Die insgesamt acht Kapitel des Buches stellen prägnant und anhand von anschaulichen Beispielen Wortschatz und Grammatik des Deutschen vor. Dabei verhilft ein Vergleich mit den Optionen etwa im Englischen, Französischen, Polnischen, Ungarischen oder anderen europäischen Sprachen zu einem verschärften Blick. Ausgangspunkt ist dabei ein kurzer Abriss der Facetten von Sprache allgemein sowie die Herleitung der grundlegenden Sprachfunktionen aus einer handlungsbezogenen Perspektive. Die folgenden Kapitel stehen unter Motti wie: "Das Verb - Zeiten, Modi, Szenarios und Inszenierungen", "Der nominale Bereich - die vielerlei Arten, Gegenstände zu konstruieren" oder "Der Text - wenn wir kohärent und dabei narrativ oder argumentativ werden". Das letzte Kapitel trägt den Titel: "Das Deutsche - auf dem Weg zu einem Sprachporträt".
Das Buch soll Sprachinteressierten auch ohne linguistische Fachkenntnisse einen neuen Zugang zu unserer Muttersprache erschließen und die Sensibilität für die sprachliche Verbundenheit auf unserem Kontinent trotz aller Vielfalt stärken.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Wohlgeordnete Uneindeutigkeit: Gisela Zifonun macht mit den Besonderheiten des Deutschen vertraut
"Alles, was mit Grammatik und Examen zusammenhängt, ist nie das Höhere", dekretiert Hauptmann von Czako in Theodor Fontanes "Stechlin". Bis heute gilt die Grammatik den meisten als ödes Regelwerk und lästiger Paukstoff ohne geistigen Glanz. Die Germanistin Gisela Zifonun, ehemals Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache, möchte ihre Leser vom Gegenteil überzeugen und ihnen die Reize sprachlicher Strukturen und Formen nahebringen. Um das Deutsche in seiner Besonderheit, aber auch in seinen verwandtschaftlichen Beziehungen zu konturieren, zieht sie in ihrem Buch immer wieder andere Sprachen zum Vergleich heran. Wer sich für Sprache um ihrer selbst willen interessiert, statt sie nur als Tummelplatz für Schulmeistereien oder als Gegenstand politischer Instrumentalisierungen zu betrachten, darf sich angesprochen fühlen.
Die Autorin schlägt in den ersten Abschnitten einen großen Bogen, der die unterschiedlichen Facetten von Sprache umfasst und philosophische Fragen wie die nach dem Verhältnis von Worten und Wirklichkeit in den Blick nimmt. Im Zentrum des Buches aber steht die Grammatik. Dies nicht nur, weil Gisela Zifonun eine ausgewiesene Expertin auf diesem Gebiet ist, sondern auch, weil Satzbau, Wortbildung und Flexion in ihrem Zusammenspiel aus Logik, kommunikativen Funktionen und den oft unsystematisch anmutenden Ablagerungen der Sprachgeschichte den Kern dessen bilden, was die Einmaligkeit menschlicher Sprache unter den Zeichensystemen der Welt ausmacht.
So kann sich der Leser zum Beispiel in die Geheimnisse der deutschen Adjektivflexion einweihen lassen: "Ein schöner Baum" verliert als "der schöne Baum" ein r im Adjektiv und "die schönen Bäume" ein n, wenn sie nur "schöne Bäume" sind. Dieser Wechsel zwischen "starker", "schwacher" oder "gemischter" Beugung wird von Muttersprachlern nicht wahrgenommen. Wer hingegen Deutsch als Fremdsprache lernt, mag darin schiere Schikane sehen. Die Bürde des Lernens kann Zifonun ihm zwar nicht abnehmen, aber sie macht das System hinter diesen Komplikationen sichtbar: Artikel, Adjektiv und Substantiv verteilen die grammatischen Informationen jeweils so untereinander, dass der formale Aufwand beim Deklinieren für alle beteiligten Wörter in Grenzen bleibt. Dieses Prinzip der "flexivischen Kooperation" ist eine Spezialität des Deutschen.
Im Bereich des Satzbaus konstatiert Zifonun eine "wohlgeordnete Uneindeutigkeit": Von den Grundmustern der Satzgliedstellung, die sich in den Sprachen der Welt finden, verwendet das Deutsche gleich zwei: Im Hauptsatz steht das Verb als Satzglied an der zweiten Stelle, im Nebensatz hingegen rückt es ans Ende. Hinzu kommen als deutsche Besonderheit die Klammerstrukturen: Mancher hat ihretwegen, wenn er erschöpft am Ende des Satzes angekommen ist, dessen Anfang bereits aus den Augen verloren.
Grammatische Vergleichsstudien zählen Deutsch mit Französisch zu den "typischsten" Sprachen Europas. Gisela Zifonun ist solchen Skalierungen gegenüber zurückhaltend. Sie sieht das Deutsche mit seiner flexiblen Wortstellung, seinen im Vergleich zum Englischen noch vielfältigen Kasusunterscheidungen und seiner Mischung aus "synthetischen" (machte) und "analytischen" Formen (hat gemacht) als eine innereuropäische Brücke zwischen den Sprachlandschaften dieses Kontinents.
Einige Sprachvergleiche Zifonuns berühren die Schnittstelle zur Wahrnehmung. Geht es um Beschreibungen von Bewegungsabläufen, benutzen Sprecher des Deutschen bevorzugt Verben wie gehen, laufen, hüpfen, rollen, die die Art der Bewegung ausdrücken. Der zurückgelegte Weg oder das Ziel der Bewegung werden dabei in Form von Ortsangaben direkt angekoppelt: "Der Ball rollt die Treppe hinunter." In anderen Sprachen werden die Bewegungsart einerseits und das Zurücklegen des Weges oder das Erreichen des Zieles andererseits getrennt ausgedrückt. So zum Beispiel im Französischen: "Le bal roule et descend l'escalier". Um wie viele Ereignisse handelt es sich bei diesen Szenarios eigentlich? Um eines, wie das Deutsche, oder um zwei, wie das Französische suggeriert? Zifonun reißt solche Fragen an, ohne sich auf Antworten festzulegen.
Zwar möchte die Autorin ein Laienpublikum erreichen, doch auf erzählerische Elemente greift sie kaum zurück. Den Leser erwartet eine anspruchsvolle Lektüre, geschrieben in einem sachlich-nüchternen Stil, der Konzentration voraussetzt. Auf pointierte Kommentare muss man indes nicht verzichten: so etwa, wenn es um den Anspruch der Neurowissenschaften geht, das Wesen der Sprache mit bildgebenden Verfahren zu entschlüsseln. Über die geistige Natur der Sprache, so Zifonun, besagen die "phantastischen bunten Bilder" so viel wie die Ausschüttung von Oxytocin über die psychische Natur der Liebe.
Ihre bedenkenswerte Kritik an einer Linguistik, die sich zunehmend den Kognitionswissenschaften unterordnet, verschärft Zifonun noch, als sie sich des Gender-Themas annimmt. Für das Anliegen einer geschlechtergerechten Sprache empfindet die Autorin durchaus Sympathie, der Art seiner politisch-bürokratischen Umsetzung steht sie hingegen skeptisch gegenüber. Das gilt auch für die psychologischen Studien, die gern angeführt werden, um das Gendern zu rechtfertigen. Es handelt sich dabei um Assoziationstests, denen zufolge generische Maskulina Frauen "unsichtbar" machen, weil sie vornehmlich Bilder männlicher Personen im Kopf der Hörer und Leser erzeugen.
Auf die methodischen Mängel, die diese Untersuchungen aufweisen, geht Zifonun nicht ein, stattdessen holt sie zu einer Grundlagenkritik aus: Die Linguistik habe sich "weitgehend in die Knechtschaft der experimentellen Psychologie oder der Kognitionswissenschaften begeben", weil sie "Bedeutungen" nur noch als geistige, durch Wörter erzeugte Bilder begreife. Zifonun setzt einen weiter gefassten Bedeutungsbegriff dagegen, der Sprache nicht nur als individuelle mentale Fähigkeit, sondern auch als Medium gesellschaftlichen Handelns erfasst. Die Bedeutungen von Wörtern und Sätzen bestehen vor allem in den Regeln ihres Gebrauchs und in der Fähigkeit, aus dem Gehörten und Gelesenen die angemessenen Schlüsse zu ziehen.
Wer spricht, transportiert mehr als nur mentale Repräsentationen von Personen oder Gegenständen: Wörter können abstrakte Informationen ebenso vermitteln wie diffuse Gefühle, mit ihnen kann der Sprecher Erwartungen signalisieren oder sich selbst zu etwas verpflichten. Für Zifonun setzt eine aufs Psycholabor fixierte Linguistik nicht nur die Einsicht in diese semantische Verschiedenartigkeit aufs Spiel. Sie erklärt die Menschen auch zu willenlosen Opfern ihrer Bilder im Kopf. Dieser Kritik ist nur hinzuzufügen: Ignoriert wird auch die Wandelbarkeit von Bedeutungen. Dank ihrer gibt es "Frauenmannschaften", ohne dass die Logik gefoult wird. WOLFGANG KRISCHKE
Gisela Zifonun: "Das Deutsche als europäische Sprache". Ein Porträt.
Walter de Gruyter Verlag, Berlin/Boston 2021. 355 S., Abb., geb., 29,95 Euro.
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