Christoph Ransmayrs »Spielformen des Erzählens«. Eine Bildergeschichte mit Unterwasserfotografien von Manfred Wakolbinger. Ist es das Paradies, was uns erwartet? Ist es die Hölle? Sieben >Damen & Herren unter Wasser< erleben beides: des einen Himmel ist des anderen Inferno. In der neuesten seiner »Spielformen des Erzählens«, die seit 1997 bei S. Fischer in loser Folge und gleicher Leinen-Ausstattung erscheinen, stellt Christoph Ransmayr die »Bildergeschichte« in eine Reihe, in der er bereits »Festrede«, »Tirade« oder »Verhör« als Varianten einer ebenso vergnüglichen wie vielschichtigen Prosa vorgeführt hat. Diesmal erzählt er zu den Unterwasserfotografien von Manfred Wakolbinger die Verwandlungsgeschichten von sieben, allein durch ihre Wasserscheu verbundenen Damen und Herren, die sich eines Tages als Meerestiere in der Tiefsee wiederfinden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2007Neues Glück für Lungenatmer
Christoph Ransmayr ist abgetaucht - er besucht in seiner Bildergeschichte "Damen & Herren unter Wasser" Menschen, denen der Abstieg in die Unterwasserwelt ganz unverhofft gelungen ist
Als Herr Blueher einmal sich selbst begegnete, wusste er noch nichts davon. Es war "im verlotterten Aquarium meiner Heimatstadt", dass er einen lebendigen Tintenfisch, genauer: einen Großflossen-Riffkalmar sah. Nun ist der ehemalige Museumswärter mit den unkontrollierten Schweißausbrüchen selbst in den Körper eines Tintenfischs gezwängt, der grübelnd, aber nicht unglücklich durch die submarinen Tiefen streift, um eine Antwort auf die Frage zu finden, "welche Kräfte es wohl waren, die mich, einen atmosphärisch gebundenen Lungenatmer, in mein gegenwärtiges Leben herabzogen, in die Meerestiefe und mich dort in eine schwimmende, schwebende Gestalt zwangen".
Um Verwandlungen geht es in Christoph Ransmayrs schmalem Band "Damen & Herren unter Wasser". Warum es überhaupt dazu gekommen ist, ist Ransmayr allerdings genauso egal wie Kafka, der seinen Gregor Samsa eines Morgens als Käfer erwachen ließ; was ihn eher interessiert, ist das "was nun". Es liegt ein großer Reiz in der Vorstellung, dass die Körper an Land überbevölkert sein könnten und die menschlichen Seelen deshalb von einem Tag auf den anderen in Körper von Weichtieren und Wasserwesen schlüpfen. Deshalb ist Herr Blueher auch kein wirklicher Tintenfisch, sondern ein Zwischending. Er kann zwar noch denken, aber die Sprache geht ihm flöten; was einst Wörter und Gedanken waren, wird zu Farbspielen, die über seine Haut huschen. Was ist "hübsch" zum Beispiel? "Jetzt beginnt sich meine Erinnerung immer öfter mit Geräuschen wie schsch, übsch, hübsch zu verbinden und der Sinn dieser Zischlaute mit der vollendeten Form und Anordnung von Saugnäpfen oder dem heiteren Schwung von Tentakeln. Übsch, schsch, hüübsch!" Die Metamorphose des Herrn Blueher ist noch nicht abgeschlossen.
Dass die Verwandlungen nicht nur in der Erzählung selbst stattfinden, macht ein Blick auf den Einband sofort klar. Dort steht: "Eine Bildergeschichte nach 7 Farbtafeln von Manfred Wakolbinger", darunter ein Foto, das wie ein Stillleben wirkt, ein Schnappschuss aus einer anderen Welt. Es zeigt einen Tintenfisch, wie er durch eine grünschwarze Dämmerung schwebt. Das Bild leuchtet von innen heraus. Auch die anderen Fotos im Buch zeigen Bewohner der Unterwasserwelt: einen Geisterpfeifenfisch, einen Flohkrebs, eine Imperialgarnele und andere. Sie sind alle Herrn Bluehers Schicksalsgenossen. Ransmayr hat die Fotos ausgewählt, bevor er zu schreiben begann; es sind nicht die Bilder, die seine Erzählung illustrieren, sondern er selbst hat seine Geschichte der Unterwasserfotografie von Wakolbinger angepasst. Denn zuerst einmal ist es Ransmayr selbst, der sein eigenes Erzählen verwandelt. Er hat die Form der Bildergeschichte gewählt, eine höchstens im Deutschunterricht oder als Comic beliebte Form. Für andere Schriftsteller hat das Wort einen zu hohen Eigenwert, als dass sie es einem Bild unterordnen würden. Genau das aber scheint Ransmayr zu reizen. Die Form, die den Inhalt herausfordert: Er selbst nennt das "Spielformen des Erzählens", und neben Romanen, die dagegen so etwas wie den Ernst in der Literatur verkörpern, hat er in den letzten Jahren ebenso schmale Bändchen wie "Damen & Herren unter Wasser" mit der Tirade, der Festrede und dem Verhör als Prosavarianten herausgebracht.
Dem Text hat das gutgetan. Er ist leicht geworden, lässt sich mal zu dem einen, mal zu dem anderen Gedanken treiben. Dass Ransmayr sonst nicht nur einen Hang zu Verwandlungen, sondern auch zu großen Worten hat, ist spätestens seit seinem bekanntesten Buch klar, dem Roman "Die letzte Welt", der um Ovid und seine "Metamorphosen" kreiste. Die Sprache wog genauso schwer wie das Thema, weshalb ich mich an das Buch vor allem wegen seiner überzuckerten Formulierungen erinnere. Aber auch, weil Ransmayr trotz - oder wegen? - der Beschreibungswallfahrten manche Bilder zurückgelassen hat, die so kein Foto einfangen kann: Wie Ovid verlassen am Schwarzen Meer sitzt, in einer bizarren Zukunftsvergangenheit, wo Menschen und Zeiten versteinern.
"Damen & Herren unter Wasser" schraubt das Programm deutlich zurück. Schon das Zeichen "&" im Titel signalisiert die Beiläufigkeit. Und obwohl man sich bei Ransmayr sicher sein kann, dass auch dieses Zeichen eben nicht dahingetropft, sondern überlegt gesetzt wurde, erfüllt sich das Versprechen eines - die Meeresmetaphern lassen sich kaum umgehen - dahinströmenden Erzählens. Das Schöne ist ja: Im Gegensatz zu einem Roman weckt so ein Bändchen keine großen Erwartungen. Umso überraschter ist man, je mehr man in die Geschichte eintaucht. Der Zucker hat sich aufgelöst. Man merkt dem Autor das Vergnügen an zu erzählen, und der heitere, manchmal ironisch gefärbte Ton wird nur selten etwas zu plauderhaft.
Herr Blueher ist, genau wie die anderen Opfer der mysteriösen Verweichlichung, "ohne tödliche Folgen im Medium seiner Angst ersäuft" worden. Das, immerhin, findet er heraus. Die Angst vor den Hydrographen, die im Museum jeden Schweißausbruch protokollierten, und vor den Kollegen, die grinsend die Flecke unter den Achseln musterten. Die Wasserscheu verbindet ihn mit den Schicksalsgenossen. In Wirklichkeit ist ihr Abstieg womöglich ein Aufstieg, die Unterwelt eine Überwelt: Endlich verweichlicht, befreit aus allen Verbindungen, auch der Angst, werden die neuen Wesen, "so fischfunke ich meiner zärtlichen Freundin Purpleheart, vielleicht liebevoller und gütiger, als wir es je waren". Wenn man das Buch gelesen hat, sieht man jedenfalls die Fotos mit anderen Augen als zuvor: auch das eine Verwandlung. Man erkennt im Tintenfisch auf dem Titelfoto Herrn Blueher und fragt sich, ob es eigentlich dieses grünschwarze Farbenspiel auf seiner Haut ist, das übsch-schsch-hüübsch bedeutet, da unten, in der letzten Welt.
ANNE ZIELKE
Christoph Ransmayr: "Damen & Herren unter Wasser". Eine Bildgeschichte nach 7 Farbtafeln von Manfred Wakolbinger. S.-Fischer-Verlag 2007, 88 Seiten, geb., 16 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christoph Ransmayr ist abgetaucht - er besucht in seiner Bildergeschichte "Damen & Herren unter Wasser" Menschen, denen der Abstieg in die Unterwasserwelt ganz unverhofft gelungen ist
Als Herr Blueher einmal sich selbst begegnete, wusste er noch nichts davon. Es war "im verlotterten Aquarium meiner Heimatstadt", dass er einen lebendigen Tintenfisch, genauer: einen Großflossen-Riffkalmar sah. Nun ist der ehemalige Museumswärter mit den unkontrollierten Schweißausbrüchen selbst in den Körper eines Tintenfischs gezwängt, der grübelnd, aber nicht unglücklich durch die submarinen Tiefen streift, um eine Antwort auf die Frage zu finden, "welche Kräfte es wohl waren, die mich, einen atmosphärisch gebundenen Lungenatmer, in mein gegenwärtiges Leben herabzogen, in die Meerestiefe und mich dort in eine schwimmende, schwebende Gestalt zwangen".
Um Verwandlungen geht es in Christoph Ransmayrs schmalem Band "Damen & Herren unter Wasser". Warum es überhaupt dazu gekommen ist, ist Ransmayr allerdings genauso egal wie Kafka, der seinen Gregor Samsa eines Morgens als Käfer erwachen ließ; was ihn eher interessiert, ist das "was nun". Es liegt ein großer Reiz in der Vorstellung, dass die Körper an Land überbevölkert sein könnten und die menschlichen Seelen deshalb von einem Tag auf den anderen in Körper von Weichtieren und Wasserwesen schlüpfen. Deshalb ist Herr Blueher auch kein wirklicher Tintenfisch, sondern ein Zwischending. Er kann zwar noch denken, aber die Sprache geht ihm flöten; was einst Wörter und Gedanken waren, wird zu Farbspielen, die über seine Haut huschen. Was ist "hübsch" zum Beispiel? "Jetzt beginnt sich meine Erinnerung immer öfter mit Geräuschen wie schsch, übsch, hübsch zu verbinden und der Sinn dieser Zischlaute mit der vollendeten Form und Anordnung von Saugnäpfen oder dem heiteren Schwung von Tentakeln. Übsch, schsch, hüübsch!" Die Metamorphose des Herrn Blueher ist noch nicht abgeschlossen.
Dass die Verwandlungen nicht nur in der Erzählung selbst stattfinden, macht ein Blick auf den Einband sofort klar. Dort steht: "Eine Bildergeschichte nach 7 Farbtafeln von Manfred Wakolbinger", darunter ein Foto, das wie ein Stillleben wirkt, ein Schnappschuss aus einer anderen Welt. Es zeigt einen Tintenfisch, wie er durch eine grünschwarze Dämmerung schwebt. Das Bild leuchtet von innen heraus. Auch die anderen Fotos im Buch zeigen Bewohner der Unterwasserwelt: einen Geisterpfeifenfisch, einen Flohkrebs, eine Imperialgarnele und andere. Sie sind alle Herrn Bluehers Schicksalsgenossen. Ransmayr hat die Fotos ausgewählt, bevor er zu schreiben begann; es sind nicht die Bilder, die seine Erzählung illustrieren, sondern er selbst hat seine Geschichte der Unterwasserfotografie von Wakolbinger angepasst. Denn zuerst einmal ist es Ransmayr selbst, der sein eigenes Erzählen verwandelt. Er hat die Form der Bildergeschichte gewählt, eine höchstens im Deutschunterricht oder als Comic beliebte Form. Für andere Schriftsteller hat das Wort einen zu hohen Eigenwert, als dass sie es einem Bild unterordnen würden. Genau das aber scheint Ransmayr zu reizen. Die Form, die den Inhalt herausfordert: Er selbst nennt das "Spielformen des Erzählens", und neben Romanen, die dagegen so etwas wie den Ernst in der Literatur verkörpern, hat er in den letzten Jahren ebenso schmale Bändchen wie "Damen & Herren unter Wasser" mit der Tirade, der Festrede und dem Verhör als Prosavarianten herausgebracht.
Dem Text hat das gutgetan. Er ist leicht geworden, lässt sich mal zu dem einen, mal zu dem anderen Gedanken treiben. Dass Ransmayr sonst nicht nur einen Hang zu Verwandlungen, sondern auch zu großen Worten hat, ist spätestens seit seinem bekanntesten Buch klar, dem Roman "Die letzte Welt", der um Ovid und seine "Metamorphosen" kreiste. Die Sprache wog genauso schwer wie das Thema, weshalb ich mich an das Buch vor allem wegen seiner überzuckerten Formulierungen erinnere. Aber auch, weil Ransmayr trotz - oder wegen? - der Beschreibungswallfahrten manche Bilder zurückgelassen hat, die so kein Foto einfangen kann: Wie Ovid verlassen am Schwarzen Meer sitzt, in einer bizarren Zukunftsvergangenheit, wo Menschen und Zeiten versteinern.
"Damen & Herren unter Wasser" schraubt das Programm deutlich zurück. Schon das Zeichen "&" im Titel signalisiert die Beiläufigkeit. Und obwohl man sich bei Ransmayr sicher sein kann, dass auch dieses Zeichen eben nicht dahingetropft, sondern überlegt gesetzt wurde, erfüllt sich das Versprechen eines - die Meeresmetaphern lassen sich kaum umgehen - dahinströmenden Erzählens. Das Schöne ist ja: Im Gegensatz zu einem Roman weckt so ein Bändchen keine großen Erwartungen. Umso überraschter ist man, je mehr man in die Geschichte eintaucht. Der Zucker hat sich aufgelöst. Man merkt dem Autor das Vergnügen an zu erzählen, und der heitere, manchmal ironisch gefärbte Ton wird nur selten etwas zu plauderhaft.
Herr Blueher ist, genau wie die anderen Opfer der mysteriösen Verweichlichung, "ohne tödliche Folgen im Medium seiner Angst ersäuft" worden. Das, immerhin, findet er heraus. Die Angst vor den Hydrographen, die im Museum jeden Schweißausbruch protokollierten, und vor den Kollegen, die grinsend die Flecke unter den Achseln musterten. Die Wasserscheu verbindet ihn mit den Schicksalsgenossen. In Wirklichkeit ist ihr Abstieg womöglich ein Aufstieg, die Unterwelt eine Überwelt: Endlich verweichlicht, befreit aus allen Verbindungen, auch der Angst, werden die neuen Wesen, "so fischfunke ich meiner zärtlichen Freundin Purpleheart, vielleicht liebevoller und gütiger, als wir es je waren". Wenn man das Buch gelesen hat, sieht man jedenfalls die Fotos mit anderen Augen als zuvor: auch das eine Verwandlung. Man erkennt im Tintenfisch auf dem Titelfoto Herrn Blueher und fragt sich, ob es eigentlich dieses grünschwarze Farbenspiel auf seiner Haut ist, das übsch-schsch-hüübsch bedeutet, da unten, in der letzten Welt.
ANNE ZIELKE
Christoph Ransmayr: "Damen & Herren unter Wasser". Eine Bildgeschichte nach 7 Farbtafeln von Manfred Wakolbinger. S.-Fischer-Verlag 2007, 88 Seiten, geb., 16 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christoph Ransmayrs Verwandlungsgeschichten "Damen und Herren unter Wasser", in denen sich sieben wasserscheue Menschen als Meerestiere in der Tiefsee wiederfinden, haben es Anne Zielke angetan. Wie Zielke in ihrer Besprechung in der FAZ am Sonntag berichtet, handelt es bei den Erzählungen dieses Bands um Bildgeschichten, die der Autor nach den faszinierenden Unterwasserfotografien Manfred Wakolbingers geschrieben hat. Damit hat Ransmayr, dessen großes Thema die Verwandlung ist, in ihren Augen auch sein Erzählen verwandelt, was sie nur begrüßen kann, denn den Texten ist das gut bekommen. Sie scheinen Zielke von einer Leichtigkeit, die sie bei Ransmayr, dessen Sprache sonst schwer wog, angenehm überrascht. Der ehemalige Museumswärter Blueher etwa schwebt nun als Tintenfisch durch die Tiefe, sich fragend, wie das alles gekommen ist. Ransmayr hingegen interessiere viel mehr die Frage "was nun?".
© Perlentaucher Medien GmbH
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