Following his profoundly influential study, Orientalism, Edward Said now examines western culture. From Jane Austen to Salman Rushdie, from Yeats to media coverage of the Gulf War, Culture and Imperialism is a broad, fierce and wonderfully readable account of the roots of imperialism in European culture.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.1995Kultur als ideologisches Schlachtfeld
Edward Said über Einbildungskraft und Politik im Zeitalter imperialistischer Macht
Edward W. Said: Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht. Aus dem Amerikanischen von Hans-Horst Henschen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1994. 476 Seiten, 68,- Mark.
Die Washington Post ließ mit diesem Buch eine "neue Phase der Selbstverständigung der Industriestaaten über ihre geopolitische und kulturelle Machtausübung" beginnen. Es wäre kaum aus dem Amerikanischen übersetzt worden, wenn es nur das Wissen über die Geschichte des europäischen Imperialismus bereichert hätte oder gar den propagandistischen Knüppel marxistischer Imperialismuskritik schwingen würde. Was ist an diesem Buch so besonders? Der Autor ist ein in Jerusalem geborener Araber, der nach akademischen Stationen an den Edeluniversitäten von Harvard und Yale nun an der New Yorker Columbia University vergleichende Literaturwissenschaft lehrt - ein Wanderer zwischen zwei Welten, "ohne vollständig in der einen oder der anderen heimisch zu sein", aber doch ein Araber, der den Imperialismus aus der Warte fremdbestimmter Völker und Kulturen deutet.
Said ist kein Historiker, sondern ein Literaturwissenschaftler, der sich allerdings gründlich mit der historiographischen Literatur über den britischen, französischen und amerikanischen Imperialismus beschäftigt hat; er ist also auch ein Wanderer zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft. Auch für ihn bedeutet Imperialismus zunächst Unterwerfung, Fremdherrschaft und Bevormundung. Aber ihn interessiert nicht so sehr die mit Soldaten und Kanonen errichtete Herrschaft einer Handvoll von europäischen Kolonialmächten über 85 Prozent der Erdoberfläche, sondern der mit Ideen, Bildern und Imaginationen in die Köpfe der Herrschenden und Beherrschten verpflanzte Kulturimperialismus, die "Gestik der zivilisatorischen Domestizierung". Sein Thema ist das Verhältnis zwischen Herrschaft und Kultur, besser: der Gebrauch von Kultur für die Begründung, Rechtfertigung und Erhaltung von Herrschaft. Sein Untersuchungsgegenstand, mit dessen Hilfe er den subtilen Wirkungsmechanismen des rassistisch getränkten Kulturimperialismus auf die Spur zu kommen versucht, ist die Literatur und im besonderen der Roman, dem er eine große Bedeutung bei der Herausbildung imperialer Einstellungen beimißt. Es muß als Frage stehenbleiben, ob hier der Literaturwissenschaftler sein Metier nicht als massenwirksames Sozialisationsmedium überschätzt.
Said konzentriert sich bei seiner Rekonstruktion der imperialen "Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht" - so lautet der Untertitel seines Buches - auf einzelne Romane als "Produkte der kreativen oder der deutenden Einbildungskraft" und beschreibt dann ihren Ort im Beziehungsgeflecht von Kultur und Herrschaft. Was kommt bei dieser Spurensuche nach imperialen Denkmustern in Romanen von Dickens, Kipling, Conrad, Camus oder im Libretto von Verdis "Aida" heraus? Wer jemals Dickens' "Große Erwartungen" (von 1861), Conrads "Nostromo" (von 1904) oder Camus' "La Peste" (von 1947) gelesen haben sollte, wird dazu gedrängt, diese Romane wieder zu lesen, nun auf der Suche nach dem vorher Unentdeckten, das Said aufdeckt: ebenjene "Gestik der zivilisatorischen Domestizierung". Wer das geistreiche Kapitel über Verdis "Aida" gelesen hat, wird sicherlich bei ihrer nächsten Aufführung anders zuhören und zuschauen.
Diese Spurensuche ist eingebettet in eine tiefgründige Rekonstruktion der Literatur-und Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die reich an originellen Betrachtungen zu geistigen Befindlichkeiten der drei Imperialmächte Frankreich, Großbritannien und Vereinigte Staaten ist. Der arabische Wanderer zwischen den Welten hält ihnen einen Spiegel vor, in dem kulturelle Arroganz Gestalt annimmt; er entdeckt Tiefenschichten von Mißverständnissen und Vorurteilen, die für das tiefere Verständnis der kolonialen und nachkolonialen Geschichte wichtig sind. Kultur bedeutet für ihn nicht eine Sphäre apollinischer Vornehmheit, sondern eine Art von Theater, das zum Schlachtfeld politischer und ideologischer Auseinandersetzungen werden kann. Wer sich etwas profunder an der Diskussion über Samuel Huntingtons Szenario eines "Zusammenstoßes der Kulturen" beteiligen möchte, sollte unbedingt den zweiten Teil des Buches lesen, der die Dialektik zwischen Herrschaft und Widerstand weit tiefschürfender entfaltet als Huntington. Wer die "Aufstände gegen die Moderne" und die Suche nach kulturellen Identitäten begreifen will, sollte Saids Buch lesen. Er klagt nicht penetrant Weise an, sondern bemüht sich feinfühlig um interkulturelles Verstehen. Deshalb überrascht der Schluß des Buches nicht: Der in Amerika lebende Araber vermag keinen Grund zu erkennen, auf der "Trennung und Unvergleichlichkeit" von Kulturen zu beharren: "Überleben hängt mit den Verbindungen zwischen den Dingen zusammen." Er sieht eine große historische Leistung des Imperialismus darin, weltweit die Mischung zwischen Kulturen und Identitäten konsolidiert zu haben, seine schlimmste Gabe aber darin, die Menschen glauben zu machen, sie seien "einzig, hauptsächlich beziehungsweise ausschließlich weiß oder schwarz oder westlich oder orientalisch".
Man mag über einzelne Thesen des Buches oder über manche historische Interpretationen streiten. Vor allem werden Literaturwissenschaftler herausgefordert, sich zu fragen, ob sie beispielsweise Kiplings "Kim" in Raum (Indien) und Zeit richtig zu deuten verstanden. Historiker werden dazu angehalten, den in Romanen verdichteten Zeitgeist stärker in ihre Interpretationen imperialer Politik einzubeziehen. Politologen und Politiker können nachlesen, auf welch subtile Weise Kultur zur Magd von Herrschaft werden kann. Dieses Buch eines Wanderers zwischen Orient und Okzident ist vor allem ein Lehrstück für interkulturelles Verstehen.
Ein Buch ist wertvoll, wenn man aus ihm etwas gelernt hat. In Saids Buch kann man viel lernen: über die Geschichte des Imperialismus und der Romanliteratur, über die Wechselwirkungen zwischen beiden und über das eigene Vermögen, solche Wechselwirkungen zu erkennen. Es ist nicht nur für Historiker und Literaturwissenschaftler, sondern für alle, die sich mit Kultur und Politik beschäftigen, eine Fundgrube origineller Betrachtungen; es macht das Verstehen von Vorgängen leichter, die Huntington dazu verführt haben, das Szenario eines internationalen Kulturkampfes zu entwerfen. Saids Buch ist ungemein lehr- und aufschlußreich, herausfordernd und, obwohl streckenweise keine leichte Lektüre, auch spannend. Die Washington Post hat seine Bedeutung richtig eingeschätzt. FRANZ NUSCHELER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Edward Said über Einbildungskraft und Politik im Zeitalter imperialistischer Macht
Edward W. Said: Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht. Aus dem Amerikanischen von Hans-Horst Henschen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1994. 476 Seiten, 68,- Mark.
Die Washington Post ließ mit diesem Buch eine "neue Phase der Selbstverständigung der Industriestaaten über ihre geopolitische und kulturelle Machtausübung" beginnen. Es wäre kaum aus dem Amerikanischen übersetzt worden, wenn es nur das Wissen über die Geschichte des europäischen Imperialismus bereichert hätte oder gar den propagandistischen Knüppel marxistischer Imperialismuskritik schwingen würde. Was ist an diesem Buch so besonders? Der Autor ist ein in Jerusalem geborener Araber, der nach akademischen Stationen an den Edeluniversitäten von Harvard und Yale nun an der New Yorker Columbia University vergleichende Literaturwissenschaft lehrt - ein Wanderer zwischen zwei Welten, "ohne vollständig in der einen oder der anderen heimisch zu sein", aber doch ein Araber, der den Imperialismus aus der Warte fremdbestimmter Völker und Kulturen deutet.
Said ist kein Historiker, sondern ein Literaturwissenschaftler, der sich allerdings gründlich mit der historiographischen Literatur über den britischen, französischen und amerikanischen Imperialismus beschäftigt hat; er ist also auch ein Wanderer zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft. Auch für ihn bedeutet Imperialismus zunächst Unterwerfung, Fremdherrschaft und Bevormundung. Aber ihn interessiert nicht so sehr die mit Soldaten und Kanonen errichtete Herrschaft einer Handvoll von europäischen Kolonialmächten über 85 Prozent der Erdoberfläche, sondern der mit Ideen, Bildern und Imaginationen in die Köpfe der Herrschenden und Beherrschten verpflanzte Kulturimperialismus, die "Gestik der zivilisatorischen Domestizierung". Sein Thema ist das Verhältnis zwischen Herrschaft und Kultur, besser: der Gebrauch von Kultur für die Begründung, Rechtfertigung und Erhaltung von Herrschaft. Sein Untersuchungsgegenstand, mit dessen Hilfe er den subtilen Wirkungsmechanismen des rassistisch getränkten Kulturimperialismus auf die Spur zu kommen versucht, ist die Literatur und im besonderen der Roman, dem er eine große Bedeutung bei der Herausbildung imperialer Einstellungen beimißt. Es muß als Frage stehenbleiben, ob hier der Literaturwissenschaftler sein Metier nicht als massenwirksames Sozialisationsmedium überschätzt.
Said konzentriert sich bei seiner Rekonstruktion der imperialen "Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht" - so lautet der Untertitel seines Buches - auf einzelne Romane als "Produkte der kreativen oder der deutenden Einbildungskraft" und beschreibt dann ihren Ort im Beziehungsgeflecht von Kultur und Herrschaft. Was kommt bei dieser Spurensuche nach imperialen Denkmustern in Romanen von Dickens, Kipling, Conrad, Camus oder im Libretto von Verdis "Aida" heraus? Wer jemals Dickens' "Große Erwartungen" (von 1861), Conrads "Nostromo" (von 1904) oder Camus' "La Peste" (von 1947) gelesen haben sollte, wird dazu gedrängt, diese Romane wieder zu lesen, nun auf der Suche nach dem vorher Unentdeckten, das Said aufdeckt: ebenjene "Gestik der zivilisatorischen Domestizierung". Wer das geistreiche Kapitel über Verdis "Aida" gelesen hat, wird sicherlich bei ihrer nächsten Aufführung anders zuhören und zuschauen.
Diese Spurensuche ist eingebettet in eine tiefgründige Rekonstruktion der Literatur-und Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die reich an originellen Betrachtungen zu geistigen Befindlichkeiten der drei Imperialmächte Frankreich, Großbritannien und Vereinigte Staaten ist. Der arabische Wanderer zwischen den Welten hält ihnen einen Spiegel vor, in dem kulturelle Arroganz Gestalt annimmt; er entdeckt Tiefenschichten von Mißverständnissen und Vorurteilen, die für das tiefere Verständnis der kolonialen und nachkolonialen Geschichte wichtig sind. Kultur bedeutet für ihn nicht eine Sphäre apollinischer Vornehmheit, sondern eine Art von Theater, das zum Schlachtfeld politischer und ideologischer Auseinandersetzungen werden kann. Wer sich etwas profunder an der Diskussion über Samuel Huntingtons Szenario eines "Zusammenstoßes der Kulturen" beteiligen möchte, sollte unbedingt den zweiten Teil des Buches lesen, der die Dialektik zwischen Herrschaft und Widerstand weit tiefschürfender entfaltet als Huntington. Wer die "Aufstände gegen die Moderne" und die Suche nach kulturellen Identitäten begreifen will, sollte Saids Buch lesen. Er klagt nicht penetrant Weise an, sondern bemüht sich feinfühlig um interkulturelles Verstehen. Deshalb überrascht der Schluß des Buches nicht: Der in Amerika lebende Araber vermag keinen Grund zu erkennen, auf der "Trennung und Unvergleichlichkeit" von Kulturen zu beharren: "Überleben hängt mit den Verbindungen zwischen den Dingen zusammen." Er sieht eine große historische Leistung des Imperialismus darin, weltweit die Mischung zwischen Kulturen und Identitäten konsolidiert zu haben, seine schlimmste Gabe aber darin, die Menschen glauben zu machen, sie seien "einzig, hauptsächlich beziehungsweise ausschließlich weiß oder schwarz oder westlich oder orientalisch".
Man mag über einzelne Thesen des Buches oder über manche historische Interpretationen streiten. Vor allem werden Literaturwissenschaftler herausgefordert, sich zu fragen, ob sie beispielsweise Kiplings "Kim" in Raum (Indien) und Zeit richtig zu deuten verstanden. Historiker werden dazu angehalten, den in Romanen verdichteten Zeitgeist stärker in ihre Interpretationen imperialer Politik einzubeziehen. Politologen und Politiker können nachlesen, auf welch subtile Weise Kultur zur Magd von Herrschaft werden kann. Dieses Buch eines Wanderers zwischen Orient und Okzident ist vor allem ein Lehrstück für interkulturelles Verstehen.
Ein Buch ist wertvoll, wenn man aus ihm etwas gelernt hat. In Saids Buch kann man viel lernen: über die Geschichte des Imperialismus und der Romanliteratur, über die Wechselwirkungen zwischen beiden und über das eigene Vermögen, solche Wechselwirkungen zu erkennen. Es ist nicht nur für Historiker und Literaturwissenschaftler, sondern für alle, die sich mit Kultur und Politik beschäftigen, eine Fundgrube origineller Betrachtungen; es macht das Verstehen von Vorgängen leichter, die Huntington dazu verführt haben, das Szenario eines internationalen Kulturkampfes zu entwerfen. Saids Buch ist ungemein lehr- und aufschlußreich, herausfordernd und, obwohl streckenweise keine leichte Lektüre, auch spannend. Die Washington Post hat seine Bedeutung richtig eingeschätzt. FRANZ NUSCHELER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Culture and Imperialism has an eloquent, urgent topicality rare in books by literary critics Camille Paglia