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Ein Roman über eine asymmetrische Liebe in Zeiten zunehmender Angst Paul, Sohn eines Maurers aus der Pariser Banlieue, und Amélia, Tochter eines reichen Vaters und einer Mutter, die verschwand, als sie einen Krieg verhindern wollte, tanzen über dreißig Jahre einen Walzer voller Ausweichschritte umeinander. Beide studieren Architektur – er verdient seinen Unterhalt mit Nachtschichten an der Rezeption eines Hotels, das Amélias Familie gehört und in dem sie lebt. Paul ist fasziniert von ihr. Alles an ihr ist ein Rätsel, ihr Kommen und Gehen, ihr wilder Intellekt, ihre Schönheit sowie die…mehr

Produktbeschreibung
Ein Roman über eine asymmetrische Liebe in Zeiten zunehmender Angst Paul, Sohn eines Maurers aus der Pariser Banlieue, und Amélia, Tochter eines reichen Vaters und einer Mutter, die verschwand, als sie einen Krieg verhindern wollte, tanzen über dreißig Jahre einen Walzer voller Ausweichschritte umeinander. Beide studieren Architektur – er verdient seinen Unterhalt mit Nachtschichten an der Rezeption eines Hotels, das Amélias Familie gehört und in dem sie lebt. Paul ist fasziniert von ihr. Alles an ihr ist ein Rätsel, ihr Kommen und Gehen, ihr wilder Intellekt, ihre Schönheit sowie die Gerüchte, die sie umgeben. Zunächst konkurrieren sie um die Gunst der Professorin Albers, doch bald entsteht ein nächtliches Liebesverhältnis. Nachts können sich die Parallelen ihrer beider Leben schneiden, nachts kann der Raum zu ihren Gunsten neu vermessen werden. Doch Amélia verschwindet, unbegreiflich für Paul. Die Stadt und das Leben darin werden indessen zunehmend von Angst geformt. Paul wird reich im Geschäft mit schusssicheren Fenstern, geheimen Räumen und Überwachungstechnik, und die Angst wird auch vor seinem eigenen Leben nicht halt machen. Schließlich erfährt er, dass Amélia damals nach Sarajevo gegangen ist, um ihre Mutter zu suchen. Zehn Jahre später kehrt sie zurück, und eine Tochter wird geboren. Doch niemand entkommt den Phantomen der eigenen Geschichte, die immer von Neuem beginnt. Elegant, evokativ und mit großem literarischen Feingefühl erzählt Jakuta Alikavazovic von dem, was unwiederbringlich verloren ist. Und von dem, was vielleicht noch gerettet werden kann. "Jakuta Alikavazovic streift tausend Themen auf einmal, in einer Erzählung auf der Rasierklinge, Funken schlagend, waghalsig, fesselnd und voller Geheimnis." Télérama "Jakuta Alikavazovic ist ein seltenes, kraftvolles und einzigartiges Talent." Le Monde
Autorenporträt
Jakuta Alikavazovic wurde 1979 in Paris geboren, ihre Eltern kamen in den 1970er Jahren aus Bosnien und Montenegro nach Frankreich. Sie unterrichtet an der Sorbonne und übersetzt u.a. Ben Lerner ins Französische. Ihr Debütroman "Corps volatils" (2007) wurde mit dem Prix Goncourt du premier roman ausgezeichnet. "Das Fortschreiten der Nacht" ist ihr vierter Roman. Er erhielt den Prix du Zorba und den Prix Castel du Roman de la nuit und war nominiert für den Prix Médicis und den Prix Femina.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Paul finanziert sein Architekturstudium mit Nachtschichten in einem Pariser Hotel. Seine Kommilitonin Amélia kommt aus ganz anderen Verhältnissen und bewohnt dessen Zimmer 313. Über zaghafte Annäherungen werden die Studenten ein Paar, führen eine intensive Beziehung. Eines Nachts aber, Paul sitzt wie so oft an der Rezeption, verschwindet Amélia. Schreckensszenarien packen Paul, doch bald die traurigste Gewissheit von allen: Amélia hat ihn verlassen. Um nach ihrer Mutter zu suchen, die einst sie verließ und aus dem belagerten Sarajevo nicht zurückkehrte. Der Roman erzählt, was Amélias Tat mit Paul macht und was geschieht, als die beiden sich irgendwann wiedersehen. Mal ein Satz, wörtlich wiederholt, nur aus der Perspektive eines anderen, mal die Handlungsmuster als Ganzes: Fragmente dieser Erzählung wiederholen sich vor dem Hintergrund kriegerischer Auseinandersetzungen und Gewalt, die Angst als Leitmotiv ist stets präsent. Als Erwachsener muss Paul entscheiden, mit welchen Mitteln er bereit ist, nahestehende Menschen zu schützen. Mehr noch, aus dem Gefühl der Sicherheit ist ein Geschäft geworden, das ihn reich gemacht hat. Amélia hingegen kehrt von ihrer Suche gebrochen zurück.

© BÜCHERmagazin, Melanie Schippling

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2019

Der Zweifel ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten
Jakuta Alikavazovics Roman "Das Fortschreiten der Nacht" erzählt von einer fragilen Liebe in stürmischen Zeiten

Jakuta Alikavazovic ist hierzulande nahezu unbekannt, und in Paris, wo sie lebt, genießt sie in Literaturkreisen zwar einen exzellenten Ruf, aber das große Publikum hat sie mit ihren bislang vier Romanen, einigen Kurzgeschichten und Kinderbüchern noch nicht erreicht. Vielleicht wird das auch so bleiben. Alikavazovics Romane sind keine leichten Lektüren. Auch der jüngste nicht, der wie seine Vorgänger von einer schwierigen Liebe erzählt, aber auch von vielen anderen Dingen: vom Jugoslawien-Krieg und der Belagerung Sarajevos, von Überwachung und Angst, Geld und Status. Wie diese Dinge zusammenkommen, ist manchmal ein Rätsel, aber nicht, weil Alikavazovic nicht auf den Punkt zu bringen vermochte, was sie sagen will (wie das bei rätselhafter Literatur zuweilen der Fall ist), sondern weil sie eine Wirklichkeit abzubilden versucht, die ein Leben lang rätselhaft bleibt.

Paul und Amélia sind Anfang zwanzig, als sie sich in Paris begegnen. Er stammt aus einfachen Verhältnissen und arbeitet als Nachtwächter in einem Hotel, während sie, als Tochter des Besitzers, in diesem Hotel dauerhaft wohnt. Auch in ihrer Liebe zueinander unterscheiden sich die beiden. Paul liebt Amélia immer ein bisschen bereitwilliger als sie ihn, weil sie nicht gelernt hat, was Liebe ist. Amélia weiß nur, wie sich Verlassensein anfühlt - vor allem von der Mutter, die sich einst in der fixen Idee verlor, den Jugoslawien-Krieg durch Poesie aufzuhalten und die in den Wirren Sarajevos auf Nimmerwiedersehen verschwand. Auf diese Weise dringt ein Teil europäischer Geschichte in die Liebesbeziehung von Paul und Amélia und weitet den Roman zu einer Reflexion über die unsichtbaren Folgen von Kriegen, über das, was die Schriftstellerin Jakuta Alikavazovic kürzlich als "europäische Melancholie" bezeichnete: Die Mutter hat sich für den Krieg entschieden und ihn in absentia an ihre Tochter vererbt, die zeit ihres Lebens für den Konflikt leben wird. "Und Paul erinnert sich, dass er zum ersten Mal Amélias Wut gesehen hatte, ihre Rage, zum ersten Mal schien es ihm, dass sie ihre Gesten vollendete, diese trägen Bewegungen, die sonst nur zu neun Zehnteln ausgeführt zu werden schienen, ihr letzter Teil, derjenige, der fehlte, war die Zerstörung."

Besiegt werden die bösen Geister (vielleicht) erst in der dritten Generation. Denn Paul und Amélia bekommen eine Tochter, die, weil Amélia in einer Anstalt verschwindet, ebenfalls ohne Mutter aufwächst. Paul zieht das Kind groß und pflanzt ihm früh einen Chip unter die Haut. Das ist seine Art, seiner Ängste Herr zu werden, wobei diese Ängste qua Herkunft andere sind als die der weiblichen Figuren. Paul weiß wenig über das stets namenlose Land, aus dem seine eigenen Eltern einst nach Paris emigriert sind, aber er spürt, dass seine Familie einer Not entkommen ist, die in ihm als starkes Bedürfnis nach Sicherheit nachklingt. Den Luxus des Zweifels kann er sich nicht leisten. Als Erwachsener verdient er nicht zufällig sein Geld mit einer Firma, die Sicherheitsglas in entlegene Ecken der Welt verkauft.

Das fügt sich nahtlos in die erzählte Zeit. Das Buch verfolgt seine Figuren dreißig Jahre lang, aber es gönnt ihnen keinen Augenblick der Ruhe. Wie auf Wasser müssen sie sich fühlen, denn Jakuta Alikavazovic will eine Liebesgeschichte erzählen, in deren Brüchen sich die Gebrechlichkeit der Gegenwart spiegelt, und das gelingt ihr nicht nur durch zahlreiche Anspielungen auf konkrete Ereignisse der Zeitgeschichte, etwa auch auf die Unruhen in der französischen Banlieue von 2005. Auf die um sich greifende Überwachungstechnologie. Und auf eine schleichend sich zersetzende französische Gesellschaft - ein Prozess, den sie als "Balkanisierung der Gesellschaft" bezeichnet, womit einen jeder zumindest begrifflich von den Geschehnissen auf dem Balkan eingeholt wird. Es gelingt ihr auch stilistisch, die Dinge in der Schwebe zu halten, durch rasche Wechsel der Erzählperspektiven und das Verweben von Wirklichkeit und Traum. So wirkt das ganze Buch wie eine äußerst fragile Konstruktion.

Das soll es auch. Der Roman vermisst verschiedene Zeitzonen eines Lebens: eine Zeit der Leidenschaft, in der die äußere Welt kaum Bedeutung hat; und eine Zeit des Kampfes, in der im Angesicht der Welt stets die Frage nach der Belastbarkeit der Liebe aufkommt. Wie macht man eine Liebe dauerhaft in einer Zeit, die auf Dauerhaftigkeit nichts gibt? Das ist die Frage, die das Buch beantwortet, indem es auf raffinierte Weise gründlich ist und flüchtig bleibt.

Es ist von allem ein bisschen - ein bisschen Liebesgeschichte, Bildungsroman, Sozialgeschichte, ein bisschen Familienchronik from dusk till dawn. Und ein bisschen rätselhaft. Aber welche Liebe wollte von sich behaupten, dass sie kein Rätsel bliebe?

LENA BOPP

Jakuta Alikavazovic: "Das Fortschreiten der Nacht". Roman.

Aus dem Französischen von Sabine Mehnert. Edition Nautilus, Hamburg 2019. 256 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.06.2019

Es ist kompliziert
Die große Leidenschaft, aber nur in Andeutungen: Jakuta Alikavozovics erzählt eine Liebesgeschichte zwischen Paris und Sarajewo
Um zu verstehen, warum eine Liebesbeziehung gescheitert ist, brauchen die Beteiligten oft viele Jahre. Danach können sie bisweilen in nur wenigen Sätzen erklären, was die heillose Quälerei eigentlich ausgemacht hat. In Jakuta Alikavazovics Roman „Das Fortschreiten der Nacht“ braucht die Hauptperson für diese Einsicht 163 Seiten, sie lautet: „Sie ließ es nicht mit sich machen. Sie ließ sich nicht lieben.“ Sie heißt Amélia, unter ihrem Liebesunwillen leidet Paul. Nachdem er begriffen hat, woran seine Liebe scheitert, geht sein Leben mehr oder weniger glücklich weiter, was wir erfahren, weil sich der Roman noch weitere 91 Seiten lang damit beschäftigt.
Alikavazovic erzählt eine Liebesgeschichte, deren Dramatik vor allem aus dem Verschwinden geliebter Personen entsteht. Paul und Amélia lernen sich in der Pariser Universität kennen, er ist Concierge in einem Hotel, sie lebt als Flüchtling aus dem Jugoslawienkrieg dort und führt ein Bohème-Leben. Schon früh bemerkt Paul Amélias innere Unrast, die sich auch durch das Verhältnis zu ihrer Mutter zu erklären scheint, einer Dichterin, die ein relativ bekanntes Werk „dokumentarischer Poesie“ hinterlassen hat. Das klingt vielversprechend: Leider erfährt man über dieses Werk vor allem, dass es bedeutend sei, warum, bleibt dunkel. Auf der Suche nach Spuren ihrer Familie verschwindet Amélia immer wieder aus Pauls Leben, um im belagerten Sarajewo ganz andere Intensitäten als die einer hedonistischen Pariser Szene zu erleben. Sie kehrt jedoch stets zu Paul zurück, meist in einem schwer angegriffenen Zustand, aus dem er sie nur zu gern erlöst.
Eine Liebesgeschichte zu schreiben, die zeigt, wie verschiedene Städte und andere Erinnerungsorte Liebende prägen, und wie diese Erfahrungen sie zusammen und auseinander treiben, ist eine reizvolle Idee. Noch reizvoller ist es, auf diese Weise von den jüngsten Kriegen auf dem Balkan zu erzählen, denen in Deutschland momentan wenig Raum in der Literatur, oder zumindest der Diskussion darüber gegeben wird. Im besten Fall regt Alikavazovics Buch dazu an, darüber nachzudenken. Es beschreibt einen Beziehungsstatus, der zwischen verfeindeten Nationen und Verliebten ein Dauerbrenner bleibt: Es ist kompliziert.
Paul und Amélia zeugen schließlich eine Tochter, dann verlässt sie ihn endgültig und er verzehrt sich jahrzehntelang nach ihr. In seiner Sorge, ihrer Tochter könne etwas zustoßen oder sie könne sich ebenso von ihm entfernen, wie ihre Mutter es auf der Suche nach der Großmutter getan hat, steigert sich Paul in einen Überwachungswahn hinein. Mittlerweile als Mitarbeiter „einer renommierten Agentur“ und Inhaber eines Unternehmens mit unklarem Geschäftsbereich zu Geld gekommen, lässt er seiner Tochter einen Chip implantieren, um ständig sehen zu können, wo sie sich aufhält. Ihr Verlangen danach, die vielbeschwiegene Mutter endlich kennenzulernen, wird irgendwann so groß, dass sie den Chip mit einer Rasierklinge entfernt und sich auf den Weg zur Mutter macht. Sie findet sie in der „zerstörten Stadt“. Sehr spät buchstabiert der Roman aus, dass es sich dabei wieder um Sarajewo handelt. Alikavazovic hat eine starke Vorliebe dafür, nur in Andeutungen zu schreiben, wo, wann und aus welcher Motivation heraus sich eine Handlung abspielt. So bleibt auch unklar, wo genau die liebesunwilligen Mutter ansonsten steckt, die in der Zwischenzeit in einem anderen Kriegsgebiet, vielleicht Afghanistan, vielleicht auch nicht, von Bohemienne auf Hilfsarchäologin umgeschult hat. Von dort jedenfalls kehrt sie ein letztes Mal zu Paul zurück, um das große Verschwinden im Anschluss durch ihren Suizid zum Finale zu bringen.
Dieser Suizid wird kurz vor Ende des Buches schon einmal angedeutet, wie auch die verschiedenen anderen gewaltsamen Tode, die das Buch durchziehen, in raunendem Futur angekündigt werden. Wenn es soweit ist, geschehen sie innerhalb eines lapidaren Absatzes, der schon wieder endet, bevor man wirklich begreift, was gerade geschehen ist.
Die Übersetzung von Sabine Mehnert lässt ahnen, dass es Alikavazovic darum geht, eine möglichst verdichtete und suggestive Prosa zu schreiben, deren Rhythmus vor allem durch Aufzählungen und Reihung von Relativsätzen entsteht, die zu immer größeren Zuspitzungen führen sollen: „er bekam einen Eindruck davon, was ein wahrgewordener Traum ist, eine Phantasie, von der er nicht wusste, ob sie seine eigene oder die der Stadt, der Epoche war: Wohlstand, das Gefühl von Besitz und Zugehörigkeit, Sicherheit.“ Während der deutsche Text dadurch teilweise mühsam zu lesen ist, stellt sich auch der Verdacht ein, dass die Autorin während des Schreibens immer weiter danach sucht, was sie nun eigentlich erzählen will.
So detailreich das Lieben und Leiden der Figuren geschildert wird, so unscharf bleiben ihre Charaktere und Lebenswege, sodass man eigentlich bis zum Schluss nicht weiß, warum sie einander verfallen. Sicher, Amélia erfüllt Pauls Fantasien, indem sie ihm unter anderem „lachend einen bläst“ (allein technisch eine schwierige Vorstellung), oder indem sie in eines seiner Hemden gewandet durch eine eigens angemietete, sonnengeflutete Altbauwohnung flaniert. Paul wiederum sieht sehr gut aus, und er ist verrückt nach ihr. Dass es kompliziert wird, hat manchmal einfache Gründe. Zum Beispiel den, dass eine Liebesgeschichte unbedingt ein Roman werden soll.
HANNA ENGELMEIER
Jakuta Alikavazovic: Das Fortschreiten der Nacht. Roman. Aus dem Französischen von Sabine Mehnert. Nautilus Verlag, Hamburg 2019. 256 Seiten, 22 Euro.
Auf der Suche nach Spuren
ihrer Familie verschwindet
Amélia immer wieder
Eigentlich weiß man
bis zum Schluss nicht, warum
sie einander verfallen
Jakuta Alikavazovic, 1979 in Paris geboren. Ihre Eltern kamen aus Bosnien und Montenegro nach Frankreich.
Foto: picture alliance
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