Thorsten Becker hat einen Roman über Luther geschrieben. Der Leser verdeutscht mit dem Reformator das Gotteswort, zieht mit ihm in den Bauernkrieg und wird auf die Hochzeit mit Katharina von Bora geladen, lernt den Revolutionär und Fürstenknecht kennen. Er kommt dieser übergewaltigen Figur der deutschen Geschichte nahe wie kaum je zuvor. Die lebensfrische Plastizität seiner Luther-Gestalt erzielt Becker durch den geschickten Wechsel aus der Totale des historischen Panoramas in die psychologische Großaufnahme, mehr noch durch die ironisch-präzise Porträtierung der Freunde und Mitstreitenden Melanchthon, Spalatin und Cranach, der Opponenten Müntzer und Karlstadt. Eingetaucht wird die Erzählung wie in ein Kontrastmittel, das alle Konturen noch schärfer hervortreten lässt, in die Atmosphäre der Sowjetunion am Ende des Zweiten Weltkriegs. Dem Erzähler Baron von Wolzogen, Schauspieler und desertierter Pilot der Luftwaffe, ist die Herausgabe des Luther-Romans aus der Feder des tragisch geendeten Erfolgsschriftstellers Gisbert Gutsche anvertraut. Im Nachdenken über Gutsche verstrickt er sich immer tiefer in die Widersprüche von dessen Künstlerexistenz bis hin zum gemeinsamen Freitod mit der jüdischen Frau und ihrer Tochter. Ein historischer Roman also über die Entstehung eines historischen Romans, voller reizvoller Spiegelungen und überraschender Durchblicke. Gerade diese ironische Brechung lässt Geschichte nicht als statisches Bild einer Epoche, sondern in ihrem Verlauf bis heute erkennbar werden.
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