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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
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Auf einem fahlen Pferd sitzt der vierte apokalyptische Reiter. Sein Name ist Tod. Den Titel wählte Boris Sawinkow (1879 bis 1925) bewusst für seinen im Jahre 1909 erstmals erschienenen Roman. Es ist das Tagebuch eines Terroristen und offenbart nicht nur die bis heute relativ unveränderten Techniken der Gewalt, sondern auch Einblicke in die Psyche eines sich radikalisierenden Sozialrevolutionärs, seine Daseinsweise in der Anonymität der Großstadt, die durch die Konspiration erzwungene Isolation der Terrorzelle, aber auch die sehr unterschiedlichen Motive für das Morden bei den jungen Akteuren, ihre kleinen Fluchten ins private Glück, ihre Gewissensnöte, ihr Schwanken zwischen Todeswahn und Lebenshunger.
Nachdem Russland am Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine erste Welle terroristischer Gewalt erlebt hatte, bei der neben zahlreichen Regierungsvertretern auch der Zar und seine Familie getötet wurden, hatten sich die revolutionären Kräfte gespalten und größtenteils vom Terrorismus verabschiedet, denn er erzeugte nicht die erhoffte Wirkung im Volk, sondern füllte im Gegenteil nur die Gefängnisse und Straflager des Staates. Für einige von ihnen hatte sich das Morden jedoch verselbständigt, es ging nach der Revolution von 1905 nicht mehr um den gesellschaftlichen Umsturz, sondern vor allem um den symbolischen Akt der Gewalt, um Zersetzung und Verunsicherung.
Boris Sawinkow, Sohn eines Staatsanwaltes, war vermutlich einer der ersten Berufsterroristen überhaupt. In seinem gut lesbaren und sehr aufschlussreichen Nachwort zeichnet der Berliner Historiker Boris Baberowski das Leben dieses "modernen Gewaltunternehmers" nach, der vom Regimekritiker zum "Terroristen aus Leidenschaft" mutierte und jedes System ablehnte. Im Roman wird deutlich, wie sich der Erzähler von seinen aus politischer Überzeugung handelnden Mitterroristen unterscheidet: "Ich habe einen Menschen getötet ... Bisher hatte ich gute Gründe: Ich tötete im Namen des Terrors und im Namen der Revolution ... Aber jetzt töte ich einzig für mich. Ich will es so, also töte ich."
Boris Sawinkows Erzähler, in der Tradition der Nihilisten Dostojewskis stehend, erlebt das Töten, auch den Suizid, der einer Festnahme zuvorkommen soll, als blanken Akt, als geradezu ästhetische Inszenierung. Boris Sawinkow selbst, der unter anderem an der Ermordung des russischen Innenministers von Plehwe maßgeblich beteiligt war, konnte seiner eigenen Hinrichtung entkommen und aus dem Gefängnis in Odessa ins Ausland fliehen. Im Jahr 1917 kehrte er nach Russland zurück und wurde kurzzeitig Kriegsminister unter Kerenski. Als überzeugter Gegner der Bolschewiki ging er aufs Neue in die Emigration und starb schließlich nach einem Sprung aus dem Fenster des berüchtigten Moskauer Gefängnisses Lubjanka, wohin ihn der sowjetische Geheimdienst 1924 aus dem Ausland verbracht hatte. Ob Mord oder Selbstmord, lässt sich vermutlich nie mehr klären.
sber.
Boris Sawinkow: "Das fahle Pferd". Roman eines Terroristen. Übersetzt und kommentiert von Alexander Nitzberg. Mit einem Nachwort von Jörg Baberowski.
Galiani Verlag, Berlin 2015. 290 S., geb., 22,99 [Euro].
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