Der Geschichtslehrer muss sterben, die Kinder sollen über das Birnenfeld in die Freiheit rennen – das ist Lelas Plan. Im Internat für geistig behinderte Kinder in Tbilissi, einem Relikt aus Sowjetzeiten, hat das zornige Mädchen die Rolle der Beschützerin übernommen. Die Lehrerinnen sind mit den „Debilen“ überfordert. Behindert sind die wenigsten ihrer Schützlinge, im Stich gelassen, abgehängt sind sie alle.
So mörderisch Lelas Hass auf den Geschichtslehrer, so schwesterlich ihr Verhältnis zu Irakli: Sie begleitet ihn in eine Hochhauswohnung in der Nachbarschaft, wo er einmal in der Woche mit seiner Mutter in Griechenland telefonieren darf. Irakli will nicht wahrhaben, was Lela längst weiß: Seine Mutter wird nie zurückkehren, sie wird ihn auch nicht zu sich holen. Lela zwingt ihn, Englisch zu lernen, unterstützt seine Hoffnung, nach Amerika zu gehen. Ein Traum, der eines Tages, als ein Ehepaar aus den Südstaaten anreist, wahrzuwerden droht…
Es sind die rebellischen Mädchen und Frauen in der georgischen Gesellschaft, denen Nana Ektvimishvili Gesicht und Stimme gibt.
So mörderisch Lelas Hass auf den Geschichtslehrer, so schwesterlich ihr Verhältnis zu Irakli: Sie begleitet ihn in eine Hochhauswohnung in der Nachbarschaft, wo er einmal in der Woche mit seiner Mutter in Griechenland telefonieren darf. Irakli will nicht wahrhaben, was Lela längst weiß: Seine Mutter wird nie zurückkehren, sie wird ihn auch nicht zu sich holen. Lela zwingt ihn, Englisch zu lernen, unterstützt seine Hoffnung, nach Amerika zu gehen. Ein Traum, der eines Tages, als ein Ehepaar aus den Südstaaten anreist, wahrzuwerden droht…
Es sind die rebellischen Mädchen und Frauen in der georgischen Gesellschaft, denen Nana Ektvimishvili Gesicht und Stimme gibt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018Die Vorstadtkrokodile
Nana Ekvtimishvilis Roman "Das Birnenfeld"
Dass Nana Ekvtimishvili, die in Babelsberg studiert und mehrere Filme gemacht hat, visuell denkt, merkt man auch ihrem Romandebüt an. Ganz szenisch, in knappen und doch vielsagenden Dialogen zeigt sie georgische Wirklichkeit der Mitte der neunziger Jahre, geprägt vom Zerfall: "Manche Menschen setzten den Fuß nicht vor die Tür, andere waren gern draußen und verbrachten Tag und Nacht auf Kundgebungen und Streiks, einige nahmen das Stalin-Foto von der Wand, und andere sind vorzeitig aus dem Leben gegangen."
Im Fokus der Erzählung steht Gldani, ein Außenbezirk von Tiflis. Hier steht ein Gebäude, dessen Balkone abstürzen. Ausgerechnet darin sind Kinder und Jugendliche untergebracht. "Debilenheim" nennen die Nachbarn es, weil auch körperlich und geistig Behinderte unter den Bewohnern sind. Bei den Verschiedenaltrigen gehen die Entwicklungen durcheinander, und Kinder sind gezwungen, in jeder Hinsicht sehr früh erwachsen zu werden. Das titelgebende "Birnenfeld" ist eine angrenzende Brache, auf der sie sowohl spielerische als auch gewalttätige Erfahrungen mit Sexualität machen. Einige prostituieren sich dort. Auch wenn sie Glücksmomente haben, wirken diese jungen Menschen oft wie Verlorene, die anhand der Schicksale der etwas Älteren oft schon sehen, dass ihnen in ihrem Leben kaum Gutes blüht und daher früh hoffnungslos werden. Wenn einer von ihnen vors Auto läuft und stirbt, wird er nicht mit Sicherheit einen Grabstein mit Namen erhalten.
Die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch spricht gelegentlich vom "Homo postsovieticus", zu dessen dokumentarischer Beschreibung sie selbst viel beigetragen hat. Nana Ekvtimishvili, geboren 1978 und aufgewachsen in der Nähe des besagten Internats, setzt diese Arbeit fort, indem sie den schwächsten dieser Menschen ein Denkmal setzt. Die Rolle des Dokumentaristen, der ihre Geschichten aufsammelt und dann wieder verschwindet, wird allerdings im Roman auch kritisiert. Insofern stellt dieses Buch die Frage, welche Handlungskonsequenzen seine Lektüre für die Leser hat.
wiel.
Nana Ekvtimishvili: "Das Birnenfeld".
Roman. Aus dem Georgischen von Julia Dengg und Ekaterine Teti. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 221 S., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nana Ekvtimishvilis Roman "Das Birnenfeld"
Dass Nana Ekvtimishvili, die in Babelsberg studiert und mehrere Filme gemacht hat, visuell denkt, merkt man auch ihrem Romandebüt an. Ganz szenisch, in knappen und doch vielsagenden Dialogen zeigt sie georgische Wirklichkeit der Mitte der neunziger Jahre, geprägt vom Zerfall: "Manche Menschen setzten den Fuß nicht vor die Tür, andere waren gern draußen und verbrachten Tag und Nacht auf Kundgebungen und Streiks, einige nahmen das Stalin-Foto von der Wand, und andere sind vorzeitig aus dem Leben gegangen."
Im Fokus der Erzählung steht Gldani, ein Außenbezirk von Tiflis. Hier steht ein Gebäude, dessen Balkone abstürzen. Ausgerechnet darin sind Kinder und Jugendliche untergebracht. "Debilenheim" nennen die Nachbarn es, weil auch körperlich und geistig Behinderte unter den Bewohnern sind. Bei den Verschiedenaltrigen gehen die Entwicklungen durcheinander, und Kinder sind gezwungen, in jeder Hinsicht sehr früh erwachsen zu werden. Das titelgebende "Birnenfeld" ist eine angrenzende Brache, auf der sie sowohl spielerische als auch gewalttätige Erfahrungen mit Sexualität machen. Einige prostituieren sich dort. Auch wenn sie Glücksmomente haben, wirken diese jungen Menschen oft wie Verlorene, die anhand der Schicksale der etwas Älteren oft schon sehen, dass ihnen in ihrem Leben kaum Gutes blüht und daher früh hoffnungslos werden. Wenn einer von ihnen vors Auto läuft und stirbt, wird er nicht mit Sicherheit einen Grabstein mit Namen erhalten.
Die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch spricht gelegentlich vom "Homo postsovieticus", zu dessen dokumentarischer Beschreibung sie selbst viel beigetragen hat. Nana Ekvtimishvili, geboren 1978 und aufgewachsen in der Nähe des besagten Internats, setzt diese Arbeit fort, indem sie den schwächsten dieser Menschen ein Denkmal setzt. Die Rolle des Dokumentaristen, der ihre Geschichten aufsammelt und dann wieder verschwindet, wird allerdings im Roman auch kritisiert. Insofern stellt dieses Buch die Frage, welche Handlungskonsequenzen seine Lektüre für die Leser hat.
wiel.
Nana Ekvtimishvili: "Das Birnenfeld".
Roman. Aus dem Georgischen von Julia Dengg und Ekaterine Teti. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 221 S., br., 16,95 [Euro].
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»Das Birnenfeld wird von Seite zu Seite vertrackter, poetischer, nuancierter. Man muss nichts über Georgien wissen, um hier Verstrickungen, Figuren mitzunehmen, die tiefer nachklingen als bei Charles Dickens.« Stefan Mesch SPIEGEL ONLINE 20181009