Da ich noch nie einen historischen Krimi gelesen hatte, habe ich mich auf „Das Geheimnis der Madame Yin“ von Nathan Winters gefreut.
Wir schreiben das Jahr 1877. Celeste Summersteen soll im Auftrag von Anette Roover deren 16jährige Nichte Dorothea auf dem Heimweg von Chicago nach London begleiten.
Eigentlich ist Celeste Sekretärin in einer Detektei, würde aber lieber selbst ermitteln. Und da…mehrDa ich noch nie einen historischen Krimi gelesen hatte, habe ich mich auf „Das Geheimnis der Madame Yin“ von Nathan Winters gefreut.
Wir schreiben das Jahr 1877. Celeste Summersteen soll im Auftrag von Anette Roover deren 16jährige Nichte Dorothea auf dem Heimweg von Chicago nach London begleiten. Eigentlich ist Celeste Sekretärin in einer Detektei, würde aber lieber selbst ermitteln. Und da kommt der Auftrag genau richtig, denn sie soll außerdem im Mordfall von Estelle, einer engen Freundin von Dorothea, ermitteln. Ist die junge Frau auch in Gefahr? Schließlich war sie selbst opiumsüchtig. Sind die Kreise, in denen sie sich bewegte auch schuld am Tod ihrer Freundin? Und dann wird Madame Yin, Londons Opiumkönigin, tot aufgefunden. In ihrem Mund ist ein Stück Stoff und eine Haarlocke. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Morden? Die Ermittlungen übernimmt Inspector Robert Edwards von Scotland Yard. Zumindest so lange, bis sich Celeste in seine Arbeit einmischt.
Das Buch ist voller spannender (aber oft klischeehaft beschriebener) Gegensätze, unter anderem: Männer – Frauen, Amerika – Großbritannien, behütete Welt der wohlhabenden Bürgerschaft – kriminelles Milieu mit Drogen und Prostitution. Damit hat der Autor eine sehr spezielle Atmosphäre geschaffen.
Die Rolle der Frau, ganz besonders die von Frauen in (damals) Männerdomänen, arbeitet er sehr gekonnt heraus, auch arrangierte Ehen lässt er nicht aus („Dorothea muss sich endlich wie eine Dame benehmen und lernen, was eine gute Ehefrau zu tun hat. Ich habe ihr viel zu lange, zu viele Freiheiten gelassen .“) Besonders Celeste hat es als Frau nicht leicht, sich gegen die männlichen Polizisten zu behaupten, zudem kommt sie aus Amerika („Er sprach das Wort „Amerikaner“ aus, als wäre es eine ansteckende Krankheit“). Dazu übermächtiges Patriarchat, Kompetenzstreitigkeiten zwischen uniformierter Polizei und Scotland Yard, arrogante Ärzte und die damals beliebte Diagnose „Hysterie“ – eine explosive Mischung.
Inwieweit der historische Aspekt des Buchs korrekt ist, kann ich nicht beurteilen. Aus meiner laienhaften Sicht ist einiges allerdings sehr gut umgesetzt. Beispielsweise beschreibt der Autor die Umgebung und die Stimmung im London der damaligen Zeit sehr gut, die „Unterschicht“ spricht eine Art Slang, an die man sich erst gewöhnen muss während die Angehörigen der höheren Schichten sich teils sehr gewählt ausdrücken. Die Charaktere hat der Autor sehr gekonnt und facettenreich dargestellt. Celeste als selbstbewusste, emanzipierte Frau, die ihrer Zeit voraus ist, fand ich von der ersten Seite an sympathisch. Insgesamt fand ich die weiblichen Charaktere im Buch angenehmer als die männlichen.
Das Buch hat eine subtil aufgebaute, unterschwellige Spannung, gegen Ende wird die Spannungskurve steiler und insgesamt wird die Handlung etwa ab der Mitte, mit tieferem Eintauchen in die Ermittlungsarbeit, brutaler. Ein bisschen Sprach- und Wortwitz gibt dem ganzen etwas Würze und macht das Buch nett und unterhaltsam aber über weite Teile plätschert die Handlung eher dahin. Die Handlung selbst ist in zwei Strängen erzählt, einerseits die Ermittlungen von Celeste, andererseits die von Inspector Edwards, am Schluss und mehrere Morde später finden beide zusammen – leider weiß man als Leser schon sehr früh, wer der Täter ist und die Auflösung führt eher zu einem Kopfnicken und einem „ich wusste es!“ als zu einer Überraschung.
Sehr störend fand ich allerdings die Schreibfehler. („Celeste nahm es in den Schoss und betrachtete es.“ Schoß schreibt man nach wie vor mit ß. „Die Stimme erschrak ihn“ – nein, da wäre „erschreckte ihn“ auch laut Duden richtig.) Es ist aufgrund der Fehler sicher kein gutes Buch, manchmal liest es sich wie ein Übungsstück für den nächsten Teil (die Fortsetzung heißt „Der Zug aus Enfield“ und ist 2019 erschienen). Es ist aber auch kein schlechtes Buch – es ist leicht, teils aber auch seicht zu lesen. Von mir für die gute Idee und die mangelhafte Umsetzung 2 Sterne.