Die Studie „Das Adam-Smith-Projekt. Zur Genealogie der liberalen Gouvernementalität“ entwickelt mit Hilfe von Michel Foucault eine neue Perspektive auf das Denken von Adam Smith. Sie zeigt, dass das Werk des schottischen Aufklärers nicht in einen moralphilosophischen und einen wirtschaftswissenschaftlichen Teil zerfällt, sondern als ganzheitliches Projekt verstanden werden kann. Adam Smith ist ein Vordenker jener liberalen Gouvernementalität, die laut Michel Foucault bis heute die politische Verfasstheit westlicher Gesellschaften bestimmt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Karen Horn lernt den Gründervater der Ökonomie mit Bastian Ronge erst richtig kennen. Vorzüglich gefällt ihr, wie der Autor Mythen zerstört und Smiths Vulgärinterpreten in ihre Schranken weist. Was der Autor über den ganzheitlichen Ansatz bei Smith schreibt, über seine Methodik und seine Prämissen, seine Kernprobleme und den intellektuellen Kontext seines Werkes, gehört für Horn zum besten, was der Buchmarkt hergibt. Auch die Übersetzungsleistung des Autors findet sie bemerkenswert, wenn Ronge Smith im Geiste von Foucaults "Geschichte der Gouvernementalität" rekonstruiert, wie Horn schreibt. Ob der Autor die "Theory of Moral Sentiments" penibel auffächert oder über das verbrannte Manuskript zur "Natural Jurisprudence" spekuliert, stets verteidigt er Smith erfolgreich gegen das Label eines Proto-Anarchokapitalisten, erklärt Horn begeistert.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2016Postume Rufrettung
Bastian Ronge rekonstruiert Adam Smith
Obwohl die meisten Ökonomen Adam Smith als den Gründervater ihres Fachs bezeichnen, kennen viele ihn beschämend schlecht. Nur wenige unterziehen sich der Mühe, sein weltberühmtes Buch "Wealth of Nations" (1776) zu lesen. Noch weniger befassen sich mit dem moralphilosophischen Erstlingswerk des schottischen Aufklärers, der "Theory of Moral Sentiments" (1759). So kommt es unter anderem, dass selbst in ideengeschichtlichen Vorlesungen noch immer kolportiert wird, es gebe ein "Adam-Smith-Problem". Während er den Menschen in seiner "Theory of Moral Sentiments" als soziales, am Wohlbefinden anderer interessiertes Wesen erkannt habe, fuße sein "Wealth of Nations" auf der Figur des Homo oeconomicus und stelle eine Rechtfertigung des Egoismus dar. Dieses Fehlurteil - der junge Philosoph Bastian Ronge von der Humboldt-Universität Berlin beklagt treffend einen "Akt postumer Rufschädigung" - hält sich hartnäckig, wohl weil es so gut zu den eingeübten Denkgewohnheiten und Abgrenzungsbedürfnissen passt.
Jedenfalls haben nicht die Ökonomen, sondern die Philosophen im akademischen Diskurs über Smith die Nase vorn. Mit seinem vorzüglichen Buch "Das Adam-Smith-Projekt", in dem er Mythen zerstört und den Schotten vor seinen Vulgärinterpreten in Schutz nimmt, stellt Ronge dies unter Beweis. Was er über Smiths ganzheitlichen Ansatz schreibt, über die von Newton inspirierte Methodik, über die Kernfragen und Prämissen der wenigen erhaltenen Werke, über den zeitgenössischen intellektuellen Kontext und die stoischen Quellen, die Smith sich angeeignet und verfremdet hat - all das gehört zum Fundiertesten und Ergiebigsten, was man dazu lesen kann, in deutscher Sprache allemal.
Obendrein gelingt Ronge noch eine so verblüffende wie spannende Übersetzungsarbeit, indem er das Smithsche Forschungsprojekt im Geiste von Michel Foucaults Vorlesungen zur "Geschichte der Gouvernementalität" rekonstruiert. Diesen ebenfalls oft missverstandenen Vorträgen zu Staatsräson und Liberalismus ist das erste Kapitel des Buches gewidmet. Für den Autor ergibt sich die Brücke von Smith zu Foucault, den er recht kritisch sieht, aus der Verschränkung von stoischer Empfindsamkeit und Gefühlsbeherrschung im Werk des Schotten, die "eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass der Liberalismus den Rückzug des Staates aus der Gesellschaft fordern kann".
Im zweiten Kapitel fächert Ronge die "Theory of Moral Sentiments" akribisch auf, in der es um eine Bestimmung des Tugendhaften sowie um die Herleitung und Überprüfung der Prinzipien der moralischen Urteilspraxis des Menschen geht. Auch wenn die Methodik identisch ist, hält Ronge dieses Buch, das Smiths Ruhm begründete, für das wissenschaftlichere Werk im Vergleich zum "Wealth of Nations". In Letzterem sieht er vor allem eine - wenn auch theoretisch untermauerte - Polemik gegen den Merkantilismus. Im dritten Kapitel wendet er sich dieser zu. Im vierten spekuliert er über das verbrannte Manuskript zur "Natural Jurisprudence": In der Aufarbeitung des Verhältnisses der schottischen Aufklärung zum Naturrecht wittert er wissenschaftliche Morgenluft.
Zunächst räumt der Autor mit der Vorstellung auf, dass die Argumentation im "Wealth of Nations" auf dem Egoismus oder Eigeninteresse des Menschen aufbaut. Eine "halbwegs solide Textkenntnis" reiche schon aus, schreibt Ronge, um festzustellen, dass er lediglich von "Self-love" (Eigenliebe) ausgehe als der "natürlichen Neigung, sich um sich selbst und um seinen sozialen Nahbereich, um seine Lebenspartner, seine Kinder, Verwandte und Freunde zu sorgen. Self-love gibt die stoische Idee der Oiekeiosis wieder und ist somit dezidiert kein individualistisches Konzept." Smith verwendet nicht einmal das "aufgeklärte Eigeninteresse", zu dem sich manche modernen Ökonomen retten.
In diesem Kontext widmet sich Ronge auch der vielzitierten Passage, nach der wir "nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil." Wer sich hier für die Motivation interessiere, habe gar nicht erfasst, welche Frage Smith gerade zu beantworten suche: Welche Bedingungen sind notwendig, damit Tauschbeziehungen möglich werden? Wenn deren Zustandekommen vom Wohlwollen anderer abhinge, könnte man sich nie auf das Wagnis einer arbeitsteiligen Wirtschaft einlassen. Der Berliner Philosoph formuliert das so: "Erst die verlässliche Macht der Self-love macht die lebensgefährliche Kontingenz des ökonomisches Tausches zu einem beherrschbaren Risiko".
Dahinter stehe das Phänomen der "nicht intendierten Folge", eines Leitmotivs von Smith. Seine wohl achtlos benutzte, aber umso bekanntere Metapher der "unsichtbaren Hand" beschreibe genau dies und nichts anderes. Wieder macht sich Ronge darum verdient, einen so alten wie irreführenden Mythos aufzulösen: Die "unsichtbare Hand" stehe weder für einen Glauben an die inhärente Stabilität des Marktes noch für eine heilsgeschichtliche Dimension.
Auch ein Apologet des "Laissezfaire" ist Smith nicht, wie der Autor zu Recht betont. Sein "einfaches System der natürlichen Freiheit" ist gegen Willkür und irrige Wirtschaftspolitik gerichtet, es mündet keineswegs in eine Art Proto-Anarchokapitalismus. Nicht nur fallen dem späteren schottischen Zollinspektor eine Menge Staatsaufgaben ein, er hält auch die Trennung von Wirtschaft und Politik grundsätzlich für verfehlt. Im Werk von Smith lauert im Hintergrund stets die Hobbessche Einsicht, dass es angesichts der ungleichen Möglichkeiten der Menschen des staatlichen Gewaltmonopols wie auch einer umverteilenden Sozialpolitik bedarf, weil sonst das Leben in der Gesellschaft "einsam, armselig, scheußlich, tierisch und kurz" zu werden droht. Dennoch geht es zu weit, wie Ronge im "Wealth of Nations" eine "Schrift in Verteidigung des Staates" auszumachen.
KAREN HORN
Bastian Ronge: Das Adam-Smith-Projekt. Zur Genealogie der liberalen Gouvernementalität. Springer VS, Wiesbaden 2015, 447 Seiten, 44,99 Euro
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Bastian Ronge rekonstruiert Adam Smith
Obwohl die meisten Ökonomen Adam Smith als den Gründervater ihres Fachs bezeichnen, kennen viele ihn beschämend schlecht. Nur wenige unterziehen sich der Mühe, sein weltberühmtes Buch "Wealth of Nations" (1776) zu lesen. Noch weniger befassen sich mit dem moralphilosophischen Erstlingswerk des schottischen Aufklärers, der "Theory of Moral Sentiments" (1759). So kommt es unter anderem, dass selbst in ideengeschichtlichen Vorlesungen noch immer kolportiert wird, es gebe ein "Adam-Smith-Problem". Während er den Menschen in seiner "Theory of Moral Sentiments" als soziales, am Wohlbefinden anderer interessiertes Wesen erkannt habe, fuße sein "Wealth of Nations" auf der Figur des Homo oeconomicus und stelle eine Rechtfertigung des Egoismus dar. Dieses Fehlurteil - der junge Philosoph Bastian Ronge von der Humboldt-Universität Berlin beklagt treffend einen "Akt postumer Rufschädigung" - hält sich hartnäckig, wohl weil es so gut zu den eingeübten Denkgewohnheiten und Abgrenzungsbedürfnissen passt.
Jedenfalls haben nicht die Ökonomen, sondern die Philosophen im akademischen Diskurs über Smith die Nase vorn. Mit seinem vorzüglichen Buch "Das Adam-Smith-Projekt", in dem er Mythen zerstört und den Schotten vor seinen Vulgärinterpreten in Schutz nimmt, stellt Ronge dies unter Beweis. Was er über Smiths ganzheitlichen Ansatz schreibt, über die von Newton inspirierte Methodik, über die Kernfragen und Prämissen der wenigen erhaltenen Werke, über den zeitgenössischen intellektuellen Kontext und die stoischen Quellen, die Smith sich angeeignet und verfremdet hat - all das gehört zum Fundiertesten und Ergiebigsten, was man dazu lesen kann, in deutscher Sprache allemal.
Obendrein gelingt Ronge noch eine so verblüffende wie spannende Übersetzungsarbeit, indem er das Smithsche Forschungsprojekt im Geiste von Michel Foucaults Vorlesungen zur "Geschichte der Gouvernementalität" rekonstruiert. Diesen ebenfalls oft missverstandenen Vorträgen zu Staatsräson und Liberalismus ist das erste Kapitel des Buches gewidmet. Für den Autor ergibt sich die Brücke von Smith zu Foucault, den er recht kritisch sieht, aus der Verschränkung von stoischer Empfindsamkeit und Gefühlsbeherrschung im Werk des Schotten, die "eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass der Liberalismus den Rückzug des Staates aus der Gesellschaft fordern kann".
Im zweiten Kapitel fächert Ronge die "Theory of Moral Sentiments" akribisch auf, in der es um eine Bestimmung des Tugendhaften sowie um die Herleitung und Überprüfung der Prinzipien der moralischen Urteilspraxis des Menschen geht. Auch wenn die Methodik identisch ist, hält Ronge dieses Buch, das Smiths Ruhm begründete, für das wissenschaftlichere Werk im Vergleich zum "Wealth of Nations". In Letzterem sieht er vor allem eine - wenn auch theoretisch untermauerte - Polemik gegen den Merkantilismus. Im dritten Kapitel wendet er sich dieser zu. Im vierten spekuliert er über das verbrannte Manuskript zur "Natural Jurisprudence": In der Aufarbeitung des Verhältnisses der schottischen Aufklärung zum Naturrecht wittert er wissenschaftliche Morgenluft.
Zunächst räumt der Autor mit der Vorstellung auf, dass die Argumentation im "Wealth of Nations" auf dem Egoismus oder Eigeninteresse des Menschen aufbaut. Eine "halbwegs solide Textkenntnis" reiche schon aus, schreibt Ronge, um festzustellen, dass er lediglich von "Self-love" (Eigenliebe) ausgehe als der "natürlichen Neigung, sich um sich selbst und um seinen sozialen Nahbereich, um seine Lebenspartner, seine Kinder, Verwandte und Freunde zu sorgen. Self-love gibt die stoische Idee der Oiekeiosis wieder und ist somit dezidiert kein individualistisches Konzept." Smith verwendet nicht einmal das "aufgeklärte Eigeninteresse", zu dem sich manche modernen Ökonomen retten.
In diesem Kontext widmet sich Ronge auch der vielzitierten Passage, nach der wir "nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil." Wer sich hier für die Motivation interessiere, habe gar nicht erfasst, welche Frage Smith gerade zu beantworten suche: Welche Bedingungen sind notwendig, damit Tauschbeziehungen möglich werden? Wenn deren Zustandekommen vom Wohlwollen anderer abhinge, könnte man sich nie auf das Wagnis einer arbeitsteiligen Wirtschaft einlassen. Der Berliner Philosoph formuliert das so: "Erst die verlässliche Macht der Self-love macht die lebensgefährliche Kontingenz des ökonomisches Tausches zu einem beherrschbaren Risiko".
Dahinter stehe das Phänomen der "nicht intendierten Folge", eines Leitmotivs von Smith. Seine wohl achtlos benutzte, aber umso bekanntere Metapher der "unsichtbaren Hand" beschreibe genau dies und nichts anderes. Wieder macht sich Ronge darum verdient, einen so alten wie irreführenden Mythos aufzulösen: Die "unsichtbare Hand" stehe weder für einen Glauben an die inhärente Stabilität des Marktes noch für eine heilsgeschichtliche Dimension.
Auch ein Apologet des "Laissezfaire" ist Smith nicht, wie der Autor zu Recht betont. Sein "einfaches System der natürlichen Freiheit" ist gegen Willkür und irrige Wirtschaftspolitik gerichtet, es mündet keineswegs in eine Art Proto-Anarchokapitalismus. Nicht nur fallen dem späteren schottischen Zollinspektor eine Menge Staatsaufgaben ein, er hält auch die Trennung von Wirtschaft und Politik grundsätzlich für verfehlt. Im Werk von Smith lauert im Hintergrund stets die Hobbessche Einsicht, dass es angesichts der ungleichen Möglichkeiten der Menschen des staatlichen Gewaltmonopols wie auch einer umverteilenden Sozialpolitik bedarf, weil sonst das Leben in der Gesellschaft "einsam, armselig, scheußlich, tierisch und kurz" zu werden droht. Dennoch geht es zu weit, wie Ronge im "Wealth of Nations" eine "Schrift in Verteidigung des Staates" auszumachen.
KAREN HORN
Bastian Ronge: Das Adam-Smith-Projekt. Zur Genealogie der liberalen Gouvernementalität. Springer VS, Wiesbaden 2015, 447 Seiten, 44,99 Euro
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