Japan ist und bleibt für mich das faszinierendste Land der Erde. Bisher gelingt ihm noch der Spagat zwischen fast hemmungsloser Modernisierung und einer jahrhundertealten Tradition. Ein wichtiges Bindeglied ist dabei der Tenno, doch das Kaisertum, das sich auf eine 2500-jährige Geschichte beruft,
steckt in einer tiefen Legitimationskrise. Wieland Wagner analysiert in seinem Buch die Ursachen und…mehrJapan ist und bleibt für mich das faszinierendste Land der Erde. Bisher gelingt ihm noch der Spagat zwischen fast hemmungsloser Modernisierung und einer jahrhundertealten Tradition. Ein wichtiges Bindeglied ist dabei der Tenno, doch das Kaisertum, das sich auf eine 2500-jährige Geschichte beruft, steckt in einer tiefen Legitimationskrise. Wieland Wagner analysiert in seinem Buch die Ursachen und erzählt die wechselvolle Historie der japanischen Kaiser, die über viele Jahrhunderte nur Marionetten im Goldenen Käfig waren. Erst der Meiji-Kaiser errang 1868 wieder die faktische Herrschaft über das Land, allerdings besaß das neue System einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler. Der Autor untersucht, wie der als Gott verehrte Tenno Hirohito den Weg in den Weltkrieg ebnete und wie er durch besondere politische Umstände der Bestrafung entging. Doch der Makel blieb an ihm haften, auch wenn monarchietreue Anhänger seine Verantwortung bis heute leugnen. Japans Gesellschaft hat sich stark gewandelt, so dass die nachfolgenden Tenno-Generationen immer stärker unter Legitimationsdruck gerieten. Naruhito steht als aufrechter Demokrat den Nationalisten der Regierungspartei feindlich gegenüber, aber seine verfassungsmäßig festgeschriebene politische Neutralität verhindert öffentliche Äußerungen. Er ist damit ein Sinnbild geworden für die Spannungen in der angeblich so homogenen Nation.
Neben detaillierten Fakten der japanischen Geschichte liefert das Buch ungewöhnliche Einblicke in die Hofgesellschaft, die in Japan zwar das Boulevard füllt, hier aber weitgehend unbekannt ist. In Ausnahmefällen, wie der ungeklärten Nachfolgefrage Naruhitos, schafft es das japanische Kaiserhaus auch einmal in unsere Gazetten, aber in dieser Ausführlichkeit und mit dem notwendigen Wissen zum kulturellen Hintergrund habe ich das bisher noch nirgendwo gelesen. Dass durch die japanische Gesellschaft mittlerweile ein Riss geht, dass der Gesellschaftsvertrag, nachdem jeder abgesichert ist, der die ihm zugewiesene Rolle widerspruchslos erfüllt, nur noch in Teilen gilt, dass immer mehr Menschen abgehängt werden und das unabhängig vom Alter, das wusste ich bereits. Dass dieser Riss aber auch die Existenz des Kaiserhauses bedroht, war mir nicht bekannt. Naruhito erkämpft sich den Respekt seines Volkes auf eine völlig neue Weise, volksnah, empathisch und unkompliziert. Was aber der einen Seite gefällt, missfällt der anderen zutiefst und hier sitzen leider die militanten Vertreter, die den Tenno gerne wieder in seinen Goldenen Käfig sperren wollen. Wieland Wagner zeigt, dass das Drama am Kaiserhaus das Ergebnis einer Entwicklung ist, die mit der Meiji-Restauration ihren Anfang nahm. Er lässt die Frage nach der Zukunft letztlich offen, diskutiert die verschiedenen Möglichkeiten, aber die westlichen Werte, auf denen die japanische Verfassung beruht, sind auch im Fernen Osten im unaufhaltsamen Niedergang.
Das Buch ist inhaltlich spannend, fachlich aktuell und auch wenn es Redundanzen in einigen Kapiteln gibt, sehr gut strukturiert. Dass Wieland Wagner sich teilweise um geschlechtergerechte Sprache bemüht, ist beim Lesen manchmal mühsam und führt in einigen Fällen sogar zu unzulässigen Bedeutungsverschiebungen, zumal in einer männerdominierten Gesellschaft wie der japanischen. Ich halte das Sprachdiktat für eine sehr ungesunde Entwicklung, die leider mittlerweile totalitäre Züge trägt und Totalitarismus in jeder Form lehne ich grundsätzlich ab.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)