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Es geht in diesem Buch um Sexualität im Sprachvergleich, genauer: um Sexuelles und Fäkalisches beim groben Sprechen. Wenn wir Deutschen schimpfen, beleidigen, fluchen und überhaupt vulgär werden, verwenden wir normalerweise Ausdrücke, die sich auf Exkrementelles beziehen, während unsere Nachbarsprachen zu diesem Zweck fast immer ins Sexuelle gehen. Gibt es Gründe für diesen deutschen Sonderweg? Anhand einer überwältigenden Fülle an Beispielen aus über einem Dutzend Sprachen widmet sich Hans-Martin Gauger dem Thema mit Witz und Scharfsinn. Der Leser wird gut unterhalten, erfährt viel…mehr

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Produktbeschreibung
Es geht in diesem Buch um Sexualität im Sprachvergleich, genauer: um Sexuelles und Fäkalisches beim groben Sprechen. Wenn wir Deutschen schimpfen, beleidigen, fluchen und überhaupt vulgär werden, verwenden wir normalerweise Ausdrücke, die sich auf Exkrementelles beziehen, während unsere Nachbarsprachen zu diesem Zweck fast immer ins Sexuelle gehen. Gibt es Gründe für diesen deutschen Sonderweg? Anhand einer überwältigenden Fülle an Beispielen aus über einem Dutzend Sprachen widmet sich Hans-Martin Gauger dem Thema mit Witz und Scharfsinn. Der Leser wird gut unterhalten, erfährt viel Wissenswertes über Europas Sprachen - und darüber, wie man sprachlich korrekt plurilingual beleidigt und flucht.


Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Hans-Martin Gauger ist emeritierter Ordinarius für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Freiburg. Er ist Träger des Bayerischen Staatspreises (Karl Vossler-Preis) für wissenschaftliche Sprache von literarischem Rang und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012

Wenn hinterfotzige Seckel mit Karacho ins Klo greifen

Beim Fluchen verwenden unsere Nachbarn sexuelle Metaphern. Der Linguist Hans-Martin Gauger geht der Frage nach, warum sich Deutsche demgegenüber an die Sphäre des Fäkalen halten.

Von Wolfgang Krischke

Die 109. Minute im Finale der Fußballweltmeisterschaft 2006 war ein Moment, der lehrbuchartig vorführte, welche Wucht sprachliches Handeln entfalten kann: Marco Materazzi aus der italienischen Mannschaft hatte den französischen Nationalspieler Zinedine Zidane am Hemd gefasst, worauf der ihm ironisch anbot, ihm das Kleidungsstück nach dem Spiel zu überlassen. Materazzis Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: "Ich will lieber deine Schwester, die Nutte!" Kurz darauf lag er am Boden - niedergestreckt von einem Kopfstoß Zidanes. Hans-Martin Gauger nimmt diesen italienisch geführten Kurzdialog mit seinem abrupten Übergang ins Nonverbale als Einstieg für eine erhellende und meistens auch unterhaltsame Expedition durch die Beleidigungs- und Schimpfkulturen Europas.

Das Deutsche - so seine zentrale These - bildet in dieser Hinsicht eine Insel der Besonderheit, was auch an den von Unkenntnis geprägten Reaktionen deutscher Journalisten auf den französisch-italienischen Zusammenstoß deutlich werde: Die meisten sahen die Beleidigung darin, dass Zidanes Schwester als Prostituierte bezeichnet wurde. Doch das, erklärt Gauger, war nur ein Verstärker. Die ehrverletzende Attacke bestand vor allem in der Äußerung des Wunsches, über die Schwester - es hätte beleidigungstechnisch auch die Mutter sein können - sexuell zu verfügen.

Dass das hierzulande nicht gleich erkannt wurde, liegt für Gauger vor allem daran, dass das Sexuelle im Deutschen als Reservoir für Wörter und Wendungen des Herabwürdigens, Schimpfens und Fluchens kaum genutzt wird, während es nicht nur für den Italiener Materazzi, sondern für die Sprecher vieler anderer - nicht nur romanischer - Sprachen zum jederzeit abrufbaren Repertoire gehört. Im deutschen Sprachraum hätte man in dieser Situation hingegen ein "Verpiss dich, du Arschloch!" erwartet, denn um zu pöbeln, machen Deutsche, Österreicher und Deutschschweizer in der Regel einen "Griff ins Klo", wie eine bezeichnende Wendung lautet. Sie bedienen sich dafür fast ausschließlich des Fäkalbereichs, wofür das Wortfeld "Scheiße", von Gauger mit linguistischer Akkuratesse vermessen, nur ein Beispiel ist.

Auch so scheinbar unanstößige Wendungen wie "im Eimer sein", "zu Potte kommen" oder "anschmieren" gehören als Euphemismen in dieses exkrementelle Reservoir. Zwar finden sich fäkalische Fluch-Ausdrücke - von "shit" bis "mierda" - auch in vielen anderen Sprachen, aber sie treten dort doch zurück hinter den größeren Batterien von Kraftwörtern und -wendungen, die sich auf Sexualorgane, den Geschlechtsverkehr oder die Prostitution beziehen. Das Besondere dabei ist natürlich nicht, dass es sich um vulgäre Bezeichnungen des Geschlechtlichen handelt - solche finden sich auch im Deutschen in großer Zahl -, sondern in ihrer Instrumentalisierung für den nichtsexuellen Bereich des Beleidigens, Schimpfens, Meckerns und Verfluchens.

Gauger liefert hierfür eine bunte Vielfalt von Beispielen aus zahlreichen Sprachen. Der Schwerpunkt seiner Auswahl ist durch sein Fach, die Romanistik, bestimmt, doch bezieht er auch andere Sprachen - vom Niederländischen über das Ungarische bis zum Türkischen - ein. Die Gefahr, dass solche Examinierungen unterhalb der Gürtellinie entweder zu einer öden Taxonomie des Degoutanten geraten oder in eine verklemmte Schlüpfrigkeit abrutschen, ist groß, doch Gauger - einer der wenigen Sprachwissenschaftler mit dem Talent zum anspruchsvollen Popularisieren - erliegt ihr nicht: Leicht im Stil und konzentriert in der Sache präsentiert er dem Leser die sprach- und kulturwissenschaftlichen Erträge seiner Untersuchungen. Etwas zu viel des Guten sind freilich seine Exkurse in die Weltliteratur, denn sie führen - so lesenswert sie stellenweise sind - zu weit vom Thema ab und lassen den Gedankengang zerfransen.

Im Sprachvergleich kommt dem Deutschen mit seiner Fokussierung auf das Exkrementelle am nächsten noch das Französische, das neben einem reichhaltigen sexuellen Schimpfvokabular auch eine ganze Reihe von Fäkalflüchen zu bieten hat. Den Grund dafür, dass sich hier das "Schmutzige" und das "Feuchte" treffen, sieht Gauger im sprachlichen Einfluss der herrschenden Germanen, genauer gesagt der Franken des frühen Mittelalters, auf die galloromanische Sprache der Einwohner. Diese These entspricht zwar dem altphilologischen Bonmot, dass Französisch nur ein durch die germanische Zunge verdorbenes Latein sei. Was aber nicht ins Bild passt, sind die anderen germanischen Sprachen, die, wie Gauger selbst zeigt, nicht dem deutschen Muster folgen. Deren vulgäre Flüche sind, wie im Schwedischen, vornehmlich religiös grundiert, oder sie gehören, wie im Niederländischen oder Englischen, eher ins "romanische Lager", haben also eine starke sexuelle Komponente, wie das sich endemisch ausbreitende "fuck" zeigt.

Gaugers Vermutung, die Seefahrt habe die Niederlande und Großbritannien mit Kraftausdrücken aus anderen Kulturen versorgt und deshalb im Gegensatz zum eher meerfernen deutschsprachigen Raum auf einen anderen Kurs gebracht, steht auf schwachen Füßen. Der Autor unterschätzt - vielleicht aus seiner badischen Perspektive - die Bedeutung des Seehandels für die gesamte Nordhälfte des deutschsprachigen Raums. Die Hanse und mit ihr das Niederdeutsche als überregionale Handelssprache strahlten bis weit in die Mitte Deutschlands aus und boten somit ein großes potentielles Einfallstor für sexuelle Schimpfmetaphern anderer Sprachen. Wurde es vielleicht sogar genutzt?

Gibt es möglicherweise vulgärsprachliche Unterschiede zwischen den niederdeutschen und den hochdeutschen Dialekten sowie dem Standarddeutschen? Gaugers Untersuchung, die sich wesentlich auf Wörterbuchrecherchen und eigene Belegsammlungen stützt, stößt hier an ihre Grenzen. Immerhin zeigt er für Süddeutschland, dass es abseits des überregionalen Vulgärdeutschen landschaftliche Abweichungen vom Exkrementellen gibt: Der alemannische "Seckel" und das - wahrscheinlich aus dem Bairischen stammende - "hinterfotzig" sind Beispiele für eine sexuell motivierte Vulgärsprache neben den dort ebenfalls stark vertretenen Fäkal-Schimpfwörtern. Gaugers Beispiele für importierte Fremd-Vulgarismen demonstrieren wiederum, dass diese nach ihrer Ankunft im Deutschen oft ihren sexuellen Hintergrund verloren haben. So erging es dem spanischen "carajo", das - mit der Ursprungsbedeutung ,männliches Glied' - eigentlich ein derber Fluch ist, der aber im Deutschen mit Karacho zur harmlosen Bezeichnung für hohe Geschwindigkeiten wurde, begünstigt möglicherweise durch die lautliche Nähe zu "Krach". Und der "digitus impudicus" des Römischen Reiches, der in Südeuropa sexuell besetzt ist, wandelte sich in Deutschland bezeichnenderweise in den "Stinkefinger". Gab es in der indogermanischen Sprachgeschichte möglicherweise eine Epoche, in der die beiden Welten des Vulgären stärker verschmolzen waren als heute? Das lateinische "obscenus" und seine Ableitungen jedenfalls können sich sowohl auf Geschlechtsteile als auch auf Kot beziehen.

Woher rührt nun der Sonderweg - oder soll man sagen: die Sondergosse - der deutschen Sprache? Gauger verzichtet dankenswerterweise auf psychoanalytische Spekulationen über eine "Analfixierung der Deutschen". Dergleichen verbietet sich für die Ursachenforschung schon deshalb, weil sich die länderübergreifende deutsche Sprache keinem "Nationalcharakter" zuordnen lässt. Warum irgendwann in der Sprachgeschichte des Deutschen die Weichen so gestellt wurden, dass sich die Entwicklung der Kraftausdrücke vornehmlich in den metaphorischen Bahnen des "Schmutzigen" und kaum in denen des "Feuchten" vollzog - diese Frage bleibt weitgehend unbeantwortet. Aber nicht ganz: Dass die Deutschen ihre eigene Sprache als ein Idiom ungeschminkter Ehrlichkeit ansahen, und diese Ehrlichkeit oft genug mit Grobheit gleichsetzten - dafür gibt es genügend Beispiele in der Sprach- und Literaturgeschichte. "Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob du bist?", fragt Mephisto den Studenten im zweiten Teil des "Faust". Und bekommt zur Antwort: "Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist." Hierher könnte auch gehören - worauf Gauger allerdings nicht eingeht - dass "deutsch" ursprünglich "in der Sprache des Volkes" bedeutete und bis in die Neuzeit hinein die Nebenbedeutung "deutlich" hatte. Und deutlich, nämlich eindeutig ist der exkrementelle Fluchwortschatz, denn er benutzt unbestreitbar Negatives, um damit ebenfalls Negatives auszudrücken. Anders dagegen die sexuell gegründete Vulgarität, die etwas doch eigentlich Positives, die Liebe, den Eros, herabwürdigt, um es - oft genug mit frauenfeindlichen Untertönen - fürs verbale Prügeln zu missbrauchen.

So kann man mit Gauger dem deutschen Sonderweg des stinkenden Stänkerns sogar noch freundliche Züge abgewinnen. Allerdings könnte dieser Weg ohnehin in absehbarer Zeit an sein Ende kommen, denn in die Jugendsprache hat das sexualvulgäre Fluchen in Gestalt des "abgefuckten Wichsers" und ähnlich beleumundeter Wort-Freunde längst schon Einzug gehalten - hier wenigstens kommt Europa zusammen.

Hans-Martin Gauger: "Das Feuchte und das Schmutzige". Kleine Linguistik der vulgären Sprache.

Verlag C. H. Beck, München 2012. 283 S., br., 16,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Lobend hat Mark-Georg Dehrmann diese Untersuchung der vulgären Sprache des renommierten Linguisten Hans-Martin Gauger aufgenommen. Er findet in dem Buch eine Fülle von Material aus den verschiedensten Sprachen zum Thema Beleidigungen, Kraftausdrücke und Flüche. Aufschlussreich scheint ihm die von Gauger herausgearbeitete Differenz zwischen dem Deutschen einerseits und dem Englischen und den romanischen Sprachen andererseits im Blick auf das Beschimpfen und Beleidigen: im Deutschen dominieren Fäkalausdrücke, in den anderen genannten Sprachen sexuelle Termini. Dehrmann attestiert dem Autor, diese Beobachtung durch zahlreiche Belege, literarische Zitate und Anekdoten zu veranschaulichen und dann im weiteren Verlauf der Untersuchung wieder ein Stück weit zu relativieren. Dass Gauger eine Reihe von Erklärungsversuchen für dieses Phänomen diskutiert, aber am Ende darauf verzichtet, eine Erklärung für den deutschen Sonderweg beim Fluchen zu geben, mag enttäuschend wirken, spricht nach Ansicht des Rezensenten aber letztlich für die "vorbildliche" wissenschaftliche Haltung des Autors.

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