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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Frank Möller erzählt die Geschichte der politischen Publizistik von Joseph Caspar Witsch und liefert Einblicke in die publizistischen Strategien des Kalten Krieges
Als im März 2009 das Kölner Stadtarchiv dem U-Bahn-Bau zum Opfer fiel, ging neben zahllosen mittelalterlichen Urkunden und dem Nachlass von Heinrich Böll auch das umfangreiche Verlagsarchiv von Kiepenheuer & Witsch (wohl endgültig) zugrunde - 67 Regalmeter, darunter rund 35 000 Briefe von und an den Verleger Joseph Caspar Witsch. Dessen jetziger Biograph Frank Möller hatte aber schon Tausende Kopien angefertigt. Verloren sind unter anderem die gesamte Lektoratskorrespondenz (samt dem Vorlass des Lektors Dieter Wellershoff), Produktionsunterlagen und Bilanzen, kurz: die Grundlagen für eine quellenbasierte Geschichte des Verlags.
1906 in Köln-Kalk geboren, wuchs Witsch in der katholischen Quickborn-Bewegung auf, sympathisierte dann aber mit der SAP, jener linken SPD-Abspaltung, zu der sich auch Willy Brandt bekannte. 1933 trat er, denunziert, in die SA ein und machte schnell Karriere als Volksbibliothekar. Der Dreißigjährige wurde nach Jena berufen, zum Leiter der Thüringischen Landesstelle für volkstümliches Büchereiwesen und zugleich zum Direktor der renommierten, doch reformbedürftigen Jenaer Abbe-Bücherei. Er galt als umtriebiger Modernisierer, der statt aufdringlicher Leserpädagogik für die "totale Bücherei" plädierte, ein engmaschiges Netz der Grundversorgung mit zentraler Bestandssteuerung.
Solcher Eifer und Erfolg waren nicht ohne Konzessionen denkbar. Die Mitgliedskartei der NSDAP führte ihn von 1937 an. In seinen Publikationen, vor allem Bestandsverzeichnissen, die auch als Empfehlungslisten dienten ("Der Führer in hundert Büchern", "Deutschland im Kampf für ein neues Europa"), finden sich Hitlerkult, Kriegspropaganda und antisemitische Stereotype. Dergleichen empfahl ihn 1942 für die Schriftleitung des Fachorgans "Die Bücherei".
War solche Gesinnungsfestigkeit nur eine "für alle Funktionsträger verbindliche Fassade", wie Möller meint? Er trägt in einem fiktiven Interview mit Witsch dessen Rechtfertigungsargumente zusammen, deren Selbstgerechtigkeit heute irritieren mag, damals freilich die Regel war: "Ich bin an keinem Tag dieser zwölf Jahre davor sicher gewesen, verhaftet zu werden, und habe mich auch nie sicher gefühlt ... Ich selbst bin, das gebe ich unumwunden zu, stolz darauf, dass mir die Tarnung gelungen ist. Das hat nicht nur mir genützt, das hat sehr vielen anderen Menschen genützt, und das hat vor allen Dingen meiner Sache genützt."
Nach kurzem militärischen Intermezzo kehrte Witsch an seinen nun ostzonalen Arbeitsplatz zurück. Im Juli 1945 fertigte er einen Entwurf für eine Säuberung der Thüringer Bibliotheken an. Als SPD- und damit alsbald SED-Mitglied war er rasch zuständig für Verlagslizenzierungen, Ausbildung des bibliothekarischen Nachwuchses und Ausarbeitung eines Büchereigesetzes. Doch gegen das Ziel strikter ideologischer Konformität sämtlicher Büchereien sträubte er sich, zugleich begann eine heftige Denunziationskampagne, die ihn als üblen Ex-Nazi schmähte. Anfang 1948 ließ man den Genossen Witsch fallen; er floh in die britische Zone, wo er mit dem berühmten Gustav Kiepenheuer einen Verlag gründete. Noch bevor Anfang 1949 die Lizenz eintraf, kam zum Weihnachtsgeschäft 1948 in Hagen das erste Buch heraus: "Schneeweißchen und Rosenrot" der Brüder Grimm, schnell gefolgt von Julien Green, Ricarda Huch und Franz Kafka. Als Kiepenheuer im April 1949 starb, wollte die Witwe jedoch dessen alten Verlag in Weimar halten. Es begann, je nach Perspektive, ein Schurken- oder Heldenstück um Buchbestände und Lizenzgebühren: listiger Jungverleger entwischt ostzonaler Umklammerung oder rheinischer Kapitalist übertölpelt redliche fortschrittliche Erbin. Man einigte sich 1951, der Westverlag zog nach Köln. Dort widmete sich Witsch neben der Verlagsarbeit mit außerordentlichem Engagement der politisch-polemischen Arbeit im Zeichen des intensiveren Kalten Krieges. Knapp die Hälfte von Möllers Buch ist Witschs umfangreichen antikommunistischen Aktivitäten in der frühen Bundesrepublik gewidmet. Es habe keinen zweiten Verlag gegeben, "in dessen Programm die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus über eine Zeit von 15 Jahren eine derart breite Spur hinterlassen hat". Er gründete Imprints (vor allem den Verlag für Politik und Wirtschaft), Buchreihen, Zeitschriften, organisierte und plante unablässig als agiler Initiator, der politische und ökonomische Interessen zu verbinden verstand, und wirkte in zahlreichen Foren, Zirkeln, mehr oder minder diskreten Seilschaften und Klüngeln maßgeblich mit.
Natürlich sorgte Witsch dafür, dass der ideologische Kampf für Freiheit und Demokratie auch ein glänzendes Geschäft war. Eine Reihe "Roter Weißbücher", die auch in die SBZ geschmuggelt wurde, subventionierte das amerikanische Hochkommissariat mit Zuschüssen (teils agentenromantisch auch mittels Bargeldköfferchen). Von Wolfgang Leonhards Bestseller "Die Revolution entlässt ihre Kinder" (1955) gab es vier Tarnversionen für den Absatz im Osten. Die jährliche Materialsammlung "SBZ-Archiv" bot mit einer Fülle von Dokumenten Einblick in das totalitäre System des SED-Regimes.
Die Finanzierung dieser Produktion ging in den fünfziger Jahren auf die Bonner Ministerien und Behörden über. Kiepenheuer & Witsch galt als eine Art Hausverlag des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen. Möller sieht darin "Antikommunismus als Verlagsprogramm und Dienstleistung"; er zählt von 1950 bis 1967 insgesamt mehr als hundert Verlagstitel, die sich kritisch mit dem kommunistischen System und der DDR befassen. Die umfassten aber auch engagierte politische Sachbücher, etwa von Czeslaw Milosz oder Raymond Aron, Autobiographien von Exkommunisten wie Margarete Buber-Neumann und Arthur Koestler.
Besonders eingehend befasst sich Möller mit dem 1950 gegründeten "Kongreß für kulturelle Freiheit" (CCF), der während anderthalb Jahrzehnten als maßgebliche westliche Agentur des Kalten Krieges galt. Allerdings gab es jenseits des antikommunistischen Grundkonsenses unter den Protagonisten erhebliche interne Spannungen trotz (oder wegen?) üppiger Finanzierung, hauptsächlich durch die CIA. Der CCF war lange Jahre Abnehmer von Witschs einschlägiger Produktion für Verteilungsaktionen in der DDR. Eine Niederlage musste der Verleger beim Wettbewerb um Melvin Laskys "Monat" einstecken: Klaus Harpprecht brachte die Zeitschrift 1967 als Morgengabe zu S. Fischer, der CCF-und CIA-Verbindungsmann versprach für fünf Jahre eine Million D-Mark Zuschuss. Doch spätestens mit dem Erscheinen von Suhrkamps "Kursbuch" im Folgejahr büßte der "Monat" seine Rolle ein.
Mit seinem flammenden Antikommunismus bewegte sich Witsch im damaligen politischen und gesellschaftlichen Mainstream. Gegen ein Wiederaufleben braunen Ungeistes hat er sich eingesetzt, aber er sah die Deutschen eher als Opfer- denn Tätergemeinschaft und ließ bei einstigen Jasagern unter seinen Autoren Nachsicht walten. Schließlich war er auch selbst einer radikalen Gewissensprüfung stets ausgewichen.
Möller hat eine quellengesättigte Biographie vorgelegt, die sich um eine ausgewogene Würdigung des problematischen Homo politicus Witsch bemüht. Man kann die empörte Behauptung der Töchter Witschs nicht nachvollziehen, das Buch sei "eine geschickt manipulierte Verunglimpfung einer dem Autor offensichtlich völlig fremden Persönlichkeit". Trotz mancher Längen bietet sich ein erhellender, nicht selten spannender Blick hinter die kulturpolitischen Kulissen der Adenauer-Zeit und die publizistischen Strategien des Kalten Krieges.
Das Buch ist allerdings keine Verlagsgeschichte. Es fällt kein vergleichender Seitenblick auf ähnliche Erfolgsfiguren der Buchbranche nach 1945 wie etwa Kurt Desch, Reinhard Mohn, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt oder auch Peter Suhrkamp. Ein Profil des Verlags entsteht nicht, das Literaturprogramm wird erklärtermaßen gänzlich ausgespart, es gibt keinen Überblick der Gesamtproduktion, keine Wirtschaftszahlen, keine Unternehmenschronik. Ob es Möller trotz der Zerstörung des Verlagsarchivs noch gelingen kann, die wichtige Rolle von Kiepenheuer & Witsch im literarischen Leben der frühen Bundesrepublik zu schildern, wird das bereits angekündigte zweite "Buch Witsch" zeigen.
REINHARD WITTMANN.
Frank Möller: "Das Buch Witsch". Das schwindelerregende Leben des Verlegers Joseph Caspar Witsch. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 778 S., Abb., geb., 29,99 [Euro].
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