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Etwas ist in Bewegung in der Welt, es ist, als würde sie heimgesucht – aber von was? Und warum?
Die Tage sind endlos lang in diesem Sommer in Norwegen, und die Hitze ist schier unerträglich. Die Welt scheint irgendwie still zu stehen, und als Erstem fällt dies Syvert, dem Bestatter, auf. Immer mehr Tage vergehen, ohne dass Todesfälle gemeldet werden. Wie kann das sein? Viele Fragen hat auch die neunzehnjährige Line, die sich in Valdemar, den Frontmann einer sagenumwobenen Band, verliebt. Sie wird in eine geheime, faszinierende Welt hineingezogen, die sie aber auch ängstigt und an die…mehr

Produktbeschreibung
Etwas ist in Bewegung in der Welt, es ist, als würde sie heimgesucht – aber von was? Und warum?

Die Tage sind endlos lang in diesem Sommer in Norwegen, und die Hitze ist schier unerträglich. Die Welt scheint irgendwie still zu stehen, und als Erstem fällt dies Syvert, dem Bestatter, auf. Immer mehr Tage vergehen, ohne dass Todesfälle gemeldet werden. Wie kann das sein? Viele Fragen hat auch die neunzehnjährige Line, die sich in Valdemar, den Frontmann einer sagenumwobenen Band, verliebt. Sie wird in eine geheime, faszinierende Welt hineingezogen, die sie aber auch ängstigt und an die Grenzen des Verstehbaren bringt. Dies wiederum hat sie mit dem Polizisten Geir gemeinsam, der in einem makabren Dreifachmord ermittelt und über die vermeintlich abwegige Theorie, die er am Ende aufstellt, mit niemandem sprechen kann. Ist es letztlich die fragile Künstlerin Tove, die mehr versteht als die anderen? Sie erschafft Bilder, die von den untergründigen Strömungen aus Sexualität und Tod in den Volksmärchen inspiriert sind. Eines Tages hört sie eine Stimme, die zu ihr spricht – und ihr etwas abverlangt.

„Das dritte Königreich“ ist Teil der großangelegten Romanreihe „Der Morgenstern“, die Leser und Kritikerinnen in der ganzen Welt begeistert. Auslöser der Geschichte ist das plötzliche Auftauchen eines neuen Sterns am Himmel. Unter diesem Stern leben die Menschen ihre Leben wie früher, während sich die Welt um sie herum langsam verändert. Es geht um das, was wir nicht verstehen, um das große Drama, betrachtet durch die Linse des kleinen Lebens, und es geht darum, was geschieht, wenn die dunklen Kräfte in der Welt freigesetzt werden

Autorenporträt
Karl Ove Knausgård wurde 1968 geboren und gilt als wichtigster norwegischer Autor der Gegenwart. Die Romane seines sechsbändigen, autobiographischen Projektes wurden weltweit zur Sensation. Sie sind in 35 Sprachen übersetzt und vielfach preisgekrönt. 2015 erhielt Karl Ove Knausgård den WELT-Literaturpreis, 2017 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, 2022 nahm er in Kopenhagen den Hans-Christan-Andersen-Literaturpreis entgegen. Er lebt in London.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Nicht allzu gut unterhalten fühlt sich Rezensent Marcus Hladek diesmal von Karl Ove Knausgård. Der legt hier den dritten Teil seines "Morgenstern"-Zyklus vor, der sich Hladek zufolge als wenig prickelndes Zwischenstück erweist. Es geht wie in den Vorgängern um Endzeitthemen, niemand stirbt mehr in Norwegen, außerdem ist ein neuer Stern am Himmel aufgetaucht. Um diese Ausgangssituation strickt Knausgård ein weiteres Mal eine Erzählung, die aus mehreren Perspektiven aufgefaltet wird, neu ist eine Nebenfigur namens Kristian Hadeland, die allerdings erst im Nachfolgeband wirklich interessant werden wird, wie Hladek zu berichten weiß. Daneben geht es unter anderem um Heavy-Metal-Bands, Ritualmorde und eine Stimmen hörende Bipolare, zählt der Rezensent auf, wobei sich Knausgård freilich für Okkultismus lediglich als Spielmaterial interessiert. Hladek findet Bezüge unter anderem zu C.G. Jung und erfreut sich auch diesmal an den Passagen, die sich Bildern oder Musikstücken widmen, aber insgesamt ist diesmal eher Flaute angesagt im Knausgård-Kosmos.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Das ist endlich wieder so ein Buch, das einen ganz und gar verschlingt und nicht mehr loslässt, wenn man einmal hineingeraten ist in diesen Sog. Einen Sog aus Unheil, Dunkelheit, Rätselhaftigkeit und Schönheit.« Volker Weidermann / DIE ZEIT

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.06.2024

Von heute an sind
wir unsterblich
Wie lebt man, wenn man ewig lebt?
Diese fantastische Frage betrachtet
Karl Ove Knausgård in „Das dritte Königreich“.
VON ALEX RÜHLE
Nachdem Karl Ove Knausgård dreieinhalb Jahre lang sein eigenes Leben literarisch ausgestellt hatte, Tag für Tag, über sechs Bände und 5500 Seiten hinweg, schrieb er am Vormittag des 2. September 2011 den letzten Satz, der wie ein befreiender Glücksseufzer klang: „Danach werden wir den Zug zurück nach Malmö nehmen, uns ins Auto setzen und zu unserem Haus fahren, und auf dem ganzen Weg werde ich den Gedanken genießen, wirklich genießen, dass ich kein Schriftsteller mehr bin.“
Das war natürlich gelogen, Knausgård hat seinen schwindelerregenden Output als Autor seither beibehalten, nur dass er keine exzessiven Erinnerungswälzer mehr schreibt, sondern wie in seinen Anfängen wieder fiktional arbeitet. Der äußere Grundriss seines neuen Werks aber ähnelt dem des autobiografischen Mammutunternehmens geradezu verblüffend: Sechs Bände sollen es wohl auch diesmal werden. Auch diesmal lässt er sich vom Schreiben leiten, ohne zu wissen, wie das Ganze ausgeht, und er ist jetzt, nach dem dritten Band, wieder bei rund 2600 Seiten angekommen.
Sein sechsteiliges Lebenskonvolut, das im norwegischen Original „Min Kamp“, also „Mein Kampf“ heißt, wollte er zwischenzeitlich übrigens mal „Argentinien“ nennen. Schließlich, so seine Erklärung im SZ-Interview, sei Argentinien „immer ein Sehnsuchtsort von mir gewesen. Der Fußball, die Literatur, Borges und Cortázar. Ich wusste, dass das Land etwas Europäisches hat, es ist also fast wie hier, aber ganz anders. Und ich war nie da. Das ist der Ort der Literatur“.
Fast wie hier, aber ganz anders – eine sehr treffende Formulierung für das neue Knausgård-Universum: Das Ganze spielt in Norwegen, in der Gegenwart, unter völlig durchschnittlichen Menschen, die versuchen, ihr Leben zu meistern, fast wie hier, bei dir und mir: Jarle Skinlo ist Neurologe, um die 60, und sagt von sich selbst, er sei „eine langweilige Person, die sich niemals langweilt“. Syvert Løyning, Bestatter, glücklich verheiratet, hat kürzlich erfahren, dass er in der Ukraine eine Halbschwester hat. Tove ist Künstlerin und macht mit ihrem Mann und den drei Kindern gerade Urlaub an der Küste. Nehmen wir Gaute noch dazu, den Lehrer, der davon überzeugt ist, dass ihn seine Frau betrügt.
So weit, so gewöhnlich. Und doch ist bei jedem von ihnen alles plötzlich ganz anders: Jarle Skinlo muss einen Mann neurologisch untersuchen, der allem medizinischen Anschein nach tot war, aber dennoch wieder zum Leben erwacht ist. Syvert und seine Kollegen vom Bestattungsinstitut stellen fest, dass seit Tagen keine Todesfälle mehr gemeldet wurden. In ihrer Gemeinde nicht und, wie sie dann herausbekommen, auch im restlichen Norwegen nicht. Tove kämpft gegen eine unheimliche Stimme an. Psychiater würden sagen, sie rutscht gerade in eine sehr akute manische Phase, ihre Stimme würde sagen, vertrau mir doch, die anderen lügen ohnehin alle oder sind blind für die wirklich wichtigen Dinge. Und Gaute trifft mehrmals zufällig diesen schmuddeligen Mann, der ihm jedes Mal en passant zu verstehen gibt, dass er sogar dessen geheimsten Gedanken kennt.
Dazu kommt als alles überstrahlende Tatsache, dass die Welt an sich in diesem Romanzyklus eine ganz andere ist: Der erste Band fing damit an, dass plötzlich ein riesiger neuer Stern am Firmament steht, tagsüber nur schwach sichtbar, nachts aber so hell und groß wie der Mond. Die einen nennen ihn Morgenstern, die anderen Komet, allen aber scheint er fahl und fremd in ihren Alltag und taucht das Leben in ein neues, zweites Licht.
Alle grundlegenden Gesetze scheinen also außer Kraft gesetzt. Wir sind nicht mehr sterblich. Und nicht mal unser Kosmos aus Sonne, Erde, Mond und Sterne hat noch Gültigkeit. Was aber tun Knausgårds Menschen? Sie leben erst mal weiter wie bisher, still verwundert, aber zäh verhaftet in ihren Ängsten und Abläufen. Aus diesem Zugleich von fast wie hier und ganz anders beziehen die neuen Romane ihre Kraft und ihren irritierenden Sog.
Zumal die Leser wissen, dass jede der Figuren, die sich selbst auf festem Lebensgrund wähnt, von Anfang an auf einer abschüssigen Bahn steht. Am auffälligsten ist das bei Tove, die schon auf den ersten Seiten sagt, eine Psychose sei „wie eine der drei Türen im Märchen, diejenige, die auf keinen Fall geöffnet werden darf. Alle wissen es. Dennoch wird sie am Ende immer geöffnet. Hat man die Wahl zwischen Nichts und Etwas, versucht man erst Etwas“. Da ist im Grunde schon klar, dass die Tür bald gähnend weit offen stehen wird.
Wer die beiden ersten Bände gelesen hat, kennt Tove bereits, der ganze Zyklus beginnt nämlich aus der Sicht von Arne, einem Literaturprofessor, der mit Tove, seiner Frau, und den gemeinsamen Kindern in den Urlaub fährt und die ganze Zeit ängstlich darauf bedacht ist, dass Tove ihre Tabletten nimmt, damit den Kindern ein neuer Wahnschub erspart bleibt. Es ist schon sehr kunstvoll, ja diabolisch, dieselbe Situation jetzt aus der Sicht von Tove zu erleben, ihre Überlegenheitsgefühle, weil sie mehr sieht und spürt als ihr Mann, der „immer nur mit beiden Beinen in dem stand, was er war“.
Gleichzeitig ist es furchtbar, miterleben zu müssen, wie sich der Wahn langsam, aber sicher um sie schließt wie das Dornengestrüpp um die Burg. Wie die Kinder irritiert und ängstlich um diese bizarrfremde Mutter schleichen. Und wie verführerisch die Stimme, gegen die sie sich anfangs zu wehren weiß, immer neu und listig zu ihr durchdringt, wie Unkraut, das noch die kleinste Ritze in der Mauer der Vernunft findet, um seine Wurzeln tief hineinzubohren.
Langstreckenleser bekommen also einige komplementäre Puzzleteile gereicht, aber man muss die ersten beiden Bände nicht kennen, um Lesespaß zu haben. Knausgård ist ein beeindruckend guter Psychologe, der in all seinen so tief geerdeten Alltagsbeschreibungen immer wieder Metaphern findet, so treffend, dass man sie sich für immer merken will (als winzige Beispiele zweimal Gaute in seiner hilflosen Eifersucht gegenüber seiner Frau: Einmal muss er im Unterricht an sie denken, plötzlich, „wie ein Erdrutsch aus Finsternis“. Am selben Nachmittag steht er ihr gegenüber und hält sich an seiner Kaffeetasse fest, „innerlich leichenblass“). Und Knausgård kann einfach Dialoge, egal ob aufgekratztes Küchengeplauder in der Studentinnen-WG, hitzige Neurologendiskussion über die Grenzen des Bewusstseins oder abendliches, altvertrautes Halbschlafgemurmel eines Ehepaares. Die Frage ist, wie er mit diesem Setting weitermacht. Die Anklänge an das Horrorgenre, an Fantasy und den Magischen Realismus werden mit jedem Band stärker, und es wird spannend sein zu sehen, wie das mit seinem erdverbundenen norwegischen Hyperrealismus in Einklang zu bringen ist, jetzt, wo allen Figuren zu dämmern beginnt, dass sie unter dem Licht des neuen Sterns ja anscheinend nicht mehr sterben können.
Man muss die ersten
Bände nicht kennen,
um Lesespaß zu haben
Karl Ove Knausgård:
Das Dritte Königreich. Roman.
Aus dem Norwegischen
von Paul Berf.
Luchterhand,
München 2024.
656 Seiten, 28 Euro.
Ein guter Psychologe: Karl Ove Knausgård.
Foto: Thomas Karlsson / IMAGO/TT
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