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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Unter Giftmischern, Spionen und Kurtisanen: Michael Sommer legt eine aufschlussreiche Sittengeschichte des alten Rom vor
Nutzte auch Cicero bisweilen einen formelhaften Fluch, um einen Feind den Unterweltgöttern zu überantworten? Machte er sich kundig durch eine einschlägige Anleitung, die begann mit "Nimm ein Bleitäfelchen und einen eisernen Ring, schreibe den Namen, das Zauberzeichen"? Vielleicht passte er die Vorlage seinem Begehren an und ritzte etwa: "Gebunden sei des Clodius Vernunft, auf dass er mich nicht in die Verbannung zu schicken vermag. Ich binde Clodius zu diesem Zweck. Er soll nicht reden, nicht widerstreben, nicht widersprechen, er soll mir nicht entgegenblicken oder entgegenreden können, sondern soll mir unterworfen sein, solange dieser Ring vergraben liegt." Oder wünschte er ihm gar den Tod? Wir wissen es nicht.
Die disziplinäre Systematik zur Untersuchung der Handlungsfelder im alten Rom legte einst strikte Trennungen nahe: hier die Feldzüge, die Politik, die strenge Moral, dort das Privatleben und die Kulturgeschichte. Strikt getrennt von den Göttern der res publica firmierte der Aberglaube der kleinen Leute, fast wie zwei Welten erschienen das öffentliche Agieren der Männer und die abgeschotteten Räume der Frauen. Handelten jene im Verborgenen oder mischten sich diese in die Politik ein, galt das als Zeichen des Verfalls. Römische Sittengeschichte war über weite Strecken Dekadenzgeschichte.
Michael Sommer kennt die verborgenen Unterwelten der Römer bestens, und er breitet die Früchte seiner Belesenheit geschickt aus; sein Blick durch die Schlüssellöcher unter Überschriften wie "Bettgeschichten. Von Kaisern und Kurtisanen" unterhält daher aufs Beste. Kurze Kapitel, anschauliche Schilderungen und gelegentlich eingestreute aktuelle Schlagwörter tragen zum Lesevergnügen bei. Doch der Oldenburger Althistoriker leistet mehr. Er bricht die erwähnten Trennungen auf und zeigt, wie die geheime Geschichte mit dem Grundproblem der stets prekären Ordnung verflochten war.
So lassen sich die Sanktionen gegen die dem Bacchus huldigenden Kultvereinigungen nach dem Hannibalkrieg als Ausdruck der Besorgnis in der römischen Führung deuten, erneut in weiten Teilen Italiens die Kontrolle zu verlieren. Gesetze gegen Giftmorde ebenfalls schon während der Republik deuten auf eine Angst, die Regeln könnten nicht mehr funktionieren. Und was sagt es über ein politisches System, wenn der Mann an der Spitze nicht anders als durch eine Verschwörung beseitigt werden konnte oder dynastische Unsicherheiten die Zubereitung eines tödlichen Pilzgerichts nahelegten?
Wie geläufig dieses Risiko war, erläutert Sommer an der gewiss mit Nebenwirkungen verbundenen Praxis des pontischen Königs Mithridates, sich durch regelmäßige Zufuhr kleiner Dosen von Gift gegen den einen großen Anschlag zu immunisieren, was ihm offenbar auch gelang. Kaiser Mark Aurel, geplagt von Schmerzen, Stress und Schlafmangel, nahm Theriak, möglicherweise vermischt mit opiumhaltigem Mohnsaft. Ob der intellektuell brillanteste Kopf unter den Kaisern wie Sherlock Holmes ein Drogensüchtiger war, lässt der Autor jedoch offen.
Sommer thematisiert immer wieder, wie heikel gerade beim verborgenen Leben die Quellenkritik ist. In der Schilderung der sogenannten Catilinarischen Verschwörung wäre allerdings wohl etwas mehr Distanz zu den Hauptzeugen Cicero und Sallust angebracht, die zwar "nahe dran" waren, doch zugleich aus unterschiedlichen Gründen unrettbar kontaminiert sind. Für die Kaiserzeit wird gezeigt, wie Gerücht, Insinuation und Verdunkelung beinahe systemnotwendig entstanden und nicht selten die Überlieferung zu prägen vermochten, gipfelnd in den Herrscherbiographien Suetons sowie der noch immer rätselhaften "Geheimgeschichte" Prokops über Justinian und Theodora.
Überzeugend gelingt es dem Autor, die oft skurrilen Nachrichten in ein facettenreiches Bild der römischen Welt einzubetten, einer Welt, die kein staatliches Gewaltmonopol kannte, doch Ordnung stiftende Bindekräfte, in der "privat" und "öffentlich" miteinander verschränkt waren und wo man Sexualität nach dem sozialen Raum beurteilte, in dem sie praktiziert wurde. Vieles blieb verborgen, doch wenn Vorgänge in die Öffentlichkeit gezerrt und skandalisiert wurden, erstaunt doch, wie handlungsfähig das System sein konnte; mit Recht weist Sommer auf die Fortschritte in der Strafjustiz und -verfolgung hin.
Mehrfach befragt er die Historische Anthropologie und sucht damit das Handeln der Akteure zu erklären. So fürchteten nicht nur die Eliten einen Kontrollverlust; dieser war vielmehr in der antiken Welt das Normale, und die Menschen nahmen, was zur Hand war, um der Zuversicht ein wenig aufzuhelfen. So handelt das Buch auch von Türschlössern, Empfängnisverhütung und Abtreibung sowie von der allgegenwärtigen Praxis, Konkurrenten im Bett, im Geschäft oder beim Wetten auf Wagenlenker durch standardisierte Verfluchungen zu schädigen. Sommer bringt ein in Groß-Gerau gefundenes Fluchtäfelchen aus Blei eindrucksvoll zum Sprechen. Auch Freunde von Spionen, Kriegslisten und Chiffriertechniken kommen auf ihre Kosten. In ihren Grabinschriften sprechen die Opfer von Alltagskriminalität zu uns.
Sommer entstaubt die Römer, wenn er Kaiser Claudius einen Womanizer nennt und von christlichen Aktivisten spricht, doch er simplifiziert nicht. Nach dem Verdampfen des humanistischen Bildungssubstrats bestehe die Chance, die Antike neu zu sehen, nämlich als ein "Laboratorium, wo mit dem historisch Möglichen auf sensationell kreative Weise herumexperimentiert wurde". Zu verstehen, auf welche Ideen Menschen kommen konnten, um mit dem Unverfügbaren zurechtzukommen oder ein Heil im Winkel zu suchen, ist nicht der geringste Ertrag dieses lesenswerten Buches. UWE WALTER
Michael Sommer: "Dark Rome". Das geheime Leben der Römer.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 288 S., Abb., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Althistoriker Michael Sommer erzählt von Skandalen, Spionen, Verrätern, Mördern und Mysterien im antiken Rom
Dass die Antike weder in Griechenland noch im alten Rom nur in stiller Größe und edler Einfalt erstrahlte, dürfte hinlänglich bekannt sein. Dass all die Philosophen und Schriftsteller, deren Werke bis heute in Schulen gelesen und an Universitäten gelehrt werden, all die Erbauer imponierender Bauwerke, Bildhauer glänzender Statuen und Konstrukteure großartiger Straßen und Wasserleitungen die mächtige dunkle Seite und Welt der antiken Gesellschaften und ihres Alltags verdecken können, war immer zu ahnen, wenn man’s nicht sowieso gewusst hat.
Der Oldenburger Althistoriker Michael Sommer erzählt nun in seinem Buch temperamentvoll und anschaulich von „Dark Rome“, also von der Unter- und Schattenwelt der römischen Metropole mit Gangstern und Prostitution, berichtet von Giftmorden und Verschwörungen. Wie sich Kaiser und Kaiserinnen selbst prostituierten oder missliebige Personen aus dem Weg räumen ließen und auch sonst wenig sympathisch erscheinen, wie sich der Senat als permanentes Intrigenstadl entpuppt, oder gern Gifte gemischt und Drogen vertickt werden, es fehlt nahezu nichts an Abgründigem, Perversem oder abwegig Fürchterlichem. Jedenfalls erweckt die Lektüre nicht nur den Eindruck, dass alles an Gräulichem und Mörderischem schon mal da gewesen ist, sondern dass dieses alte Rom bei allen Unterschieden dennoch jederzeit mühelos neben heutigen Großstädten, ihren Sümpfen und Untiefen, ihren Glanz- und Dunkelzonen bestehen könnte.
Die Reihe von Sommers Gewährsleuten reicht, um nur die berühmtesten zu nennen, von den Erotomanen Ovid und Catull bis zu den Hofschreibern Vergil oder keineswegs unparteiischen Geschichtsschreibern wie Livius und Tacitus. Was kaum in Schulbüchern steht, davon berichtet Sommer, vergnügt und neugierig. Er versteht es dabei, die alten Quellen geschickt als Informationsmaterial für krude Sensationen zu nutzen, ohne ihnen zu verfallen oder sie zu verklären, wie es die Schulmeister an humanistischen Gymnasien so häufig getan haben und womöglich immer noch tun. Doch Sommer entgeht auch der Gefahr einer neuerlichen Mystifikation, indem er nun gewissermaßen eine schwarze Messe nach der anderen zelebrieren würde.
Denn natürlich gibt es zuerst die Haupt- und Staatsaktionen der römischen Geschichte, die den Hauptstrom ausmachen. Doch das Licht einmal in die dunklen Seitenstraßen und -kanäle zu richten, lohnt deshalb, weil es eben nicht altertümlich Fremdes, sondern das Gegenwärtige, ja, Moderne des Skandalösen und des Skandalisierens im antiken Rom zeigt. Aus diesem Bewusstsein heraus schreibt Sommer geradezu wie ein Sensationsreporter über die römischen Abgründe und Untaten. Neben den Giftmischern, Verschwörern und bestellten Mördern, den Falschmünzern und anderen Schurken jeder Art, wendet er sich im letzten Kapitel seiner altrömischen chronique scandaleuse den unterschiedlichen Kulten und Mysterien zu, von denen das Christentum am bekanntesten wurde und sogar zur Staatsreligion aufstieg und die uralten Götterwelten und Geheimkulte verdrängte und ablöste. Sommer räumt allerdings mit vielen Vorstellungen auf, die seit „Quo vadis?“ und anderen Erzählungen und Filmen wohl immer noch in den Köpfen nisten. So dienten die Katakomben etwa an der Via Appia und anderen Straßen keineswegs als Verstecke für heimliche Gottesdienste, sondern als Begräbnisstätten. Christen konnten sich im Römischen Reich versammeln ohne Ansehen von Geschlecht, Klasse oder Herkunft, Sommer spricht daher von der „Niederschwelligkeit“ der christlichen Botschaft. Systematische Christenverfolgungen gab es erst 249 n. Chr. unter Kaiser Decius, 257 n. Chr. unter Valerian und besonders grausam unter Diokletian.
Nero jedoch, gewiss kein Waisenknabe bei Willkür, bestellten Morden und anderen Schandtaten, ist nur in Henryk Sienkiewicz’ „Quo vadis?“ ein erbarmungsloser Christenverfolger.
Auch Anhänger anderer Mysterien wie Isis- oder Mithraskulte hatten für ihre Riten keine Auflagen. Manche von ihnen pflegten aber eine gewisse Exklusivität ähnlich wie in späteren Jahrhunderten geheime Gesellschaften wie die Illuminaten oder die Freimaurer. Dergleichen führte auch in Rom schnell zu Verdächtigungen und Argwohn. Was mochte hinter den Mauern solcher Geheimklubs los sein? Tatsächlich gab es Einzelfälle von problematischen Orgien, sexuellem Betrug und Ähnlichem, weswegen beispielsweise Kaiser Tiberius den Isistempel dem Erdboden gleichmachen ließ, die Priester ans Kreuz schlagen ließ und den Kult verbot. Mit dem bis heute nicht zweifelsfrei aufgeklärten Mord am Wiederbeschwörer der Antike, Johann Joachim Winkelmann, endet Sommer sein schwungvoll geschriebenes Buch, in dem das ewige Rom so verrucht, verführerisch und gefährlich schillert wie nur die großen Metropolen unserer Zeit.
HARALD EGGEBRECHT
Was kaum in den Schulbüchern
steht, davon berichtet Sommer,
vergnügt und neugierig
Michael Sommer:
Dark Rome – Das geheime Leben der Römer.
C.H. Beck, München 2022. 288 Seiten, 23 Euro.
Panoramablick auf Abgründe: Blick auf den Petersdom durch das berühmte „Heilige Schlüsselloch“ Roms auf dem Aventin.
Foto: Alamy Stock Photos / Zoonar/Luis Pina
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ARD Druckfrisch, Denis Scheck
"Ein deutscher Historiker zeichnet ein düsteres Bild des Römischen Reichs."
DER SPIEGEL, Frank Thadeusz
"Überzeugend gelingt es dem Autor, die oft skurrilen Nachrichten in ein facettenreiches Bild der römischen Welt einzubetten ... Sommer entstaubt die Römer."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Uwe Walter
"Wirft ein neues Licht auf das Altertum."
NZZ Bücher am Sonntag, Kathrin Meier-Rust
"Gesittet gaben sie sich, die Römer. In Wahrheit waren Intrigen, Mord und Sex-Exzesse an der Tagesordnung, wie der Historiker Michael Sommer in seinem Buch 'Dark Rom' enthüllt."
WELT am Sonntag, Berthold Seewald
"Temperamentvoll und anschaulich ... schwungvoll geschriebenes Buch, in dem das ewige Rom so verrucht, verführerisch und gefährlich schillert wie nur die großen Metropolen unserer Zeit."
Süddeutsche Zeitung, Harald Eggebrecht
"Beleuchtet die dunkelsten Seiten des römischen Imperiums"
Tages-Anzeiger, Michael Marti
"Auf beinahe jeder Seite gelingt es Michael Sommer, die oft skurrilen Nachrichten in ein modernes Bild der römischen Welt insgesamt einzubetten ... Was einst wohligen Grusel bereitete, tritt in diesem vorzüglichen Buch neu auf die Bühne: immer noch unterhaltsam, doch zugleich unverkrampft, von Patina befreit und lehrreich darin."
Cicero, Julia Kluge
"Blick durch ein imaginäres Schlüsselloch ... lesenswert"
Damals
"In diesem Werk von Michael Sommer dürfte jeder auf seine Rechnung kommen. Es ist hochgradig amüsant und gehört in jeden Haushalt."
Falter, André Behr
"So blicken wir in diesem abgründigen wie unterhaltsamen Sachbuch durchs Schlüsselloch zurück ins Altertum"
Redaktionsnetzwerk Deutschland, Kristian Teetz
"Der Autor bietet dem Leser einen turbulenten Streifzug durch die 'Geheimnisse' der römischen Antike."
Abendzeitung, Josef Tutsch
"Mit eingängigem Stil und episodischem Erzählen leistet er einen spannenden Beitrag zur Debatte über die Rolle der "römischen Dekadenz" am Untergang der Weltmacht."
Münchner Merkur
"Mit seinem eingängigen, flüssigen Schreiben und episodischen Erzählen leistet Sommer einen Beitrag zur Debatte über die Rolle der sprichwörtlich gewordenen 'römischen Dekadenz' beim allmählichen Untergang der Weltmacht."
Esslinger Zeitung, Sebastian Fischer
"So blicken wir in diesem abgründigen wie unterhaltsamen Sachbuch durchs Schlüsselloch zurück ins Altertum"
Lübecker Nachrichten, Kristian Teetz