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Warum man es abschaffen sollte
Kenneth Rogoff war Chefökonom des Internationalen Währungsfonds und lehrt jetzt an der Harvard-Universität. Im vorliegenden Buch setzt er sich für die Abschaffung des Bargelds ein. Das Buch ist in 14 Kapitel und drei Teile gegliedert. Besonders nützlich sind neben der Einführung auch die abschließenden Gedanken, die den Kern der Argumente mit besonderer Klarheit zusammenfassen. Gleich in der Einführung vertritt Rogoff die Auffassung, dass die Zinsschranke in der Nähe von null die Geldpolitik in der westlichen Welt seit 2008 gelähmt hat, dass die Möglichkeit, negative Zinsen durchzusetzen, der schnellste und wirksamste Weg sein könnte, die Krise zu überwinden. Deshalb muss der Ausweg, Bargeld zu horten, durch dessen Abschaffung versperrt werden.
Der erste Teil setzt sich mit der Schattenseite von Bargeld auseinander. In den Vereinigten Staaten entspricht der Wert des umlaufenden Bargeldes etwas über 7 Prozent des BIP, war allerdings in der Hochzinsphase der frühen achtziger Jahre mit ungefähr 4 Prozent deutlich geringer. Pro Kopf entspricht das einer Bargeldsumme von 4200 Dollar, wovon 80 Prozent in 100-Dollar-Noten gehalten werden. Offenbar haben nur wenige Menschen diese Summe im Geldbeutel oder zu Hause. Nach Umfragen besitzen die Amerikaner im Durchschnitt nur 46 Dollar, im Median 25 Dollar in bar.
Ein großer Teil des Bargelds zirkuliert im Ausland, vielleicht die Hälfte, und dient auch der Wertaufbewahrung. Ein anderer Teil lagert bei Banken oder dient der Kassenhaltung in Geschäften. Aber fast die Hälfte des Bargeldumlaufs dürfte nach Rogoff der Schattenwirtschaft dienen, was auch den hohen Anteil großer Noten erklärt. Man darf allerdings nicht vergessen, dass die Schätzung zum illegalen Bargeldeinsatz darauf beruht, dass Rogoff mit legaler Wirtschaftstätigkeit den Bargeldumlauf nicht zu erklären vermag. Jedes Übersehen legaler Verwendung muss deshalb die Schätzungen für illegale Verwendung nach oben verzerren. Die Dominanz großer Noten gilt auch im Euroraum oder erst recht in der Schweiz, wo es ja die 1000-Franken-Note gibt.
Die Verwendung von Bargeld dient auch der Steuerhinterziehung. Rogoff nennt eine Schätzung, wonach in Amerika ungefähr ein Siebtel der dem Zentralstaat geschuldeten Summe nie gezahlt wird. Er hofft, dass mindestens ein Zehntel der hinterzogenen Steuerschulden nach Abschaffung des Bargeldes gezahlt würden. In der Eurozone, vor allem in Südeuropa, ist die Schattenwirtschaft und die durch das Bargeld erleichterte Steuerhinterziehung noch wichtiger. Für Europa schätzt Rogoff eine Steuervermeidung von einer Billion Dollar.
Im zweiten Teil argumentiert Rogoff, dass die Geldpolitik wirksamer als fiskalische Stimuli sein könnte, um die Nachfrage zu beleben, wenn nur nennenswerte negative Nominalzinsen möglich wären. Das schon erreichte Niveau von Zinsen in der Nähe von oder leicht unter der Nulllinie ist nach Rogoff völlig unzureichend. Rogoff entwickelt auch detaillierte Überlegungen zum Ausstieg aus dem Bargeld, wobei man mit der Abschaffung hochwertiger Noten beginnen sollte. Dabei berücksichtigt er auch Fragen der finanziellen Inklusion, notwendige rechtliche Veränderungen und internationale Rückwirkungen.
Noten mit geringem Wert und Münzen will er noch für lange Zeit beibehalten. Rogoff betont gleichzeitig die mit der Bargeldabschaffung und der Möglichkeit, negative Nominalzinsen durchzusetzen, verbundene Machtausweitung für den Staat und die Unsicherheit vieler makroökonomischer Erkenntnisse. Darin könnte man so etwas wie einen Widerspruch sehen. Aber Rogoff hat (im Gegensatz etwa zu Milton Friedman) mehr Angst vor der Unmöglichkeit geldpolitischer Steuerung als vor deren Missbrauch. Gerade wer das anders sieht, sollte sich aber mit Rogoffs Argumenten auseinandersetzen. Weil die EZB keine neuen 500-Euro-Noten mehr in Umlauf bringen wird, gibt es schon erste Anzeichen dafür, dass Rogoffs Rat Gehör findet.
ERICH WEEDE
Kenneth S. Rogoff: The Curse of Cash. Princeton: Princeton University Press 2016, 283 Seiten, 29,95 Dollar
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