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Die Klage über die Militarisierung der amerikanischen Außenpolitik greift zu kurz
Seit dem Zerfall der Sowjetunion ist es nicht gut gelaufen für die amerikanische Außenpolitik. Russland und China sind weder zu Demokratien geworden, noch haben sie sich in die Pax Americana eingefügt. Nach 9/11 verstrickten sich die Vereinigten Staaten in Kriege im Irak und in Afghanistan, die nicht zu gewinnen waren; die Intervention im libyschen Bürgerkrieg erfolgte halbherzig und ohne langen Atem, aus dem Syrien-Krieg hielten sie sich weitgehend heraus. Und jetzt reißt auch noch der Berserker im Weißen Haus das traditionelle Bündnissystem ein. Kein Wunder, dass Washingtons weltpolitischer Einfluss in den vergangenen 25 Jahren kleiner geworden ist.
Diesen Machtverlust zu erklären, setzt sich Ronan Farrow zum Ziel. Er ist ein Wunderkind: Mit elf war der Sohn von Mia Farrow und Woody Allen mit der Schule fertig, mit 14 wurde er Unicef-Sprecher für die Jugend, mit 15 hatte er seinen ersten Uniabschluss in der Tasche. Er studierte Jura in Yale, arbeitete mit 20 vier Jahre im Außenministerium, schrieb danach für die "New York Times" und das "Wall Street Journal". 2017 deckte er im "New Yorker" die Machenschaften von Hollywood-Produzent Harvey Weinstein auf und brachte damit die Me-Too-Debatte ins Rollen. Dafür bekam er im April den Pulitzerpreis für Dienst an der Öffentlichkeit. Mehr geht nicht? Doch: "Time" zählt ihn zu einem der 100 einflussreichsten Personen, "People" zu einem der Sexiest Men Alive.
In seinem ersten Buch argumentiert der Dreißigjährige, die Crux der amerikanischen Außenpolitik sei es, dass angefangen mit Bill Clinton alle Präsidenten das Außenministerium geschwächt und dem Pentagon mehr und mehr Macht gegeben hätten. "Von Mogadischu über Damaskus bis nach Islamabad verabschiedeten sich die USA aus dem zivilen Dialog, ersetzten die Werkzeuge der Diplomatie durch direkte taktische Deals zwischen US-amerikanischem Militär und ausländischen Streitkräften", schreibt Farrow. Trump verkörpert mit seiner Verachtung klassischer Diplomatie insofern nur den Höhepunkt eines jahrzehntelangen Trends. Die einzigen Männer, die er akzeptiert, sind Generäle: Zwei machte er zu seinen Sicherheitsberatern, einen zum Verteidigungsminister, einen zum Stabschef. Zehn der 25 führenden Positionen im Stab des Nationalen Sicherheitsrats sind mit aktiven oder pensionierten Militärs besetzt. Rex Tillerson, Trumps erster Außenminister, begann dagegen seine Amtszeit mit dem Vorschlag, das Budget seiner Behörde um 40 Prozent zu kürzen. Noch heute ist nur einer von sechs Staatssekretärsposten im State Department besetzt, von 188 Botschafterposten sind 39 vakant. Farrow schreibt: "Ein Berufsstand, der noch vor ein paar Jahrzehnten die besten Köpfe aus Amerikas Universitäten und auch aus der Privatwirtschaft anlockte, lag in Trümmern, wenn nicht sogar im Sterben."
Seine Idee von den katastrophalen Folgen der Militarisierung der Außenpolitik untermauert Farrow, indem er sich fünf Krisenregionen auf drei Kontinenten anschaut. Viele der Konfliktherde kennt er aus eigener Erfahrung. 2009/10 arbeitete er im Team von Richard Holbrooke, dem Sondergesandten Präsident Obamas für Afghanistan und Pakistan, dann zwei Jahre als Berater von Außenministerin Hillary Clinton. Seitdem ist er als Reporter weltweit unterwegs, mit exzellentem Zugang zu Washingtons Machtelite.
Mehr als die Hälfte des Buches widmet Farrow Afghanistan und Pakistan, auch weil ihn der Protagonist unglaublich fasziniert. Holbrooke, Spitzname "Bulldozer", hatte als Staatssekretär im Außenministerium 1995 die drei Gegner im Bosnien-Krieg mit Beharrungskraft und Drohungen zum Friedensschluss gezwungen. 2009/10 will er das Gleiche in Afghanistan und Pakistan erreichen. Farrow weiß zwar um Temperamentausbrüche, Rücksichtslosigkeit und Narzissmus seines Chefs, aber auch um dessen Durchsetzungsfähigkeit und Leidenschaft und kommt nicht umhin, ihn als Prototypen effektiver amerikanischer Diplomatie zu bewundern ("Er war der seltene Fall eines Arschlochs, das Respekt verdient"). Holbrookes Bemühungen um eine diplomatische Lösung des Konflikts passen jedoch nicht ins Kalkül des Weißen Hauses. Dort hat selbst Obama das Mantra des Primats des Militärischen so verinnerlicht, dass Ideen und Vorschläge aus dem Außenministerium kaum Eingang finden in den Entscheidungsprozess. Holbrooke wird schnell kaltgestellt.
Das gleiche Muster sieht Farrow in der amerikanischen Politik in Syrien, am Horn von Afrika, in Ägypten und Kolumbien. Überall schien es Präsidenten leichter, mit ausländischen Streitkräften und Milizen zu paktieren, als den mühsamen diplomatischen Weg einzuschlagen. In Syrien trainierten Pentagon und CIA heimlich die Freie Syrische Armee und die kurdische YPG, in Afghanistan setzte das Weiße Haus auf Warlords wie den verschlagenen Abdul Dostum, in Somalia zunächst auf Warlords, dann auf die Invasion der äthiopischen Armee. Mit Ägypten waren die Beziehungen zu einem Deal Militärhilfe gegen regionalpolitisches Wohlverhalten verkommen, so dass man während des Putschs gegen den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi keine diplomatischen Hebel hatte, um die Generäle von Massakern an den Muslimbrüdern abzuhalten. Und in Kolumbien, so Farrow, schufen die Vereinigten Staaten durch ihren militanten Kurs nicht nur die Farc, sondern trugen durch ihre bedingungslose Unterstützung der Regierung mit Militärhilfe auch wesentlich zur Eskalation des Bürgerkriegs bei.
Farrows Buch ist eine Mischung aus Berichterstattung und Memoiren und es ist am stärksten, wenn er mit feiner journalistischer Feder die Protagonisten zeichnet. Die Porträts von Holbrooke und Dostum legen offen, wie beide ticken. Auch hat Farrow ein gutes Gespür für die richtige Anekdote zur richtigen Zeit. Köstlich, wenn er berichtet, wie Holbrooke die Außenministerin bis auf die Damentoilette verfolgt, um sie von seiner Sichtweise zu überzeugen. Farrows Argument, Amerika leide an einem Übermaß militärischer Lösungsansätze, erzählt aber bestenfalls die halbe Story, zumal er als Kronzeugen neun Außenminister anführt - das dürfte ein Interview-Rekord sein. Amerikas Einfluss geht nämlich primär zurück, weil das wirtschaftliche und militärische Gewicht des Landes in der Welt seit 1991 sinkt und nach dem Ende des Kalten Krieges alte Partner nicht mehr automatisch Gefolgschaft leisten. Insofern hat der Machtverlust der Vereinigten Staaten mehr zu tun mit dem Aufstieg Chinas und der selbständigeren Politik regionaler Akteure als mit dem Niedergang der Diplomatie.
STEPHAN BIERLING
Ronan Farrow: Das Ende der Diplomatie. Warum der Wandel der amerikanischen Außenpolitik für die Welt so gefährlich ist.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 480 S., 22 ,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
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