufzugehen. Mit dem Adverb "restlos" sicherte sich Bermbach ab, aber die Vorstellung, Bildung und Belesenheit seien ein Schutz vor der Verführungskraft des Nationalsozialismus gewesen, wirkte doch merkwürdig, wenn man an die Erfolge der NSDAP an den Universitäten denkt.
Nun hat der Historiker Sven Fritz ein neues, sehr voluminöses Buch zum Thema vorgelegt: "Houston Stewart Chamberlain. Rassenwahn und Welterlösung", hervorgegangen aus seiner Dissertation. Er legt sein Buch stärker als sein Vorgänger biographisch an und stützt sich dabei stark auf die unveröffentlichten Briefe. Das gibt kein vollständig neues Bild, aber ein schärferes, das nicht zugunsten des ohnedies zweifelhaften Helden ausfällt. Das, was bisher als differenziert, gemäßigt oder nur weniger schlimm erschien, erweist sich nun oft als nur aus taktischen Gründen zurückhaltend. Und darin stimmten Chamberlain und Bayreuth überein. Die Festspiele hatten sich seit je nicht allein als Schauplatz beispielhafter Aufführungen der Werke des Gründers verstanden, sondern als Ort der kulturellen und seelischen Regeneration der deutschen Nation.
Unter Cosima Wagner, die nach dem Tode ihres Mannes 1883 die neue Herrin geworden war, hatte sich das eher noch verstärkt, und Chamberlain, der seit den späten Achtzigerjahren in engeren Kontakt mit Cosima und den Festspielen getreten war, machte sich diesen Anspruch ganz zu eigen. Doch setzte dieser Anspruch voraus, dass die Festspiele und ihr Sprachrohr, die "Bayreuther Blätter", sich nur grundsätzlich vernehmen ließen. Das "Ideal" sollte festgehalten werden, seine politische Ausformung, gleich ob in Vegetarismus, Antisemitismus oder anderen "Spezialitäten", wie Cosima in ihrem Tagebuch schrieb, anderen überlassen bleiben. Das entsprach einer Politikverachtung, die in Deutschland nicht selten war, hatte aber auch pragmatische Gründe. Freimütiges Politisieren hätte bedeutet, potentielle Förderer und Besucher zu verschrecken. So gaben sich Bayreuth und Chamberlain den Anschein einer über dem politischen Streit stehenden Geistigkeit. Doch weit war es damit nicht her. Auf einem Notizzettel vom September 1900 findet sich Chamberlains Bemerkung: "Aufrichtig gesprochen: ich fände es nicht besonders beklagenswert, wenn sie [nämlich die Juden] eines Tages sammt und sonders erwürgt u. so von der Oberfläche dies Planeten ausgewischt würden; alle Engel der Reinheit, der Lebensfreude, der Unschuld, der Hoffnung würden im Himmel darüber jubeln; Sentimentalität ist hier durchaus nicht am Platze."
So offenherzig war er in seinen Büchern nicht. Die Biographien Wagners, Kants und Goethes waren beachtliche Erfolge, das Kant-Buch fand sogar den Respekt solcher Autoritäten wie Paul Natorp und Hermann Cohen. Sein wichtigstes Buch, "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts", traf auf eine gemischte Aufnahme. In der Fachwissenschaft wurden viel Zweifel geäußert, es gab aber auch Lob urteilsfähiger Leute wie Adolf von Harnack. Das Buch wollte die Gegenwart und ihre Vorgeschichte verstehen aus den Auseinandersetzungen der Völker, wie sie rassisch bestimmt seien. Dabei verstand es Rassen nicht als biologische Urphänomene, sondern als Ergebnisse der Züchtung. Die germanische Rasse wurde selbstredend als die führende aufgefasst, wobei aber auch die frühen Slawen dort eingeordnet wurden, das Jüdische als moralisch minderwertig und gefahrbringend dargestellt. Ein anderer wichtiger Punkt ist das Christentum. Sein Gründer sei der Religion und Erziehung nach jüdisch gewesen, rassisch jedoch "höchst wahrscheinlich nicht", was der Autor aus der Siedlungsgeschichte Galiläas begründen wollte.
Rassistisches Denken war im späten neunzehnten Jahrhundert nichts Besonderes. Aber das Ausmaß, das es bei Chamberlain angenommen hatte, fiel auf, die "Vossische Zeitung" sprach von einem "instinktiven Niedertrachtsantisemitismus". Und doch darf man sich die "Grundlagen" nicht als einen "Stürmer" zwischen Buchdeckeln vorstellen. Der Autor wahrt das Dekorum, er schreibt elegant und weiß sich das Air eines überlegenen Geistes zu geben. Den Katholizismus lehnt er aus tiefster Seele ab, Ignatius von Loyola, den Gründer des Jesuitenordens, sieht er als "Feind", in ihm habe sich "der Kampf gegen das Germanische" verkörpert. Der Grund: seine Herkunft "aus echtem, unvermischtem baskischen Stamme", einer "Menschenrasse" ohne Beziehung zur indoeuropäischen Welt. Aber Chamberlain betont auch, es könne niemand diesem Mann die "aufrichtige Anerkennung" versagen, und nennt eine Reihe von großen Tugenden, das wirkt unparteiisch und vornehm. Und doch war es eine Großmutskomödie. Im Untergrund des Buches brodelt die Gewaltlust.
Chamberlain bewundert das römische Reich um seiner Härte willen, und insbesondere bewunderte er die völlige Vernichtung Karthagos 146 v. Chr. "Wäre das phönizische Volk nicht ausgerottet", die Menschheit hätte das 19. Jahrhundert niemals erlebt. "Bei der unvergleichlichen Zähigkeit der Semiten hätte die geringste Schonung" genügt zur Wiedererstehung der phönizischen Nation. Und schon kommt der Autor auf die Juden zu sprechen, "eine nicht minder bedrohliche Abart des überall das Edle und Produktive zerfressenden Giftes", und fährt fort, das Problem des "Judentums in unserer Mitte gehöre zu den "schwierigsten und gefährlichsten der Gegenwart". Damit ist ein Vorschlag für die Endlösung der Judenfrage schon gemacht.
1908 heiratete Chamberlain Eva Wagner, und dies wohl weniger um der Braut als ihrer Mutter willen. Nun gehörte er zum engsten Kreis der Familie, in der er das, was "das Deutsche" ausmachte, verkörpert sah. Als der Krieg begann, rührte er beharrlich die publizistische Trommel, die Zurückhaltung, die Bayreuth einmal wahren wollte, fiel. In der Republik gaben er und die Familie ihre Nähe zu Hitler deutlich zu erkennen. Dass die NSDAP seine Beisetzung 1927 kaperte, passte ins Bild.
Von einem Buch über Chamberlain könnte man sich wünschen, dessen große Themen stärker, als es hier geschieht, in die Ideengeschichte eingeordnet zu sehen. Die letzten Jahre haben eine ganze Reihe von Studien über die Bayreuther Festspiele hervorgebracht, das ohnedies bedenkliche Bild ist von Sven Fritz um weitere üble Züge bereichert worden.
Das kann man von der Biographie Cosima Wagners, die Sabine Zurmühl verfasst hat, nicht ohne Weiteres sagen. Das Buch ist, ohne die Schattenseiten geradezu auszublenden, eine Huldigung an Cosima, "diese innerlich unabhängige und klarsichtige und entschlossene und stolze Frau". Und das war sie ja auch, eine herausragende Gestalt. Zurmühl porträtiert sie in 33 Kapiteln, die lose biographisch angeordnet sind; die seelischen Nöte des ungeliebten Kindes, der untreuen Ehefrau eines ungeliebten Mannes (Hans von Bülow), die erfüllte Ehe mit Wagner stehen im Vordergrund. Die Zeit nach Wagners Tod wird nur kursorisch behandelt, gerade ein Sechstel des Platzes steht dafür zur Verfügung. Dabei geht es hier um 47 Jahre, 23 davon als Leiterin der Festspiele, deren zweite Gründerin sie wurde. Das, was wir heute kennen, die jährlichen Aufführungen der kanonisierten Werke Wagners, hat sie durchgesetzt, gegen große Widerstände.
Warum spielt diese Lebensleistung eine so geringe Rolle, wo es doch um eine "Welt der starken Frauen" geht? Liegt es daran, dass die weniger attraktiven Züge jetzt schärfer hervortreten? Man wird das Gefühl nicht los, dass die Sympathie für ihre Heldin das kritische Vermögen der Autorin beschädigt hat. Sie rühmt mit Anna von Helmholtz das "International-Europäische in Cosima", aber der scharfe Nationalismus, den diese auch im Repertoire hatte (sie brachte Richard dazu, den "Meistersingern" in der Ansprache des Sachs den nationalen Schlusston zu geben), kommt nur im Nebenher zur Sprache. Das Enge, Unfreie, Sektenhafte, das sich nach dem Tod Richard Wagners immer härter ausprägte, wird weitgehend übergangen. Und auch was künstlerisch geleistet oder verdorben wurde, spielt kaum eine Rolle. Sabine Zurmühl interessieren mehr Charakter oder Seelenleben der Person als ihre Taten. Das ist ein legitimes Interesse; der Autor kann sich den Gegenstand zurechtlegen, wie er es richtig findet. Aber ist es nicht eine recht traditionelle Vorstellung von einem Frauenleben? STEPHAN SPEICHER
Sven Fritz: "Houston Stewart Chamberlain". Rassenwahn und Welterlösung. Biographie.
Brill/ Schöningh Verlag, Paderborn 2022. 873 S., Abb., geb., 49,90 Euro.
Sabine Zurmühl: "Cosima Wagner". Ein widersprüchliches Leben.
Mit einem Nachwort von Monika Beer. Böhlau Verlag, Wien/Köln 2022. 359 S., Abb., geb., 40,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH