Entwicklungshilfe, beschönigend heute auch »Entwicklungszusammenarbeit« genannt, ist eine umstrittene Angelegenheit. Gegner wie Befürworter führen gewichtige Argumente ins Feld, sind sich jedoch darin einig, dass etwas geschehen muss, gerade im subsaharischen Afrika. Nur was und wie? Sollen Veränderungen durch radikale Beschränkung auf humanitäre Hilfe und durch das Hoffen auf Eigeninitiativen aus dem Druck menschenunwürdiger Verhältnisse heraus zustande kommen? Oder durch zusätzliche finanzielle Hilfen und Kooperation in der Erwartung einer allmählichen Veränderung zum Besseren? Und zu welchem Besseren überhaupt? Ruanda gilt heute als Paradebeispiel der Entwicklung in Zentralafrika, die Demokratische Republik Kongo hingegen als Inbegriff von Korruption, Vetternwirtschaft und Staatsversagen. Zwei Extreme in Afrika, die gleichwohl Parallelen aufweisen und uns vor allem zu einem genauen - und selbstkritischen - Blick auf Afrika auffordern: jenseits paternalistischer Attitüden, politischer Blindheit, ökonomischer Gier oder einer Gleichgültigkeit, die oft in bedenkliche Nähe zur Arroganz gerät - trotz des europäischen Wunsches, Hilfe zu leisten. Seit fast zwanzig Jahren arbeitet Gerd Hankel in und über Zentralafrika und blickt auf eine lange Erfahrung in der Zusammenarbeit mit NGOs zurück. Seine Beobachtungen münden in einem differenzierten Plädoyer für die Entwicklungshilfe, zu der es trotz aller Widrigkeiten und realitätsfernen Erwartungen auf Geber- wie Nehmerseite keine sinnvolle Alternative gibt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2020Im Herzen Afrikas
Gerd Hankel denkt über Entwicklungshilfe nach
Seit es "Entwicklungshilfe" gibt, ist sie Gegenstand von Kritik. Nachrichten über ihren Tod erwiesen sich freilich wiederholt als voreilig. In der Wissenschaft dominiert heute in weiten Teilen gleichwohl eine Sicht der Dinge, die auf unterschiedlich differenzierte Weise ein Scheitern von Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit konstatiert. Besonders marktorthodoxe Ökonomen unternahmen Anstrengungen, den Entwicklungsgedanken aus den höheren Rängen der wirtschaftswissenschaftlichen Disziplin zu verbannen. Aber auch Teile der Linken stellen die Legitimität der Ideen von Entwicklung in Frage und brandmarken sie etwa als ein Mittel zu Zementierung globaler Hierarchien. All dies steht in deutlichem Kontrast zu den Forderungen einer breiten Koalition aus Politik, Entwicklungsorganisationen, Kirchen und engagierten Prominenten, die Entwicklungshilfe fortzusetzen und zu erhöhen.
Dass die vielfältigen und zum Teil durchaus fundierten Angriffe auf den Entwicklungsgedanken bislang nicht ihr Ziel erreicht haben, hat am Ende mit dem Dilemma zu tun, das der Jurist und Übersetzer Gerd Hankel in seinem "Erfahrungsbericht" anspricht. So treffend die Kritik an eigennützigen Einrichtungen und Ideologien der Entwicklungshilfe, an damit verknüpfter Korruption, Klientelismus und fehlender Nachhaltigkeit ist: Diese Kritik versorgt keine Bedürftigen mit Trinkwasser, sie mildert nicht das Schicksal von Frauen, die zwischen ländlichem Patriarchat und städtischer Ausbeutung feststecken, sie verteilt keine Medikamente gegen Malaria oder sichert wenigstens ansatzweise den Schulunterricht.
In einer eigensinnigen, höchst anregenden, aber nicht besonders kohärenten Mischung aus persönlichen Erlebnissen, politischer Analyse, statistischem Material und Polemik blickt Hankel vergleichend auf Ruanda und die Demokratische Republik Kongo, um über die Möglichkeiten und Grenzen von Entwicklungshilfe zu sinnieren. Diese beiden benachbarten Länder im Herzen Afrikas könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein. Das kleine, dichtbesiedelte Ruanda stieg nach dem furchtbaren Genozid 1994, der mindestens 500 000 Menschen das Leben kostete, zu einem der Darlings internationaler Geber auf. "Großzügige Geldspenden einflussreicher Staaten", diagnostiziert Hankel, "sollten vergessen machen, dass diese nichts unternommen hatten, um den Völkermord zu verhindern oder wenigstens zu beenden." Unter der eisernen Regie des Präsidenten Paul Kagame entwickelte sich Ruanda binnen kurzem zu einem Leuchtturm der Entwicklung in Afrika. Dafür stehen etwa ein beträchtliches Wirtschaftswachstum, eine attraktive Infrastruktur, die Investitionen erleichtert, sinkende Armut, steigende Nahrungsmittelsicherheit und wachsende Geschlechtergerechtigkeit.
Ganz anders Kongo, das viele Beobachter weiterhin mit dem Herz der Finsternis gleichsetzen. Das rohstoffreiche Riesenland steht wie wohl kein zweiter Staat südlich der Sahara für Ausweglosigkeit, ein Eindruck, der von Hankel weitgehend geteilt wird. Aber auch hinter der glänzenden Fassade Ruandas sieht der Autor viel Negatives. Von dem Boom hätten vor allem die Städte profitiert. Beim Volk der Hutu, die noch immer dem Pauschalvorwurf der Kollektivschuld am Völkermord ausgesetzt seien, sei das Fortschrittsversprechen noch kaum angekommen. Und viele auch gutausgebildete junge Ruander suchten vergeblich Arbeit. "Die Politik unter Kagames autoritärer Führung", fasst er seine Kritik treffend zusammen, "gibt Linie und Hoffnung vor. Die Bevölkerung hat zu folgen und sich zu freuen. Fällt ihr das schwerer, wird der repressive Druck erhöht."
Druck auf sein Regime von den Geberländern hat Kagame hingegen kaum zu fürchten. Die Dynamik der von ihm errichteten Entwicklungsdiktatur scheint in den Augen der internationalen Gemeinschaft auch Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen. Doch gerade die Einhaltung von Menschenrechten, argumentiert Hankel und ist sich mit vielen afrikanischen Aktivisten einig, sollte ein entscheidendes Kriterium für Hilfe auf Staatsebene sein. Vor allem aber komme es darauf an, nun endlich Ernst zu machen mit einer wahren Kooperation. Dies erfordere von Afrikanern, selbstbewusst Verantwortung zu übernehmen. Und von westlichen Ländern, quantitatives Wachstum und ein ökologisch ruinöses Konsumniveau als Leitwerte endlich zu verabschieden.
ANDREAS ECKERT
Gerd Hankel:
"Das Dilemma".
,Entwicklungshilfe'
in Afrika. Ein
Erfahrungsbericht.
Zu Klampen Verlag, Springe 2020. 150 S., br., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gerd Hankel denkt über Entwicklungshilfe nach
Seit es "Entwicklungshilfe" gibt, ist sie Gegenstand von Kritik. Nachrichten über ihren Tod erwiesen sich freilich wiederholt als voreilig. In der Wissenschaft dominiert heute in weiten Teilen gleichwohl eine Sicht der Dinge, die auf unterschiedlich differenzierte Weise ein Scheitern von Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit konstatiert. Besonders marktorthodoxe Ökonomen unternahmen Anstrengungen, den Entwicklungsgedanken aus den höheren Rängen der wirtschaftswissenschaftlichen Disziplin zu verbannen. Aber auch Teile der Linken stellen die Legitimität der Ideen von Entwicklung in Frage und brandmarken sie etwa als ein Mittel zu Zementierung globaler Hierarchien. All dies steht in deutlichem Kontrast zu den Forderungen einer breiten Koalition aus Politik, Entwicklungsorganisationen, Kirchen und engagierten Prominenten, die Entwicklungshilfe fortzusetzen und zu erhöhen.
Dass die vielfältigen und zum Teil durchaus fundierten Angriffe auf den Entwicklungsgedanken bislang nicht ihr Ziel erreicht haben, hat am Ende mit dem Dilemma zu tun, das der Jurist und Übersetzer Gerd Hankel in seinem "Erfahrungsbericht" anspricht. So treffend die Kritik an eigennützigen Einrichtungen und Ideologien der Entwicklungshilfe, an damit verknüpfter Korruption, Klientelismus und fehlender Nachhaltigkeit ist: Diese Kritik versorgt keine Bedürftigen mit Trinkwasser, sie mildert nicht das Schicksal von Frauen, die zwischen ländlichem Patriarchat und städtischer Ausbeutung feststecken, sie verteilt keine Medikamente gegen Malaria oder sichert wenigstens ansatzweise den Schulunterricht.
In einer eigensinnigen, höchst anregenden, aber nicht besonders kohärenten Mischung aus persönlichen Erlebnissen, politischer Analyse, statistischem Material und Polemik blickt Hankel vergleichend auf Ruanda und die Demokratische Republik Kongo, um über die Möglichkeiten und Grenzen von Entwicklungshilfe zu sinnieren. Diese beiden benachbarten Länder im Herzen Afrikas könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein. Das kleine, dichtbesiedelte Ruanda stieg nach dem furchtbaren Genozid 1994, der mindestens 500 000 Menschen das Leben kostete, zu einem der Darlings internationaler Geber auf. "Großzügige Geldspenden einflussreicher Staaten", diagnostiziert Hankel, "sollten vergessen machen, dass diese nichts unternommen hatten, um den Völkermord zu verhindern oder wenigstens zu beenden." Unter der eisernen Regie des Präsidenten Paul Kagame entwickelte sich Ruanda binnen kurzem zu einem Leuchtturm der Entwicklung in Afrika. Dafür stehen etwa ein beträchtliches Wirtschaftswachstum, eine attraktive Infrastruktur, die Investitionen erleichtert, sinkende Armut, steigende Nahrungsmittelsicherheit und wachsende Geschlechtergerechtigkeit.
Ganz anders Kongo, das viele Beobachter weiterhin mit dem Herz der Finsternis gleichsetzen. Das rohstoffreiche Riesenland steht wie wohl kein zweiter Staat südlich der Sahara für Ausweglosigkeit, ein Eindruck, der von Hankel weitgehend geteilt wird. Aber auch hinter der glänzenden Fassade Ruandas sieht der Autor viel Negatives. Von dem Boom hätten vor allem die Städte profitiert. Beim Volk der Hutu, die noch immer dem Pauschalvorwurf der Kollektivschuld am Völkermord ausgesetzt seien, sei das Fortschrittsversprechen noch kaum angekommen. Und viele auch gutausgebildete junge Ruander suchten vergeblich Arbeit. "Die Politik unter Kagames autoritärer Führung", fasst er seine Kritik treffend zusammen, "gibt Linie und Hoffnung vor. Die Bevölkerung hat zu folgen und sich zu freuen. Fällt ihr das schwerer, wird der repressive Druck erhöht."
Druck auf sein Regime von den Geberländern hat Kagame hingegen kaum zu fürchten. Die Dynamik der von ihm errichteten Entwicklungsdiktatur scheint in den Augen der internationalen Gemeinschaft auch Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen. Doch gerade die Einhaltung von Menschenrechten, argumentiert Hankel und ist sich mit vielen afrikanischen Aktivisten einig, sollte ein entscheidendes Kriterium für Hilfe auf Staatsebene sein. Vor allem aber komme es darauf an, nun endlich Ernst zu machen mit einer wahren Kooperation. Dies erfordere von Afrikanern, selbstbewusst Verantwortung zu übernehmen. Und von westlichen Ländern, quantitatives Wachstum und ein ökologisch ruinöses Konsumniveau als Leitwerte endlich zu verabschieden.
ANDREAS ECKERT
Gerd Hankel:
"Das Dilemma".
,Entwicklungshilfe'
in Afrika. Ein
Erfahrungsbericht.
Zu Klampen Verlag, Springe 2020. 150 S., br., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Hankels Werk bietet Stoff zum Überdenken der Entwicklungspolitik.« Judith Raupp in: Süddeutsche Zeitung, 31. März 2020