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Die ökonomische Beschäftigung mit Straftaten lohnt sich / Zwei Bände zur Kriminalitätsforschung
Hans-Jörg Albrecht/Horst Entorf (Herausgeber): Kriminalität, Ökonomie und Europäischer Sozialstaat. Physica-Verlag, Heidelberg 2003, 273 Seiten, 64,95 Euro.
Horst Entorf/Hannes Spengler: Crime in Europe. Causes and Consequences. Springer Verlag, Berlin 2002, 235 Seiten, 49,95 Euro.
Welche Kraft ökonomisches Gedankengut entfalten kann, zeigt sich auch oder vor allem dann, wenn man es auf Bereiche des menschlichen Miteinanders anwendet, die auf den ersten Blick wenig Ökonomie zu bieten scheinen. Schon aus diesem Grund verwundert es den in der angeblich trostlosen Disziplin Bewanderten nicht, daß sich Ökonomen auch dem Thema Kriminalität nähern. Der Unterschied zu herkömmlichen wirtschaftspolitischen Problemen ist gar nicht so groß: Man hat Verhaltensmuster, die durch Anreize bestimmt werden - und man versucht, diese Verhaltensmuster durch adäquate Maßnahmen zu ändern. Zu diesem Zweck untersucht man zuerst die Einflußfaktoren und Bestimmungsgründe von Verbrechen, im Anschluß daran die Wirksamkeit verschiedener Instrumente zur Verbrechensbekämpfung. Exakt dieser Aufgabe haben sich die Autoren zweier neu erschienener Bände gestellt. Im dem von Hans-Jörg Albrecht und Horst Entorf herausgegebenen Sammelband beschäftigen sich mehrere Autoren mit verschiedenen Facetten des Themas; das Buch von Horst Entorf und Hannes Spengler enthält eine empirische Studie zu den Ursachen, Konsequenzen und Folgen der Kriminalität in Europa.
Während also Entorf und Spengler den - mit den üblichen Hindernissen gepflasterten - Weg der Empirie wählen, finden sich in dem Sammelband auch eine Reihe theoretischer Überlegungen und Modelle, zum Beispiel der Beitrag von Dominique Demougin und Robert Schwager über das kriminalitätssenkende Potential von Transfers, der Beitrag von Volker Meier zur Wahl zwischen Therapie und Bestrafung sowie die Überlegungen von Paul Collier und Anke Höffler zu den ökonomischen Ursachen von Bürgerkriegen. In der Grundstruktur solcher theoretischen Modelle finden sich schon die wichtigsten Bestimmungsgründe kriminellen Verhaltens, die man dann in empirischen Modellen überprüfen kann: Im ökonomischen Jargon handelt es sich um die "Einkommenserzielungsmöglichkeiten" sowohl im legalen als auch im illegalen Bereich und die Strafhöhe zusammen mit der Entdeckungswahrscheinlichkeit.
Die theoretischen Zusammenhänge sind einfach und einleuchtend: Je weniger Einkünfte sich auf legale Weise erzielen lassen, um so höher sind die Anreize zu kriminellem Verhalten. Und je mehr Einkünfte sich auf illegale Weise erzielen lassen, um so eher wird der Weg in die Kriminalität gewählt. Ähnlich klare Zusammenhänge gelten für die Strafhöhen und die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden: Je höher die zu erwartende Strafe und zugleich die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, um so höher werden die erwarteten Kosten eines Vergehens für den Straftäter, und um so eher schreckt er davor zurück.
Wenn die Theorie so einfach ist, warum dann noch weiter darüber lesen oder schreiben? Vermutlich weil die Empirie der Theorie an vielen Stellen ein Bein stellt: In den Vereinigten Staaten beispielsweise sind die Strafen für viele Vergehen deutlich drastischer als in Europa - und doch ist das Niveau der Verbrechensraten dort nicht signifikant niedriger als in Europa, wie Entorf und Spengler schreiben. Schlimm genug für die Empirie, wenn sie nicht zur Theorie paßt, ist man versucht zu sagen. Doch für den kreativen Ökonomen steckt darin vielmehr eine Herausforderung - sowohl im theoretischen als auch im empirischen Sinne.
Empirisch gilt es, genauer nach den Ursachen kriminellen Verhaltens zu suchen. In der Studie von Entorf und Spengler sind im ersten Abschnitt die wichtigsten Ergebnisse aus der Literatur zusammengetragen. Darüber hinaus haben die beiden Autoren eine eigene umfangreiche Analyse zu den Ursachen und Folgen von Kriminalität in Europa angefertigt. Ihr wesentliches Fazit: Einer der wesentlichen Ursachen von Kriminalität, der zunehmenden Zerrüttung von Familienverhältnissen, sollte auch in der Politik mehr Rechnung getragen werden. Die Bekämpfung von Kriminalität sei nicht nur Sache der Innenpolitik, sondern auch der Sozialpolitik.
Doch nicht nur die Empirie steht vor Herausforderungen. In der Theorie gilt es, den Widerspruch zur Realität durch eine Erweiterung der bisherigen Ansätze aufzulösen. Hierzu ist auch ein Blick über den eigenen Zaun in die Gärten anderer Disziplinen hilfreich - und der wird im Sammelband von Albrecht und Entorf auch riskiert: Gerhard Bühringer zum Beispiel befaßt sich mit den Ursachen von Drogenkonsum und den Voraussetzungen einer erfolgreichen Prävention aus psychologischer Sicht. Ergänzt wird dieser Beitrag von den Überlegungen von Horst Entorf und Peter Winkler über die Zusammenhänge von Kriminalität und Drogenkonsum aus ökonomischer Sicht.
Natürlich können die Verfasser der verschiedenen Beiträge immer nur Einzelaspekte herausgreifen. Zudem leidet die Empirie an den üblichen Problemen mit Blick auf die Beschaffung und Vergleichbarkeit der Daten. Doch die Beiträge der beiden Bände zeigen zumindest eines: Ob sich Verbrechen lohnt oder nicht, sei dahingestellt. Aber die ökonomische Auseinandersetzung mit Verbrechen lohnt sich allemal.
HANNO BECK
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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