Digitalisierung und digitale Langzeitarchivierung (digital longterm preservation) von audiovisuellen Medien – das ist das zentrale Thema dieser Festschrift zum dreißigjährigen Bestand des Verbandes der österreichischen AV-Archive.
Am Beginn des Aufsatzbandes, der Referate von der wissenschaftlichen Tagung im Herbst 2006 in veränderter und erweiterter Form enthält, wird nach einem Vergleich der Situation der audiovisuellen Archive 1976 und heute ein „Medienmemorandum“ abgedruckt. Dieses enthält das medienpolitische Ergebnis der Tagung: Die Erhaltung des audiovisuellen Kulturerbes erfordert besondere Unterstützung durch Gesellschaft und Politik. Andernfalls droht eine ungewollte „Kulturrevolution“.
In einem ersten Teil werden die Gefahren für AV-Medien beschworen: die Originalträger werden unbrauchbar, und wenn sie das nicht sind, so fehlt gewiss das passende Abspielgerät: wird längst nicht mehr erzeugt, lässt sich weder auftreiben noch nachbauen.
Es muss also gehandelt werden, bevor es zu spät ist. Lange Zeit war dabei unklar, wie. Erst seit den neunziger Jahren gibt es eine wirkliche Zukunftsperspektive für AV-Medien: Digitalisierung, Überführung der Originalmedien in Dateien, die in der Folge automatisch und verlustfrei weiterkopiert – migriert – werden können.
Es ist das ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel: Träger und Formate sind nur mehr Durchzugsstationen des Medieninhaltes. Die audiovisuellen Inhalte werden in die Zukunft mitgenommen, alte Trägerformen aber wie Schlacke zurückgelassen.
Hört sich gut an – in der Praxis sieht es oft anders aus. Es ist eine Art Doppelmühle entstanden: Ohne Digitalisierung geht es nicht, mit ihr oft erst recht nicht.
Zwar ist für zahlreiche audiovisuelle Dokumente ihre Digitalisierung tatsächlich die einzige Rettung – aber dazu muss man zunächst die entsprechenden Mittel haben. Dann muss der Transfer ins Digitale professionell vollzogen werden – was zwar leicht gesagt ist, aber oft nicht ausgeführt wird. Statt Qualitätsarbeit gibt es oft „Digitalisierung light“ quasi unter dem Motto „Digitalisieren – das kann doch heutzutage ohnehin jeder, der mit einem PC firm ist“. So ist es aber keineswegs, man benötigt professionelle Hard- und Software und vor allem beträchtliche Expertise.
Unter der Bedingung, dass all das berücksichtigt wird, sind die Dokumente dann gerettet? Mitnichten, dann beginnt das Problem meist erst. Viele Menschen haben mittlerweile ihre eigenen Erfahrungen damit gemacht: Dateien sind verschwunden, lassen sich nicht mehr öffnen oder Programme zu ihrer Wiedergabe fehlen.
Also vom Regen in die Traufe? Wenn man unbedacht vorgeht, ganz gewiss. Wenn das Ergebnis einer Digitalisierung bloß CD-ROMs sind, die man frohgemut in den Bürokasten stellt, so sind die Zukunftsaussichten des Digitalisates äußerst trist. Man kann allerdings die Gegebenheiten der digitalen Welt auch ernst nehmen und für permanente Kontrolle, regelmäßiges Migrieren etc. sorgen. Dann besteht kein Grund, warum wir unsere AV–Dokumente (und andere digitale Informationen) nicht auf Dauer behalten, bzw. auf unserer Reise durch die Zeit mitführen sollten.
Es ist keine leichte Aufgabe und es ist auch nicht billig, aber es geht um die Bewahrung des audiovisuellen Kulturgutes des Landes. Aus Eigenem können die AV-Archive die Schwelle ins Digitale nicht überschreiten. Sie benötigen, auf Basis kluger Konzepte, entsprechende Unterstützung – damit uns nicht Sehen und Hören vergeht.
Von solchen Voraussetzungen aus wurde die Tagung zum dreißigjährigen Verbandsjubiläum geplant – insbesondere das erste, von Barbara Kopf moderierte Panel: „Wir brauchen bloß nichts zu tun – und alles ist weg“.
Die folgenden, teils nach der Veranstaltung noch überarbeiteten Statements behandeln dabei die Thematik in durchaus unterschiedlicher Weise.
Zunächst stellt Gerhard Jagschitz die heutige Situation in den Kontext der Geschichte: die gewandelte Welt der AV-Archive, die neuen Aufgaben – und die alten Defizite. Zu den technischen Lösungen müssen auch politische Rahmenbedingungen und wissenschaftliche Vorgaben treten.
Trotz vieler Gemeinsamkeiten sieht die Archivpraxis für AV-Archive unterschiedlicher Spezialisierung durchaus nicht gleich aus. Daher kamen im Rahmen des ersten Panels auch Vertreter verschiedener Arten von AV-Archiven zur Sprache: für Bild das Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (Hans Petschar), für Ton das Phonogrammarchiv (Dietrich Schüller) und die Österreichische Mediathek (Rainer Hubert), für Filmarchive das Filmarchiv Austria (Thomas Ballhausen) und für Radio- und Fernseharchive das ORF-Fernseharchiv (Herbert Hayduck). Im Kontext der digitalen Wende ist dabei vor allem anzumerken, dass für Filmarchive die Langzeitarchivierung derzeit noch keineswegs unter digitalem Vorzeichen steht – ein wichtiger und festzuhaltender Umstand. Thomas Ballhausen stellt in seinem Beitrag die Filmarchive selbst und ihre Geschichte ins Zentrum: Die Bewahrung von Medien ist auch die Geschichte der Institutionen, die sie aufheben und zugänglich machen. In besonderer Weise gefordert durch den Umstieg auf digitale Medien sind die Rundfunkarchive – was auch in der Darstellung von Herbert Hayduck über das ORF-Fernseharchiv deutlichen Ausdruck findet.
Der Paradigmenwechsel, der schon in Hayducks Darstellung betont wird, steht in Dietrich Schüllers Beitrag im Vordergrund: Nicht mehr der Träger als solcher, sondern der Inhalt steht im Mittelpunkt einer Sicherung auf lange Sicht, was allerdings der kritischen, teuren und kulturpolitisch sträflich unterschätzten Frage der digitalen Langzeitarchivierung besonderes Gewicht gibt.
In einem zweiten Teil wird die Thematik Lobbying und Netzwerke(n) behandelt. -
Netzwerken und Lobbying wird bei der MAA seit 30 Jahren betrieben. Die Zusammenarbeit mit Institutionen im Bereich AV-Archive national und international aber auch über die Grenzen Österreichs war immer ein wesentlicher Aspekt der Arbeit der MAA. So wurden und werden einige Initiativen auf nationalem und internationalem Niveau mitgetragen, Kontakte aufgebaut und gepflegt. Innerhalb Österreichs geschieht das – neben der Arbeit mit den AV-Archiven – vor allem mit Bibliotheken, Museen und Archiven. So werden die vorliegenden Beiträge auch von Vertretern aus allen drei Bereichen bestritten.
In dem von Siegfried Steinlechner moderierten Panel skizziert zunächst Harald Weigel am Beispiel von BAM-Austria (Bibliotheken, Archive, Museen und Dokumentationsstellen in Österreich), wie die Verbände aus unterschiedlichen, früher stark abgegrenzten Bereichen sowie deren maßgebliche Institutionen in der Einsicht einer gemeinsamen Interessensbasis versuchen, sich besser und intensiver zu koordinieren, ein Netzwerk der Kompetenz aufzubauen und für ihre Anliegen Lobby-Arbeit zu verrichten. Zum anderen wird am Beispiel "Bibliothek" bzw. "Bibliothekar" angesprochen und zur Diskussion gestellt, wie sich ein nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehender Berufsstand bezüglich Netzwerke/Lobbyarbeit verhalten könnte. Der entsprechende Artikel in der Publikation stammt von Siegfried Steinlechner.
Hermann Huemer bietet einen Überblick über den Stand der Aus- und Weiterbildung in den Bereichen Bibliotheken, Archive und Museen in Österreich. Der Bogen spannt sich von der Lehrlingsausbildung über die diversen Fachhochschulen bis zum universitären Magisterstudium und den postgradualen sowie außeruniversitären Lehrgängen. Huemer kommt zum Schluss, dass „die umfassende Öffnung und stärkere Nutzung der wissenschaftlichen Information in allen Lebensbereichen neue Informationsdienste und Geschäftsmodelle sowie Angebote zur Weiterqualifizierung im Umgang mit Informationsangeboten und Suchoptionen erfordert.“
Lorenz Mikoletzky gibt einen Kurzüberblick über die Geschichte des Archivwesens auf dem heutigen österreichischen Staatsgebiet. Der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung des Österreichischen Staatsarchivs seit seiner Gründung von 1945 und seinem Verhältnis zu den anderen österreichischen Archiveinrichtungen. Dabei werden die gemeinsamen sowie die der jeweiligen Archiveinheit extra zugeordneten Aufgaben näher beleuchtet. Vor allem wird das Verhältnis der Archive zur eigenen Bewahrung von Film-, Ton- und Bilddokumenten sowie zu Spezialinstitutionen zur Archivierung dieses Materials erläutert. Der Weg zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts macht auch vor der Arbeit in den Archiven nicht halt und so wird das Thema der Digitalisierung sowie der Langzeitarchivierung und deren derzeitiger Stand ebenfalls behandelt. Dieser Beitrag liegt in der Publikation nicht vor. Die Landesgruppe Österreich der IAML (International Association of Music Libraries, Archives and Documentation Centres) wurde 2002 gegründet. Thomas Leibnitz berichtet über die Vereinigung der Musikbibliotheken unterschiedlicher Ausrichtung (wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken und Archive, Bibliotheken an musikpädagogischen Einrichtungen, Musikinformationszentren etc.). IAML Austria will einerseits in einer immer enger vernetzten Informationslandschaft die Kontakte unter Österreichs musikbibliothekarischen Institutionen intensivieren, andererseits den Interessen der einzelnen Bibliotheken eine gemeinsame Stimme geben.
Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem Thema Audiovisuelle Medien und Internet. Wodurch unterscheidet sich die Internetpräsenz der (meist durch die öffentliche Hand finanzierten) AV-Archive von Portalen des Web 2.0?
AV-Archive sind dem Aspekt der Nachhaltigkeit verpflichtet. Das, was im Internet präsentiert wird, ist nur ein kleiner Ausschnitt, hinter dem in der Regel ein komplexes System der Langzeitarchivierung steht. AV-Archive sorgen dafür, dass das, was sie heute im Internet zur Verfügung stellen, auch noch in Zukunft benützbar sein wird.
AV-Archive sind Qualitätskriterien verpflichtet. Dies betrifft Fragen der Digitalisierung ebenso wie wissenschaftliche und ethische Fragen der Distribution des Materials.
AV-Archive können sich urheberrechtlichen Gegebenheiten nicht entziehen, was, unter Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, in weiten Bereichen eine nicht unerhebliche Einschränkung in der Quantität der Internetpräsenz bedeutet.
In diesem von Christiane Fennesz-Juhasz moderierten Panel wurden unterschiedliche Zugangsweisen zum Transmissionsmedium Internet vorgestellt, sowohl als Geschäftsmodell als auch als weitere Form der Benutzung von AV-Archivalien.
Wolfgang Ernst widmet in seinem Beitrag „Homer online – Von der Kulturtechnik Schrift zum elektromagnetischen recording“ Gedanken zur audiovisuellen Kodierung jenseits der Kulturtechnik Schrift, der Veränderung durch Digitalisierung – mit der Digitalisierung analoger Mediensignale verschränken sich technische (Phonogramm) und logische (mathematische Analyse) Aspekte – sowie der Bereitstellung im Internet als „ein Archiv von Klängen, das sich selbst in seinem eigenen Medium erkennt, ordnet und regeneriert – die technische Einheit der Sinne in der Kultur einer medientechnisch immanenten Notation“. Ernst plädiert schließlich für ein duales System von online AV-Archiven: In der „bedarfs- und interessensbasierten quasi-archivischen multimedialen Datenbank“ des Internet kommt dabei den institutionell verankerten AV-Archiven die Funktion eines stabilisierenden Rückgrats (backbone) zu, welches diesem „anarchivischen Gedächtnis“ mit seinen halblegalen und diffusen Inhalten als Korrektiv autorisierte, qualitätsgesicherte und redigierte Archivdokumente entgegensetzt.
Peter Prokop stellt mit www.bildarchiv.at den Online-Auftritt des Bildarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek vor. Kernpunkt dieses Projekts ist der Aufbau eines vernetzten digitalen Bildangebotes mit dem Schwerpunkt zeitgeschichtlicher Dokumentation in historischen Fotografien. Dies bedeutet Digitalisierung von Beständen und Bereitstellung über eine Onlineplattform, die einerseits Zugang zu den Beständen (gemäß den Bestrebungen der Europäischen Union kulturelles Erbe der Mitgliedsländer über elektronische Netze bereitzustellen) ermöglicht und andererseits durch eine integrierte Shop-Funktionalität Wege eines Online-Geschäftsmodells für AV-Archive zeigt.
Susanne Krucsay geht in ihrem Beitrag „Audio-visuelle Archive und Medienkonvergenz – Versuch einer Annäherung aus medienpädagogischer Sicht“ den Fragen medialer Vermittlung und möglicher medienpädagogischer Nutzbarmachung von Archivmaterial im Schulunterricht nach. Die Quellen der AV-Archive müssen für den Schulunterricht entsprechend didaktisch aufbereitet werden, um Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, diese Medien in ihrer Kontextualisierung verstehen zu lernen.
Gabriele Fröschl stellt mit dem virtuellen Museum unterschiedliche Webausstellungen vor, mit denen die Österreichische Mediathek Teile ihrer Archivbestände via Internet anbietet. Der Fokus liegt hier auf einer Darstellungsweise, die die Quelle in einer kommentierten Form anbietet: Webausstellungen mit ihrer niederschwelligen Form der Zugänglichkeit als Möglichkeit, breitere Publikumsschichten für Tonarchive zu interessieren und als Chance, neue Wege in der Benützung einzuschlagen.
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