Deutschland 1934. Die Nationalsozialisten festigen ihren Einfluss, auch das Bergsteigen bleibt davon nicht unberührt. Der Kampf um die Achttausender hat begonnen, am Nanga Parbat bahnt sich eine der größten Katastrophen in der Alpingeschichte an. Unter diesen Vorzeichen begegnen sich zwei außergewöhnliche Persönlichkeiten: Käthe Tietz Schmid und Hermann Hoerlin. Hoerlin ist einer der besten Bergsteiger seiner Zeit, ein aufstrebender Physiker und hoher Funktionär im Deutschen Alpenverein, der sich mit aller Macht gegen die Nazifizierung von Wissenschaft und Vereinskultur stemmt. Käthe Tietz Schmid bildet zusammen mit ihrem Mann, dem renommierten Journalisten Willi Schmid, einen Fixstern der intellektuellen Münchner Bourgeoisie. Die beiden unterstützen die deutsche Nanga-Parbat-Expedition mit ihrer Pressearbeit, als zwei Tragödien ihren Lauf nehmen: Am 1. Juli wird Willi Schmid während des Röhm-Putschs von den Nationalsozialisten ermordet - als Opfer einer Namensverwechslung. Wenige Tage später beginnen die Nachrichten von den tragischen Ereignissen am Nanga Parbat einzutreffen, an deren Ende die Expedition mit insgesamt zehn Toten nahezu ausgelöscht und der Nanga Parbat als Schicksalsberg der Deutschen ins kollektive Gedächtnis eingebrannt ist. In dieser Situation wird Hermann Hoerlin zu Hilfe gerufen und kommt nach München. So lernen sich die beiden kennen. Eine hollywood-taugliche Liebesgeschichte beginnt, die vor dem realen geschichtlichen Hintergrund schnell an Kitsch verliert: Käthe Schmid ist jüdischer Herkunft, für eine gemeinsame Zukunft müssen sie Deutschland verlassen. Eine packende Lebens- und Liebesgeschichte, die den Terror des Nationalsozialismus, die Erfahrung der Emigration bis hin zu den Bedrohungen des Kalten Krieges unmittelbar miterleben und die heroische Zeit des Bergsteigens in neuem Licht erblicken lässt. Mit zahlreichen unveröffentlichten Abbildungen. Übersetzt und überarbeitet vom renommierten deutschen Alpinhistoriker Jochen Hemmleb.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2014Als das Bergsteigen noch politisch war
Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre gehörte Hermann Hoerlin zu den besten deutschen Alpinisten. Heute ist sein Name weitgehend vergessen. Dabei hatte er sich mit Wintererstbesteigungen in der Montblanc-Gruppe für große Bergziele empfohlen. So nahm Oskar Günther Dyhrenfurth 1930 den damals Siebenundzwanzigjährigen auf seine Expedition zum Kangchendzönga mit, dem dritthöchsten Berg der Welt, wo Hoerlin am 7483 Meter hohen Jongsong Peak einen Höhenrekord aufstellte. Zwei Jahre später fuhr er nach Peru, wo er sich als Erstbesteiger des 6768 Meter hohen Huascaran verewigte. Dann aber reißt die Geschichte seiner großen bergsteigerischen Leistungen ab. Was war geschehen? Die Antwort gibt Hoerlins jüngste Tochter Bettina, die jahrzehntelang vergessene Briefe ausgewertet hat. Offensichtlich wollte Dyhrenfurth 1934 Hoerlin in den Karakorum mitnehmen, und Willy Merkl wollte ihn für den Nanga Parbat. Doch es war die Zeit, als in Deutschland das Bergsteigen politisch wurde und die Nationalsozialisten begannen, den Nanga Parbat zum "Schicksalsberg" zu stilisieren. Hoerlin blieb zu Hause. Seine Freunde fuhren, und wie ihre Briefe an Hoerlin zeigen, waren sie keineswegs so linientreu, wie es die Nationalsozialisten im Nachhinein so gerne glauben machen wollten. Hoerlin verfolgte aus der Ferne die Katastrophe am Nanga Parbat, wo vier seiner Freunde starben, und lernte bei der Pressearbeit für die Expedition seine Frau kennen, eine Halbjüdin, deren Mann kurz vorher von den Nationalsozialisten ermordet worden war. Ein Wendepunkt in seinem Leben. Nach der Geschichte des Bergsteigers Hoerlin ist das die zweite Geschichte, die Bettina Hoerlin in ihrem Buch aufschreibt: die Liebe zu Käthe Tietze-Schmid. Im Jahr 1938 konnten die beiden heiraten und vor den Nationalsozialisten nach Amerika fliehen, auch weil Hitlers Adjutant Fritz Wiedemann sich einschaltete. Auf hohe Berge jedoch stieg Hoerlin nicht mehr. Extremes Bergsteigen sei mit der Verantwortung für eine Familie nicht vereinbar, fand er. Hermann Hoerlin starb 1983 in Boston.
sgr
"Courage. Im Schatten des Nanga Parbat 1934. Die wahre Geschichte des Bergsteigers Hermann Hoerlin und einer lebensgefährlichen Liebe" von Bettina Hoerlin. Übersetzt und bearbeitet von Jochen Hemmleb. Tyrolia-Verlag, Innsbruck 2014. 226 Seiten, 80 Fotos, gebunden, 24,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre gehörte Hermann Hoerlin zu den besten deutschen Alpinisten. Heute ist sein Name weitgehend vergessen. Dabei hatte er sich mit Wintererstbesteigungen in der Montblanc-Gruppe für große Bergziele empfohlen. So nahm Oskar Günther Dyhrenfurth 1930 den damals Siebenundzwanzigjährigen auf seine Expedition zum Kangchendzönga mit, dem dritthöchsten Berg der Welt, wo Hoerlin am 7483 Meter hohen Jongsong Peak einen Höhenrekord aufstellte. Zwei Jahre später fuhr er nach Peru, wo er sich als Erstbesteiger des 6768 Meter hohen Huascaran verewigte. Dann aber reißt die Geschichte seiner großen bergsteigerischen Leistungen ab. Was war geschehen? Die Antwort gibt Hoerlins jüngste Tochter Bettina, die jahrzehntelang vergessene Briefe ausgewertet hat. Offensichtlich wollte Dyhrenfurth 1934 Hoerlin in den Karakorum mitnehmen, und Willy Merkl wollte ihn für den Nanga Parbat. Doch es war die Zeit, als in Deutschland das Bergsteigen politisch wurde und die Nationalsozialisten begannen, den Nanga Parbat zum "Schicksalsberg" zu stilisieren. Hoerlin blieb zu Hause. Seine Freunde fuhren, und wie ihre Briefe an Hoerlin zeigen, waren sie keineswegs so linientreu, wie es die Nationalsozialisten im Nachhinein so gerne glauben machen wollten. Hoerlin verfolgte aus der Ferne die Katastrophe am Nanga Parbat, wo vier seiner Freunde starben, und lernte bei der Pressearbeit für die Expedition seine Frau kennen, eine Halbjüdin, deren Mann kurz vorher von den Nationalsozialisten ermordet worden war. Ein Wendepunkt in seinem Leben. Nach der Geschichte des Bergsteigers Hoerlin ist das die zweite Geschichte, die Bettina Hoerlin in ihrem Buch aufschreibt: die Liebe zu Käthe Tietze-Schmid. Im Jahr 1938 konnten die beiden heiraten und vor den Nationalsozialisten nach Amerika fliehen, auch weil Hitlers Adjutant Fritz Wiedemann sich einschaltete. Auf hohe Berge jedoch stieg Hoerlin nicht mehr. Extremes Bergsteigen sei mit der Verantwortung für eine Familie nicht vereinbar, fand er. Hermann Hoerlin starb 1983 in Boston.
sgr
"Courage. Im Schatten des Nanga Parbat 1934. Die wahre Geschichte des Bergsteigers Hermann Hoerlin und einer lebensgefährlichen Liebe" von Bettina Hoerlin. Übersetzt und bearbeitet von Jochen Hemmleb. Tyrolia-Verlag, Innsbruck 2014. 226 Seiten, 80 Fotos, gebunden, 24,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main