Ein starkes Debüt voll philosophischer Betrachtungen über Identität, Bewusstsein und das Verhältnis von Mensch zu Natur
In den überwiegend sehr kurzen Kapiteln, in denen der Roman geschildert ist, lernte ich Ida kennen, die ein eigenartiges Kind gewesen ist. Mit acht Jahren war eines ihrer
Einschlafrituale sich vorzustellen ihr Lieblingsgemüse - also eine Gurke - zu sein, indem sie versuchte…mehrEin starkes Debüt voll philosophischer Betrachtungen über Identität, Bewusstsein und das Verhältnis von Mensch zu Natur
In den überwiegend sehr kurzen Kapiteln, in denen der Roman geschildert ist, lernte ich Ida kennen, die ein eigenartiges Kind gewesen ist. Mit acht Jahren war eines ihrer Einschlafrituale sich vorzustellen ihr Lieblingsgemüse - also eine Gurke - zu sein, indem sie versuchte mit ihrem Körper die Form einer Gurke nachzustellen und sämtliche ihrer Alltagsemotionen auszublenden. Denn Gurken können nicht fühlen.
Mit ihrem schwarzen Haar und ihrer Abneigung zu reisen, scheint Ida eher ihrem Vater zu ähneln. Ihre als Rentnerin so reiselustige Mutter ist da ganz anders. Als Studentin war ihre Mutter so kämpferisch, dass sie die einzige Frau gewesen ist, die sich in die erste Reihe der Studentenproteste traute. Von ihrer Mutter erfährt Ida als Mädchen, dass "der Mensch durch und durch schlecht sei". Fortan unternimmt die junge Ida eher bescheidene Versuche, "das Gegenteil eines Menschen zu sein", wenn sie auf Händen läuft, tagelang schweigt oder versucht so stramm wie ein junger Mann zu laufen.
Die erwachsene Ida ist nicht unbedingt das, was ich eine sympathische Person nennen würde. Für mich war es schwierig einen Zugang zu ihr zu finden. Nachdem Ida sich wiederholt eingebildet hat krank zu sein, sucht sie nun in regelmäßigen Abständen eine Therapeutin auf. Sie scheint nicht nur ein Hypochonder zu sein, sondern auch an Paranoia zu leiden. Und wenn sie betrunken ist, verhält sie sich peinlich und macht ihrer Freundin Robin eifersüchtige Szenen. Dabei ist sich Ida selbst bewusst, dass sie versucht Robin so wie ihre vorherigen Freundinnen an sich zu binden, indem sie ihr ein schlechtes Gewissen macht.
Bei Lieke Marsman sind Poesie und eine faktenbasierte, zahlenorientierte Erzählweise kein Widerspruch. So hat mich der poetische Beginn "Ein Morgen" an Texte von Raoul Schrott erinnert. Was aber das Staudamm-Projekt in den Alpen betrifft, an dem Ida mitwirkt, listet Marsman die Jahre der Staudamm Katastrophen in Italien samt der Anzahl an Todesfällen auf und schildert in detaillierter Weise an einem konkreten Beispiel, welche genauen Mengen an Wassermassen zum Unglück führten.
Mir gefällt die ungewöhnliche Art, in der "Das Gegenteil eines Menschen" erzählt wird. Dessen experimentelle Abschnitten habe ich als besonders stark empfunden. So beinhaltet ein Kapitel ein Streitgespräch zwischen Robin und Ida, aus dessen Dialog aber nur Robins Sätze wiedergegeben sind.
Relevante Kommentare zum Klimawandel ergeben sich aus dem Kontext der beruflichen Profession von Protagonistin Ida, die Klimatologin ist, und werden oft in Form von geschickt eingebundenen Zitaten - etwa aus dem Buch "Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima" von Idas Heldin Naomi Klein - geliefert. Dabei schreckt die Autorin aber auch vor kontroversen Themen nicht zurück, beispielsweise dass der Kampf gegen den Klimawandel mit dem Verzicht auf Kinder beginnt (siehe "Die Welt ohne uns" von Alan Weisman).
Die in "Das Gegenteil eines Menschen" wiedergegebenen Zitate habe ich insgesamt als abwechslungsreich und interessant empfunden, da diese vom dänischen Philosophen Kierkegaard, über Kant bis hin zu Duras reichen. Im Anhang werden diese von einem detaillierten Quellenverzeichnis abgerundet. Spannend waren für mich auch die nacherzählten Geschichten. Denn etwa das Atraḫasis-Epos, das eine der ältesten schriftlich erhaltenen Mythen darstellt, die vom Gott Enlil erzählt und die Vorlage für die Arche Noah Geschichte bildete, war mir neu.
Der oft ungewöhnliche Blickwinkel, den Marsman darlegt, hat mich zum Nachdenken gebracht. So setzte sich die Autorin etwa damit auseinander, wie einfach es sei, sich im Alltäglichen zu verlieren (frei nach Kierkegaard) oder warum Nachrichten eine entspannende Wirkung haben können, da das "beste Mittel gegen Beunruhigung noch mehr Beunruhigung" sei.
In seinen philosophischen Auseinandersetzungen - etwa zur Konsistenz des